Böse Geister um Mitternacht

Alfred Bekker

Published by BEKKERpublishing, 2015.

Inhaltsverzeichnis

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Böse Geister um Mitternacht - Drei Romantic Thriller

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Das Schloss der bösen Geister

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Jägerin der Geistertiger

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Der Kristall des Sehers

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Also By Alfred Bekker

Böse Geister um Mitternacht - Drei Romantic Thriller

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 322 Taschenbuchseiten.

Drei dramatische Romantic Thriller in einem Band: Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in diesen packenden romantischen Spannungsromanen.

Dieses Buch enthält folgende drei Romane:

Das Schloss der bösen Geister

Jägerin der Geistertiger

Der Kristall des Sehers

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Titelbild: Firuz Askin

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Das Schloss der bösen Geister

Rebeccas Verlobter bricht an dem Tag tot zusammen, als er ihr in der Kirche das Jawort geben will. Seitdem kann Rebecca ihn nur noch als Geist wahrnehmen und mit ihm kommunizieren. Als sich ihr eine Gelegenheit bietet, ihn ins Leben zurückzuholen, nimmt Rebecca sie wahr, auch wenn das bedeutet, ihr eigenes Leben zu opfern...

1

Genau Mitternacht.

Geisterstunde.

Es war die Stimme aus dem Jenseits, die sie weckte.

So wie, wie schon in so vielen Nächten zuvor...

Schritte.

Ein Knarren des Fußbodens, das Herunterdrücken einer Türklinke...

Rebecca Parry schreckte auf.

Nein, durchzuckte es sie, da war noch etwas anderes!

Sie saß aufrecht und nassgeschwitzt in ihrem Bett und erinnerte sich an ein wirres Chaos düsterer Alpträume. Bilder, die rasch verblassten und an die sie sich auch nicht unbedingt erinnern wollte.

Sie atmete tief durch, strich das lange blonde Haar zurück und stand auf.

Was habe ich gehört?, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht nur den Wind?

Oder ein Echo aus dem Reich der Träume?

Sie schluckte unwillkürlich.

Jedenfalls war sie jetzt hellwach. Sie ging nach nebenan ins Wohnzimmer. Der Mond schien durch die Fensterfront ihrer Drei-Zimmer-Wohnung im vierzehnten Stock des exklusiven Londoner McGillan Towers. Sein helles Oval wirkte wie das Auge eines übermächtigen Wesens. Unwillkürlich erschauerte sie bei dem Gedanken.

Sie fühlte sich beobachtet, glaubte regelrecht körperlich spüren zu können, wie der Blick eines Fremden auf ihr ruhte.

Ich bin nicht allein...

Es war eine instinktive Erkenntnis.

Sie sah hinaus in das Lichtermeer des nächtlichen Londons. Nebel zog von der Themse herauf.

Ein gestaltloses Etwas, das immer neue gespenstische Formen auszubilden schien.

Und dann hörte Rebecca auf einmal wieder jenes Geräusch, das sie geweckt hatte. Jetzt, da sie es erneut hörte, erinnerte sie sich und erkannte es wieder.

Es war das hektische Schlagen schwarzer Schwingen.

Etwas Dunkles erhob sich vor dem Fenster und Rebecca zuckte augenblicklich ein Stück zurück.

Es war ein Rabe von außergewöhnlicher Größe, der die ganze Zeit über still und stumm auf dem Geländer des Balkons gesessen hatte, der zu dieser Wohnung gehörte. Im Schatten der Nacht hatte Rebecca ihn nicht bemerkt.

Aber jetzt war er unüberhörbar.

Ein markerschütterndes Krächzen war selbst durch die Isolierscheiben hindurch deutlich zu vernehmen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Rebecca zwei dunkle Augen, in denen sich das fahle Licht des Mondes spiegelte. Der große Vogel drehte ab und flog hinaus über das Lichtermeer der Stadt. Lichter, von denen eins nach dem anderen durch den Nebel verschluckt wurde.

In der Ferne hallte noch das schauerliche Krächzen nach.

Dies war kein gewöhnlicher Rabe!, ging es Rebecca zitternd durch den Kopf.

"Hab keine Angst", sagte dann plötzlich eine Stimme in ihrem Rücken. Sie stieß einen kurzen, spitzen Schrei aus und wirbelte herum. Ihre Augen waren schreckgeweitet, das Herz schlug ihr bis zum Hals und für einen schrecklichen Moment lang erfüllte sie blanke Panik, als ein Augenpaar sie ruhig musterte.

Vor ihr stand eine transparente Gestalt.

Sie schimmerte geisterhaft und an manchen Stellen war die dahinter liegende Wand durch den Körper hindurch sichtbar.

"Jeffrey!", entfuhr es Rebecca.

Ein Lächeln erschien auf dem sympathischen Gesicht der geisterhaften Gestalt.

"Es ist alles in Ordnung, Rebecca..."

"Oh, Jeffrey..."

Es war der Geist ihres verstorbenen Verlobten, der wenige Augenblicke, bevor sie ihm in der Kirche ihr Jawort hatte geben können, tot zusammengebrochen war. Seitdem erschien Jeffrey ihr in mehr oder minder regelmäßigen Abständen. Zunächst hatte sie sich dagegen gesträubt und befürchtet, den Verstand zu verlieren.

Inzwischen aber akzeptierte sie Jeffreys Geist als etwas Natürliches.

Es tat ihr gut, mit ihm zu reden.

Der Schmerz war dann nicht so groß. Dieser unermessliche Schmerz, den der Tod eines geliebten Menschen nun mal verursachte.

"Ich bin froh, dich zu sehen", sagte Rebecca. "Weißt du, ich habe viel an dich gedacht..."

"Du gehörst dem Leben, Rebecca. Vergiss das nicht. Ich aber stehe auf der anderen Seite jener unsichtbaren Grenze, die die eine von der anderen Welt trennt..."

Rebecca lächelte.

"Aber ich habe offenbar die Fähigkeit, hinüberzublicken."

"Ja, das mag sein..."

"Und ich bin froh darum. Denn ich liebe dich, Jeffrey..."

"Du weißt, dass ich immer für dich da sein werde", erwiderte Jeffrey. Sein Gesicht bekam einen leicht melancholischen Ausdruck. Er schwebte etwas näher.

"Du trägst noch den Smoking vom Tag unserer Hochzeit!", stellte Rebecca fest. Sie seufzte.

"Rebecca, du weißt, dass es mich viel Kraft kostet, für dich sichtbar zu werden."

"Ja..."

Noch mehr Energieaufwand verlangte es für Jeffrey, wenn er auch für andere sichtbar sein wollte... Rebecca verstand, worauf er hinauswollte. Jeffrey war nicht einfach hier aufgetaucht, um mit ihr zu Plaudern. Sein Erscheinen hatte einen Grund.

Sie sah ihn an.

Er erwiderte ihren Blick.

„Ich muss dich warnen, Rebecca... Inzwischen weiß ich, was  geschah, als ich am Tag unserer Hochzeit plötzlich zusammenbrach. Durch die übersinnlichen Kräfte einer Hexe namens Maradina Tabras wurde meine Seele in ein Amulett gebannt... Jetzt bin ich ihr Gefangener... Das ist der wahre Grund dafür, dass ich nicht sterben kann... Durch diesen Zauber werde ich zwischen den Welten in der Schwebe gehalten.“

„Aber, Jeffrey! Damals war niemand anwesend – außer unseren Verwandten und Bekannten!“

„Diese Maradina Tabras vermag jegliche Gestalt anzunehmen. Erinnerst du dich an fetten Raben, der damals in einem der Bäume saß...

