MIKIS WESENSBITTER: „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich’ ma Spaß“

1. Auflage, September 2015, Edition Subkultur Berlin

© 2015 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe / Edition Subkultur

Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str.81a, 10439 Berlin

www.edition.subkultur.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.


Lektorat und Projektmanagement: Sarah Strehle (www.lektorat-strehle.de)

Coverfoto, Fotografien und Autorenportrait: Jana Farley (www.berlinfotografin.de)

Satz & Layout: Thomas Manegold

print ISBN: 978-3-943412-22-2

epub ISBN: 978-3-943412-72-7
E-Book-Version:1.1

Mikis Wesensbitter

Wir hatten ja nüscht im Osten ... nich‘ ma Spaß!

Die ganze Wahrheit über ’89



Edition Subkultur

Januar 1989

Sonntag 01.01.

Neues Jahr, neues Glück!? Die Kopfschmerzen sind nicht weniger ätzend als im alten Jahr. Neujahrsessen bei Mutter. Onkel Kurt, die Stasiratte, will unbedingt anstoßen. Auf das 40. Jahr unserer Republik. Mir is eh schlecht, da ist es egal, worauf ich trinke.

Montag 02.01.

Erster Arbeitstag im Werk für Signal und Sicherungstechnik. Ich muss haufenweise Belehrungen unterschreiben. Wir sind ja hier schließlich im Grenzgebiet. Die Einweisung macht ein fetter alter Sack mit SED-Abzeichen am blauen Kittel und feuchter Aussprache. Er will mich für die Betriebskampfgruppe rekrutieren, aber ich erzähl ihm von meinem angeborenen Herzfehler. Damit bin ich gleich raus für ihn. Passt mir sehr gut.

Danach werd ich an Karin übergeben, die ab jetzt meine Chefin ist. Scheint nett zu sein. Wir gehen in unser Büro.

„So, da ist dein Schreibtisch. Setz dich erst mal hin und lies Zeitung. Und morgen bringst du dir ein Buch mit.“

Ich bin verwirrt. „Was ist denn meine Aufgabe?“

„Einfach da sein. Mehr nicht. Gibt grad nichts zu tun.“

Mit Einfach-da-sein kenn ich mich aus. Das kann ich gut.

Dienstag 03.01.

Ich frag Karin, warum die Bürofenster eigentlich mit weißer Farbe blindgestrichen sind.

„Weil du sonst nach Westberlin schauen könntest. Deshalb sind auch die Fenstergriffe abgeschraubt. Also wenn du irgendwelche Fluchtpläne hast, musst du dir einen Vierkant mitbringen.“

„Was? So einfach ist das?“

„Nö. Ist ja noch ein Gitter vorm Fenster. Komm, schau mal.“

Sie holt einen Vierkant aus ihrer Schreibtischschublade und öffnet vorsichtig das Fenster. Nur einen ganz kleinen Spalt, aber es ist der Blick in eine andere Welt.

Nur 50 Meter von uns entfernt ist der Westen. Und direkt unter uns ist die Mauer. Grenzer mit Hunden laufen herum. Der nächste Wachturm ist auch nicht weit. Gruselig.

Nach der Schicht mit Dario im Elsen-Eck getroffen. Er ist ganz aufgeregt und will ne neue Band gründen. Den ersten Text hat er schon fertig.

Graue Mauern, schwarze Saat,

wo ist die Farbe in diesem Staat?

Rote Fahnen, braune Brut,

der Vopo-Terror tut nicht gut.

„Is das zu politisch?“, fragt er.

Ich versuche, ihm Mut machen. „Naja vielleicht ein bisschen. Da musste noch dran arbeiten. Is aber sonst gar nicht so schlecht.“

Freitag 06.01.

Auf Arbeit Zeit zu leben, Zeit zu sterben ausgelesen. Karin hat einen Pullover fertig gestrickt. In der ganzen Woche hat nur ein einziges Mal das Telefon geklingelt.

„Nächste Woche wird’s nicht so ruhig“, sagt Karin und betrachtet zufrieden den Norwegerpullover.

Abends Freundetreffen in der Broilerbar. Dario hat seinen zweiten Text fertig:

Tote Männer, tote Frau‘n,

niemand kann man hier noch traun.

Keine Ziele, keine Träume,

wir verwesen ohne Freiräume!

