Iris Berben
Ein Jahr – ein Leben
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Die Schauspielerin Iris Berben, geboren 1950 in Detmold, wuchs in Hamburg auf. Ihr Kinodebüt gab sie im Alter von 18 Jahren in Rudolf Thomes ›Detektive‹. 1969 spielte sie in Klaus Lemkes ›Brandstifter‹, ab 1984 in der legendären Comedyserie ›Sketchup‹.
Sie ist die Kommissarin ›Rosa Roth‹, war ›Die Patriarchin‹ und gab in der Roman-Verfilmung ›Buddenbrooks‹ die Konsulin Buddenbrook. In ›Krupp – eine deutsche Familie‹ spielte sie die Rolle der Bertha Krupp.
Iris Berben gehört zu den prägenden Schauspielerinnen im deutschen Film und Fernsehen, wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis für ihr Lebenswerk. 2010 wurde sie zur Präsidentin der Deutschen Filmakademie gewählt.
Im vergangenen Jahr lief mit großem Erfolg ›Liebesjahre‹ im Fernsehen, der dritte Teil einer Trilogie, die sie mit dem Regisseur Matti Geschonneck drehte. Der Film wurde in diesem Jahr mit der Goldenen Kamera und dem Adolf-Grimme Preis ausgezeichnet.
Ihr politisches Engagement begann früh. 1967 reiste Iris Berben erstmals nach Israel, die Geschichte des Landes beschäftigt sie bis heute. 2002 erhielt sie für ihr öffentliches Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, unter anderem durch ihre zahlreichen Auftritte und Lesungen, den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. 2004 drehte sie den Dokumentarfilm ›Und jetzt, Israel?‹.
Iris Berben war lange Zeit in München zuhause und lebt heute in Berlin.
Covergestaltung: bürosüd°, München
Coverabbildung: Jim Rakete
Erschienen bei FISCHER Taschenbuch
Frankfurt am Main, Dezember 2013
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2013
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402081-5
Für die drei Dorotheas
»Manchmal wünsche ich mir,
eine Viertelstunde lang
Klaus Kinski zu sein.«
Es ist Herbst 2011, ein Sonntagnachmittag im Einstein, Unter den Linden in Berlin. Auch am Wochenende ist das berühmte Café, werktags das Stammlokal der Politik- und Medienszene in Mitte, sehr gut besucht, vor allem Touristen sind zu Gast. In einer ruhigen Ecke des Cafés sitzt die Schauspielerin Iris Berben, 61, eine der bekanntesten Deutschen, einer der wenigen Stars, die wirklich jeder kennt, vollkommen unbemerkt von den anderen Gästen. Gute Schauspieler können auch im Alltag verschwinden. Vor ihr eine heiße Tasse Schokolade, begleitet wird sie heute von Paul Berben, so hat sie ihren Terrier genannt. Ein freundlicher Kellner bringt eine Schüssel Wasser für Paul.
Ein gemeinsames Jahr haben wir vor uns. Von Herbst 2011 bis Herbst 2012 werden wir uns immer wieder treffen, um zu reden, »am liebsten«, sagt Iris Berben, »immer hier, an diesem schönen Ort«.
Ein Abenteuer wird es, das ist uns beiden klar. Was wird im Leben von Iris Berben in den kommenden Monaten passieren, beruflich und privat? Werden ihre Wünsche in Erfüllung gehen, und was wird aus ihren Sorgen? Und was wird mit der Welt geschehen? 2011 war ein verrücktes Jahr, eine Schlagzeile nach der anderen, der arabische Frühling, Euro-Krise, die Atomkatastrophe in Japan, die Anschläge in Norwegen, die Grünen stellen zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten, dazu Skandale wie die Affäre um den Politiker Guttenberg. Wie wird 2012 werden? Wir wollen uns in regelmäßigen Abständen treffen, um über all das zu reden, was Iris Berben beschäftigt. Es ist der Beginn einer gedanklichen Expedition mit unbekanntem Ziel. Wo werden wir am Ende der Reise stehen?
Unser erstes Gesprächsoll den Rahmen abstecken. Wo kommt Iris Berben eigentlich her, auch im grundsätzlichen Sinn, und wo will sie hin? Was passiert gerade in ihrem Leben? Was sind ihre Pläne für das kommende Jahr? Was geht ihr derzeit durch den Kopf?
Sie nimmt einen Schluck von der heißen Schokolade. Das Aufnahmegerät läuft.