Seine Erscheinung wurde etwas schwächer und durchscheinender. Seine Stimme klang immer schwächer und leiser. Ganze Sätze verstand Rebecca gar nicht.

"Oh, Jeffrey!", schluchzte sie.

"Pass auf dich auf...", hörte sie ich noch wie aus weiter Ferne sagen.

"Ich liebe dich Jeffrey", hauchte sie noch, ehe die geisterhafte Erscheinung völlig verschwunden war. Eine einsame Träne glitzerte im Mondlicht auf Rebeccas Wange.

2

"Ich werde ohne Umschweife zur Sache kommen", sagte die dunkelhaarige, sehr gutaussehende junge Frau, die soeben im Büro der Privatdetektei O’Donnell & Parry Platz genommen hatte. Ihr Name war Victoria Rathbone und sie schien eine Vorliebe für die Farbe Schwarz zu haben.

Sie trug ein elegantes Kostüm in dieser Farbe.

Der einzige Lichtpunkt war eine silberne Brosche.

Das ebenholzfarbene Haar war zu einer strengen Knotenfrisur nach hinten gekämmt. Das Gesicht wirkte etwas bleich, war aber sehr fein geschnitten und hübsch. Ihr Blick drückte Selbstbewusstsein aus und ihr Auftreten hatte etwas an sich, das wie einstudiert wirkte. Sie schien sich ihrer Wirkung sehr wohl bewusst zu sein.

Sie sah zunächst Rebecca Parry, eine junge Frau von 22 Jahren, etwas abschätzig an und wandte sich dann Harold O’Donnell zu, der sich bereits die Krawatte gelockert hatte.

Es war unübersehbar, dass Harold von dieser Klientin beeindruckt war.

"Nun, Mrs Rathbone?", fragte er.

Victoria Rathbone hob das Kinn und sagte: "Vorab eine Frage: Ich habe gehört, dass die Detektei O’Donnell & Parry sich auch mit..." Sie zögerte und sprach erst nach einer kurzen Pause weiter. "...mit ungewöhnlichen Fällen befasst."

Rebecca Parry strich sich das blonde Haar zurück und fragte dann kühl: "Könnten Sie vielleicht etwas genauer sagen, was Sie darunter verstehen?"

Victoria Rathbones Lächeln war kalt.

Eiskalt.

"Ich spreche von Fällen, die in den, sagen wir es so: in den okkulten Bereich hineingehen."

Rebecca nickte.

"Ja, das ist richtig."

"Gut", nickte Victoria Rathbone. "Es geht kurz gesagt um folgendes: Vor drei Monaten starb mein Mann bei einem tragischen Verkehrsunfall direkt vor unserem Haus in Bristol. Nun fühle ich mich verfolgt."

"Verfolgt?", echote Harold.

Als Victoria Rathbone weitersprach, vermied sie es, die beiden Inhaber der Detektei anzusehen.

"Ja", sagte sie. "Und zwar vom Geist meines verstorbenen Mannes, wenn Sie so wollen. Möglicherweise halten Sie das, was ich sage für völlig absurd, aber ich wäre nicht hier, wenn ich mich nicht wirklich bedroht fühlen würde. Sehen Sie, mein Man war immer sehr eifersüchtig. Immer glaubte er, dass ich irgendwelche Affären hätte, was tatsächlich nicht der Fall war. Sie können sich nicht vorstellen, was für elende Diskussionen wir über dieses Thema hatten. Und nun, nach seinem Tod, fährt er gewissermaßen damit fort. Er treibt mich in den Wahnsinn. Unerwartet erscheint er plötzlich als durchsichtiger Astralleib und erschreckt mich halb zu Tode. Er hat mir im übrigen auch ganz klar gesagt, was sein Ziel ist."

"Und das wäre?", erkundigte sich Rebecca.

Victoria Rathbone atmete tief durch. Sie schluckte. Dann biss sie sich auf die Lippe. Sie zögerte noch, ehe sie endlich zu sprechen begann.

"Er will mich zu sich holen", erklärte sie mit belegter Stimme. "Zu sich ins Reich der Toten. Erst wenn ich bei ihm sei, könnte er dort Frieden finden." Sie hielt sich die flache Hand vor das Gesicht und schluchzte kurz auf. "Lange halte ich das nicht mehr aus! Mr O’Donnell, Sie müssen mir helfen!"

"Nun...", sagte Harold gedehnt, lehnte sich etwas zurück und wechselte einen Blick mit Rebecca. Diese hatte eine etwas abweisend wirkende Stellung eingenommen und die Arme vor der Brust verschränkt.

Ihr Gesicht drückte Skepsis aus.

Irgendetwas gefiel ihr nicht an dieser Frau.

Sie konnte noch nicht wirklich sagen, was es eigentlich war.

Irgendwie hatte sie den Eindruck, eine Schauspielerin vor sich zu haben, die genau wusste, wann sie effektvolle Pausen zu setzen hatte und wie sie ihre Umgebung beeindrucken konnte.

Zumindest bei Harold scheint sie damit Erfolg gehabt zu haben!, ging es Rebecca durch den Kopf.

Sie war etwas ärgerlich darüber.

Victoria Rathbone sagte jetzt: "Das Honorar spielt übrigens keine Rolle!"

"Gut", sagte Harold. "Wir werden den Fall übernehmen."

Victoria Rathbone nahm ihre Handtasche und zog mit eleganter Handbewegung ihr Scheckheft hervor. Dann nahm sie einen Stift von Harolds Schreibtisch, füllte schnell eines der Formulare aus und riss es aus dem Heft heraus.

Als sie es Harold vor die Nase legte, wurden dessen Augen ziemlich groß.

Ihr Lächeln war eiskalt und berechnend.

In ihren Augen blitzte es auf eine Weise, die Rebecca beunruhigte.

"Ich hoffe, die Summe reicht als Anzahlung, Mr O’Donnell", säuselte sie dann.

"Oh, ja, natürlich!", beeilte sich Harold zu sagen.

"Sorgen Sie dafür, dass der Geist meines Mannes mich nicht mehr verfolgt. Egal wie. Was auch immer Sie vorschlagen, ich werde es tun!"

"Gut", nickte Harold.

"Aber ich werde mich doch auf Ihre Diskretion verlassen können, nicht wahr? Bristol ist verglichen mit London eine Kleinstadt und da geht es schnell herum, wenn eine Geschäftsfrau einen Privatdetektiv beauftragt, um nach Geistern zu suchen. Insofern bin ich auch ganz froh, dass Sie in London residieren."

"Diskretion ist Ehrensache", erklärte Harold.

"Da bin ich ja beruhigt. Ich habe jetzt noch einen Termin hier in London. Sie werden mich jetzt daher sicher entschuldigen. Kommen Sie doch in den nächsten Tagen nach Bristol. Meine Adresse haben Sie ja."

Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.

"Warten Sie", rief Harold. "Ich bringe Sie noch zur Tür."

"Danke, aber ich finde alleine hinaus!", erwiderte sie.

Harolds Blick hing wie hypnotisiert an ihr, bis sie den Raum endlich verlassen hatte.

