Cover

Hugo Ball

Tenderenda der Phantast

 

 

 

 

 

TENDERENDA DER PHANTAST

 

von

 

HUGO BALL

 

 

(ENTHÄLT ZUDEM DAS ERÖFFNUNGSMANIFEST VOM ERSTEN DADA-ABEND AM 14. JULI 1916 IN ZÜRICH)

 

HERAUSGEGEBEN UND MIT EINEM

NACHWORT VERSEHEN VON

TOBIAS KURTH

 

 

 

 

TENDERENDA DER PHANTAST erschien zuerst 1967 (posthum) im Arche Verlag, Zürich

 

Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von:

© apebook Verlag, Essen (Germany), www.apebook.de

© Nachwort Tobias Kurth

2. Auflage 2019

 

V 2.0

 

 

 

Dieses Buch ist Teil und Nichtteil der ApeBook Classics (ABC Nr. 0000): Klassische Meisterwerke der Literatur

(Hardcover, Paperback und eBook)

 

Weitere Informationen am Ende des Buches und unter: www.apebook.de

ISBN 978-3-96130-053-2

 

Frontispizbild: Hugo Ball (Foto aus De Stijl, vol. 8, nr. 85/86 von 1928/anonymer Fotograf)

Abbildungen im Nachwort: Lautgedicht Karawane (aus der Zeitschrift Dada von 1917); Plakat zur Eröffnung der Künstlerkneipe „Voltaire” am 5.Februar 1916 von Marcel Słodki (1892-1944); Todesanzeige in De Stijl, herausgegeben von Theo van Doesburg (1883-1931); Hugo Balls Auftritt im Cabaret Voltaire 1916 (anonymer Fotograf)

 

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

 

Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, bearbeitet von SKRIPTART.

 

Alle Rechte vorbehalten.

© apebook 2019

 

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

TENDERENDA DER PHANTAST

Impressum

EROEFFNUNGS-MANIFEST, 1. DADA-ABEND

I DER AUFSTIEG DES SEHERS

II DAS KARUSSELLPFERD JOHANN

III DER UNTERGANG DES MACHETANZ

IV DIE ROTEN HIMMEL

V SATANOPOLIS

VI GRAND HOTEL METAPHYSIK

VII BULBOS GEBET UND DER GEBRATENE DICHTER

VIII HYMNUS 1

IX HYMNUS 2

X DER VERWESUNGSDIRIGENT

XI JOLIFANTO BAMBLO Ô FALLI BAMBLO...

XII HYMNUS 3

XIII LAURENTIUS TENDERENDA

XIV BAUBO SBUGI NINGA GLOFFA

XV HERR UND FRAU GOLDKOPF

NACHWORT

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Zu guter Letzt

EROEFFNUNGS-MANIFEST, 1. DADA-ABEND

Zuerich, 14. Juli 1916

Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen ganz Zuerich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: 'Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir'. Und so weiter.

Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Es ist einfach furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung daraus macht, muss das bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. Dada Psychologie, Dada Literatur, Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m'dada, Dada mhm' dada, Dada Hue, Dada Tza.

Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man beruehmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi, Dada Herr Anastasius Lilienstein.

Das heisst auf Deutsch: die Gastfreundschaft der Schweiz ist ueber alles zu schaetzen, und im Aesthetischen kommt's auf die Norm an.

Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai Lama, Dada m'dada, Dada m'dada, Dada mhm' dada. Auf die Verbindung kommt es an, und dass sie vorher ein bisschen unterbrochen wird. Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn Schulze haben nur zwei ein halb Zentimeter.

Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, Haende von Worten. Ay, oi, u. Man soll nicht zuviel Worte aufkommen lassen. Ein Vers ist die Gelegenheit, moeglichst ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhaenden, die die Muenzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfaengt.

Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er ueberhaupt etwas heissen? Muessen wir denn ueberall unseren Mund dran haengen? Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine oeffentliche Angelegenheit ersten Ranges.

 

 

 

O vous, messeigneurs et mes dames,
Qui contemplez ceste painture,
Plaise vous prier pour les âmes
De ceulx qui sont en sepulture.