Frau Berben, Sie haben vor kurzem in München den Bayerischen Filmpreis für Ihr Lebenswerk bekommen, und bei einer Stelle Ihrer Dankesrede dachte ich, die Fragen, die Sie da stellen, sind die Fragen unseres Buchs: »Wo stehe ich, was will ich noch, was wäre wenn gewesen? Wo waren die Entscheidungen richtig, wo Kalkül und strategisch kalt, also falsch? Wie bin ich überhaupt dahin gekommen, und wo bin ich? Habe ich genug gelernt, und war ich fleißig?«
Solche Fragen sollte man sich ja eigentlich immer stellen, wenn man wie ich schon ein Paket Leben gelebt hat. Aber rituelle Abende wie die Verleihung in München fordern einen geradezu auf, innezuhalten. Das gilt natürlich auch für runde Geburtstage.
Sie sind im vergangenen Jahr 60 geworden.
Manchmal denke ich, es wäre vielleicht lässiger und cooler, wenn man seinen 58. oder seinen 63. Geburtstag groß feiern würde. Aber Rituale, die einem von außen vorgegeben werden, nutze ich auch dazu, mir solche Fragen zu stellen. Übrigens auch im Kreise von Menschen, die einem unter Umständen ein paar Antworten geben können. Als mir der Lebenspreis verliehen wurde, dachte ich, dass ich die Anwesenden an diesem Abend ruhig miteinbeziehen kann, um Antworten zu bekommen. Interessanterweise folgt einem solchen Preis immer dieselbe Frage, die einem gestellt wird: Macht es Ihnen nicht Angst, für das Lebenswerk ausgezeichnet zu werden?
Was sagen Sie dann?
Warum sollte es? Ist es nicht schön, dass man merkt, andere sind an deiner Spur drangeblieben, und du bist diesen Weg nun schon ziemlich lange und offenbar gar nicht so schlecht gegangen? Auch wenn es natürlich einige Verzweigungen gab. Dafür wahrgenommen zu werden hat mich berührt. Deshalb habe ich mir auch ausbedungen, meine Dankesrede in voller Länge halten zu dürfen.
Sie sollten sie kürzen?
Ja, der Fernsehsender, der die Verleihung übertragen hat, kam einige Zeit vorher zu mir, nach dem Motto: »Sie wissen ja, wie das ist, wir geben Ihnen selbstverständlich viel Platz und Zeit, aber Sie müssen bitte schön in drei Minuten fertig sein«. Daraufhin habe ich der Redaktion des Senders gesagt: »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich selbstverständlich nicht in drei Minuten fertig sein werde. Ich habe die Rede schon Probe gelesen und die Zeit gestoppt. Sie ist sechseinhalb Minuten lang. Aber mein Adressat an dem Abend ist meine Branche, die im Saal sitzt …«
… die Menschen, von denen Sie Antworten auf Ihre Fragen haben wollten …
»Wenn ihr glaubt, dass das für euer Fernsehpublikum zu lang oder zu langweilig ist, dann macht es mir nichts aus, wenn die Rede gar nicht zu hören ist oder gekürzt wird. Aber eins müsst ihr mir schon lassen: Ich möchte mir an einem solchen Abend, an dem mir ein Preis für mein Lebenswerk verliehen wird, die Zeit nehmen dürfen, das zu sagen, was ich sagen möchte.«
Für Außenstehende klingt das ohnehin überraschend: Eine der bekanntesten Schauspielerinnen Deutschlands bekommt einen Lebenswerk-Preis, und hinter den Kulissen heißt es: aber den Dank bitte in maximal drei Minuten.
Wir befinden uns alle in einem Korsett, und das verstehe ich auch. Aber das Korsett lässt einem heutzutage oft nicht mehr die Zeit und den Raum, das zu sagen, um was es geht. Ich möchte doch darauf angemessen reagieren dürfen und erklären, was eine solche Ehrung mit mir macht, welche Gedanken das auslöst.
Wie ist die Sache ausgegangen?
Ich habe vorher klar gesagt: Ich werde meine Rede in voller Länge halten. Es hieß dann noch, wenn Sie auf die Bühne kommen, lassen wir Ihnen natürlich viel Zeit, damit Sie auch den Applaus in voller Länge genießen können …
… Standing Ovations, die es dann eigentlich immer gibt …
… obwohl man das nicht als selbstverständlich erwartet.
Mit anderen Worten: Man möchte die Emotionen zeigen, die ein solcher Moment in Ihnen auslöst, und zwar gerne in voller Länge, aber das, was Sie dazu zu sagen haben, bitte recht zügig.