"Ich dachte, wir sind Partner, Harold", sagte Rebecca nachdem die Klientin verschwunden war.

"Ja sicher!", erwiderte Harold etwas verwirrt.

"Ich finde, wir hätten erst darüber reden sollen, ob wir diesen Fall annehmen."

"Darüber reden?" Harold sah sie erstaunt an. Dann deutete er auf den Scheck auf dem Schreibtisch. "Darüber reden, wenn jemand bereit ist, einen solchen Scheck auszustellen und dazu noch sagt, dass das Honorar überhaupt keine Rolle spielt? Rebecca, in welcher Welt lebst du? Unserer Agentur geht es nicht so gut, dass wir solche Aufträge ablehnen könnten."

"Trotzdem", sagte Rebecca.

Harold stand auf und trat zu ihr.

Ihre Blicke trafen sich. Harold und Rebeccas verstorbener Verlobter Jeffrey Reed, beides ehemalige Polizisten, hatten die Detektei zusammen gegründet. Jetzt war Rebecca in Jeffreys Fußstapfen getreten und hatte gewissermaßen seinen Platz in der Agentur eingenommen.

Aufgrund Rebeccas besonderer Fähigkeit, mit den Geistern Verstorbener in Kontakt zu treten, nahm diese sich natürlich insbesondere auch Fällen an, die den Bereich des Okkulten und Übersinnlichen berührten.

Und insgeheim hoffte Rebecca natürlich bei ihrer Arbeit irgendwann wieder auf die Spur von Maradina Tabras zu treffen. Jener geheimnisvollen Frau, in deren Amulett ein Teil von Jeffreys Seele gefangen war, so dass sein Geist nicht endgültig ins Reich der Toten eingehen und dort Frieden finden konnte.

Harold lachte sie an.

"Nun sag schon, was hast du wirklich dagegen einzuwenden, dass wir diesen Fall annehmen?"

Harold war blond, athletisch gebaut und immer sehr gut gekleidet. Außerdem war er ein Charmeur, wie er im Buche stand. Unter anderen Umständen hätte Rebecca sich diesem Charme gerne hingegeben.

Aber da war immer noch Jeffrey.

Auch wenn er ihr nur noch als Geist erschien, so war er doch für sie immer noch ein Teil ihres Lebens, den sie nicht so einfach hinter zu lassen vermochte.

Und das wollte sie auch gar nicht.

3

Ein paar Tage später fuhren sie nach Bristol. Harold saß am Steuer des unauffälligen Volvos, den er vor kurzem für die Agentur angeschafft hatte.

"Ein solcher Auftrag, wie der von Mrs Rathbone, kommt uns wie gerufen", meinte Harold mit zufriedenem Gesichtsausdruck. "Wenig Arbeit verbunden mit einem hohen Gewinn für die Agentur. Wann trifft das schon mal zusammen?"

"Ich weiß nicht", meinte Rebecca. "Irgendwie habe ich ein schlechtes Gefühl dabei..."

"Du magst Mrs Rathbone nicht!"

"Das ist richtig."

"Gibt es einen bestimmten Grund dafür?"

"Nein. Aber du warst ja um so mehr von ihr beeindruckt..."

"Nun..."

"Mrs Rathbone ist eine attraktive Frau, Harold. Aber sie weiß das auch sehr kalkuliert einzusetzen."

"Rebecca..."

"Gib es zu, richtig geblendet warst du!"

"Du übertreibst!"

Rebecca seufzte. Auf ihrem Gesicht erschien ein fast nachsichtiges Lächeln.

"Harold, du hast es doch gar nicht gemerkt, wie diese Spinne dich in ihrem Netz gefangen hat. Gibt es nicht eine Spinnenart, die Schwarze Witwe heißt?"

Harold seufzte und schüttelte dann den Kopf.

"Du bist unverbesserlich!"

Rebecca lachte kurz auf und erwiderte dann: "Du hast mich gut genug gekannt, um zu wissen, wen du dir da als Partnerin in die Agentur holst!"

"Mal im Ernst: Glaubst du wirklich, dass ich in Anwesenheit dieser Mrs Rathbone nicht mehr Herr meiner selbst bin?"

Rebecca hob die Augenbrauen.

"Die Gefahr besteht."

Harold lächelte. "Wir sind Detektive. Ist Gefahr nicht unser Geschäft?"

Sie waren etwa auf der Höhe von Swindon, als im Radio die Meldung von dem Unfall kam, verbunden mit einer Umleitungsempfehlung. Die Autobahn nach Bristol war an der Unfallstelle in beiden Richtungen gesperrt.

Harold schimpfte leise vor sich hin.

"Das hat uns gerade gefehlt! Ausgerechnet heute..."

"Wir werden wohl auf der Landstraße weiterfahren müssen", stellte Rebecca fest.

Harold seufzte.

"Das kostet uns vermutlich eine ganze Stunde!", knurrte er dann ärgerlich und schlug mit dem Handballen gegen das Lenkrad.

"Mrs Rathbone wird deswegen nicht gleich einen Teil ihres Vorschusses zurückfordern, Harold", versetzte Rebecca.

Wenig später kam die nächste Abfahrt und Harold lenkte den Wagen von der Autobahn hinunter. Auf kleinen Landstraßen würden sie die Unfallstelle zu umfahren versuchen, um dem zu erwartenden Stau aus dem Weg zu gehen. Nebelschwaden zogen auf. Es war den ganzen Tag schon dunstig gewesen und je weiter sie Richtung Bristol gekommen waren, desto grauer wurde das Wetter.

4

Die Straßen wurden immer kleiner und enger. Sie folgten den Schildern, aber auch die wurden immer spärlicher. Rebecca hatte eine Karte vor sich auf den Knien, aber die war nicht so recht auf dem neuesten Stand.

Der Nebel wurde jetzt so dicht, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte.

Harold machte die Augen schmal und sah sehr konzentriert nach vorn. Allerdings war ihnen seit längerem kein Fahrzeug mehr entgegengekommen.

Die Landstraße führte durch eine ziemlich einsame Gegend. Rechts und links waren ein paar Bäume zu sehen. Ansonsten nur dichter Nebel, der sich wie ein graues Leichentuch über das gesamte Land gelegt hatte.

Und dann machte der Motor des Volvo plötzlich ein sehr dumpfes Geräusch, das sowohl Harold als auch Rebecca durch Mark und Bein ging.

Harold konnte den Wagen gerade noch an den Straßenrand lenken, bevor er stehenblieb.

"Was ist los?", fragte Rebecca.

Harold zuckte die Achseln. Seine Augenbrauen hatte er zu einer Schlangenlinie zusammengezogen und sah skeptisch auf die Anzeigen des Armaturenbretts.

"Ich weiß es nicht", bekannte er dann. "Der Motor ist einfach ausgegangen. Beinahe so, als wäre kein Benzin mehr im Tank."

"Aber das ist unmöglich!", rief Rebecca. "Du hast doch vollgetankt!"

"Ich weiß!"

Harold drehte den Zündschlüssel herum und versuchte, erneut zu starten. Der Motor machte nicht einmal ein gurgelndes Geräusch, wie Rebecca es von ihrem eigenen Wagen kannte, wenn es im Winter zu kalt war.

"Nichts!", sagte Harold. "Ich verstehe das nicht..."

