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Angela Danz

STIEHL MEIN HERZ

Liebesgeschichte

© 2017

édition el!es

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ISBN 978-3-95609-215-2

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1

Ich saß einmal wieder allein in meinem Lieblingsrestaurant, in dem ich mich so wohlfühlte. Es gab fast nichts Entspannenderes als einen Besuch hier.

Das Restaurant war gut und exklusiv, die Bedienung perfekt, die Kellner kannten mich seit Jahren. Nur Leute mit Niveau verkehrten hier. Oder zumindest mit Geld, was zugegebenermaßen nicht immer dasselbe war.

Was ich vor allem hier suchte, war meine Ruhe. Als Politikerin hatte ich viel um die Ohren, da wollte ich wenigstens abends einmal ausspannen. Und bedient werden. Keine weitreichenderen Entscheidungen mehr treffen als die, ob ich Trüffel oder Maronenpüree bevorzugte.

Und keine Debatten mehr darüber führen, ob meine Entscheidung richtig war. Die Kellner nahmen meine Bestellung entgegen und brachten mir, was ich wünschte. Ohne Diskussion, ohne Hintergedanken. Tagsüber führte ich mein Geschäft und sie am Abend hier ihres. Was ich genoss.

Ich lehnte mich ein wenig zurück. Ich hatte gerade meinen Aperitif bestellt. Er würde bald kommen. In der Zwischenzeit sah ich mich um.

Es war nicht üblich, in solchen Lokalen viel Interesse an den anderen Gästen zu zeigen. Man hielt sich vornehm zurück. Das schätzte ich, denn ich wollte hier ja auch nicht von unerwünschten Blicken belästigt werden.

Für einen Moment jedoch ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, nahm alles in mich auf: die Atmosphäre, die schönen Möbel, die perfekt gedeckten Tische, den Duft edler Speisen.

Gab es tatsächlich Leute, die regelmäßig in Pizzerien essen gingen? Ganz zu schweigen von McDonald’s. Das musste schrecklich sein. Aber wenn man sich nichts Besseres leisten konnte . . .

Ich jedenfalls dankte meinem Schöpfer dafür, dass mir dieses Schicksal erspart geblieben war.

Ein elegant befrackter Kellner brachte meinen Aperitif, und ich nahm es mit einem nur angedeuteten Kopfnicken zur Kenntnis. Mit dem zweiten Glas, das er auf seinem Silbertablett trug, schwenkte er auf die andere Seite des Raumes.

Automatisch folgte ich ihm mit meinem Blick, während ich bereits an meinem Aperitif nippte.

Er setzte das Glas an einem Tisch in der Ecke ab, und als er wieder ging und sein Rücken mir nicht mehr die Sicht versperrte, sah ich, dass eine junge Frau allein an dem Tisch saß.

Sie war schön. Sehr schön. Sie hob ihr Glas, um zu trinken, und da ich noch immer zu ihr hinblickte, sah sie mich. Sie lächelte leicht. Dann nippte sie an ihrem Aperitif.

Ich blickte schnell wieder auf mein eigenes Glas. Einen Augenblick verharrte ich so.

Ich hatte sie noch nie hier gesehen. Normalerweise waren wir eine eingeschworene Gesellschaft. Fremde gab es selten, und wenn, wurden sie meistens von jemandem mitgebracht, den man kannte.

Aber sie war allein. Oder war sie das gar nicht?

Ich sah noch einmal verstohlen zu ihr hin. Kein weiteres Gedeck.

Mein Blick verweilte etwas zu lang an ihrem Tisch, und als ich hochschaute, begegnete ich wieder ihren lächelnden Augen, etwas amüsiert diesmal.

Noch schneller als das erste Mal schaute ich weg. Ich hätte rot werden können vor Verlegenheit, aber solche Reaktionen hatte ich mir schon lange abgewöhnt. Das war nicht sehr angeraten im Geschäftsleben, aus dem ich kam, und schon gar nicht in der Politik, in der ich seit einigen Jahren zu Hause war.

In beiden Umgebungen war ich als eiskalte Verhandlungspartnerin bekannt. Viele trauten mir wahrscheinlich gar keine Gefühle zu. Aber ich hatte welche. Zumindest für einige Frauen. Zumindest eine Zeitlang. Solange, bis es vorbei war.

Diese Frau war genau mein Typ. Sie war jung, sie war schön, sie hatte die richtige Figur. Ich hatte aufgegeben, nach inneren Werten zu suchen, mir reichten die äußeren.

Doch hier in diesem Lokal fand sich das mehr als selten. In der Tat war es das erste Mal, dass ich mich hier vor eine solche Situation gestellt sah.

Aber vielleicht war es das ja auch gar nicht: eine solche Situation. Es bedeutete schließlich überhaupt nichts, dass sie mir zugelächelt hatte, zweimal sogar.

Konnte ich sie deshalb an meinen Tisch bitten? Wohl kaum. Sie würde ablehnen, ganz sicher. Ihr Interesse an Frauen beschränkte sich vielleicht nur auf Blicke. Dass die unseren zweimal aufeinandergetroffen waren, war reiner Zufall, ebenso wie dass sie und ich heute Abend beide hier waren, und beide allein.