Ich bin relativ ruhig auf die Bühne gegangen, auch wenn ich geahnt habe, was meine Emotionaliät mit mir machen könnte. Ich greife da vorher auf ein paar Beruhigungsübungen zurück, die einem dabei helfen, dass das Wasser nicht allzu heftig aus den Augen schießt, aus Eitelkeit, aber vor allem: Das ist ein seriöser, ernsthafter Preis, da möchte man einigermaßen vorbereitet und erwachsen auf der Bühne stehen.
Die Rede auf Sie hat Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, gehalten, Mitglied einer Partei, der Sie politisch nicht sonderlich nahestehen.
Das kann man so sagen. Wobei es ja auch mittlerweile immer schwieriger wird, eine klare Linie zwischen den großen Parteien zu ziehen. Als er mit der Laudatio anfing, gingen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf: Hier zu stehen und zu reden ist für ihn Teil seiner Amtsgeschäfte, auch Routine. Ist das jetzt eine Pflichtveranstaltung für ihn, eine Pflichtlaudatio? Ich habe ihn dann aber so verstanden, dass er mich auch außerhalb seines Amtes wertschätzt. Ich hab ihm also zugehört und dachte manches Mal, ja, das trifft es, andererseits hat er auch Beschreibungen meiner Person verwendet, die von mir selbst weit weg sind.
Zum Beispiel?
Wie angesehen man ist, welche Geschichte man geschrieben und welchen Stellenwert man hat.
Warum ist das weit weg von Ihnen?
Wenn ich mich selbst so definieren würde, dann … Ich muss vielleicht etwas ausholen: Ich mache etwas, weil ich denke, dass ich es so machen muss – und nicht, weil andere es von mir erwarten. Ich muss da eine Trennlinie ziehen zwischen mir und dem öffentlichen Bild, das man sich von mir vielleicht macht und das manchmal übergroß wird. Wenn man diese Linie nicht scharf zieht, wird man erdrückt. Das darf man sich nicht zu eigen machen.
Macht Ihnen dieses Bild in Übergröße Angst?
Ja, das hemmt.
Sie müssen aufpassen, sich bei Ihren beruflichen Entscheidungen nicht zu fragen: Was würde Iris Berben jetzt machen? Sie müssen sich fragen: Was will ich jetzt machen?
Richtig. Deshalb habe ich einen Schutzmechanismus entwickelt, was das betrifft. Wobei ich durchaus Kollegen erlebe, die eins zu eins mit ihrem Image leben und das nicht trennen. Ich glaube, dass ich das auf Dauer nicht ertragen könnte.
Wie gelingt Ihnen diese Trennung?
Indem ich das, was ich mache, erst einmal als Handwerk begreife. Das Handwerk muss man beherrschen, auch wenn die Definition davon in meinem Beruf in ständiger Bewegung bleibt. Man kann eben nicht sagen, wie vielleicht bei einem Schuster oder einem Schneider, der hat sein Handwerkszeug gelernt, das kann ihm niemand nehmen. Natürlich hat bei mir Handwerk etwas mit der Vorbereitung der Figur, der Art und Weise zu sprechen zu tun, mit Körpersprache, mit Timing. Das alles muss ich beherrschen. Aber der andere Teil des Handwerks, das Eigene, Individuelle, das lässt sich viel schwerer beschreiben und verstehen. Wenn ich jemals Regie führen sollte, dann träume ich von einem besonderen Experiment: einen vielleicht gar nicht so großen Stoff, eine Kurzgeschichte zu verfilmen, und zwar die absolut gleiche Handlung in der absolut gleichen Inszenierung, gleiches Licht, gleiche Kameraeinstellung, alles gleich – mit verschiedenen Schauspielern in denselben Rollen.
Was reizt Sie daran?
Was ist das Eigene des Schauspielers, was genau fügt das Individuum hinzu? Was ist seine oder ihre Kraft, die eigene Interpretation? Das herauszufinden würde mich interessieren.
Haben Sie Lust, selbst Regie zu führen?
Ich werde manchmal gefragt, aber mein Respekt davor ist zu groß. Das ist ein eigener Beruf mit eigenen Regeln und Erfahrungen. Was mich interessieren würde, wäre dieses Experiment.
Das ja offenbar auch mit Ihrem Wunsch zu tun hat, das eigene Handwerk, die Schauspielerei, wirklich zu durchdringen.
Ja – was macht dich als Schauspieler aus, was genau? Was ist das Eigene, im besten Fall Unverwechselbare? Man sagt, Großaufnahmen kann man nicht inszenieren, eine Großaufnahme füllt das Bild – oder nicht. Wie kommt das?
Woher kommt es bei Ihnen?
Das kann man wohl nicht wirklich beantworten. Das ist auch ein Teil der Magie der Leinwand. Natürlich hat ein Gesicht mit Lebenserfahrung zu tun. Wenn ich heute in einer Rolle von emotionalen Einschüssen, von Schmerz, von Verlust erzählen muss, erzähle ich das anders, als ich es vor dreißig Jahren getan habe. Weil ich natürlich meine eigenen Einschüsse und Verletzungen habe. Ich habe eine größere Spielwiese meines eigenen Lebens zur Verfügung.
Wie kann man sich das vorstellen? Sie holen sich bestimmte Gefühle für bestimmte Momente beim Drehen aus Situationen Ihres privaten Lebens, auch wenn die nicht identisch sind?
Ich bringe nicht meine eigenen Verletzungen mit ein, aber ich bringe meine Fähigkeit mit ein, mit eigenen Verletzungen umzugehen, mal gut, mal nicht so gut, mal souverän, mal eher peinlich und manchmal sogar komisch. Wie das eben im Leben so ist.
Macht Ihnen das Drehen deshalb heutzutage mehr Freude als früher? Weil Sie merken: Mein Spektrum wird breiter?
Ich stelle tatsächlich erst in den letzten Jahren fest, was dieser Beruf für mich leisten kann. Damit meine ich nicht, dass ich ihn ausübe, um nicht zum Psychiater zu müssen. Dann müsste ihn ja die Krankenkasse finanzieren … (lacht) Aber sein Stellenwert in meinem Leben nimmt mehr Platz ein, als ich dachte.
Was unterscheidet die Iris Berben von heute von der jüngeren?
Am Anfang geht es doch vielen von uns so, dass wir denken: Die Regeln bestimme ich, ich will sagen, wie es geht! Mit der Zeit lernen wir, nein, nein, die Regeln bestimmen nicht wir, die Regeln gibt es schon. Das Einzige, was bleibt, ist: Welchen Regeln beuge ich mich und welchen nicht?
Welchen Regeln beugen Sie sich nicht mehr?
Ich habe ja beruflich nichts mehr, wohinter ich mich verstecken kann. Ich kann mich nicht mehr hinter Unwissenheit oder Ahnungslosigkeit verstecken und nicht mehr hinter finanziellen Nöten, die mich zwingen würden, Kompromisse einzugehen. Das Schöne ist: Je genauer du dich mit diesem Beruf auskennst, desto genauer kannst du dich ihm gegenüber verhalten. Mit bestimmten Leuten arbeiten: ja. Mit anderen: nein, bitte nicht mehr. Mancher Stoff, der mir angeboten wird, hätte mich vor zehn Jahren noch beflügelt. Heute sage ich nein, das habe ich in Varianten schon zu oft gespielt.
Und das schützt vor Fehlentscheidungen?
Ja, aber leider auch nicht immer. Manchmal passiert es mir doch. Und obwohl ich glaube, auf alles geachtet zu haben, was man meint gelernt und verstanden zu haben, merke ich plötzlich am Set, während der Dreharbeiten: O weh.
O weh? Was heißt das? Und wie stellen Sie das fest?
Es hat oft damit zu tun, dass ich merke, ich habe am Set keinen Komplizen. Es gibt kein Gegenüber, das mich so fordert, dass ich verunsichert bin. Ich meine nicht die Allüren bei manchen Regisseuren, sondern diejenigen, die mich reizen, mich herausfordern, einen unbekannten Weg zu suchen, um in mir einen Prozess auszulösen, der eine neue Umsetzung bringen könnte. Ich will mich auf dünnes Eis hinauswagen! Dass so was oft ausbleibt, hat aber nicht nur mit Filmemachern, sondern viel mit den äußeren Umständen beim Filmemachen zu tun. Wir haben immer weniger Zeit, weil wir immer weniger Geld haben, um die Arbeit zu machen, die mich, je älter ich werde, immer mehr interessiert.
Wofür genau braucht man eigentlich mehr Zeit beim Drehen?
Um auszuprobieren, um zu suchen, um Ideen auch wieder verwerfen zu können. So wie das beim Theater noch häufiger der Fall ist, aber auch da wird ja gekürzt.
Bei großen Produktionen gibt es weniger Geld und damit weniger Drehtage als früher.
Das geschieht bei fast allen Produktionen. Dafür gibt es mehr Bedenkenträger als früher. Das betrifft das Kino, aber auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, die, wenn sie wollten, viele Möglichkeiten hätten. Aber diese Sender sind heute so stark an Einschaltquoten orientiert, dass sie sich davon offenbar nicht mehr freimachen können, selbst wenn es um Qualitätsfilme geht. Man kommt mit einem unkalkulierbaren oder spröden Stoff zu ihnen, und schon heißt es: Nischenfilm. Auch im Kino wird es immer enger. Die Arthouse-Filme haben einen ganz schweren Stand, die großen Ketten geben das Programm vor.
Sie stehen also vor dem Dilemma, immer anspruchsvollere Filme machen zu wollen in einer Zeit, in der das Geld dafür immer knapper wird.
Das geht vielen so. Es gibt dadurch natürlich auch Chancen, nach neuen kreativen Wegen zu suchen. Aber es ist schon so, wie Sie gerade angedeutet haben, dass die Sender sagen, die bringt ja Quote. Und das erweitert manchmal den Spielraum. Aber selbst bei mir heißt es oft, wenn es um neue Stoffe geht: Es hat doch immer funktioniert, warum sollten wir es jetzt anders machen? Ich erlebe in solchen Gesprächen erstaunlich wenig Risikofreude. Es ist kaum Wahnsinn und Wagnis da, aber das gehört doch dazu! Ich bin nicht weltfremd, ich weiß, dass überall viele Gelder drinstecken, aber es ist doch auch ein bequemes Produzieren, was unsere Fernsehsender haben.
Warum bequem?
Es stehen viele Gebührengelder und viel Sendezeit zur Verfügung. Gut, es heißt dann gerne, wir haben doch »Arte«, wir haben »3Sat«, aber da ist man natürlich wieder in der Nische, von der wir gerade sprachen. Das ist eine allgemeine internationale Entwicklung, und wir in Deutschland sind da im Verhältnis zu anderen Ländern noch gut dran, das ist mir wohlbewusst. Wir haben immer noch das beste Fernsehen europaweit.
Frau Berben, in Ihrer Dankesrede beim Bayerischen Filmpreis haben Sie auf der Bühne laut gefragt: »Wo bin ich?«. Jetzt, im Oktober 2011: Wo sind Sie?
(zögert) Ich bin in Unruhe mit mir selber, mal wieder. Und ich überlege in solchen Situationen: Hat das mit einer äußeren Welt-Unruhe zu tun, die gerade herrscht?
Sie meinen die Finanzkrise, die Eurokrise, die …
… Unruhen überall auf der Welt. Hat man dafür auch offene Poren? Hoffentlich hat man die. Hat das eigene Unbehagen, die eigene Suche auch damit zu tun? Wir sind ja immer schnell damit, auch in den Medien, Entwicklungen oder Neuerungen sofort zu bewerten. Wenn ich an all die Veränderungen im Nahen Osten denke, an das, was man »Arabischer Frühling« genannt hat, die anfangs nur mit Euphorie begleitet wurden, dann denke ich oft: Ja, es ist natürlich ein Fortschritt, dass man sich aus Diktaturen lösen kann, aber es braucht Zeit und Geduld für so einen Prozess. Für die, die in ihm stecken, und für die, die ihn beurteilen. Man kann nicht einfach einen Hebel umlegen. Oft sieht sich der Westen in der Rolle des Heilsbringers, das ist schon auch sehr arrogant.
Muammar Gaddafi ist vor wenigen Tagen erschossen worden, wie es weitergeht in Libyen ist ungewiss …
… oder die Militärregierung in Kairo. Wir sind so veranlagt, glauben zu wollen: Das Böse endet, das Gute fängt an. Und, ja, wir stecken in einer heftigen Wirtschaftskrise. Es ist alles viel komplexer geworden. Für alle, für die Experten ebenso wie für uns.
Sie haben die äußeren Gründe für Ihre Unruhe beschrieben. Was ist mit den inneren?
Ich frage mich ganz grundsätzlich: Was will ich machen? Manchmal denke ich dann, ich rette mich in meine Filme. Die Dreharbeiten können ein ganz wunderbares Korsett sein, das einem viele Entscheidungen abnimmt.
Sie drehen gerade einen Fernsehfilm.