Bevor er ausstieg, bückte er sich noch, um die Motorhaube zu lösen.

Rebecca öffnete ihre Tür und stieg ebenfalls aus dem Wagen. Es war kalt geworden. Eisig kalt. Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper. Sie rieb die Hände nervös aneinander. Harold öffnete den Motor.

Rebecca trat neben ihn.

"Ich versteh das nicht", meinte Harold dann kopfschüttelnd. "Genug Öl, genug Wasser... Auch sonst scheint alles in Ordnung! Dieser Motor müsste eigentlich laufen."

"Er tut es aber nicht..."

"Setz dich ans Steuer, Rebecca und versuch du noch mal zu starten."

Rebecca nickte.

"Gut."

Sie ging zur Fahrertür, setzte sich in den Wagen und drehte den Schlüssel herum.

Nichts.

Kein Laut.

"Ich werde einen Reparaturdienst anrufen", meinte sie dann und griff nach dem Funktelefon, das im Handschuhfach lag.

"Warte noch!", rief Harold.

Rebecca hörte, wie er am Motor herumhantierte, aber irgendwie klang das nicht sehr vertrauenserweckend. Rebecca sah auf die Leuchtanzeige des Handys. Der Apparat war seltsamerweise ausgeschaltet, obwohl Harold O’Donnell ansonsten immer peinlich darauf achtete, dass sie erreichbar waren. Schließlich war das an diesem Job sehr wichtig.

Rebecca schaltete das Gerät ein und wollte bereits den Diebstahl-Code eingeben, da stutzte sie.

Das Gerät ist völlig tot!, wurde es ihr klar. Irgendwie schien sich das Schicksal gegen sie verschworen zu haben. Diese Fahrt stand wohl nicht gerade unter einem guten Stern. Manchmal kommt auch alles auf einmal!, ging es Rebecca ärgerlich durch den Kopf, während sie zum letzten Mal versuchte, den Handy in Betrieb zu nehmen.

Vergebens.

5

Wie ein böser Geist, fast lautlos und mit dem sanften Schlagen schwarzer Schwingen schwebte der übermäßig große Rabe durch den grauen Nebel, bis er einen geeigneten Ast erreichte, auf dem er sich bequem niederließ.

Der Rabe blickte hinab auf den Wagen, der kaum ein Dutzend Meter entfernt stehengeblieben war.

Mit kalten, schwarzen Augen registrierte der Vogel, was dort unten geschah.

Er stieß ein triumphierendes Kreischen aus. Ein Laut, der die unheimliche Stille dieses Ortes wie ein Messer durchschnitt und den Mann und die Frau, die sich da um ihren defekten Wagen bemühten, unwillkürlich zusammenzucken ließ.

Nur äußerlich hatte dieser Rabe eine Vogelgestalt.

In Wahrheit war er kein schwarzäugiger Rabe, sondern etwas ganz anderes.

Eine Hexe, die jegliche Gestalt anzunehmen in der Lage war.

Maradina Tabras.

Sie saß auf ihrem Ast und dachte: Gleichgültig, was auch immer ihr versucht... Ihr seid doch verloren!

Der Rabe krächzte und registrierte mit Befriedigung die Blicke der beiden Insassen des Wagens.

Verloren seid ihr beide!, durchzuckte es Maradina.

Alles ging nach Plan...

Dann erhob sich der schwarze Vogel und flog mit kraftvollen Flügelschlägen davon.

"Ich verstehe das nicht", meinte Rebecca. "Nichts scheint zu funktionieren. Der Wagen, das Handy..."

"Nicht einmal das Autoradio!", stellte Harold fest, der sich hinter das Steuer gesetzt hatte und an den Reglern herumhantierte. "Alles tot...", murmelte er. Dann schüttelte er verzweifelt den Kopf. "Irgendwie scheint sich hier alles gegen uns verschworen zu haben."

"Was machen wir jetzt?", fragte Rebecca.

"Es muss hier in der Gegend doch eine Siedlung geben. Schließlich sind wir hier nicht in der Wüste Gobi oder der Antarktis...." Er griff nach der Landkarte und warf einen Blick darauf. "Wenn wir die Straße weitergehen, müssten wir irgendwann in Swindon ankommen..."

"Gehen?", echote Rebecca und seufzte.

"Es sind nur ein paar Kilometer. Maximal eine Stunde, dann sind wir dort."

"Und wenn wir einfach abwarten, bis jemand vorbeikommt?"

Harold schüttelte den Kopf.

Er blickte kurz zur Rolex an seinem Handgelenk und meinte dann: "Wir sind jetzt gut eine Stunde hier und es ist noch nicht ein einziges Auto hier vorbeigefahren."

"Und du glaubst, bis Swindon sind es nur ein paar Kilometer?"

"Jedenfalls ist es zu kalt und ungemütlich, um hier im Wagen zu sitzen... Die Heizung funktioniert nämlich auch nicht!" Sie wechselten einen Blick miteinander. Harold hob die Augenbrauen und fuhr dann fort: "Also, bringen wir den Marsch hinter uns!"

Rebecca zuckte die Achseln.

"Bleibt uns wohl nichts anderes übrig."

Rebecca zog sich ihre dicke Jacke an und Harold seinen Mantel. Die Kälte war durchdringend und feucht. Sie ging einem durch Mark und Bein.

Rebecca hängte sich noch ihre Handtasche um und Harold schloss den Wagen ab. Dann gingen sie am Straßenrand entlang. Seitlich befand sich ein tiefer Graben, in dem dunkles Wasser stand. Dahinter waren Bäume. Viele wiesen eigenartige Verwachsungen auf. Die Wurzeln waren dick und knorrig und die Stämme wiesen bizarre Linien und Strukturen auf, die beinahe wie grinsende Fratzen wirkten...

"Eine Landschaft, wie in einem Alptraum", hörte Rebecca Harold sagen. "In London ist der Nebel ja oft schon unerträglich, aber das hier..."

Nicht lange und der Wagen verschwand hinter ihnen in den wabernden Nebelschwaden.

"Ich hoffe nur, dass es in Swindon auch jemanden gibt, der sich um den Wagen kümmern kann!", meinte Rebecca.

"Mir würde schon jemand mit einem funktionierenden Telefon reichen!", war Harolds trockene Erwiderung. Er blickte immer wieder angestrengt in das grauweiße Nichts hinein, das sie von allen Seiten umgab. "Es ist zu dumm...", murmelte er dann.

"Was?"

"Na, wir könnten uns in Sichtweite eines Hauses befinden... Vielleicht gibt es Gehöfte hier, kleine Farmen oder so etwas... Wir würden daran vorbeigehen!"

"Irgendwie sieht mir das Land nicht danach aus, dass es landwirtschaftlich genutzt wird", murmelte Rebecca.

"Du kannst ja auch nicht viel davon sehen, oder?"

"Das ist auch wieder wahr..."

Rebecca zitterte leicht.

Die durchdringende Kälte hatte sich durch ihre gefütterte Jacke gefressen. Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu!, ging es ihr durch den Kopf. Es war eine unbestimmte Ahnung. Ein Gefühl, mehr nicht. Und sie hütete sich davor, Harold gegenüber etwas davon zu erwähnen. Dass sie die Fähigkeit hatte, mit Geistern zu sprechen, hatte der Privatdetektiv ja erlebt. Das konnte er nicht leugnen, so sehr er auch der Vernunft verhaftet sein mochte und am liebsten nur das anerkannte, was zweifelsfrei beweisbar war, glauben wollte.