 

Saint Bernard

 

I DER AUFSTIEG DES SEHERS

 

Man findet sich in die Aufregungen einer imaginären Stadt versetzt. Ein neuer Gott wird erwartet. Donnerkopf (der im Roman nicht weiter hervortritt) hat seinen Wohnsitz auf einen Turm verlegt und gibt von dort buntscheckige Bulletins aus, die über den Fortgang der Angelegenheit unterrichten sollen. Ein lauer Abend bricht an. Auftreten eines Scharlatans, der auf dem Marktplatz eine Himmelfahrt in Aussicht stellt. Er hat sich dazu eine eigene Theorie ausgedacht, die er weitläufig vorträgt. Scheitert jedoch an der Skepsis des Publikums. Was das für Folgen hat.

 

An diesem Tage war Donnerkopf verhindert, dem Festakte beizuwohnen. Siehe, er saß vor Atlanten und Zirkeln und kündete Weisheit der oberen Sphären. Lange Papyrusrollen ließ er, mit Zeichen und Tieren bemalt, vom Turme herab und warnte damit das Volk, das unter den Nestern stand, vor den kreischenden Scharen der Engel, die wütend den Turm umflogen. Jemand aber trug an diesem Tage an langer Stange ein Schild durch die Stadt, darauf stand:

Talita kumi, Mägdlein steh auf
Du bist es, du wirst es sein.
Gossentochter, Jubelmutter,
Die Erhangenen und die Verbannten
Die Gefangenen und die Verbrannten
Rufen nach dir.
Befreie, o benedeie
Du Unbekannte
Tritt herfür!

Mit Fasten und Purgativ bereitete sich die Stadt auf eines neuen Gottes Erscheinen vor, und tauchten schon aus der Menge etliche auf, die im Gedränge Ihm wollten begegnet sein. Eine Warnung ward ausgegeben, besagend, daß, wer die Glockenräder und Lumpentürme besichtige oder betrete und ohne Ermächtigung abgefaßt würde, bei lebendem Leibe solle des Todes sein. Frisch aufgeblasen ward der Kausalnexus und sichtbar vor aller Blicke den heiligen Spinnen zum Fraß ausgesetzt. Mit Klappern und Dudelsäcken bewegten sich händeringend die Bitt- und Kaffeeprozessionen der Künstlerschaft und der Gelehrten. Aus allen Lüften und Luken aber hingen die Wasserzeichen und ragten die gläsernen Spritzen.

Da, über den Marktplatz, wie auf Verabredung, schritt violetten Gesichtes der Seher, gebot den lachenden Häusern, den Sternen, dem Mond und der Menge und sprach:

»Zitronengelb stehen die Himmel. Zitronengelb stehen die Felder der Seele. Den Kopf haben wir schief zur Erde geneigt und die Ohren weit aufgetan. Die Schürzen und Kutten haben wir ausgespannt und der Rücken aus Knallporzellan blinkt im Gefüge.

Wahrlich ich sage euch: meine Demut gehet nicht euch an, sondern Gott. Jeder suchet ein Glück, für das er nicht ausreicht. Keiner hat Feinde, soviele er haben kann. Eine Schimäre ist der Mensch, ein Wunder, ein göttliches Ungefähr, voll Tücke und Zwielist.

Eines Tages kannt ich mich selbst nicht mehr aus Neugier und Argwohn. Siehe, da kehrte ich um und hielt Einkehr. Siehe, da brannte die Kerze und tropfte auf meinen eigenen Schädel. Meine erste Erkenntnis aber war: klein und groß, das ist Aberwitz. Groß und klein, das ist Relativismus. Siehe, da schnellte mein Finger hervor und verbrannte sich an der Sonne. Siehe, da ritzte der Zeiger der Turmuhr den Boden der Straße auf. Ihr aber glaubet zu fühlen und werdet gefühlt.«

Er machte eine Pause, um sich das Ohr zu scheuern, und warf einen Blick in das fünfte Stockwerk des vierten Gebäudes. Dort ragte Lünettes rosaseidenes Bein aus dem Fenster. Darauf saßen zwei geflügelte Wesen, die saugten Blut.

Und der Seher fuhr fort: