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Ein Kurzkrimi von Adrian Thomé

Inhalt

Über den Krimi
1. Wunderkind – Freiheit in Gefangenschaft
2. Flucht – Der 1. Akt
3. Psychogramm – Die beiden Welten der Musik
4. Hochbegabt – Heimkehr in der Fremde
5. Pianissimo – Alles was wir hören ist Musik
6. Vaterliebe – Aug um Aug - Ohr um Ohr
7. Tak Tak Tak – Es kann nur einen geben
8. Strohmann – Die Falle wird bereitet
9. Instrumentenbau – Kaltes Stahl für warmen Klang
10. Maßstab – Spiel für die Ewigkeit
11. Köder – Sinfonie in D-Dur
12. Übe! – Stümper verpesten die Luft
13. Konzertpause – Spiel ums Leben
14. Solo – Das letzte Konzert
15. Schock – 1.000 Tode ohne Solo
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Das Audiobook
Impressum

Über den Krimi

 

Der weltberühmte Kontrabassist Dimitri Sachow flieht am Morgen aus dem Gefängnis. Seine Kariere verlief ungewöhnlich: vom Wunderkind zum Serienmörder. Eine Melodie ist Kommissar Schrenks erster Anhaltspunkt.

Um weitere Morde des Psychopathen zu verhindern, taucht Schrenk in eine für ihn fremde Welt der Musik. Ein bizarrer Komponist, ein als Falle fingiertes Konzert und ein von Perfektionsdrang zerfressener Vater führen ihn zum Tatort des letzten grauenvollen Mordes.

Der Kurzkrimi Der Kontrabassist spiegelt die bizarren Facetten des modernen Kulturbetriebes wider.

 

 

1. Wunderkind – Freiheit in Gefangenschaft

 

„Sachow war kein gewöhnlicher Gefangener“, sagte Gefängnisdirektor Schlosser zu Kommissar Schrenk. Dieser Posten ist einige Nummern zu groß für Schlosser, dachte sich Schrenk. Es war abzusehen, dass eines Tages einer seiner Häftlinge entfliehen würde.

„Er verlebte die Haft wie ein Schaf unter Wölfen“, erklärte Schlosser. „Anstatt wie die anderen Insassen ein dumpfes Dasein zu fristen, saß er in der Bibliothek und komponierte an seiner Musik.“

„Wie konnten Sie einem Psychopathen wie Sachow solche Freiheiten einräumen?“, fragte Kommissar Schrenk, der die neumodischen Gefängnismethoden ablehnte. Überhaupt tat er sich schwer mit modernen Dingen. „Sachow ist ein geisteskranker Serientäter und Sie lassen ihn unbeaufsichtigt im Gefängnispark herumlaufen. Da hätten Sie ihm ja direkt eine Stadtrundfahrt schenken können!“

„Es gibt Gefangene, die einem mit Verachtung ins Gesicht spucken, Herr Kommissar“, verteidigte sich Schlosser, „und einem schildern, was sie mit ihrer Gattin anstellen werden, wenn sie wieder draußen sind.“ Schlosser drehte nervös an seinem Ehering. „Sachow war anders. Er zeigte Reue für seine Taten ...“

„Reue?“, fiel Kommissar Schrenk ins Wort. „Der Kriminalpsychologe bescheinigte ihm ein saftiges Kindheitstrauma: tyrannischer Vater erzieht Sohn mit aller Gewalt zum Wunderkind. Ich las in Dr. Gäßlers Vernehmungsprotokoll, dass der alte Sachow die Finger des kleinen Dimitri nach jedem Fehler zwischen die Saiten des Kontrabasses eingeklemmt und langsam zusammengedrückt hatte. Wie hätte Sachow Reue für etwas zeigen können, das tief in seinem Inneren wütet?“

„Hören Sie auf, mich zu belehren“, blockte Schlosser ab. „Wenn Sie nichts dagegen haben, zeige ich Ihnen jetzt Sachows Zelle. Es reicht, dass mir der Innenminister die Hölle heiß macht.“ Schlosser geleitete Schrenk zur Tür. „Sie sähen es doch am liebsten, wenn unsere Gefangenen bei trocken Brot und Wasser verrotten würden. Stimmt es nicht, Herr Kommissar?“ Versöhnlich klopfte er Schrenk auf die Schulter.

„Da liegen Sie gar nicht so verkehrt. Dann müsste ich wenigstens keinem Serienkiller hinterherjagen, der seine Opfer auf einem Kontrabass kreuzigt.“

 

Der Gefängnistrakt, in dem sich Sachows Zelle befand, wirkte auf Kommissar Schrenk wie ein modernes Museum. Anstelle von Gemälden reihten sich die Zellentüren an den Wänden. Die Häftlinge wandelten wie Besucher über die Galerien, die sich sechs Stockwerke hoch um das lichtdurchflutete Atrium wanden.

„Sachow hatte eine steile Musikerkarriere hinter sich.“ Die Stimme des Gefängnisdirektors hallte durch die offene Architektur. „Er war hochbegabt und spielte mit allen großen Dirigenten. Zu Weihnachten organisierte er bei uns kleinere Konzerte mit anderen Gefangenen. Es muss deprimierend für ihn gewesen sein.“

„Vielleicht die einzig gerechte Strafe“, warf Kommissar Schrenk ein.

Sachows Zelle wirkte unbewohnt. Das einzige Foto zeigte Dimitri, seinen Vater und eine weitere männliche Person in Abendgarderobe.

„Der in der Mitte ist Leonard Bernstein. Sein Vater muss mächtig stolz auf ihn gewesen sein“, sagte Schlosser.

„Die Augen des jungen Sachow sehen irgendwie traurig aus“, bemerkte Kommissar Schrenk.

Trotz seiner 27 Jahre ähnelte Dimitri Sachow einem alten Mann, dessen verkniffene Mimik keine Entspannung mehr kannte. Zu viele weiße Haare mischten sich in sein streng zurückgekämmtes braunes Haar.

„Wo sind seine persönlichen Dinge?“, fragte Schrenk.

„Wir haben nichts angerührt.“

„Diese wenigen Dinge sind alles, was der Täter in fünf Jahren Haft besessen hat?“ zeigte sich der Kommissar verwundert.

„Sachows Leben spielte sich in seinem Kopf ab“, antwortete der Gefängnisdirektor. „Nur dieses Papier hat er uns zurückgelassen.“ Auf dem Bett lag ein beschriebenes Notenblatt, das Schrenk neugierig an sich nahm.