Außerdem hatte Rebecca das Gefühl, beobachtet zu werden.

Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken.

Aus einer der Baumkronen erhob sich ein großer schwarzer Vogel mit einem scharf klingenden Krächzen.

"Rebecca, du bist ja ganz bleich...", stellte Harold fest und blieb stehen.

Rebecca schluckte.

Sie atmete tief durch.

Harold folgte ihrem Blick und lächelte als er den Vogel sah.

"Das ist ein Rabe oder eine Krähe... Irgend so etwas."

"Hast du gesehen, wie groß der Vogel war?"

Harold zuckte die Schultern.

"Ich bin ein Stadtmensch. Ich habe keine Ahnung, wie groß diese Tiere normalerweise sind!" Er lächelte sie an, auch wenn es nicht gerade das entspannte Lächeln war, das man sonst an ihm sehen konnte. Er berührte sie leicht am Oberarm. "Was ist los?"

"Ich weiß nicht", sagte sie.

"Komm jetzt. Auch wenn es bis Swindon nur ein paar Meilen sind, müssen die erst einmal zurückgelegt werden!"

"Sicher."

"Außerdem knurrt mir langsam der Magen. Vielleicht gibt es in Swindon ja ein kleines Restaurant, in dem man etwas essen und sich aufwärmen kann!"

Rebecca seufzte.

"Das hoffe ich."

Sie wussten nicht, dass keiner von ihnen Swindon je erreichen würde...

7

Rebecca taten die Füße weh. Sie hatte das Gefühl für Zeit etwas verloren. Eine halbe Ewigkeit schienen sie schon diese Asphaltstraße entlangzugehen und noch immer war ihnen nicht ein einziges Fahrzeug entgegengekommen.

Und dann stutzten sie.

Vor ihnen endete der Asphalt und wurde durch ein altertümliches Kopfsteinpflaster ersetzt.

"Irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass wir uns auf eine große Stadt zu bewegen!", meinte Rebecca niedergeschlagen. "Die Straße wird ja immer schmaler und..."

Sie sprach nicht weiter.

Angst hatte sich inzwischen in ihr Herz geschlichen und sich dort festgesetzt. Sie fror - einerseits durch die äußere Kälte, aber da war auch etwas in ihrem Inneren, dass sie frösteln ließ. Das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, hatte sich immer mehr verstärkt, je länger sie unterwegs gewesen waren.

Sie sah Harold an.

Und er schien genauso zu empfinden. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck tiefen Zweifels.

Er nahm die Landkarte aus  seiner Manteltasche heraus und sah stirnrunzelnd darauf. Dann schüttelte er den Kopf.

"Wo sind wir?", fragte Rebecca.

"Wenn ich das wüsste..."

"Sollen wir zurück zum Wagen gehen?"

"Da sind wir nicht besser dran, Rebecca!"

"Das stimmt auch wieder."

"Irgendwann muss doch eine Siedlung oder wenigstens ein Haus kommen... Schließlich sind wir hier im Herzen Englands!"

"Sag mal, ist auf der Karte ein Moor verzeichnet?"

"Wieso?" Harold hob die Augenbrauen und sah Rebecca erstaunt an. Dann blickte er auf die Karte und schüttelte entschieden den Kopf. "Nein", sagte er.

"Die Landschaft hier... Ich habe schon Moorlandschaften gesehen und mir scheint, dass dies eine ist!"

Sie gingen weiter und folgten dem holprigen Pflasterweg. Die Bäume wurden immer bizarrer und manche von ihnen schienen nicht mehr als abgestorbene Ruinen einstigen Lebens zu sein. Morsch und von Pilzen und Moosen überwuchert. Ein Land des Todes und der Geister!, dachte Rebecca unwillkürlich. In den dicken Stämmen der Bäume  schienen sich immer neue Gesichter zu bilden und die über den Boden kriechenden Nebelschwaden wirkten wie lange Arme eines unheimlichen, formlosen Wesens, dass nach den beiden Fremden zu greifen versuchte, die sich hier her gewagt hatten.

Eine geradezu gespenstische, unnatürliche Stille herrschte über all dem.

Die Stille des Todes!, ging es Rebecca durch den Kopf. Hin und wieder nur wurde sie unterbrochen vom Krächzen eines Raben...

Maradina Tabras!

Dieser Gedanke ließ Rebecca nicht mehr los.

Was, wenn sie längst Teil eines üblen Planes geworden waren, den diese Hexe gegen sie schmiedete? Was, wenn sie ihr Schicksal schon längst nicht mehr selbst in der Hand hatten, sondern Gefangene einer verborgenen, unheimlichen Macht geworden waren?

Mach dich nicht selbst verrückt!,  ermahnte Rebecca sich selbst.

Sie presste die Lippen aufeinander.

Harold blieb plötzlich stehen.

Als sie ihn fragen wollte, was los sei, bedeutete er ihr mit einer Handbewegung, zu schweigen.

Angestrengt lauschten sie beide in den Nebel hinein.

Und dann hörte auch Rebecca es.

Von Ferne drang ein Geräusch an ihre Ohren. Sie wusste nicht, was es war. Irgendetwas klackerte auf dem Pflaster...

Pferdehufe!

Rebecca und Harold wechselten einen fragenden Blick. Das Geräusch wurde lauter.  Und dann tauchte ein großer, sich bewegender Schatten aus dem Nebel heraus auf und schien rasch näherzukommen.

Pferde schnaubten.

Eine Kutsche tauchte jetzt aus dem grauweißen Nichts hervor, gezogen von zwei riesigen Pferden, deren Augen mit großen Scheuklappen geschützt waren.

"Hoh!", sagte eine dunkle, kehlige Stimme, die von dem nur als Umriss sichtbaren Kutscher zu kommen schien.

"Die schickt uns der Himmel!", meinte Harold. Er lachte. "Nun komm schon, Rebecca! Mach nicht so ein Gesicht! Vielleicht hat unsere unfreiwillige Wanderung durch diese Ödnis endlich ein Ende!"

"Ja", murmelte Rebecca etwas abwesend.

Das markerschütternde Wiehern eines der Pferde ließ sie zusammenzucken. Harold ging auf die Kutsche zu. Rebecca folgte ihm.

Die Pferde dampften und schienen etwas unruhig zu sein.

Die Kutsche hatte kein Verdeck und insgesamt zwei gegenüberliegende Bänke.

Ein Wagen, wie man ihn aus Filmen kannte. Historiendramen, die in der guten alten Zeit von Queen Victoria spielten...

Rebecca erschrak bei dieser Erkenntnis. Ihr Blick blieb auf den goldfarbenen Lettern hängen, die über den Hinterrädern des Gefährts angebracht waren. Thornbury & Sons stand da offenbar der Name der Herstellerfirma. Was sie aber wirklich verwunderte war die Jahreszahl, die darunter stand.

1877.

Dass jemand gewissermaßen in einem Museumsstück durch die Gegend fuhr, war schon recht ungewöhnlich.

Der Kutscher musterte die beiden Wanderer stumm.

Er hatte sehr buschige Augenbrauen und eine markante Nase.

Sein Gesicht war hager und wies tiefe Furchen auf. Graues, viel zu langes Haar umrahmte sein Gesicht und hing ihm beinahe bis in die wässrig-blauen Augen.