Naja irgendwie ist das auch wieder nicht die Erleuchtung. Im Schmenkel ist Disco und ich lass mich von der Roten-Rita angraben. Wir trinken Cola-Apricot bis wir nicht mehr gerade stehen können und gehen irgendwann zu ihr. Als wir im Bett liegen, sagt sie: „Boah, du hast ja nen urst schauen Pullermann!“

Nach diesem Spruch ist er zwar immer noch schau, aber nicht mehr groß.

Sonnabend 07.01.

Kohlen sind fast alle. Eigentlich sollte noch eine ordentliche Reserve da sein, aber irgendwie ist die weg. Ich hab rechtzeitig im September bestellt, aber die kommen mal wieder mit dem Liefern nicht hinterher. Muss ich mich drum kümmern. Gerade als es in der Bude warm wird, kommt Torsten mit seiner neuen Freundin Kathi. Wir gehen Mittagessen in der Budicke in der Ebertystraße. Torsten bestellt Sülze, Kathi Schnitzel und ich Kassler. Schmeckt super. Nach dem Essen bleiben wir sitzen und trinken ein paar Bier. Zu Hause muss ich Kohlen nachlegen.

Montag 09.01.

Auf Arbeit ist es genauso ruhig wie letzte Woche. Ich versuche das Kreuzworträtsel in der Wochenpost zu lösen, scheiter aber schon beim ersten Drittel. Die haben aber auch echt den Arsch offen mit ihren blöden Fragen.

„Was wird hier im WSSB eigentlich hergestellt?“, frage ich Karin. Eine bekloppte Frage, so nach einer Woche im Betrieb. Aber irgendwie hat mich das bisher nicht wirklich interessiert. Und erzählt hat’s mir auch keiner.

„Ach jeder mögliche Eisenbahnkram. Schranken, Signale, Stellwerke und so Zeug. Der neueste Schrei ist aber das Irak-Projekt.“

„Irak-Projekt?“

„Ja. Die DDR baut doch die irakische Eisenbahn auf. Und wir machen die ganze Technik dafür. Da fragen die dich bestimmt irgendwann auch noch, ob du in den Irak willst. Gibt ein Schweinegeld da. Aber sag lieber nein, ich hab bisher noch nix Gutes von dort gehört.“

Ich nicke eifrig, obwohl Irak irgendwie cool klingt. Staubig, aber nach großer weiter Welt.

Dienstag 10.01.

„Mir ist langweilig“, sagt Karin.

„Mir auch!“, sag ich.

„Na dann los, dann lass uns mal die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen verbessern gehen!“

Wir gehen in die Abteilung 4, die Fertigung. Es stinkt nach Schmieröl und es herrscht ein Höllenlärm. Als wir auftauchen, rollen die Jungs an den Maschinen mit den Augen und der Meister fragt: „Wat wollt ihr denn hier? Ihr stört!“

„Wir wollen die Arbeitsbedingungen verbessern.“

„Och nö, nicht schon wieder. Das bringt doch nur wieder alles durcheinander. Geht einfach in die Abteilung 7, da könnt ihr was verbessern.“

„Is jut“, sagt Karin und lädt mich auf ein Bauernfrühstück in die Kantine ein. Ich find fünf Speckknorpelstücke im Essen, Karin nur vier. Deshalb muss sie auch noch den Pudding holen.

Bis Schichtschluss lesen wir in unserem Büro.

Mittwoch 11.01.

Nach dem Mittag ziehen wir los zur Abteilung 7, der Härterei. Da sind 55 Grad und niemand ist da. Karin kennt sich aus und geht zielstrebig durch die Halle. Überall blättert die Farbe von den Wänden und Hitzeschwaden wallen durch die Luft.

„Ihr habt hier Hausvabot“, brüllt jemand und dann seh ich im Nebel die ganzen Arbeiter um einen Tisch sitzen und Klaren saufen.

„Kollege Müller? Wir waren doch verabredet, um über die neue farbliche Gestaltung der Abteilung zu reden“, ruft Karin in den Nebel.

„Ach Scheiß drauf. Die neue Farbe blättert doch eh gleich wieder ab. Lasst uns einfach in Ruhe und geht der Abteilung 4 auf die Eier.“

„Machen wir“, flötet Karin und wir gehen.

