Wir Menschen sind nicht dafür gemacht, allzu tief in das Medusa-Antlitz der Geschichte zu schauen: in diesen Zorn, den Tod und unendliches Leiden. Das ist keine Drückebergerei. Im Gegenteil. Unsere Abneigung, uns versteinern zu lassen, ent­springt genau dem, was das Leben erträglich macht: dem, was uns der Glaube sagt, un­­sere poetische und utopische Fantasie, unsere mo­ra­lischen Ideale, unsere metaphysische Einbildungs­kraft, un­ser Geschichten­erzählen, die künstle­ri­sche Verwandlung der Wirklichkeit, unsere Leidenschaft für Spiele und unsere Freude an ­der Natur.

Robert Pogue Harrison, Gardens,

An Essay on Human Condition

Leinen los

Vergehen Monate, bis die Gärten an Bord gebracht sind. Im Licht des Mondes und bei Sonnenschein werden blühende Sträucher in großen Vasen und Kübeln die Gangway hinaufgeschleppt. Kleine dickliche Männer ziehen und schieben, fluchen. Erde grad lastwagenweise gebunkert, Ladekräne drehen über Ladeluken. Land auf See, Humus in die Bilgen, oho, nichts weniger. Zieht straff die Taue, pullt, pullt, legt euch aufs Gebiss, ihr faulen Schweine, Pfeffersäcke.

Bäume eingegraben, gewässert und vertäut, Seile wie Spinnweb in den Spanten. Einer, der im seidenbuntschillernden Schlafrock, der grelle Typ mit dem Turban, Semilasso der Morgenländer, unter dem Brokat ein Preuße, der im Winter mit dem Schlitten über den Kurfürstendamm fährt, acht Hirsche vorgespannt … Semilasso überwacht das Einpflanzen, scheint darin geübt, wenn die Bäume mit ihren riesigen Wurzelballen langsam in die Ladeluken sinken.

«beim versetzen ist nur darauf zu sehen, dass der boden, wohin der baum kommen soll, der eigenthümlichkeit desselben gemäß, auf das sorgfältigste präparirt werde, und wo möglich besser sey, als der wo er vorher gestanden, und ferner, dass dem baum, den man im frühjahr oder herbst verpflanzt, so viel als nur möglich alle aeste und alle wurzeln gelassen werden, zu welchem verfahren allerdings mehrere technische kunstgriffe und mittel nöthig sind, die ich hier nicht detailiren kann.»

Polnische Arbeiter, gutmütige Malocher, schaufeln Erde über die Wurzeln; Chopinkaskaden von einem Steinway weit oben.

Großer Mann mit dünnen Säbelbeinen, Voyeur, schaut von oben herunter. Neben sich, sind sie unzertrennlich?, nimmt er es in seine Kabine?, ein tomatenrotes Rennrad.

Kräne und Laufkatzen ununterbrochen in Bewegung. Mählich löst sich die strahlend weiße Schiffssilhouette auf, verfranst, wie unscharf. Das schöne Schiff bald nur noch ein tief liegender und bewaldeter Kahn. Leider, leider.

Reling verschwindet unter hängenden Lianen, die sich mit Farnen und Orchideen verweben. Blattwerk wie Tibetteppich, Maschen tausendabertausendweit. Auf dem Oberdeck über der Brücke fingern drei Zypressen und werden wieder entfernt: Es ist nicht Weihnachten. Aus den drei Kaminen Rauch wie aus Waldlichtung.

Endlich erzittert das Schiff unter einem lang dröhnenden dumpfen Stoß.

Endlich das Tuut.

Niemand steht am Kai, als der Dampfer ablegt. Kein Bein, kein Schwein, kein Hans, kein Schwanz, als es sich zunächst nur Zentimeter um Zentimeter von der Hafenmauer löst, am Heck zuerst Wasser gewinnt, Wasser wirbelt, Hafenbrühe kocht, der Rumpf sich langsam dreht und dann der Dampfer sich hinter der äußeren Mole vorbeischiebt, die ihm den unteren Teil wegschneidet und nur Wipfel und Baumkronen stehen lässt, die nun über die Mole fahren. Hinter dem Schiff wird der Hafen geschlossen, aufgeräumt und abgebaut; verstaut.

Nimmt der Dampfer Fahrt auf? Wie heißt das Riesenschiff eigentlich?

Himmelherrgott. Heißt doch: Medusa.

Die «Medusa» nimmt Fahrt auf.

Als sie dunklen Rauch hinter sich herzieht, hinter dem Leucht­turm in zwei Hälften zerlegt wird … die sich, kaum hat sie ihn passiert, wieder zu einem Dampfer fügen, «Medusa», sie läuft so entschlossen aus, als wollte sie nie, als wolle sie nie zurückkehren.

Von dem Schiff herunter winkt keiner, niemand, nessuno, il n’y a personne. Schwenkt keiner ein Tuch, oder ein Tüchlein bloß, wenigschtens e Poschettli, naai, so eppis, keiner wirft den Hut in die Luft oder die Mütze. Der mit dem Bart schon am Tresen, Ninfa Bar. Einen Whisky vor sich, die Wunderdroge, gibt zugleich Gegenwart und Vergessen. Illusionen von beiden.

Ein Kind steht mit Windrädchen, ein Kindmädchen, unbeweglich, sieht zurück, nach Fernen, dahin, wo keiner sich mehr danach umdreht. Stecken in der Hand, steht Hinterkant.

Lindmädchen mit Windrädchen, schwirrt wirbelnd im Wind, girrt und sirrt, das Kindrädchen, am Wind.

Schiff aus Wörtern

Stimmen, Stimmen durcheinander, Gespräch, Fetzen. Schweigen auch. Der Mann im Khaki am Tresen der Ninfa Bar. Wortlos stellt der Waiter ein Glas vor ihn hin, Whisky. Dann wischt er weiter Gläser trocken, mit dem weißen Tuch. Der Mann an der Bar schweigt hörbar unter dem Bart.

Die Frau steht am Bug. Promenadendeck. Der Wind nimmt ihr den großen Hut vom Kopf. Fliegt wirbelnd nach Achterdeck und verschwindet, die Frau dreht sich nicht einmal um.

Männliches Röhren, Testosteron-Stimmen im Bauch des Schiffs, die Heizer.

Ein schmaler Mann im Turnerleibchen steht schweigend. Durch die Bäume schaut er auf die See, die da ganz schnell – und dort draußen unendlich langsam vorbeizieht. Was der eins staunen kann!

Es kommen, es gehen Schiffe. Wohl ist «Schiff» gleichbedeutend mit «Ausfahrt» … aber ebenso sehr mit «Hafen». Ein Schiff fährt aus … um anzukommen. N’est-ce pas?

Reden und Schweigen bleiben an Bord, niemand hört, und niemand hört nicht. Ja wie denn, wer kann denn Schweigen hören? Um das Schiff ist nichts, das Schiff ist …

Niemand würde sich umdrehen, wenn es untergeht.

Ist jemand da, hohohoo –

Wo ist eigentlich der Kapitän? He, hat jemand den Kapitän gesehen? Auf der Brücke sieht man keinen. Kein Bein da! N’importe, sagt der Großvater zu einem Kind, er hält es an der Hand: So wie wir steil schräg nach oben linsen müssen, kann man nicht in den Kommandoraum blicken.