Und diese Augen flackerten unruhig.

Er trug einen Zylinder und einen dunklen Mantel, dessen Schnitt äußerst altertümlich wirkte.

Er sieht aus wie ein Totengräber! durchzuckte es Rebecca.

"Hallo!", sagte Harold. "Unser Wagen ist defekt und wir bräuchten dringend jemand, der uns zur nächsten Siedlung mitnimmt, damit wir telefonieren können!"

Der Kutscher nickte.

In seinem Gesicht zuckte unruhig ein Muskel und die großen Kaltblutpferde, die zu der eher grazilen Kutsche einen merkwürdigen Kontrast bildeten, scharrten mit den Hufen auf dem Pflaster.

Der einzige Laut in dieser gespenstischen Umgebung...

"Vielleicht können Sie uns helfen", fuhr Harold fort, als der Kutscher nichts sagte, sondern uns nur mit seinem undeutbaren Blick bedachte. "Wir haben uns nämlich zusätzlich wohl auch völlig verlaufen. Geht diese Straße hier nach Swindon?"

Der Kutscher knurrte irgendetwas Unverständliches vor sich hin. Ein Laut, der fast tierisch klang und Rebecca unwillkürlich zusammenzucken ließ.

Ein rascher Blickkontakt mit Harold sagte ihr, dass ihr Partner auch ziemlich befremdet war,

Ein seltsamer Kauz!, dachte Rebecca.

Dann deutete der Kutscher auf die Sitze hinter sich.

"Sie nehmen uns mit?", fragte Harold.

Der Kutscher nickte und wieder kam ein dumpfes Knurren über seine Lippen. Harold wandte sich an Rebecca.

"Na komm, so ein Angebot bekommen wir in dieser Gegend so schnell nicht wieder!"

"Da hast wohl leider recht."

"Dann los!"

"Wohin bringt er uns?"

"Keine Ahnung, Rebecca. Spielt doch auch keine Rolle. Auf jeden Fall werden wir dort wohl telefonieren können..."

Sie bestiegen die Kutsche.

Kaum hatten sie auf den Bänken platzgenommen, da stieß der Kutscher einen archaisch wirkenden, unartikulierten Schrei aus, griff nach der Peitsche und ließ sie über den Kaltblutpferden knallen, die nur darauf gewartet zu haben schienen, endlich loszulaufen.

Ein paar Meter nur waren sie getrabt, da riss der Kutscher ziemlich abrupt die Zügel herum und drehte das Gefährt mitten auf der Straße. Eines der Hinterräder pflügte durch den weichen, feuchten Boden neben der gepflasterten Straße. Es krachte und rumpelte.

Rebecca und Harold wurden ziemlich durchgeschüttelt, ehe die Kutsche dann in einem halsbrecherischen Tempo über das Pflaster jagte.

"Ich hatte angenommen, der Kerl wäre in die Richtung unterwegs, aus der wir gekommen sind!", meinte Harold.

"Ja", murmelte Rebecca. "Es ist beinahe so, als ob..."

Harold sah sie an.

"Als ob was?"

"Als ob er gewusst hätte, dass wir hier auftauchen würden und uns dann abgeholt hat!"

Harold atmete tief durch. Der Kutscher ließ das Gefährt derart schnell über das holprige Steinpflaster jagen, dass einem schlecht werden konnte.

Der Privatdetektiv beugte sich vor, um etwas näher beim Kutscher zu sein.

"Fahren wir nach Swindon?", rief er.

Ein unverständliches Knurren kam zurück.

Harold versuchte es noch mal.

"Wohin fahren wir?"

Er bekam eine ähnliche Antwort.

Wie ein Tier!, dachte Rebecca schaudernd.

Harold sah sie an und zuckte mit den Schultern.

"Aus dem Kerl ist nichts herauszubekommen!"

"Harold, ich habe ein ungutes Gefühl dabei. Und schlecht ist mir auch!"

"Kein Wunder, bei dem Fahrstil."

"Lass ihn anhalten. Wir gehen besser zu Fuß!"

"Rebecca! Wir können uns unser Taxi her leider nicht aussuchen!"

Gerade hatten sie sich einigermaßen an das Geschaukel auf dem holprigen Pflaster gewöhnt, da lenkte der finstere Kutscher ziemlich scharf nach links. Rebecca klammerte sich mit beiden Händen fest, als der Wagen mit einem schrecklichen Ächzen der Räder seitwärts fuhr und die Straße verließ.

Von nun an ging es über schlammige Wege weiter.

Rebeccas Zweifel wurden immer größer.

Mein Gott, wo sind wir hier nur hingeraten!, ging es ihr schaudernd durch den Kopf, während kalte Angst sie zu erfassen begann. Dieses Gefühl breitete sich immer mehr in ihr aus und erfüllte sie schließlich ganz.

Dies muss ein Alptraum sein!, dachte sie verzweifelt und presste dabei die Lippen fest aufeinander, während der unheimliche Kutscher wieder die Peitsche knallen ließ und die riesenhaften Kaltblütler mit unverständlichen, dunkel und kehlig klingenden Zurufen anzufeuern versuchte...

8

Es wurde eine wahre Höllenfahrt, die zudem überhaupt kein Ende zu nehmen schien. Immer noch waren sie von dichtem Nebel umgeben und längst hatten sie jegliche Orientierung verloren.

Immer bizarrer wurde das wenige, das man von der Landschaft sehen konnte.

"Dies ist ein Moor!", sagte Rebecca irgendwann. "Ich bin mir sicher!"

Von grünen Moosen überwachsener Sumpf erstreckte sich zu beiden Seiten des schmalen Pfades, auf dem der düstere Kutscher mit traumwandlerischer Sicherheit sein Gefährt lenkte. Die Pferde schienen den Weg durch dieses unheimliche Land zu kennen.

Hier und da stiegen Gasblasen aus dem Sumpf hervor.

Abgestorbene Bäume waren hier und da am Wegesrand noch zu sehen und tauchten wie krakenähnliche Schatten aus dem Nebel auf.

Eine unwirtliche Gegend.

"Hör mal", flüsterte Rebecca plötzlich an Harold gewandt.

Sie lauschten angestrengt.

Klagende, geisterhafte Stimmen waren aus dem grauweißen Nichts zu hören.

"Was ist das?", fragte Harold ziemlich fassungslos.

Immer lauter wurden diese Stimmen.

Ein schauriger Chor aus vielen Einzelstimmen. Männer, Frauen, hohe Stimmen und tiefe. Nur Wortfetzen waren verständlich. Bruchstücke, die keinen Sinn ergaben. Aber unüberhörbar war die Verzweiflung, die aus all diesen Stimmen sprach.

Schaurig klangen ihre Klagen über das Moor.

Ein eigenartiger Sprechgesang, der einem geradezu das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.

"Furchtbar", murmelte Rebecca.

Harold wandte sich an den Kutscher, obwohl das eigentlich nicht viel Sinn hatte.

"Was ist da los? Was sind das für Stimmen?", rief er. "Nun reden Sie schon, verdammt noch mal!"

Er fasste den Kutscher bei der Schulter.

Doch zur Antwort erhielt er nichts weiter, als ein höhnisches Lachen, gefolgt von einem dumpfen Knurren.

Harold ließ ihn los und atmete tief durch.