„Was war das?“, frage ich sie.

„Die Härterei eben. Die arbeiten nur bis zum Mittag, danach löten sie sich zu. Bei der Hitze geht das besonders gut. Aber jetzt haben wir die auch abgehakt. Komm wir gehen lesen.“

Mit Dario ins Elsen-Eck. Er hat den dritten Text für seine Band fertig:

Leichenberge an der Mauer,

jetzt wird Wut aus unsrer Trauer.

Wir bau’n Bomben und Granaten,

zerstören den welken Stasigarten.

„Zu politisch?“, fragt er.

Nö, gar nich’.

Donnerstag 12.01.

Als ich komme, hat Karin schon Kaffee gekocht. Außerdem hat sie Kuchen mitgebracht. „Tut mir leid, wir müssen jetzt mal ein paar Tage Papierkram machen. Das nervt, aber danach haben wir wieder Ruhe.“

Wir schreiben die Umgestaltungsvorschläge vom letzten Jahr wieder neu. Ich sitze den ganzen Tag an der Erika-Schreibmaschine und tippe seltsame Dinge.

„Die Wände der Abteilung 7 sollten halbhoch mit einem Rosa-Ölfarbanstrich (TGL 21196) gestrichen werden … Das ist doch totaler Quatsch!“

„Nicht drüber nachdenken. Einfach abtippen“, sagt Karin. Die kann viel schneller schreiben als ich.

Freitag 13.01.

Freitag der 13.! Da bin ich immer ganz besonders vorsichtig. Der Morgen fühlt sich aber normal an. Den ganzen Tag auf die Schreibmaschine eingehämmert. Schaff es jetzt, nicht darüber nachzudenken, was ich da tippe. Sollen die doch rosa streichen, was sie wollen. Oder grün. Oder auch nicht.

Im Schmenkel spielen Wartburgs für Walter. Die sind ziemlich cool. Ich tanze und hab irgendwann eine Zunge im Ohr. Die Rote-Rita. Sie verspricht, nie wieder das P-Wort zu sagen. Wir gehen zu ihr und mit einer Flasche Rotwein ins Bett. „Fühl mal, wie feucht mein Flansch ist“, sagt sie.

Treffer. Ich werde nie wieder mit der mitgehen!

Sonnabend 14.01.

Die Kohlen sind komplett alle. Kann doch nicht wahr sein. Irgendwer klaut hier! Ich suche die Gänge ab und finde schnell heraus, wer hier sonst noch keine Kohlen hat. Frieder Schulz, aus’m Hinterhaus. Das ist doch die komische Hippiesau. Ich geh direkt hin. In seiner Bude läuft laut All Along the Watchtower. Ich muss lange klingeln, bevor er öffnet.

„Wat’n?“, fragt er.

Ich greife in seine fettigen Haare und zieh ihn in den Hausflur. „Kommste ma mit Friedel, irgendwer oder irgendwas spukt im Keller.“

„Aua, du tust mir weh!“

„Weißte, was mir weh tut? Wenn meine Kohlen ständig verschwinden und ich in der Kälte sitze. Lass uns mal ein Anti-Klau-Kollektiv gründen!“

Ich schleif ihn an seinen Haaren hinter mir her. Nach drei Treppenstufen gibt er auf.

„Ja, man, tut mir leid, kann sein, dass ich das war. Hab bestimmt im Suff die Kellertüren vawechselt. Aua, lass mich bitte los, Montag hast du den Keller voll. Ich kenn den Kohlenmunk. Der macht ne Sonderfuhre für mich. Aber bezahlen musste selber.“

„Das hoff ich für dich. Ich friere nämlich nicht so gerne. Und Jimi Hendrix find ich auch scheiße. Weißt ja, dass Vinyl nicht ewig lebt! Wenn ich sauer werde erst recht nicht.“

Ich fühl mich schlecht, aber auch gut. Der Typ ist ja nicht nur asozial, sondern der schreibt auch noch Gedichte und führt seinen eigenen Krieg gegen die Gesellschaft. Soll er machen. Aber nicht gegen mich!

Sonntag 15.01.