(Ruft) Il n’y a personne?

Kind deutet nach oben, sagt begeistert: Wolke!

Musikfetzen; Rumba-Rumba, die verwehen mit der dunklen Schleppe, die das Schiff hinter sich herzieht, dort, im ungewissen Himmel. Lösen sich auf.

«Fröööinde … das Leben ist lebenswert!» Deep Throat Octavio F. Wunderlich. Er lugt aus einem der drei Schornsteine –

Zwei Flöten, ein Piccolo, zwei Oboen, ein Englischhorn, zwei Klarinetten, eine Bassklarinette, zwei Fagotte, vier Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen, eine Basstuba, eine Harfe, eine Celesta, Pauken und beliebig Streicher – Frööinde, wer hat die an Bord gebracht?

Wer fragt das –

Wer ist da?

Meeresstille und ruhige Fahrt. Ein Mann im Deckchair, allein oder: für sich. Man sieht, wie er döst. Döst und sinnt, «sinnt».

Bringt ein Waiter ein Getränk?

No. No ice, please.

Und jetzt verschwinden Sie. Denkt er. Denkt er gar nicht. Denkt gar nicht er.

Doch, da: der Schatten eines Schiffsoffiziers hinter den Scheiben des Steuerhauses.

Wolkenzug. Das Schiff fährt quer dazu. Wenn die Ruhe am tiefsten ist, kommt Unruhe auf.

Der Mann nimmt Blätter hervor, einen Bleistift. Fragebogen:

«Wer oder was hätten Sie gern sein mögen?»

«Musiker. Ein Musiker durch und durch, eingegraben in ein großes Orchester, nicht sichtbar, hörbar im großen, schwebenden Klang. Teil der Welt.»

«Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten?»

«Intelligenz. Wissen. Verschwiegenheit. Dass sie mich mögen.»

Der Mann nimmt einen Schluck. Es ist ein Whisky.

«Ihr größter Fehler?»

«Plural mit A-: Alkohol. Aggression. Arroganz.»

«Ihr Traum vom Glück?»

«Ein einziges Mal Jetzt sagen zu können.»

Das ging aber lange, sagt die Fistelstimme Marcel Prousts vom Hinterdeck her. Es ist aber nur ein Matrose, der vor sich hin schimpft.

«Goethes Augenblick.» Wartet. Streicht «Goethes Augenblick».

«Was wäre für Sie das größte Unglück?»

Legt die Blätter auf den Beistelltisch, nimmt einen Schluck. Lehnt zurück, zieht die karierte Decke über die Beine. Seufzt.

Wolkenzug. Wolken wie Inseln, langgezogene, vor der jugoslawischen Küste, Inseln wie Wolken; Wolken wie Inseln, Schären, Schärengarten, Inselgarten, Garteninseln, skærgård.

«Was wäre für Sie das größte Unglück?»

«Blind, stumm, taub. Vor allem: blind und taub.»

«Ihre Lieblingsnamen?»

«Ella. Helen.»

Ein Windstoß nimmt die Blätter weg.

Kein Windstoß nimmt Blätter weg.

«Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?»

«Schönheit. Schönheit. Schönheit.»

Man hört den Matrosen schimpfen, der auf dem Hinterdeck versucht, ein Tau zu entwirren. Na, wird’s wohl.

«Ihr Motto?»

«Ihr könnt mich mal! Alle Konjugationen davon: Leckt mich. Foutez le camps. Va fan culo. Verpisst euch. Allez chier. Crepi. Fuck you off …»

(Gott, aus einer Wolke): Bleibet niemand etwas schuldig, nur die Liebe schuldet ihr einander, immer.

Hoch am Himmel ein Flugzeug. Das Wort Transatlantik zieht mit ihm vorbei. Durch den verglasten Bauch des Flugzeugs sieht man 288 Arschlöcher zwischen 576 Arschbacken, in Neunerreihen nebeneinander; alle in der gleichen Richtung unterwegs.

«Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?»

«Wechselnd bewölkt, mit Aufhellungen.»

Kein Windstoß nimmt seine Blätter weg.

Ein Windstoß nimmt seine Blätter weg. Flattern die äußere Gangway backbord entlang, übers Hinterdeck, über die weißschäumende Wasserstraße hinter dem Heck.

Der Mann im Deck Chair döst.

«Ihr Hauptcharakterzug?»

«Schweifend abschweifend. Erinnern Sie sich, Proust? Januar 1597. In Genua geht Caesare Giustiniano an Bord einer Galeere der Republik. Nach einer Zwischenlandung an der Küste von Pomègues, einer kleinen Insel vor Marseille, durchquert er den Golf du Lion, wo er auf der Höhe des Cap Creus vom Mistral überrascht wird. Statt in Spanien zu landen, wo er seine Republik als Botschafter bei Philipp ii. vertreten soll, treibt der Sturm ihn geradewegs nach Süden. Als schließlich Land in Sicht kommt, befindet er sich in einer kleinen Bucht der nordafrikanischen Küste zwischen Djijelli und Collo; dort bleibt er sechs Tage, ohne dass er oder seine Galeere Schaden erlitten hätten. Doch es erweist sich auch anschließend als unmöglich, das Schiff nach Norden zu steuern; in höchster Not muss er die genuesische Insel Tabarka anlaufen. Die Galeere ist nicht mehr zu gebrauchen, und so kehrt Caesare Giustiniano auf einem Handelsschiff über Sardinien nach Spanien zurück.»

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind.

O, les beaux jours.

La mer, au ciel d’été … on va danser … des reflets changeant sous la pluie …

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Medusa

Was aber ist ein Schiff? Alle rätseln ein bisschen herum in der Ninfa Bar. Draußen grau. Der Ozean in einem Ton mit dem Himmel; Wolken und Wellen. Unendlichkeit und eine kleine Bar.

Drinks und Gequassel.

Eine ältere Dame mit Hut, nein, nicht die schöne, schlanke, junge, macht sich wichtig. Sie ist es gewohnt, geläufige Begriffe mit vorgeschriebenen Buchstaben zu suchen; Kreuzworträtsel. Nippt an einem Gin Tonic.

Sieht irgendwie aus wie Miss Marple. Ja, könnte Agota Kristof sein. Ist aber nicht.

Schiff, sagt sie, Skip in Skandinavien, Ship englisch. Dazu Bateau, Vaisseau, Nave. Dort auch Pott, Schaluppe, Kahn, Seelenverkäufer. Und so weiter. Zum Schiff gehört das Kompositum Schiffbruch, Naufragio.

Wrack. Gestrandetes Schiff mit fünf Buchstaben. Wäre auch interessant, zu wissen, woher Wrack kommt.

Ja, ja.

Ihr kommt so viel in den Sinn, weil sie nichts im Kopf hat. Sieht alles senkrecht-waagrecht.

Aber woher das: Schiff, Ship. Bedeutung, Himmelarsch, die Be­deutung.

Schweigt die Ninfa Bar. Stieren alle nur in ihren Drink.

Was heißt es, was bedeutet es?