"Vielleicht kann er nicht sprechen", meinte Rebecca.

"Ja, den Eindruck habe ich inzwischen auch beinahe."

Und dann durchdrang das Krächzen eines Raben den unheimlichen Chor aus dem Nebel.

Rebecca zuckte zusammen.

"Ich hoffe nur, dass diese Fahrt bald zu Ende ist", flüsterte sie.

Sie wusste nicht, dass dies erst der Anfang war.

Der Beginn des puren Schreckens...

9

Einem monströsen Ungeheuer gleich schälten sich die braunen Mauern eines gewaltig wirkenden Schlosses aus den wabernden Nebelschwaden heraus. Die hohen Mauern wirkten abweisend. Das Schloss war ein verwinkeltes, mit Zinnen bewehrtes Bauwerk, das von der Aura des Todes und des Verfalls umgeben zu sein schien.

Die Vegetation schien diesen Ort zu meiden. Nichts als tote Baumruinen und abgestorbene, verdorrte Sträucher waren zu sehen, die von einer seltsamen, hellen Schicht überzogen waren.

Neben dem Schloss befand sich ein See mit spiegelglattem, dunklem Wasser, über das der Nebel in dicken Schwaden hinwegkroch.

Ein fauliger, modriger Geruch drang von dort herüber.

Der Kutscher ließ sein Gefährt wie ein Wahnsinniger auf das große Tor zujagen und bremste erst im letzten Moment. Harold und Rebecca mussten sich gut festhalten, um nicht vom Wagen geschleudert zu werden.

Der Kutscher schrie etwas Unverständliches hinauf zu den Zinnen.

"Wir scheinen unser Ziel erreicht zu haben", meinte Harold düster.

Rebecca war ganz gefangen von der düsteren Aura dieses Gebäudes.

"Ein seltsamer Ort", murmelte sie.

Aus der Ferne glaubte sie noch immer einige jener klagenden Stimmen aus dem Moor zu hören.

Schauderhaft klang der Ruf dieses gespenstischen Chors aus dem grauen Nebel heraus...

Erneut rief der Kutscher auf seine grobe Art, diesmal deutlich wütender, als beim ersten Mal.

Wie von Geisterhand bewegt, öffnete sich daraufhin das massive Holztor mit den gusseisernen Beschlägen.

Die Peitsche knallte.

Die riesenhaften Kaltblutpferde setzten sich in Bewegung und zogen die Kutsche in den engen Innenhof des Schlosses.

Vor dem Hauptgebäude hielt er an, drehte sich herum und knurrte uns etwas zu.

"Offenbar will er, dass wir hier aussteigen", meinte Harold und leistete dem Folge. Er reichte Rebecca die Hand und half ihr dabei, vom Wagen hinunterzusteigen.

Kaum hatten Rebeccas Füße den Boden berührt, ließ der Kutscher die Pferde vorwärts preschen und jagte sie zur anderen Seite des Innenhofs, wo sich offenbar die Stallungen befanden.

Harold sah ihm nach.

"Ein merkwürdiger Kerl!"

"Ich frage mich, wo wir hier sind", meinte Rebecca, während ihr Blick die hoch aufragende Fassade des Haupthauses hinaufglitt. Licht brannte in einigen Räumen. Und Stimmen drangen an ihr Ohr...

"Zum Glück ist unser Chauffeur nicht der einzige Bewohner hier", stellte sie dann mit Erleichterung fest.

Ein Geräusch ließ sie unwillkürlich herumwirbeln. Einen Augenblick lang glaubte sie, etwas Schwarzes durch die Luft fliegen zu sehen.

Einen Raben vielleicht...

10

Der Kutscher kehrte nicht zurück.

Stattdessen kümmerte er sich um sein Gefährt und spannte die Pferde aus. Allem Anschein nach würde er mit den Tieren noch einige Zeit zu tun haben.

"Wir verschwinden hier so schnell wie möglich", versprach Harold und wandte sich der massiven Holztür zu. Grimmige Löwenköpfe aus Messing blickten uns entgegen.

"Ich frage mich, wer es fertigbringt, in diesem schauderhaften Gemäuer zu leben", meinte Rebecca. "Ich glaube, ich würde wahnsinnig werden..." Sie trat einen Schritt nach vorne und klopfte mit einem schweren Metallring gegen die Tür.

Dumpf hallte der Schlag wider.

Einige Augenblicke lang geschah gar nichts. Dann waren auf der anderen Seite der Tür Schritte zu hören. Mit einem ächzenden Geräusch öffnete sie sich.

Ein hagerer Mann mit einem faltenreichen, hohlwangigen Gesicht öffnete ihnen.

Seine Augenlider hingen etwas herunter und so vermittelte er den Eindruck großer Müdigkeit. Er trug einen dunklen, sehr altmodischen Anzug, dazu eine Weste mit hellen Längsstreifen. Sein Hemd hatte einen Stehkragen, wie man ihn nur noch zu Hochzeitsanzügen oder zum Frack trug.

Er sah aus wie ein Butler aus viktorianischer Zeit.

"Guten Abend", sagte er höflich, aber etwas schleppend.

"Guten Abend", sagte Harold. "Könnten wir hier vielleicht telefonieren? Unser Wagen ist stehengeblieben und Ihr Kutscher war so freundlich..."

"Ihre Mäntel bitte!", sagte der Butler, nachdem sie eingetreten waren und unterbrach damit Harolds Redefluss abrupt.

Harold blickte etwas überrascht drein, zog dann aber seinem Mantel aus und gab ihn dem Butler. Anschließend half er Rebecca aus ihrer Jacke.

"Wenn Sie mir jetzt bitte folgen würden."

"Wohin?", fragte Rebecca. "Wo sind wir hier überhaupt?"

"Folgen Sie mir!", kam es von dem Butler undeutlich zurück und damit hatte er sich auch schon herumgedreht. Er ging voran. Ein Hausmädchen mit großen Augen und rundem Gesicht lief uns über den Weg und starrte die Gäste an, als wären sie exotische Tiere in einem Zoo.

"Emily!", sagte der Butler so scharf, dass das Mädchen zusammenfuhr.

Er übergab ihr die Mäntel.

Dann musterte er Rebecca und Harold kurz und nickte leicht.

"Ich hoffe, es ist Ihnen warm genug auf Grimsbury Castle!", sagte er dann.

"Grimsbury Castle?", echote Rebecca.

Diesen Namen hatten sie noch nie gehört. Auf der Landkarte war nichts dergleichen verzeichnet gewesen.

Der Butler fuhr indessen fort: "Eigens für Sie haben wir das Feuer angemacht!"

"Wie bitte?" Rebecca glaubte sich verhört zu haben. Was sollte das heißen? "Eigens für uns? Sie können doch nicht gewusst haben, dass..."

Der Butler kümmerte sich nicht weiter um das, was Rebecca sagte. Er ging voran und führte die Gäste durch einen langgezogenen Flur, dann eine breite Treppe hinauf.

An den Wänden hingen eigenartige Gemälde.

Portraits zumeist.

Der Besitzer dieses Schlosses schien seine Ahnengalerie hier versammelt zu haben.

Keines dieser Gesichter wirkte heiter oder freundlich. Die Münder waren fest aufeinandergepresst oder beinahe zu fratzenhaftem Grinsen verzogen. Die Augen leuchteten teuflisch und schienen den Betrachter direkt anzublicken.