Es schien fast unmöglich, sich vorzustellen, dass eine Frau wie sie je ohne Begleitung ausging.

Männliche oder weibliche? fragte ich mich. Männliche wahrscheinlich. Möglicherweise hatte ihr Begleiter für heute Abend abgesagt, und sie hatte dennoch nicht auf den Abend verzichten wollen. Oder er kam später noch, holte sie ab, brachte sie dorthin, wo dann der zweite Teil des Abends beginnen sollte – der, der sicherlich nicht am gedeckten Tisch ablief.

Ich spitzte ein wenig die Lippen, als ich daran dachte, was vielleicht oder eher wahrscheinlich dort ablief, und lächelte leise in mich hinein. Heute Abend hätte ich gern mit diesem ihrem Begleiter getauscht. Aber das war wohl kaum möglich.

Die Vorspeise kam, und nur aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass das auch bei ihr der Fall war. Sie musste zum gleichen Zeitpunkt bestellt haben wie ich.

Ich würde mich hüten, noch einmal so auffällig zu ihr hinüberzuschauen; der Augenwinkel tat es auch. Dennoch bemühte ich mehr als einmal während der beiden nächsten Gänge die bis an die Grenze des Schmerzes gehende Rollfähigkeit meiner Augäpfel.

Anscheinend wartete sie tatsächlich auf niemanden, denn die Gänge wurden einer nach dem anderen aufgetragen und abgeräumt, ohne dass sie eine Anweisung erteilte zu warten.

Das Ende des Menüs nahte. Ich hatte kaum etwas davon mitbekommen. Zum Teil hatte ich die ohnehin schon winzigen Portionen auf den Tellern kaum berührt. Mein Appetit, der mich hierhergeführt hatte, schien mich verlassen zu haben.

Sie hingegen hatte sich dem Menü gebührlich gewidmet. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Sie schien keinesfalls durch etwas anderes abgelenkt zu sein – wie ich. Wahrscheinlich hatte sie unseren Blickwechsel schon längst vergessen.

Ich seufzte. Ich hatte nichts anderes vorgehabt heute Abend als allein nach Hause zu gehen, und das würde ich wohl nun auch tun. Obwohl ich gegen einen anderen Verlauf des Abends nichts einzuwenden gehabt hätte – mit ihr.

Doch das war Illusion. Ich blickte noch einmal zu ihr hinüber, diesmal offen, wenn auch kühl. Sie sollte mir nichts vorwerfen können, wenn ich mich irrte.

Es schien, als hätte sie auf meinen Blick gewartet. Sie lächelte wissend. Dennoch so zurückhaltend, dass es kaum zu sehen war.

Bildete ich mir das nur ein? War es Wunschdenken?

Ach, verdammt! Was hatte ich denn zu verlieren? Ich kannte sie nicht einmal. Vermutlich kannte niemand sie. Sie war neu in der Stadt oder irgendetwas in der Art. Und ich war es gewöhnt, Entscheidungen zu treffen, sogar unpopuläre.

Ich winkte dem Kellner und bat ihn, ihr eine Nachricht zu überbringen. Er nickte und ging zu ihr hinüber. Als er sie wieder verließ, blickte sie mit angedeutet verzogenen Mundwinkeln in meine Richtung. Nein, ihre Mundwinkel zuckten sogar. Sie neigte zustimmend leicht den Kopf. Ich hob einladend mein Glas, und sie stand auf.

Sie kam zu mir herüber. »Danke für die Einladung«, sagte sie mit einer sanft streichelnden Stimme.

Wenn ihre Hände auch so streicheln konnten . . .

»Danke, dass Sie sie angenommen haben«, erwiderte ich so ruhig wie möglich unter Aufbietung all der Beherrschungsregeln, die ich mir angewöhnt hatte, die mir im Alltag so gute Dienste leisteten. Jetzt hoffentlich auch. »Setzen Sie sich doch, bitte.« Ich lächelte sie an.

Der Kellner stürzte herbei und rückte ihr den Stuhl zurecht, der mir gegenüber am Tisch stand. Sie setzte sich mit einer unglaublich eleganten, fließenden Bewegung. Genauso wie sie herübergekommen war.

Ich hätte mir fast auf die Zunge gebissen, weil ich schon wieder daran dachte, was diese Bewegungen im Bett bedeuten würden.

»Ich habe Sie noch nie hier gesehen«, begann ich nicht sehr einfallsreich die Unterhaltung, und der Kellner brachte uns den Kaffee, zu dem ich sie eingeladen hatte.

Sie lachte leicht. »Das können Sie auch nicht. Ich war noch nie hier.«

Ihre Stimme perlte beim Lachen wie ein teures Glas Champagner. Genauso edel und genauso süß. Ich war hingerissen von ihr.