Einige sagen, es kommt von Einbaum, das heißt von dem alten Wort für Aushöhlen, genauer gesagt sk’ibiit, hauen, schneiden. Hohles Gefäß, das wäre die Bedeutung. Tiefe germanische Vergangenheit.

Ja, ja. Vergleiche Schiffen: zum Beispiel in einen Topf brunzen.

«West- und Süddeutschland, Schweiz Schiff auch als Wassergefäß im Ofen; Gefäß ohne Füße, das in die Gluten gestellt wurde.»

Schiffchen beim Weben.

Anderes Wort für Küstenschiff, mit vierzehn Buchstaben?

strandfaraskip.

Für Althochdeutsch scif ist die Bedeutung vas bezeugt, Vase, Vaisseau.

Interessant ist der Weg von scif ins Italienische, als schifo, und ins Altfranzösische bei esquif, Boot, von da zu esquiper, ein Schiff ausrüsten. Wieder zurückentlehnt zu Deutsch equipieren, wo das Französische durchscheint, aber das ursprünglich Deutsche abgetaucht ist.

Toll. Haben Sie noch Laphroaig Ten Years Old? Den Ballan­tines können Sie von mir aus wegschütten.

Nussschalen, sagt einer; lümmelt im Leder unter einem Foto, das ein Nashorn in einem Nachen zeigt, mit einem Ruderer, absurd; hat den dritten Nocino vor sich.

Nussschale, was für ein freundliches Wort! Die Welt hat in ei­ner Nussschale Platz! Herzig. Die Frau mit dem Kreuzworträtsel.

Vorsicht mit freundlichen Wörtern, Heilandsack. Habt ihr denn die Bilder nicht gesehen, he? Die Berichte?

Meldung bei Redaktionsschluss. Nachdem sie 24 Stunden auf ihrem havarierten Gummiboot im offenen Ozean getrieben waren, haben sie sich der Kälte und dem Hunger ergeben. Achtzehn Migranten, Flüchtlinge, die der libyschen Küste immer noch nä­­her waren als der Insel Lampedusa. Das sos, das das in Seenot befindliche Schiff gesendet hatte, war von zwei Booten der Küstenwache und einem luxemburgischen Dampfer empfangen worden. Sechzehn leblose Körper fanden sie an Bord des Gummibootes. Zwei der Emigranten verstarben kurz darauf. In Porto Empedocle wurden die Körper von vierzehn Männern, drei Frauen und einem Kind von vier Jahren in den Kühlschränken einer ehemaligen Fischfabrik gelagert. 76 Überlebende aus dem havarierten Schiff wurden von der Marine in Unterkünfte verbracht, während am selben Tag zwei weitere Gummiboote mit hundertzwei beziehungsweise hundert Personen an Bord vor Lampedusa aufgebracht wurden.

Skipbrot, Schiffbruch; skipsvrak.

Pötte, Flöße; Gummiboote, elende Schlappen; Seelenverkäufer.

Medusa. –

Pequod.

Narcissus. –

Gustloff.

Titanic. –

Ja, ja.

Floß der Medusa.

Ambivalent, das Ding. Bedeutet Untergang und Tod. Auf grausamste Art. Bedeutet aber auch: Hoffnung.

Zweideutig wie das Gesicht der Medusa. Sagt Marple, die Kreuzwurzel. Das eine Schrecken verbreitend, das weiß man. Das andere, dahinter: Es lächelt. Und das Lächeln der Schönheit, meine Lieben, das war die ursprüngliche Medusa.

Eine der drei Gorgonenschwestern, sie hießen Stheno, Euryale und Medusa und waren die Kinder der chthonischen Meeresgottheiten Phorkys und Keto, die übrigens Geschwister waren. Ursprünglich soll Medusa eine betörende Schönheit gewesen sein. Als aber Athene den Poseidon beim Liebesspiel mit ihr entdeckte, verwandelte sie die Medusa in ein Ungeheuer.

Natürlich hört wieder mal keiner zu.

Miss Marple liest im Heftchen. Hört mal, sagt sie dann: Hier, Dakis Joannou, 1939 geboren, griechischer Multimillionär, interkontinentaler Bauunternehmer und Kunstsammler. Hat eine Stiftung für seine Sammlung gegründet und stellt sie in dem öffentlichen Museum aus, in dem er im Kuratorium sitzt. Schippert auf demselben Wasser wie die Elenden, die aus Nordafrika kommen, nur ein paar hundert Kilometer weiter östlich und ein bisschen komfortabler.

Vier eigene Jachten hat er. Die letzte hat er sich von der Italienerin Ivana Porfiro bauen lassen, und Jeff Koons hat sie als schwimmendes Kunstwerk gestaltet. Op-Art über den ganzen Schiffskörper. Sieht wahnsinnig aus. Der Künstler sitzt mit dem Sammler problemlos im gleichen Boot. «Diese Kunst verhält sich, ökonomisch gesprochen, wie eine Art von Geld», schreiben die hier.

Joannou benutzt das Schiff für kleine Wochenendausflüge. Er habe vier Kinder und elf Enkel, sie liebten die Törns mit dem Boot, sagt er. Das Schiff heißt «Guilty», Joannou findet das eine gelungene Provokation, «Schuldig».

Miss Marple schaut auf. Von einem Kinderhilfswerk zum Beispiel steht hier nichts, sagt sie. Oder einem anderen Sozialwerk. Oder von Flüchtlingshilfe.

Keiner hört zu.

Niemals hätte ich mir die Pracht dieses Schlosses vorstellen können, das nun die Meere überqueren würde. Sagt ein Junge bei Ondaatje angesichts des Dampfers Oronsay; es ist nicht untergegangen, dieses Schiff.

Einen hälts nicht mehr:

Sackzement, zum Schiff gehört doch das Untergehen wie zum Flugzeug der Absturz. Zum Essen die Verdauung. Ein solches Gefäß ist menschengemacht. Dass es schwimmt, erlaubt die Physik, aber die Natur liebt es nicht. Homer lesen, Heilandsack. Sie duldet es bloß, und immer nur auf Zusehen.

Der Meeresgrund war immer schon der beliebteste Bestimmungshafen, ha ha.

Verhaltenes Gelächter. Die Frau, die aussieht wie Miss Marple, schüttelt bloß den Kopf.

Einer brüllt:

Idiot! Sie verstehen nichts, gar nichts. Das sind nicht Passagiere wie wir. Die gehen nicht freiwillig auf ein Schiff, wenn das Dreckding denn diesen Namen verdient.

Und wenn sie überhaupt ankommen, müssen sie weiterziehen. Der junge Khaled Idriss Bahray war so einer. Er kam, sagt man, aus Eritrea. Nach Libyen. Von dort auf einem dieser Seelenverkäufer nach Italien. Bis nach Dresden kam er. Dort wurde er im Hinterhof einer Plattenbausiedlung erstochen. Er ist zwanzig Jahre alt geworden. Im Jahr zuvor war Khaleds älterer Bruder ertrunken, mit dem Boot gekentert, auf der Überfahrt nach Italien.

Wir fahren in einer Kabine, und wir haben die Sicherheit, dass die Kabine mit uns drin am andern Ufer ankommt.