Bei einem der Portraits blieb Rebecca unwillkürlich stehen.

"Was ist?", fragte Harold.

"Sieh nur!"

"Mir fällt nichts auf..."

"Diese Frau dort, Harold..."

"Rebecca!"

"Das Amulett, das sie um den Hals trägt!"

Rebecca ging einen Schritt näher. Der Maler hatte eine Technik benutzt, mit der er auch außerordentlich feine Konturen und Details darzustellen wusste.

Das Amulett der Frau in den mittleren Jahren, die auf dem Gemälde abgebildet war besaß die Form einer großen Träne und schien aus einem goldgelben, schlierendurchsetzten Material zu sein. Ein Stoff, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Bernstein hatte.

Es war zweifellos jenes Amulett, das Maradina Tabras getragen hatte und in dem nun ein Teil von Jeffrey Reeds Seele gefangen war.

Rebeccas Herz schlug wie wild.

Eine Spur von Maradina, ausgerechnet hier in diesem seltsamen Schloss....

Sie sah der Frau auf dem Bild in die Augen, die sie geradezu anzufunkeln schienen.

Der Maler muss ein Meister seines Fachs gewesen sein!, ging es ihr durch den Kopf, während ihr Blick das Gesicht auf dem Bild studierte. Rebecca hatte Maradina in der Gestalt einer alten Frau gesehen, wusste aber, dass sie auch jede andere Gestalt annehmen konnte.

Ja, das könnte sie sein!, dachte sie. In ihrer wahren Gestalt und in jüngeren Jahren...

"Nun kommen sie schon!", forderte der Butler etwas ungeduldig und machte eine einladende Geste mit der Hand.

Harold und Rebecca sahen zu ihm hinauf.

Der Butler stand auf dem Treppenabsatz und sah sie mit gerunzelter Stirn und zu einer Schlangenlinie zusammengezogenen Augenbrauen an.

Dann sagte er: "Sir Damon erwartet Sie!"

11

Sie wurden in einen weitläufigen Salon geführt, in dem sich Dutzende von festlich gekleideten Herrschaften befanden. Die Herren trugen dunkle Anzüge mit Stehkrägen ähnlich dem, den der Butler getragen hatte. Manche auch einen Frack oder Cut. Die Frauen zeichneten sich durch lange, fließende Kleider aus, die oft mit Spitze besetzt waren. In den Dekolletés und an den Armen glitzerten Perlen, Edelsteine und Gold. Bedienstete eilten mit Tabletts umher und reichten Gläser mit sprudelndem Champagner.

Als der Butler Harold und Rebecca in diesen Raum führte, verstummten augenblicklich die ohnehin eher in zurückhaltender Lautstärke geführten Gespräche vollends.

Dutzende von Blicken waren auf die Neuankömmlinge gerichtet und musterten sie aufmerksam. Hier und da wurde etwas getuschelt.

"Sir Damon", wandte sich der Butler an einen dunkelhaarigen jungen Mann mit feingeschnittenen, sehr deutlich konturierten Zügen. Der Blick seiner dunklen Augen hatte etwas Melancholisches - ein Zug, der einen gewissen Widerspruch zu den harten, kühl wirkenden Linien um seinen Mund herum darstellte.

Rebecca erinnerte dieses Gesicht ein wenig an den jungen Alain Delon.

Seine Stimme klang ruhig und überlegt.

Es war die Stimme eines Mannes, der gar nicht auf den Gedanken kam, dass ihm jemand widersprechen könne.

"Was gibt es, Patrick?", fragte er an den Butler gewandt.

Dieser deutete auf Rebecca und Harold.

"Wir haben Gäste", sagte er.

"Ah, ja..."

Er gab sein Glas einem der Bediensteten und kam dann gemessenen Schrittes auf Rebecca und Harold zu. Ein Lächeln spielte um seinen dünnlippigen Mund. Er nahm Rebeccas Hand und vollführte einen formvollendeten Handkuss.

"Seien Sie willkommen auf Grimsbury Castle, Miss..."

"Parry. Rebecca Parry."

"Ich bin Sir Damon Grimsbury und es freut mich überaus, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Parry!"

"Die Freude ist ganz meinerseits", erwiderte Rebecca, während der geradezu hypnotische Blick des jungen Lords ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sie sah ihn an und musste unwillkürlich schlucken. Ein eigenartiges Gefühl machte sich in ihr breit. Diesen Mann umgab eine ganz besondere Aura. Er übte eine geradezu unheimliche Faszination auf sie aus, die sich aber unterschwellig mit etwas anderem mischte. Etwas Düsterem, von dem sie nicht so recht sagen konnte, was es eigentlich war.

Sir Damon hielt Rebeccas Hand etwas länger, als eigentlich notwendig gewesen wäre.

Dann lächelte er.

Und in seinen Augen blitzte es.

"Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl auf Grimsbury Castle."

"Sicher!" Rebecca deutete auf ihren Begleiter und stellte ihn vor. "Dies ist mein Kollege Harold O’Donnell!"

Sir Damon begrüßte auch ihn.

Harold war das Befremden deutlich anzusehen, dass er empfand. Diese ganze Szenerie wirkte so irreal, wie der Weg, den sie bisher hinter sich gebracht hatten.

"Sir Damon, wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn wir kurz telefonieren könnten, um..."

"Telefonieren?", unterbrach Sir Damon ihn und zog dabei die linke Augenbraue etwas empor, so dass sein Gesicht einen halb fragenden halb skeptischen Ausdruck bekam.

"Ja. Sie haben doch sicher ein Telefon hier!"

"Da muss ich Sie leider enttäuschen. So etwas gibt es auf Grimsbury Castle nicht. Vielleicht werde ich diese Mode irgendwann einführen, aber zur Zeit sehe ich keinen Anlass dazu. Goreham, unser Kutscher überbringt Briefe sehr zuverlässig und schnell genug für meine Bedürfnisse..." Sein Lächeln wurde breit. Die dünnen, aufeinandergepressten Lippen bildeten dabei einen Strich. "Im Übrigen hoffe ich, dass Goreham sie bei der Fahrt hier her nicht allzu sehr durchgeschüttelt hat!"

"Es ging", sagte Rebecca.

"Nun, sein Fahrstil ist etwas - wie soll ich sagen? - rustikal, um es vorsichtig auszudrücken."

"Allerdings", brummte Harold.

Harold berichtete von dem Wagen, der defekt am Straßenrand liege und dass es unbedingt notwendig sei, eine Werkstatt zu finden...

Sir Damon schien das nur am Rande zu interessieren. Er winkte einen der Bediensteten herbei.

"Bitte nehmen Sie sich ein Glas!", forderte er Rebecca und Harold dann auf. "Nach dem Schrecken, der hinter Ihnen liegt, werden Sie einen Drink sicher nicht ausschlagen...."

Zögernd nahm Rebecca eines der Champagnergläser, die auf dem runden Tablett gereicht wurden.

Auch Harold griff zu.

Aber auf seiner Stirn hatten sich dicke Furchen gebildet. Er sah Rebecca an und sein Blick schien zu sagen: In was für eine seltsame Gesellschaft sind wir hier eigentlich geraten?

Rebecca empfand das ganz ähnlich.

Aber sie war auf der anderen Seite auch fasziniert von dem, was sie umgab.