Die ganze Nacht den Backofen angelassen, damit es nicht vollkommen auskühlt in der Bude. Mittags mit Hagen in Oberspree getroffen. Wir gehen in der Klubgasstätte Narva essen. Hatten beide Ragout fin als Einstieg, er dann Zigeuner-Steak, ich Steak Champignon. Nach dem Essen machen wir Geschäfte. Ich kriege zehn Zwanzigerpacks Fotos, er 100 Mark. Steile Preissteigerung, beim letzten Mal kostete das noch 75 Mark. Aber für mich lohnt sich das immer noch.

Abends mit Marco und Torsten in den Palast der Republik. Anspruchsvoll-Abend. AG Geige und Expander des Fortschritts. Ich geh nur mit, weil es zu Hause zu kalt ist. Und ich Konzerte im Palast mag. Die Rote-Rita ist auch da, aber die macht einen großen Bogen um mich. Besser so.

Dienstag 17.01.

Karin und ich sind fertig mit unseren Arbeitsprotokollen. Sie gibt mir Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins zum Lesen. Damit niemand den Buchtitel sieht, hat sie es in das Neues Deutschland vom letzten Samstag eingeschlagen. Ich lese und sie strickt einen Union-Schal für ihren Sohn. Ich bestell auch gleich einen für mich.

Donnerstag 19.01.

Haushaltstag wegen der Kohlenlieferung. Der Kohlenmunk ist stinkig und will kein Trinkgeld. „Sag dem Gedichte-Ficker, dass er sich nie wieder bei mir melden soll!“ Ich stelle einen Solidaritäts-Buddeleimer mit sechs Briketts in Frieders Keller. Und hänge ein neues Schloss an meine Kellertür. Eins aus dem Westen! Das hat mich 50 Mark gekostet, aber das ist es mir wert.

Abends in den Palast zu Tina Has Never Had A Teddybär. Is’ okay.

Freitag 20.01

Endlich ist es wieder warm in der Bude. Torsten kommt vorbei, wir trinken Bier, bis wir in Form kommen und dann legen wir los. Wir machen heute wieder unseren Eingabe-Tag. Wir sind ja schließlich bewusste DDR-Bürger, die ihre Rechte kennen.

Werter Genosse Krack!

Ehre und Ansehen für Ihre Tätigkeit, aber es kann doch nicht sein, dass die Hauptstadt der DDR, sich mit so einem widerlichen Bier präsentiert. Das Berliner Pilsner ist untrinkbar und sollte lieber in Suhler Vollbier umbenannt werden. Dann tut es wenigstens keinem mehr weh!

Mit sozialistischem Gruß

Otto Müller

Das ist mein erster Brief.

Lieber Kamerad Udo-Dieter Wange,

Sie als Minister für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie sollten sich mal darum kümmern, dass in der Kaufhalle, nicht nur schlechtes Bier verkauft wird. Das kann doch niemand trinken. Da wird man doch zum Nazi, wenn man den Mist säuft. HH Schmodt

Das ist Torstens erster Brief.

Mit jedem Brief werden wir unkoordinierter und lustiger.

Mein letzter geht so:

Hallo Herr Verteidigungsminister Heinz Kessler.

Wenn ich wirklich zur NVA muss, kack ich jeden Tag in Ihre Hose!

Ohne Gruß,

Ihr Andreas Ficke

Torstens geht so:

Hallo Günther Mittag:

Eins zwei drei,

ich bin nich’ mehr dabei.

SED klingt wie Spee.

RFT wie RGW.

FDJ klingt wie Kompott.

GST - tu doch nur weh, oder?

Schönen sozialistischen Stuhlgang nachher.

Ihr Kurt Schnitzler

Wir haben 20 Briefe, alle linkshändig geschrieben, mit alten Briefmarken frankiert, auf Briefpapier aus den 40ern und definitiv nicht nachvollziehbar. Fingerabdrücke? Natürlich nicht, wir hatten ja Gummihandschuhe an. Boah, ist das geil, das Zeug in den Briefkasten zu werfen. Das wird mal wieder für ordentlichen Trubel im Stasizirkus sorgen.

Wir fahren noch ins Bärenschaufenster und stürzen da so richtig ab. Torsten gibt auf der Tanzfläche alles und kommt mit zwei richtig dicken Frauen in den Armen zur Bar, als die Michael-Jackson-Runde vorbei ist. Er versucht, mich zu einem Gruppenfick zu überreden. Ich schüttle angewidert den Kopf.