Beim Ablegen winkt uns ein Angehöriger. Tränen, Taschentücher, Hüte in der Luft, und unser Schiff steuert einen Hafen an.

Oder auch nicht.

Niemand hats gehört. Nur der Waiter schaut auf, das Gläsertuch in der Hand.

Einer: In Dresden demonstrieren sie jetzt gegen die Völkerwanderung. Sie halten Schilder hoch, auf denen steht: «Bitte weiter flüchten!»

Ein anderer: Bald brauchens dort nach Lampedusa kein Schiff mehr. Sie können dann über die Toten gehen, den Damm, den sie aus ihresgleichen aufgeschüttet haben in der Meeresenge.

Wassersträhnen schräg über das Fenster zum Deck.

Nachts um halb drei

Nachts fährt sie ohne Positionslichter. Das Meer, auf dem sie fährt, weiß von keinem anderen Schiff.

Könnte so sein: Der Kapitän über Karten gebeugt, Zirkel in der Linken. Die Rechte streicht über Knicke im alten Papier. Das Papier, ist es Pergament?, atmet auf unter seiner Hand, knackt. Der alte Mann: die hellen, durchsichtigen, die pazifikblauen Augen, Schlittenhundaugen.

Er blickt hinunter auf die braunen Landkrusten und die ozeanblauen Wasserlachen. Krakelige Schrift. «Mare ignotum. Terra incognita.»

Spanten knacken.

Schwarz unter dem Schiff das Wasser. Rauschen wie von Samt.

Lautlos der Rauch aus den Schloten. Verliert sich übers Heck.

Das Mahlen der Maschinen, leises Zittern im Stahl.

Und einmal die Stimme eines Matrosen, gedämpft, von irgend weiter oben, an eine Reling gelehnt.

Luftzug.

Im Verschwinden verschwundene Wörter, Liebesbeteuerungen. Nur noch Welt-Untergänge. Auslöschungen. Nachts, um halb drei, drei.

Das Auge des blinden Passagiers

Und wie ist das Kerlchen an Bord gekommen? Windig sieht es aus.

Ein abgetragener Trenchcoat, der ihm zu weit ist. Das Kerlchen wird ihn von irgendeinem Kleiderständer in einer Kneipe oder
so haben mitlaufen lassen. Kerlchen gürtet ihn, indem es einen Knoten macht mit dem Gürtel, Mantel geht ihm bis unter die Knie.

Kinn, kleines Hahnengehänge, Nase kräftig und eindeutig. Buschige Brauen unter dem großen Hut, Filzhut, am Hinterkopf aufgesetzt.

Mann mit Profil; was treibt er da?

Huscht. Verschwindet, wo man hinschaut. Dann steht er hinter dir.

Möchte wohl unsichtbar sein.

Wo ist sein Ticket? Drückte sich wohl zusammen mit den Ratten von der Dockkante an Bord. Oder sprang von einer Schaluppe, einer Barkasse beim Ablegen aufs Schiff, fand noch ein letztes offenes Loch zum Reinschleichen.

Manche klettern über Taue, kommen per Ladekran, im Over­all als Mechaniker. Mit der Fracht. Die blinden Passagiere, frech unter die Passagiere gemischt. Wie ein Zitat im Text.

An Bord drückt Kerlchen sich nun in den Ecken herum; scheint in keiner Kabine zu Hause zu sein. Oder in allen.

Aber doch nicht in der von der Dame mit dem Hut?! (Du würdest ihm alles zutrauen).

Wohnt wo? Hat wo Kabine? Hat überhaupt Kabine?

Einer, der mit ihm gesprochen hat, irgendwo da, wo keine Passagiere hindürfen – der natürlich frech schon da –, einer von der Mannschaft sagt, das Kerlchen gebe damit an, das Schiff sei seins. Wird gleich noch behaupten, dass er den Dampfer erfunden hat.

Namenlos, das Kerlchen. Überall und nirgends. Aber immer wischt sein Trenchcoat vorbei.

Zahlmeister daher. Wo ist die Passagierliste?

Greift ihn euch!

Japanische Kapitäne sperren so einen eine Weile in den Kühlraum und werfen ihn dann tiefgefroren über Bord.

Platsch.

Das ist verbürgt.

Platsch –

How deep is the ocean –

How high is the sky?

Musik aus der Ninfa Bar. Hockt er da, allenfalls mit kubanischer Zigarre und einem geklopften Tequila? Den Hut auf?

Kerlchen hat sich unsichtbar gemacht. In den Taurollen brauchst du gar nicht erst nachsehen. Ist es im Rumpf, zwischen den Bäumen, im Unterholz, am unterirdischen Wasser, dem brandenburgischen Seenarm, auf dem der weiße Paddler fährt?

Eine grüne Schürze um, als Gärtner verkleidet? Unten im Bauch, wo die Saatbeete sind?

Wie gesagt: ungreifbar. Im Moment. Aber den kriegen wir noch. Oder auch nicht.

E la nave va.

Ein bisschen unheimlich, das schon. So’n blinder Passagier. Aber alles andere als blind, ho ho. Eher: Nur Auge. Überhaupt nur Auge. Man weiß nie, ob es einem nicht über die Schulter schaut, dieses Auge. Alles registriert.

Umso anwesender das Kerlchen dadurch, dass man es nicht sieht.

Verstekeling. Fliegender Holländer –

Dann wieder ganz frech auf dem Vorderschiff zu sehen, mit dem Rücken an die Reling gelehnt, den Trenchcoatkragen hochgeschlagen, Hut auf, Schal um den Hals, Sonnenbrille auf der Nase, Hände in den Manteltaschen. Posiert.

Moment mal: Fotograf etwa, der? Und trüge unter dem Trenchcoat die Leica?

Das Auge, das niemals schläft?

Das Notizbuch, das aus der Manteltasche ragt, spricht dagegen –

Der Kapitän schaut weg. Was soll er tun, der Käpt’n? Der Reeder habe ihn geschickt, hat das Kerlchen einem Matrosen angegeben. Das hätte der dem Käpt’n nicht sagen brauchen.

Das Kerlchen war daraufhin sofort wieder verschwunden.

Was für ein Reeder, du Blindauge? Daherschwätzer. Das mit dem Reeder geht jetzt endgültig zu weit –

Das Schiff weiß nichts davon. Ein Schiff schwimmt, weiß von nichts. Schwimmt weiter.

Könnte es ein Auge geben, das ihm von oben zuschaut, auf seinem Weg? Ein unsichtbares Auge?

Epifanie

Allein schon der Name. Ist wie Verheißung. Die Andeutung von etwas Verschwiegenem. Oder Verstecktem. Vielleicht kannst du es aufsuchen; ist aber schwer zu finden. Da ist etwas, und es entzieht sich lange Zeit; etwas, was man in Ruhe lassen soll? Dem man nicht zu nahe kommen darf. Um es nicht zum Verschwinden zu bringen, durchs Aufscheuchen. Also etwas Flüchtiges.