Ja, und es gibt konkrete Pläne und Anfragen bis weit ins nächste und übernächste Jahr. Ich selektiere natürlich, überlege lange, was ich drehe und was lieber nicht. Ich könnte noch viel genauer sein beim Selektieren, tue es aber nicht, weil ich merke, ich brauche dieses Korsett, um meine Unruhe zu beruhigen.
Drehen beruhigt.
Ja. Drehen ist eine Ordnung für mich, der ich mich für sechs, acht, manchmal zwölf Wochen unterwerfe. Die Regeln sind geschrieben, und jeder weiß, dass die Ordnung nur aufrechterhalten werden kann, wenn jeder funktioniert. Ich denke ab und an, die Ordnung beim Drehen ist die Ordnung, die mir im Leben …
… manchmal fehlt?
Was würde wohl mit mir passieren, wenn ich mich dieser Ordnung eines Tages ganz verweigern würde? Ich habe es ja einmal probiert, vor elf Jahren, nach meinem 50. Geburtstag, als ich ein Jahr lang keinen neuen Film gemacht habe.
Dafür haben Sie 200 Lesungen in dem Jahr gemacht, das war auch ein Korsett.
Ja, stimmt. Ich habe gemerkt, dass ich es brauche. Ich musste mich bei den vielen Lesungsterminen in eine eigene Ordnung hineinfinden, in einen Stundenplan, in dem genau festgelegt war, wann es von einer Stadt in die nächste ging.
Also noch einmal gefragt: Wo sind Sie?
Wo bin ich? Ich bin an einem Punkt, an dem ich mich frage, welches Verhältnis hat mein Leben zu meinem Filmleben? Das Drehen hält mich zwar nicht aus allem Privaten heraus, aber es hat schon Priorität, fürchte ich.
Die eigene Familie, der Partner, auch Freunde lassen Sie dann vermutlich eher in Ruhe.
Das ist ja gut so. Das Drehen ist auch ein Schutz vor Vielem. Und natürlich bin ich auch gerne alleine. Ich bin mit Sicherheit niemand für ein geregeltes Leben mit Partner und zu Hause, wissend, wer wann da ist.
Haben Sie das jemals gehabt?
Eigentlich nicht, vielleicht kurzfristig in meiner Beziehung zu Gabriel Lewy.
Mit ihm waren Sie 32 Jahre liiert, Sie haben zusammen in München gelebt.
Anfangs in unserer Beziehung habe ich noch viel gearbeitet. Als es dann gut lief, habe ich mich schon ziemlich faul zurückgelehnt. Aber selbst da waren wir häufig unterwegs, weil auch Gabriel niemand ist, der einen geregelten Tagesablauf schätzt. Er reist unglaublich viel. Sie sehen schon: Da hatten sich zwei unruhige Geister getroffen.
Sie sind auch etwa zehn Monate im Jahr unterwegs, obwohl Ihr Wohnsitz Berlin ist.
Ja, die Dreharbeiten führen einen oft weg von zu Hause, und das bringt mich auch immer häufiger zu der Frage, was ist Lebenszeit? Mir wird immer klarer, dass es nicht um das eigene, ansteigende Alter geht, sondern im Gegenteil darum, die verbleibende Zeit wahrzunehmen. Wo stehe ich? Noch ein Film. Noch ein Film. Und noch ein Film. Was wäre, wenn es nicht der Film wäre? Was wäre das Intensive am Leben? Ich würde dann bestimmt in ein paar Ausstellungen und Theaterinszenierungen mehr gehen, Freundschaften besser pflegen.
Die Intensität ist beim Drehen bestimmt größer.
Auf der anderen Seite stelle ich fest, dass ich aus Zeitungen Artikel über Ausstellungen herausreiße, die ich wirklich gern sehen würde, über Reisen, die ich noch machen möchte. Ich lege diese Ausrisse auf einen Stapel neben mein Bett, und ich sehe ja, wie dieser Stapel höher und höher wird.
Und dann denken Sie: Wann will ich das eigentlich machen?
Ja, man gewöhnt sich an diese Haltung, dieses Ich-mache-das-dann-Später. Ich bin nur jetzt an einem Punkt, an dem ich mich frage: Wann ist denn bitte »später«?
Sprechen Sie darüber, etwa mit Ihrem Partner Heiko Kiesow, mit Ihrer Familie, mit Freunden?
Das ist nicht ganz unkompliziert, weil die meisten Menschen, die um mich herum sind, die Intensität, die ich kenne, nicht so leben. Da sagt es sich dann vielleicht leichter, tritt mal ein paar Schritte zurück, atme tiefer, slow down. Ich glaube nur: Ich wäre gar nicht gut als Slow-Downer. Andererseits frage ich mich, welchem Wettbewerb ich mich eigentlich immer noch stelle.