Aber ich wusste immer noch nicht, weshalb sie meine Einladung angenommen hatte. Sie hatte mein Interesse bemerkt, und dass sie herübergekommen war, zeigte, dass sie ebenfalls interessiert sein musste. Aber war unser Interesse das gleiche? Wusste sie, was ich dachte? Aus welchem Grund hatte sie meine Einladung angenommen, wenn es nicht so war? Sie erschien mir ziemlich rätselhaft.

»Neu zugezogen oder nur auf Besuch?«, schoss ich meinen nächsten Pfeil ab.

»Weder noch«, sagte sie, hob elegant ihre Tasse und nippte so wohlerzogen daran, dass sich der Inhalt danach kaum vermindert haben konnte.

Ihr Lippenstift zeichnete sich ein wenig am Rand ab. Es war eine wundervolle Farbe. Er passte zu ihr, als wäre sie damit geboren, als wäre er für ihr Lächeln gemacht.

Ihre Lippen hielten meinen Blick ein wenig länger fest, als es schicklich war. Alles an ihr war perfekt aufeinander abgestimmt. Sie wusste sehr wohl, wie sie aussah, und sie tat auch etwas dafür, das zu unterstreichen.

Dagegen war absolut nichts zu sagen. Ich bemühte mich um dasselbe. Auch wenn mein Business-Kostüm an diesem Abend sicher nicht mit ihrem Kleid konkurrieren konnte. Ich hatte mich zum Essen nicht umgezogen, sie schon.

Hätte ich gewusst, dass ich sie treffen würde, hätte ich es sicher auch getan, aber so war ich einfach aus der letzten Sitzung gegangen und dann gleich hierher. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Auf einen solchen Abschluss hatte ich nicht im Traum zu hoffen gewagt.

»Was für Möglichkeiten gibt es denn da noch?«, fragte ich lächelnd.

»Viele«, sagte sie.

Sie wollte keine Auskunft geben. »Entschuldigen Sie bitte, ich bin furchtbar«, sagte ich. »Ich sollte nicht so neugierig sein.«

Sie schmunzelte leicht. »Nein, sollten Sie nicht.«

Wenn ich nicht an sie herankam, wie sollte ich da irgendetwas bei ihr erreichen? Wenn die Möglichkeit dazu überhaupt bestand.

»Kann ich irgendeine Frage stellen, die Sie beantworten würden?«, fragte ich erneut lächelnd.

»Versuchen Sie’s«, erwiderte sie schlicht und bezaubernd.

Oh Gott, sie war mein Untergang! Sie faszinierte mich, und ich war schon jetzt so gefesselt von ihr, dass ich mich kaum von ihrem Anblick lösen konnte. Ich wollte sie in die Arme nehmen, sie küssen –

Nein, nein, nein! Dazu war es noch viel zu früh. Ich wusste ja nicht einmal, ob sie – »Hätten Sie vielleicht Lust, heute Abend noch woanders hinzugehen?«, fragte ich sie.

Sie sah mich eine Weile nachdenklich an. »Wohin?«, fragte sie dann.

»In ein Lokal, das ich kenne«, entgegnete ich. »Tanzen.«

Eine Heterofrau hätte auf eine solche Einladung sicher mit Ablehnung reagiert. Was sollte sie auch mit einer anderen Frau beim Tanzen? Oder sie hätte vielleicht darauf hingewiesen, dass wir keine männliche Begleitung hatten, die zum Tanzen nötig war.

Sie sah mich nur an. »Ja, gern«, erwiderte sie nach einer endlosen Ewigkeit.

3

Ich erwachte in einer großartigen Stimmung. Lächelnd räkelte ich mich in den Laken, die den Duft der Nacht gefangenhielten, die Hitze der Leidenschaft.

Die Küche war nicht das Ende der Reise gewesen, auch wenn sich einiges dort abgespielt hatte. Wie jung Angie auch immer sein mochte, zum Schluss waren wir doch im Bett gelandet.

Es war eine Nacht gewesen, die ich wohl nicht so schnell vergessen würde. Eine überraschende Nacht. Eine phantastische Nacht.

Angie war eine Liebhaberin, die keine Wünsche offenließ. Die Art von Erschöpfung, die ich heute empfand, hatte ich schon lange nicht mehr empfunden.

Nachdem sie endlich von mir abgelassen hatte und ich von ihr, hatte ich wie eine Tote geschlafen.

Träume hatte ich in dieser Nacht nicht gebraucht, die waren schon in Erfüllung gegangen.

Ich wandte den Kopf zur Seite. Sie war nicht mehr da. Das hatte ich auch nicht erwartet. Eine Begegnung wie die unsere war nicht auf Dauer ausgelegt. Schon ein gemeinsames Frühstück konnte da als störend empfunden werden.

Wahrscheinlich würde ich sie nie wiedersehen. Obwohl ich das für einen Moment bedauerte, war es gleichzeitig auch das, was ich wollte. Eine Frau an meiner Seite, die Ansprüche an mich stellte, konnte ich nicht gebrauchen.

Ich seufzte und stand auf. Der Tag würde bald seine Forderungen an mich stellen, und darauf musste ich mich vorbereiten.