Ninfa, im Italienischen das Wort für Nymphe. Aber Ninfa ist noch behüteter als das Nymphchen. Bei Nymphe sehen wir gleich den Quell, Wasser, Mädchenblüte; Gehölz, Gebüsch, Unterholz, Schleier vielleicht, weiß, wie von Poussin gemalt, lieber von Ingres. Das wird mit dem Nymphchen anschaulich; mit Ninfa nicht. Bleibt im Zauber eines federleichten Wortes.

Ninfa. Habe hingefunden! Endlich! Nach vielen Jahren, während derer immer das Vomhörensagen gegrüßt hatte. Und ich nicht hinkam. Wie man im Traum nicht an den Punkt kommt. War mehrmals in der Nähe, aber der Ort blieb verschlossen, es war immer der falsche Augenblick. Auch das wie im Märchen, oder im Abenteuer: Man klopft sechs Mal vergebens ans Hoftor, beim siebten Mal geht es auf.

So lange ging das, dass ich es vergaß. Oder fast vergessen hatte: wie man vergisst, was man vergessen muss, also doch auch wieder nur mangelhaft. Braucht dann nicht viel, damit es geweckt wird; in diesem Fall war es die Suche nach einem Wort. Hatte nach Meeresgöttinnen gesucht, wollte einen Namen vorn auf einen Schiffsbug schreiben, da kam ich auf Nymphe. Und Ninfa war wieder da.

Fuhr hin und wurde erwartet. Am Eingang stand ein aufmerksamer Torwächter; er hatte eine dunkle Haut und kam aus einem sehr fernen Land und hieß doch Seneca: hier, in der unmittelbaren Nähe von Rom. Er hieß wirklich so. Der Wächter gab mich weiter an den Hausherrn, der stand am Fuß einer breiten Steintreppe, die vom ersten Stock eines mittelalterlichen Hauses herabführte; er lächelte und streckte die Hand aus. Nun war ich tatsächlich da angekommen.

Und schon mittendrin: in dem Rauschen, dem Rauschen des Wassers, das ich gleich sehen würde. Aber zuerst war das Rauschen da, in der Luft. Und etwas wie eine freudige Beklemmung. Man nennt das «atemberaubend». Das Rauschen des Wassers in der Luft, und dann die Vögel, und die Farben, alle Arten von Grün und Blüten aller anderen Farben, vor allem Orange, Rot, weiß gesprenkelte Hibiskus, violettblau von Lavendel. Gelb. Darin der sprudelnde Fluss, oder Bach, glasklar und hellgrün auf dem Grund, im Wasser fächelnde Farne oder Gräser. Wie nennt man sie eigentlich, die mit der Strömung wehenden … Algen? Wie heißt ihr? Wassergras? Riesige grüne Schirme darüber am Bachbord, eine nie gesehene Art von Kerbel; die schiere Größe ließ an Zauber denken.

Dahinter standen einzeln, oder war es in kleinen Gruppen, dunkle Zypressen und dahinter, dazwischen wieder Gemäuer, byzantinische Spitzbogen oder gotische und gerundete Fenster mit zierlichen Säulchen, und geschichteter Kalkstein, Gemäuer, wie ich es jetzt überall zu sehen begann. Frei stehende Wände mit leeren Fensterdurchbrüchen, als Eck stehen gebliebene Ruinen, später die Reste einer Kirche, und eine vollständige Kapelle. Dann Mauertrümmer, hüft- oder mannshoch, überwachsen, mit Efeu natürlich, aber auch Blumenkissen; lanzettförmige Blattbüschel aus dem Stein in den Himmel (ja, tiefblau), auch Kraut von Iris, Papyrus, und da ein hoch aufgeschossener Dom von Bambus, Kathedrale aus eng stehendem Rohr. Das alte Mauerwerk und die wuchernden, teils blühenden Pflanzen fassten ineinander wie die Finger zweier gefalteter Hände. Und der große, ruhige Teich oder See am Fuß des Berges, woraus der rauschende Bach entspringt.

Aber genug jetzt.

«Es macht einen unbeschreiblichen Eindruck, in diese Efeu­stadt einzuziehen, in den begrasten, blumenbedeckten Straßen, zwischen ihren Mauern umherzuwandeln, wo der Wind in den Blättern spielt, keine Stimme schallt als der Schrei der Raben im Turm, als das Rauschen des schäumenden Bachs Nymphäus, das Lispeln des hohen Schilfs am Weiher und das melodische Singen und Säuseln der Halme ringsumher.»

Gregorovius hat den Ort gesehen, die Oase, vor hundertfünfzig Jahren, nach einem beschwerlichen Ritt durch das karstige Gebirge, kam von oben, von Norma herunter; übrigens hat schon er den Klang der Namen notiert, die Ninfa einrahmen: Norma, Cori, Sermoneta. Ninfa schlief noch, als Gregorovius es entdeckte, die Trümmer der mittelalterlichen Stadt ruhten seit rund fünfhundert Jahren unberührt; es war noch nicht der Garten, der Giar­dino, sondern eine Geisterstadt, in der die Mauern einsanken, während die Natur über sie wuchs. Aber die Umfassungsmauern standen, die den Ort bergen, der See, der die Bäche speist, war da, und das Wasser selbst, das er nun vom Fuß des trockenen ­Gebirges in die Weite der Ebene und dem Meer zufließen sah; er nennt die Ebene wie wir alle die Pontinischen Sümpfe, doch setzt er, einer der wunderbarsten Reiseschriftsteller aller Zeiten, mit seiner großartigen Beschreibungsgenauigkeit gleich hinzu: «Wer die Pontinischen Sümpfe nicht auf der Via Appia bis nach Terracina durchreist hat, macht sich die irrigste Vorstellung von ihrer Natur, indem er nur an ekle Moräste denkt. Es gibt dort freilich Sumpf und See genug, aber sie liegen in Wäldern und Büschen versteckt, wo das Stachelschwein, der Hirsch, das wilde Schwein, der Büffel und das halb verwilderte Rind umherstreifen. Im Mai und Juni ist das pontinische Land ein Meer von Blumen, die, so weit das Auge reicht, sich über die Gefilde ergießen.»

Das war 1875, und genau diesen Zustand will die Oase von Ninfa, der eigentliche Garten und die ihn umlagernden Territorien, wiederherstellen.

Indien muss einem hier in den Sinn kommen, wenn man aus dem wuchernden Garten und seinem Hortus Conclusus, dem geometrisch angeordneten Zentrum des Giardino, auf den staubtrockenen Bergrücken blickt, Rajasthan: die Wüste, die an ihrem Rand, immer da, wo Wasser sich findet, ihren Gegensatz hervorzubringen imstande ist, blühendes Leben im umzirkten Bereich, ganz entgegen der Bedrohung der Dürre. Die Lebensmetapher.