Was glauben Sie?
Ich finde keine Antwort. Ist es immer noch ein Bedürfnis, mich beweisen zu wollen als ernstzunehmende Schauspielerin? Weil mein Weg in diesen Beruf so unkonventionell war? Wenn ich mir die Biographien von sehr geschätzten Kollegen anschaue, vergleiche ich mich und denke immer noch: Da hast du dich aber ganz schön reingemogelt.
Sie denken das immer noch? Nach Jahrzehnten in Ihrem Beruf?
Immer noch, ja. Aber das meine ich, wenn ich beschreibe, wie unterschiedlich der Blick der Öffentlichkeit und mein eigener Blick auf mich ist. Wenn diese beiden Blicke sich anfangen zu decken, wird’s gefährlich. Es ist sicher schön, Erfolg zu haben, aber es ist verdammt schlecht, wenn der Erfolg dich hat, wenn er bestimmt, wenn du nur noch danach handelst, wenn er der Weg ist. Ich habe das erlebt, so wie ich das in der Rede in München angedeutet habe, was passiert, wenn das Kalkül siegt.
Nennen Sie ein Beispiel.
Ich habe einen Film gemacht, die Verfilmung eines Stoffes der Autorin Hera Lind …
… die in den neunziger Jahren sehr erfolgreich Frauenromane geschrieben hat …
… »Das Superweib« zum Beispiel, ja, genau. Da sagst du nach der Lektüre: Dieses Frauenbild existiert doch gar nicht! Verletzungen finden entweder gar nicht statt oder werden innerhalb von 40 Sekunden mit einer wahnsinnigen Souveränität abgewehrt und bei einem Glas Prosecco mit der besten Freundin weggequatscht. Für mich ist das eher ein Frauenmärchen.
Nichts für Sie, ich merke schon. Warum haben Sie sich damit überhaupt beschäftigt?
Eine Kollegin hatte einen Hera-Lind-Film gemacht.
Sie meinen Veronica Ferres, die das »Superweib« gespielt hat?
Ja.
Mit gigantischen Einschaltquoten.
Richtig. Und dann hat man mir den nächsten Hera-Lind-Stoff angeboten. Mein erster Reflex war: Ihr müsst ihn mir nicht einmal schicken. Aber plötzlich dachte ich: Vielleicht bist du einfach ziemlich arrogant, Iris, mach es doch. Ich habe also richtig strategisch mit kaltem Herzen gesagt: Dann mache ich das jetzt, auch um bei diesem Wettbewerb, bei diesem Spiel mitzumachen.
Und?
Die Dreharbeiten waren für mich sieben Wochen lang die Hölle.
Hat das jemand am Set gemerkt?
Ich glaube nicht. Höchstens ein einzelner Kollege, der hatte vielleicht auch so eine Ahnung, worauf wir uns eingelassen hatten.
Wie haben Sie die sieben Wochen durchgestanden?
Reine Disziplin. Die hört bei mir nie auf. Es gibt ja manchmal Dreharbeiten, da merkst du, mit diesem Kollegen oder mit diesem Regisseur geht es gar nicht. Da musst du dich in Disziplin retten, auch aus Respekt vor dem Beruf, anders geht es ja nicht. Es sei denn, man beendet dieses Verhältnis, bricht also die Dreharbeiten ab. Aber das kostet viel Geld, weil man sich aus Verträgen herauskaufen muss. Was ich auch schon getan habe. Aber man sollte sich lieber vorher mit der Entscheidung quälen.
Können aus höllischen Dreharbeiten auch gute Filme entstehen?
In meiner eigenen Wahrnehmung nicht. Die Gefahr ist eher, dass man anschließend, wenn es kein Flop wird, selbst anfängt zu relativieren, nach dem Motto: Ist doch ganz gut gelaufen, so schlecht war’s ja nicht. Diese kleinen, bequemen Selbstlügen sind eine große Falle.
Sind Sie später noch einmal durch eine solche Hölle gegangen?
In einer anderen Konstellation, das war aber nicht ganz so dramatisch. Ich hatte einen Roman gelesen, »Der russische Geliebte«, den ich gut fand. Die Protagonisten in dem Buch waren filmisch erzählt, und das hat geradezu dazu aufgefordert, daraus einen Film zu machen. Ich habe mich also sofort um die Filmrechte bemüht, was ich manchmal mache, wenn mich ein Roman begeistert. Das hat zum Beispiel einmal geklappt, bei dem Buch »Wer liebt, hat Recht«, von einer ehemaligen »taz«-Autorin, die unter Pseudonym ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben hatte. Da haben wir die Rechte bekommen, der Film wurde meine erste Zusammenarbeit mit dem Regisseur Matti Geschonneck.