„Man Miggi, sei mal spontan. Die beiden sind echt kochend heiß!“

„Ich hab Angst vor denen“, sag ich.

„Warum denn nur? Wegen den großen Möpsen? Oder wegen den Speckmösen? Das ist doch gerade das Geile daran!“

„Ich hör am liebsten Sade oder Purple Schulz beim Sex. Und du?“, fragt die eine Matroschka mich und fasst mir zwischen die Beine.

„Wenn schon Mucke beim Bumsen, dann Lindenberg. Oder Westernhagen“, lüge ich und spiele auf ihrem linken Oberschenkel die Keyboardline von Alphavilles Sounds Like A Melody mit, die gerade aus den Boxen kommt. Warum auch immer. Ich bin halt betrunken.

„Das ist auch gut! Spiel mal mehr die höheren Töne. Ja so! Oh ja höher! Noch höher!“

Sie schiebt meine Hand zwischen ihre Beine und reibt sich an mir wie eine Katze.

„Gleich mach ich alles nass. Ja, so richtig nass, gleich springt meine Mösendrainageanlage an“, keucht sie.

„Was? Wer springt an?“

„Na meine Fotzendusche.“

Ich schaff es gerade noch raus aus dem Laden, um über die Brüstung zu kotzen. Irgendwann steht Torsten neben mir und streichelt meinen Rücken. „Komm mal, ich bring dich nach Hause. Sorry, ich weiß, ja eigentlich, dass du nicht auf solche Bräute abfährst. War meine Schuld.“

Wir pennen dann bei seinen Alten in seinem ehemaligen Kinderzimmer. Da hängen immer noch die A Flock Of Seagulls-Poster an der Wand.

Sonnabend 21.01.

Torsten schnarcht. Ich werd wach, hab Zahnbelag und Hunger. Als ich pissen gehen will, treff ich Torstens Vater im Bad. Er rasiert sich grad. Nackt. Man ist das peinlich.

„Habt ihr Freygang ist ne Rentnerband in den Hausflur geschmiert?“, fragt er mich.

„Ich kenn Freygang noch nich’ ma. Wie soll ich’n da wissen, ob die ne Rentnerband sind, oda nich’?“

Ich mach die Tür schnell wieder zu und geh auf den Balkon. Erste Zigarette. Die Frankfurter Allee liegt grau und trostlos unter mir.

Nachmittags endlich mal Zeit die Bilder von Hagen zu sortieren. Das meiste ist aus West-Pornoheften abfotografiert, aber es sind auch diverse selbstgemachte Ostbilder dabei. Die Westbilder teil ich in drei Stapel. Einen kleinen kriegt die dicke Drogerieverkäuferin, einen schick ich Onkel Willy aus Schneeberg und den größten Stapel kriegt Andre. Der vertickt die in der Kaserne für fünf Mark das Stück. Da machen wir ein ordentliches Geschäft.

Mit den Ostbildern geh ich ins Bett und hab meinen Spaß. FDJ-Sekretärinnen-Porno macht mich richtig an.

Sonntag 22.01.

Kai in Oberspree besuchen gefahren. Der wohnt wieder bei seinem Alten und wir gehen in die Sportgaststätte Birkenwäldchen. Ich mag den Schuppen nicht, aber Kai schwört drauf, dass es hier das beste Bier in ganz Treptow gibt.

Er geht nur noch halbtags bei der PGH Favorit knuffen und macht seine Kohle ansonsten mit Schwarzarbeit. Wenn es weiter so gut läuft, kann er sich in drei Jahren ein Haus kaufen. Mit Yvonne ist es aus, die ist ständig fremd gegangen. Als er sie mit unserem alten Sportlehrer im Bett erwischt hat, ist er sofort ausgezogen. Mandy hat inzwischen drei Kinder und Susi sitzt jeden Tag in der Gaststätte Oberspree und lässt sich volllaufen. Hat schon fünf Abtreibungen hinter sich. Ist aber wohl immer noch ganz fickbar.

Was bin ich froh, dass ich nicht mehr hier auf dem Dorf wohne!

Auf dem S-Bahnhof sitzt Ingo Thule. Der war in der POS zwei Klassen über mir und ein echter Vollidiot. Der hat mich mehr als ein Mal verdroschen und mir in der sechsten Klasse meine erste selbstgekaufte Schachtel Club abgezogen. Das werd ich dem Idioten nie verzeihen!