Und obwohl Gregorovius nicht ahnte, wie es nach der Bonifikation der Sümpfe durch Mussolini und die Wiederbepflanzung von Ninfa durch den jungen Nachfolger der alten Besitzer, Gelasio Caetani, und durch drei begeisterte Frauen aus der Familie, Ada, Marguerite und Lelia, hier aussehen würde – schon er war, Gregorovius, einer der verständigsten und kundigsten Liebhaber Italiens, als dieses noch Italien war, tief berührt. «Sollte wohl die Zauberin Circe ihr Schloss drüben verlassen haben? Wohnt sie vielleicht jetzt in Nympha? Wurde sie zur Efeukönigin? Man muss hier sitzen, wenn der Abend diese Efeuhallen und jede Ruine erst in Purpur, dann in Gold taucht und Berge, Meer und das Kap der Circe mit unsagbarem Farbenduft umstrahlt – doch ich will davon nichts sagen, noch es schildern, wie dies Feenmärchen sich gestaltet, sobald der Mond darin zu wandeln beginnt …»

Nun, hundert Jahre hat die mittelalterliche Stadt wirklich gelebt – 180 Wohnhäuser, fünf Kirchen, vierzehn Türme, das Schloss, Gemeindehaus und Mühle, ein Habitat für mindestens tausendfünfhundert Menschen –, ab 1294, als Benedetto Caetani hier, gut sechzig Kilometer vor den Toren des Vatikans, als Papst Bonifazius viii. inthronisiert wurde. Dann brach die Caetani-Sippe in zwei Lager auseinander, die sich mit Schwert und Feuer bekämpften und Ninfa 1382 verwüsteten. Ein Rest der Bevölkerung hielt noch durch, bis der wirtschaftliche Niedergang und die Malaria den Ort in eine Geisterstadt verwandelten.

Nie ist ein Dornröschenschlaf wahrer geworden.

Und immer das Rauschen, das Schäumen, Glucksen und Gurgeln, und niemand mehr der lauschte.

Und wie sanft wurde es wieder erweckt:

nur mit Pflanzen;

keine Gartenbänke,

keine Inschrift,

keine Belehrung;

kein Wegweiser,

und kein Schild mit den Buchstaben «Bagno Pubblico».

Hier gehst du, wie es dir in den Sinn kommt.

Stunden später sitzt Wild mit dem Gastgeber, dem freundlichen Lauro Marchetti im Schatten auf einer das Haus entlanglaufenden Steinbank.

Auch Marchetti war, wie einmal ein Vittorio, als Kind hierhergekommen. Lauro zeigte mit der Hand die Größe und lächelte. Fünfzig Jahre ist er da, vor hundert Jahren wurden die ersten der neuen Bäume gepflanzt, damals, als der heutige Garten begann. Dort, der riesige Cedro Atlantico war einer der ersten.

Das Gespräch geht über ph-Werte und Pflanzenarten, dann bald über das Wesentliche: Ordnung und Chaos. Über ordine und disordine. Und darüber, wie ein solcher Park zwischen zwei Polen ein fragiles Gleichgewicht hält.

Und was man davon lernen kann …

Er nenne es einen «disordine controllato», sagt der Direttore und lächelt erneut. Es scheint dem Besucher, als ob dieses Lächeln zwischen diesem Gesicht und dem Garten hin und her gehe. Oder ihnen gemeinsam sei.

Seit 1976 ist der Garten von Ninfa umgeben von einem großen Schutzgebiet – «filtro rispetto alle aree esterne, fortemente antropizzate». Über 1800 Hektar Land in den drei Gemeinden Norma, Sermoneta und Cisterna di Latina, dem Zugriff von Landwirtschaft und Industrie entzogen. Es gehe, sagt die Stiftung Roffredo Caetani, um den Schutz von Flora und Fauna, insbesondere aber der Vögel, die einst hier lebten und nun zurückkommen sollen.

Und da sind sie auch schon, die Überlebenden, die Geretteten, die Wiedergeborenen: der Fischione und die Canapiglia, die Alzavola, der Germano reale, der Codone, Marzaiola, Mestolone, Moriglione, Moretta tabaccata und Moretta, Fagiano comune, Cormorano, Tarabuso und Tarabusino, die Sgarza ciuffetto, der Airone guardabuoi, Garzetta, Airone maggiore und Airone cenerino und Airone rosso; die Spatola, der Tuffeto, der Falco pecchiaiolo, Nibbio bruno, Falco di palude, Poiana, Gheppio, Falco cuculo, Smeriglio und der Falco pellegrino, der seltene Vogel; Porciglione, Voltolino, Gallinella d’acqua, Folaga, der Cavaliere d’Italia – Himantopus himantopus aus der Familie der Recurvirostridae mit seinen staksigen, dreißig Zentimeter langen Beinchen; Corriere grosso, Pavoncella, Frullino, Becaccino, Croccolone, Beccaccia, Piro piro, Gabbiano reale, die Möwe mit heiserem Schrei. Piccione selvatico, Colombaccio, Barbagianni, Allocco, Succiacapre, Rondone, Martin pescatore – der Grieche Halkyon soll einst in diesen Vogel verwandelt worden sein, den Eisvogel, der die ruhigen und schönen Dezembertage um die Wintersonnenwende vertritt; Gruccione, Ghiandaia marina, Upupa, alle Arten des Picchio, die Allodola, Rondine, Balestruccio, Prispolone, Pispola, Ballerina gialla e bianca, Merlo acquaiolo, Scricciolo, Passera scopaiola, Pettirosso, Usignolo, Codirosso spazzacamino, Stiaccino, Saltimpalo, Codirossone, Passero solitario, Tordo bottaccio, Merlo, Usignolo di fiume, Beccamoschino, der Forapa­glie und die Cannaiola comune, der Canapino maggiore und der comune, die Capinera, Beccafico, Bigia grossa, Sterpazzola und Sterpazzola di Sardegna, Magnanina, Occhiocotto, der Luì piccolo und der Luì grosso, Regolo, Pigliamosche, Balia da collare, Balia nera, Codibugnolo, Cinciarella, Cinciallegra, Cincia bigia, Picchio muratore, Rampichino comune, Pendolino, Rigogolo, Averla piccola und maggiore, die Ghiandaia, Gazza, Taccola, Cornacchia grigia, Storno, Fringuello, Verzellino, Cardellino, Fanello, Frosone, der Zigolo und der Ortolano, der Migliarino di palude und der Strillozzo, jeder Name eine Erfolgsgeschichte, sie sind da, sie sind zurück und dem Zugriff der italienischen Vogeljäger, sprich Wilderer, entzogen – wenn sie nicht, was die Zugvögel unter ihnen betrifft, neuerdings in die ägyptischen Fallen gehen: siebenhundert Kilometer mit Netzen gesperrte Küste, in denen sich erschöpfte Vögel nach der Überquerung des Mittelmeers verfangen, zu Millionen.

Das kennen wir: ist ein Übel abgewendet, wartet schon das nächste. Der Mensch ist kein Tier, und doch – und dann das schlimmste von allen.

Friede in Ninfa.

Man könnte hier ein Schiff ins Wasser setzen, vorsichtig!, vorsichtig!, das so schön gefügte Ergebnis tausender von Arbeitsstunden, tausender, wie für einen Roman. Und um es groß erscheinen zu lassen, in dem schmalen Fluss wäre es ein kleiner Riesendampfer, eine Nachbildung, die groß genug ist, wenn man nur nahe genug hinschaut und versucht, die Gärten zu sehen, die es an Bord hat. Baumgroß wären dann der Kerbel, die fettblättrigen Stauden, an denen es vorbeitreibt, durch einen Garten, wie es nun keinen mehr an Bord zu haben braucht: denn alles, was Garten heißen darf, ist hier um es herum.