Mit ihm drehen Sie bis heute.
Ja, er ist einer von diesen Komplizen, die ich vorhin erwähnt habe. Aber diesmal hieß es, die Rechte sind schon seit ein paar Jahren verkauft. Wie schade, dachte ich, das hättest du gerne gemacht. Drei, vier Jahre später bekomme ich einen Anruf von einem Regisseur, den ich lange Jahre nicht gesprochen hatte. Und er beginnt von dem Stoff zu erzählen, ich unterbreche ihn und sage: Ich kenne den Roman, ich wollte den Film machen.
Was ist die Geschichte des Romans?
Er erzählt von einer Frau Mitte 50, einer polnischen Professorin, die ein Semester lang an der Sorbonne in Paris unterrichtet. In Paris lernt sie einen 20 Jahre jüngeren russischen Schriftsteller kennen, der mit einer jungen Frau zusammenlebt. Der Roman erzählt, wie sie mit ihm zusammenkommt, obwohl sie aus verfeindeten Ländern stammen, Polen und Russland. Es entwickelt sich eine Amour fou. Dazu müssen Sie wissen, dass sie bereits eine Tochter aus einer Beziehung hat, die für sie die Liebe ihres Lebens war. Nachdem dieser Mann sie verlassen hatte, hat sie sich vollkommen in ihre Arbeit gestürzt, mit großem Erfolg, ihre Studenten lieben sie für ihre Leidenschaft. Aber privat lässt sie nichts mehr zu … Ach, eine wunderbare Geschichte.
Und nun hat der Regisseur, der Sie anruft, die Rechte?
Ja.
Erste Reaktion?
Großartig! Aber schon während ich »großartig« sage, denke ich: Bist du wirklich der richtige Regisseur für diesen Stoff?
Und Sie sagen trotzdem zu.
Ja, man will sich ja auch überraschen lassen, auch vom eigenen Vorurteil. Ich kannte den Regisseur gut, schätzte ihn, hatte Jahre vorher einen großen Erfolg, mit ihm und durch ihn. Aber meine Frage blieb.
Sie haben gedreht.
Über acht Wochen lang, ja. Es war eine Zeit von unendlichen Auseinandersetzungen. Mit meinem Filmpartner, der den russischen Schriftsteller gespielt hat, konnte er nicht umgehen. Was mich an dem Buch fasziniert hatte, die Sprache, die Annäherung, die Feinheiten, auch die politische Dimension durch die unterschiedliche Herkunft der beiden, das alles wurde im Film viel zu wenig gezeigt.
Wie geht es nach den Dreharbeiten weiter? Irgendwann sehen Sie den fertigen Film …
… ja, und meine Befürchtungen haben sich bestätigt.
Später kommen die PR-Termine, Auftritte, Interviews.
Und dann wird’s eng. Da fängt man an, sich irgendwie durchzumanövrieren. Man bittet also die Produzenten darum, aus möglichst vielen Terminen herausgehalten zu werden, aber so ganz kann man sich nicht entziehen. Das ist auch vertraglich geregelt.
Sie wollten vermutlich den anderen Beteiligten an dem Film auch nicht öffentlich in den Rücken fallen.
Ich hätte mir selbst in den Rücken fallen müssen. Monate vorher hätte ich absagen müssen. Jetzt saß ich da und konnte weder dem Regisseur noch der Produktionsfirma einen Vorwurf machen. Ich hatte es doch geahnt! Aber ich hatte nicht auf mich gehört. Und das meine ich mit »eng«: Es wird eng mit einem selbst.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich hatte keinen guten Draht zu mir in der Zeit. Ich habe versucht herauszufinden: Wie eiskalt kalkulierend bist du denn jetzt? Wie schaffst du das in der Öffentlichkeit? Ich hätte keine Bedenken gehabt, über mein Versagen zu reden, aber wenn ich jetzt die Wahrheit sage, da ziehe ich so viele andere mit hinein, die Produzenten, die Kollegen, auch den Regisseur, der selbst übrigens gar nicht unglücklich war mit dem Resultat. Da wünsche ich mir, eine Viertelstunde lang Klaus Kinski zu sein. Einfach alles rauszurotzen.