„Hau ab, du Fotzenknecht. Das is mein Bahnhof“, sagt er.

„Tach Ingo!“

„Tu jar nich’ erst so, als ob du mich kennen würdest. Geh am besten ganz schnell weg. Sonst töte ich dich!“, brüllt er, springt auf und zieht ein großes Messer aus seiner Parkatasche.

„Sonst alles gut bei dir? Wie gehts denn deinen Wellensittichen?“, frag ich ihn und mach mich bereit für einen Ausfallschritt. Mein Körper spielt den Bewegungsablauf schon durch: Tritt gegen die Kniescheibe, Ellenbogen gegen das Kinn und die Linke Faust gegen die Messerhand. Kinderspiel. Den mach ich platt!

„Ich hab dir gesagt, du sollst dich vapissen. Ich hasse euch alle.“

In diesem Moment kommt die Bahn nach Blankenburg. Ich steig ein, ohne dass mit Ingo noch weiter zu klären. Es wird bestimmt ein besserer Tag kommen, um den Idioten umzuhauen.

Dienstag 24.01.

Karin meint, wir sollten mal die Kantine fragen, ob die Umgestaltungsbedarf haben. Haben sie nicht. Wie soll das auch gehen, können ja schließlich nicht einfach vier Wochen wegen Renovierung schließen. Das leuchtet uns ein und wir schreiben einen Bericht. Danach spielen wir Schiffeversenken. Sie gewinnt immer. Sie hat aber auch definitiv mehr Übung als ich, schließlich ist sie eine Mutti. Und die spielen so was ja ständig mit ihren Kindern.

Donnerstag 26.01.

Im Eisenbahner mit Dario getroffen. Er hat seine Texte überarbeitet.

Graue Mauern, schwarze Saat,

Tempolinsen, Stacheldraht!

Rote Fahnen, braune Brut,

der Vopo-Terror tut nicht gut.

„Naja das mit dem Vopo-Terror ist irgendwie zu billig. Damit kommste auch nirgendwo durch“, sag ich zu ihm.

„Mist, das dachte ich mir schon! Ich hab jetzt übrigens die Band zusammen. Wir werden so eine Mischung aus Speed-Metal und Folk-Punk spielen. Das wird geil!“

„Sind die anderen Jungs sauber? Überprüf das, bevor du denen deine Texte zeigst. Du weißt, wie das sonst endet.“

„Ja die sind alle cool!“

Freitag 27.01.

Ärger auf Arbeit. Unser Abteilungsleiter stellt fest, dass wir dem Plan hinterherhinken. Wir müssen jetzt unbedingt eine Abteilung umgestalten. Und zwar schleunigst. Ich hab eine Idee: die Betriebsbibliothek.

Karin ist begeistert. „Das ist die Rettung! Die können sich nicht wehren. Und altrosa passt auch zu Büchern.“

„Warum denn altrosa?“

„Na das ist die einzige Farbe, die wir haben! Deshalb will ja niemand, dass wir bei ihnen umgestalten!“

Sonnabend 28.01.

Peter kommt vorbei. Hat zwei Bier mit. Die sind nach 30 Minuten alle. Ich hab noch zwei Bier da. Die sind nach 20 Minuten alle. Er hat keine Idee, was er Elke zum Geburtstag schenken soll. Der ist Geburtstag aber total wichtig. Ich hab nur Porno-Bilder im Angebot. Darauf steht Elke aber nicht. Wir gehen zur Schneider-Ramona, die hat immer was auf Halde. Ich find ihre Röcke cool, die sehen aus wie vom Bund Deutscher Mädel. Die schwarzen Kleider finde ich auch gut. Aber das ist Peter alles zu teuer. Ramona ist genervt von ihm. Ich bestell eine schwarze Reithose für mich. Als Peter weg ist, nimmt sie meine Maße. Ich bleib über Nacht bei ihr.

Montag 30.01.

Projekt Bibliothek läuft an. Selbst die Bibliothekarinnen sind begeistert. Endlich passiert mal was bei ihnen. Ich leihe mir Der Friede im Osten aus. Das wollt ich irgendwie schon lange mal lesen.