Es schwimmt! Und man ließe es treiben mit dem Bach, der nun einen Strom darstellte, oder Fluss, unter drei Brücken hindurch, von denen die erste von heute, die zweite aus dem Mittelalter, die dritte aber römisch ist, denn hier machten schon die Legionäre Halt, 41 Meilen von Rom, zwei Tagesmärsche weit, und leicht auszudenken, was das für ein Lagern war an diesem kostbar klaren Gewässer, nach den trockenen Straßen, sengender Sonne und giftigen Sümpfen.

Und das Schiff, eine Welt, treibt unter den Mauern von Ninfa hindurch, hinaus, in die Ebene, nach Latina hin und über dieses hinaus, immer träger und immer trüber das Wasser, zum Meer hin, und im gleißenden Gegenlicht – es wäre nun später Nachmittag – ließe es sich kaum mehr ausmachen, bestünde nur noch aus Umriss, Schiffsform, die nun jeder Schiffsform gleicht und also auch jener eines Bootes aus dem Musée de l’Ethnographie am Quai Branly in Paris, Glasvitrine mit Einbaum, knapp zwei Meter lang, mit einem Totenschädel im Rumpf, sichtbar von beiden Seiten, ein Boot bestimmt dazu, bei günstigem Wind, der es hinaustreiben wird, in ein Wasser der Südsee gesetzt zu werden, den Schädel hinaustragend, der ihm anvertraut, seinen Passagier, der unsterbliche Teil eines Häuptlings oder Vornehmen oder auch eines Weisen: letzte Fahrt, vielleicht auch dort in der Südsee in einen Sonnenuntergang hinaus, oder ist es früher Morgen?, ein Boot für eine Seele oder was von einem Leben übrig blieb, das nun in die Unendlichkeit des Todes hinüberzufahren sich anschickt.

Heraus aus der Umnachtung in die Helle der Nacht.

Nachbemerkung und Dank

Was in Anführungszeichen steht, ist in der Regel wörtliches Zitat und die Herkunft, wenn es um namhafte Autoren geht, gut zu finden. Natürlich schwimmen im Text eine Menge anderer Zitate oder deren Verballhornungen mit, die ohne Anführung auskommen müssen. Da dies keine deutsche Dissertation ist und ihr Autor kein Staatsamt innehat, möge man ihm seine Großzügigkeit auf Kosten anderer verzeihen. Unter Theo Wilds zahlreichen Werken seien zwei noch empfohlen, «Die Geschichte der Ohrfeige im Wandel der Zeit» und «Über die sexuelle Konnotation des Knochenbenagens. Nager und Nichtnager in der Konsumgesellschaft». Danken möchte der Autor all denen, die mit Rat und Tat, durch Treue und Freundschaft ihm während Jahren geholfen haben. Und Ingeborg, ihr ganz besonders. D. B.

Für einen Druckkostenzuschuss dankt der Verlag der Fachstelle

Kultur des Kantons Zürich sowie Stadt Zürich Kultur.



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Umschlagbild von Ayse Yavas, Zürich

Umschlaggestaltung von Trix Krebs

Schrift: Merriweather; Courtesy of 2010-2013 Sorkin Type Co (www.sorkintype.com); OFL 1.1


© 2015 by Limmat Verlag, Zürich

ISBN 978-3-85791-756-1

ISBN epub 978-3-0855-010-5

Dieter Bachmann

Die Gärten der Medusa

Roman

Limmat Verlag

Zürich

Expedition

Die bauen ein Schiff, ein großes. Einen Ozeandampfer. Es kommen nur Gärten an Bord. Mit ihnen deren Hüter, die Gärtner. Und ein paar von denen, die gern in Parks, Alleen flanieren, atmen, Bäume lieben – und sich ihnen anvertrauen, den Gärtnern, den Gärten und dem Schiff.

Einzelne Personen an der Reling sind zu sehen, sie stehen allein und zu Gruppen auf verschiedenen Decks, manche am Heck schauen zurück. Ein Kleiner, im Blaumann, lächelt von fernher. Eine Frau, hochaufgerichtet, auf ihrem riesigen Hut wachsen Blumen. Man sieht Gehröcke, einen Schillerkragen. Jeans.

Da, ein Imker. Oder ist es eine Dichterin, mit einem Schleier am geschmückten Hut? Dort ein robuster Reisender im Khaki, mit Vollbart. Einer, ein Schmaler, im weißen Turnerleibchen: mit langen weißen Turnerhosen. Personen aus verschiedenen Zeiten, manche nur undeutlich, ein anderer fällt auf mit Turban und arabischem Umhang aus Seide. Einer wie Karl Marx, von der Reling aus sucht er den Horizont. Einem Kind ist die Gärtnerschürze zu groß.

Einer sieht aus wie ein trauriger Prinz. In einem maßgeschneiderten Zweireiher aus feinstem Kammgarn steckt er und fühlt sich nicht angezogen. Nackt, wie der makellos gezogene Scheitel im dünn gewordenen Haar: ein ewiger Junge, nicht zum Leben gekommen. So einer wäre lieber Gärtner geworden.

Ein Eremit wohnt mit den anderen und hat doch vor seiner Kabine ein Gartengespinst, in das keiner eintreten soll.

Sie alle wohnen mittschiffs, in kleinen, spartanisch eingerichteten Kabinen mit einem einzelnen elektrischen Licht, einer Birne, die im Rhythmus der Maschinen heller und dunkler wird. Die Kabinen fordern sie auf, durch das Schiff zu streifen. Sie durchwandern seine weiten Räume, riesige Hallen. Die Decks: sind Gärten, Parks, dichte Alleen mit Platanenlaub, grün das ganze Schiff, alle Arten von Grün, und Laub aller Größen, und Blumen. Es gibt lichte Wälder da, und Savannen, Flussläufe, der Mann im weißen Turnerleibchen winkt aus seinem Faltboot. Da ist heiliger Hain. Die zum Licht gewendeten Außenkabinen sind Gewächshäuser.

Stehen Statuen, hängen Bilder von den Frauen, die man immer vergisst, den Gärtnerinnen? Überhaupt, ist der große Speisesaal mit Gartenbildern vollgehängt? Mit den dunkel vergrünenden Tiefen eines Parks? So wie umgekehrt in Wilds kleiner Bar in Paris, Rue Vavin, auf festestem Festland, die Fotos von der alten Queen Mary hängen? Das Gruppenbild lachender Menschen im Speisesaal Erster Klasse?

Von der hohen Kommandobrücke sieht man bis Rom, nach Paris hinein und nach Polen hinüber; der Riesendampfer fährt durch Kanäle, die auf beiden Seiten blühendes Land zeigen, Felder und Hügel; er nimmt Kurs aufs Nordmeer, schifft durch die Barentsee, schiebt Packeis beiseite, erreicht die Beringstraße. Und dann?

Auf einem hohen Hinterdeck wachsen regelmäßig große, bekrönte Bäume, die Stämme werfen Schattenstreifen auf den hellen Sandboden. Eisenstühle stehen verstreut, niemand sitzt. Zwischen den Stämmen geht ein kleiner zarter Mann, alt und alterslos, in sich gekehrt. Arm würde man ihn nennen, oder besitzlos vermuten, in seinem abgetragenen, dunkelbraunen Pullover unter dem Kittel, wäre nicht die große Welle starker Haare, dunkelblond und grau meliert und aus der Stirn nach hinten gekämmt: der Haarbusch, der Schopf, der Wiedehopf, eine Widerstandsbehauptung. Fürstlich.

Auf allen Decks aber, an der Reling, steht eine schöne Frau, immer dieselbe, nur ist sie da noch jung, hier älter geworden; hier hat sie zwei Kinder an der Hand, dort steht sie mit Sonnenbrille und Kopftuch allein: einen gefleckten Hund neben sich.

Im Speisesaal sitzt man unter Bäumen, auf Gras, auf das die weißleinenen Tischtücher hängen, ein Wind geht auch. In der Bar Zur Erinnerung regnen Blüten. Musik aus dem Ballsaal, mit seinen Glasfenstern zum Himmel, Vögel in den Zweigen. Berühmte Schauspieler, die berühmte Schauspieler spielen, spielen berühmte Schauspieler. Hinter ihnen läuft der Film über die Reise des Schiffs durch das ewige Eis. Das schmilzt.

Keime werden gezogen in der Küche, Stecklinge gesteckt in den Vorratskammern. Die Wassertanks bewässern das Schiff von oben nach unten, da sammelt sich das Wasser im Kiel.

Da unten aber schuftet eine Bande von Ungeheuern, sind es Menschen? Man sieht ihnen die Wälder an, aus denen sie gekommen sind. In zottigen Tierfellen stehen sie, die Geschlechtsteile hängen auf ihre Knie, mit Zahnlücken im groben Gebiss, grausigem Bartwuchs, waldschrattigem: Wilderer, erfahren darin, den Vögeln den Hals umzudrehen und mit Giftbällen die Hunde der Jäger zu vergiften. Brandstifter und Brandschatzer. Maulhelden, Wortbrüchige, Lügner und Betrüger. Vor die Kessel gestellt, schaufelt die Bande bis zur Erschöpfung ihre vor Aberjahrtausenden versteinerten Wälder ins Fegefeuer. «Und werden das Licht nicht mehr sehen», steht geschrieben, «auch nicht an dem Tag, an dem das Schiff sich neigt und über den Bug in den Wassern versinkt, und an Deck sich noch einmal alle umarmen.»

Das Schiff läuft aus vom letzten Hafen, dem der Umnachtung; es hält Kurs auf die Helle der Nacht.

Foto Ayse Yavas


Dieter Bachmann, geboren 1940 in Basel, 1988–1998 Chefredaktor der Zeitschrift «du», Autor der Romane «Rab», «Der kürzere Atem» und «Grimsels Zeit». Publizist und Herausgeber zahlreicher Sachbücher. Im 0Limmat Verlag erschienen zuletzt der Fotoband «Aufbruch in die Gegenwart. Die Schweiz in Fotografien 1840–1960» sowie der erzählende Essay «Unter Tieren».


«Dieter Bachmann hat ein monumentales Werk geschaffen.» Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung

Vittorio.
Der Garten des
Gärtners

In einer falschen römischen Villa

O, die Zuckerbaronsvilla an der Via Veneto, auf einem antiken Schutthügel erbaut, der mit dem Bauabfall der Gründerzeit aufgetürmt worden war, ein signoriles Spießerschloss, falsches Florenz: die Jahreszahl am Fries sagte 1905, die Architektur sagte Spätrenaissance, Klassizismus. War aber alles ganz Neo.

O, der getürmte Palazzo mit seiner schlösschenhaften Portineria, der Pförtnerloge, wo spätestens ab neun Uhr morgens der Gegensatz zwischen dem herrschaftlichen Anspruch des Istituto Svizzero mit seinem helvetisch verhuschten Stipendiatenwesen einerseits, und andererseits dem elementareren Bedürfnis des römischen Personals, sich tüchtig den Bauch zu füllen, olfaktorisch deutlich wurde: im Ruch der aus ungewissen Räumen, Küchen und Kammern der Pförtnerwohnung, der rückseitig liegenden Rattenburg strömenden Dünsten, die hinter dem ungewaschen und mit verschwitztem Hemd hinter dem Empfangstresen dösenden Valerio hervorkrochen, einem fetten faulen Schlappsack, jedoch mit einer Verwandtschaft gesegnet, die ihm und seiner Familie diesen einmalig gut bezahlten und zugleich vollständig anspruchslosen Posten verschafft hatte. Ein nationaltypischer Gegensatz also zwischen eidgenössischem Eifer und der hier regierenden Vanitas in Form des hinter dem unrasierten Faktotum hervorströmenden, füllenden fettigen Dunstes des stets leise köchelnden Sugo: Tomaten-Olivenöl-Zwiebelschlieren, die durch den langen Tunnel krochen, eine Wahnsinnskonstruktion, durch den Schutt der Jahrhunderte gebohrt, der Tunnel, der die Portineria mit dem Hauptgebäude unterirdisch verband, dieses von unten nach oben mit Sugostank imprägnierend, Schlieren, die auch jetzt wieder, wie noch jeden Morgen, einige Stockwerke weiter oben auf einen Angestellten im roten Dienstbotenwams stießen, der, auf der läuferbelegten Haupttreppe im langsamen Wischen innehaltend, eine Zigarette rauchend und dabei die Asche auf den Teppich fallen lassend, von wo er sie später gegen hohes Monatsgehalt wieder aufnehmen würde, untätig stand und sich das appetitanregende Wirken der Pförtnergattin, vier Stunden zu früh für den Pranzo, durch die Nüstern ziehen ließ.

Über das Personal des Hauses übrigens, das sich breitmachte, als sei dies alles, das ganze bleiche Stipendiatenwesen und die pompöse Villa, nur für es da, regierte die tolle Dolores, eigentlich Doris, über der wiederum segnend der Schatten eines Onkels schwebte, der einmal ein schweizerischer Bundesrat gewesen war, herrschte Dolores, zuckersüß aber zäh, regierte, wie sie dachte, mit eiserner Hand, in Wirklichkeit ohne sich im mindesten gegen das viel zähere römische Phlegma durchsetzen zu können, diese alles durchdringende, in langen Jahrhunderten erworbene totale Trägheit und Gleichgültigkeit gegenüber allem und jedem, mit Ausnahme des eigenen Vorteils.

Es gab die Bar Ludovisi, in die Wild entrann, schon damals sein Standplatz, als er noch kein Direttore sein musste. Hierher verdrückten sich gern auch Historiker, Theologen, Kunsthistoriker und Altphilologen, Koptologen und Komparatisten und nahmen, dem leiblichen Wesen sonst eher abhold, einen Kaffee – Wild freilich sofort einen Campari, denn hinter der Ludovisi ging es ja über eine versteckte Treppe hinunter in die Stadt, durch die Veneto abwärts auf die Piazza Barberini, zum gischtenden römischen Brunnen, und durch die schmale Seitengasse ab in die Eingeweide der Stadt. Und also ins Leben.