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www.beck.de

 

ISBN 978-3-406-66829-6

 

© 2014 Verlag C. H. Beck oHG
Wilhelmstraße 9, 80801 München

Satz: Fotosatz Buck
Zweikirchener Str. 7, 84036 Kumhausen
Umschlaggestaltung: fernlicht kommunikationsdesign, Gauting
Bildnachweis: Marina Ignatova – Fotolia.com
eBook‐Produktion: Datagroup int. SRL, www.datagroup.ro

Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel Bausteine des Selbstbewusstseins

Die Wurzeln meines Selbstbewusstseins: meine Eltern und Ahnen

Meine eigenen Erfahrungen

Meine Stärken

Mein Weg zum Selbstbewusstsein: Vanessa

Meine Werte

Gastkapitel von Franz Grieser: die Heldenreise als ein Weg zu mehr Selbstbewusstsein

Was untergräbt unser Selbstbewusstsein?

Wie kommt es zu solchen Selbstblockaden?

Was tun: Coaching, Therapie oder etwas ganz anderes?

Die Heldenreise – was genau ist das?

Die Heldenreise – was passiert da?

Und nach der Reise?

2. Kapitel Selbstbewusster leben

Sexy Ziele

Authentisch ohne Maske

Mein Weg zum Selbstbewusstsein: Mehmet

Klartext und Feedback

Mut zum Nein – richtiges Grenzensetzen

Gelungene Eigen-PR

Umgang mit schwierigen Zeitgenossen

Die selbstbewusste Führungskraft

Netzwerken – so klappt’s!

3. Kapitel Guter Umgang mit Krisen

Was in Krisen wirklich gar nicht hilft

So helfen Sie wirklich!

Krise? Reden Sie drüber!

Angst als Wegweiser

Mein Weg zum Selbstbewusstsein: Martin

Gut reicht völlig – Mut zum Unperfekten

Kreativer Umgang mit Neidern und Angreifern

Auszeit und Komfortzone – wichtige Selbstfürsorge

4. Kapitel Selbstbewusstsein bringt Lebensqualität(en)

Zufriedenheit, das wahre Glück!

Liebes- und Beziehungsfähigkeit

Erfolg

Demut und Dankbarkeit

Mein Weg zum Selbstbewusstsein: Dorothee

Mut

Gelassenheit

Ausblick Die Reise geht weiter …

So nutzen Sie dieses Buch

Um Ihnen das Lesen und Arbeiten mit diesem Buch zu erleichtern, hat der Autor verschiedene Stilelemente verwendet, die Ihnen das schnellere Auffinden bestimmter Texte ermöglichen. So finden Sie die Tipps und Musterformulare sofort.

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Hier finden Sie Tipps, Aufzählungen und Checklisten.

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Hier finden Sie Beispiele, die das Beschriebene plastisch erläutern und verständlich machen.

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Hier finden Sie Übungen und Muster zum selber Ausfüllen und Nachrechnen.

7Vorwort

Das neue, große Buch übers Selbstbewusstsein, dieses unerschöpfliche, bereichernde, wichtige und facettenreiche Thema. Seit ich 2008 mein erstes Buch darüber schrieb, ist viel passiert: Ich habe viel Feedback bekommen zum Buch und bin in Seminaren, Coachings und Vorträgen mit sehr vielen Menschen darüber ins Gespräch gekommen. Und ich habe dazugelernt. Mir ist klar geworden, dass ein starkes Selbstbewusstsein noch viel mehr Gutes in unserem Leben bewirkt als bislang angenommen. Es wirkt noch umfassender und tiefer. Alle Qualitäten unseres Lebens verstärken sich mit mehr Selbstbewusstsein.

Kennen Sie das? Sie denken viel über sich nach, wollen sich weiterentwickeln und arbeiten an sich – eigentlich alles gut. Und dann stecken Sie wieder einmal in einer tiefen Krise und Ihr Gedankenkarussell dreht sich so schnell, dass Ihnen schwindelig wird, ohne dass Sie es stoppen können. Vielleicht hatten Sie Streit mit Ihrem Partner und Sie grübeln, was Ihr Anteil daran war, was Sie vielleicht hätten anders machen können. Oder Sie verstehen nicht, warum Ihr Chef Ihrem Kollegen und nicht Ihnen die Projektleitung gegeben hat – was haben Sie falsch gemacht? Vielleicht gehen Sie ja auch gerade besonders hart mit sich ins Gericht, weil Ihre Karriere zu sehr stockt, Sie offenbar alle guten Männer vergraulen oder Sie zu undiszipliniert in puncto Sport und Ernährung sind.

Sie sind sich Ihrer selbst bewusst, denken über sich nach und merken: Das ist doch immer wieder unglaublich anstrengend. Und Ihnen schießt der gute alte Spruch aus Asterix durch den Kopf: „Beati pauperes spiritu – seelig sind die geistig Armen!“ Sie fragen sich, warum zum Teufel Sie sich das immer wieder antun, diese Selbstreflexion, dieses Sich-Hinterfragen oder gar Infrage-Stellen. Andere leben doch 8auch unreflektiert und fröhlich in den Tag hinein, belasten sich so erfrischend wenig mit schweren Gedanken und lassen sich einfach treiben durch die vermeintlichen Zufälle des Lebens. Andere machen sich doch auch keinen Kopf über ihr Leben. Kein Kopfzerbrechen, keine Selbstzweifel, keine Grübeleien … muss das schön sein.

Ja? Sind Sie sicher? Sind die Unreflektierten wirklich die Glücklicheren?

Glauben Sie mir, ich kenne diese Gedanken auch. Wenn es mir schlecht geht, ich sowieso schon sehr erschöpft bin und dann meinen berstenden Gedankenwuselkopf beim besten Willen nicht abstellen kann. Wenn mir meine Selbstzweifel wieder mal im Weg stehen und mich nicht vorankommen lassen. Wenn mich die Anstrengung stöhnen lässt, wenn ich mal wieder merke: Nein, es sind nicht die Umstände oder die doofen anderen – ich selbst muss und werde etwas ändern.

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen die vielen Vorteile von Selbstbewusstsein und Selbsterkundung bzw. -entdeckung vor Augen führen. Wie sehr viel tiefer, reicher, erfüllter und selbstbestimmter Ihr Leben mit einem starken Selbstbewusstsein ist. Klar, eben dieses weiterzuentwickeln ist immer wieder auch anstrengend. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt: Es lohnt sich!

Zwischen den Kapiteln finden Sie vier Porträts von ganz normalen Menschen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise ihren Weg zum Selbstbewusstsein gefunden haben. Mögen diese kleinen Geschichten Ihnen Anregung und Inspiration sein.

Lesen Sie dieses Buch Kapitel für Kapitel oder auch ganz durcheinander, je nachdem, welcher Teil Sie gerade anspringt. Es gibt kein „Muss“, nur viel Leichtigkeit und Freude am Lesen und Nachdenken und Ausprobieren und Lernen – das wünsche ich mir und Ihnen, liebe Leser!

Ein starkes Selbstbewusstsein lädt Lebensqualität in unser Leben ein, lässt uns gelassener, zufriedener, dankbarer, erfolgreicher und letztlich glücklicher sein. Also, liebe Leser – auf geht’s!

P.S. Übrigens: Als sprachverliebte Germanistin mag ich dieses große „I“ mitten im Wort nicht und das ständige „Leserinnen und Leser“ stört den Lesefluss, wie ich finde. Also verwende ich aus Gründen der Leserlichkeit die männliche Form – natürlich sind mit allem auch die Frauen gemeint. Danke fürs Im-Geiste-einfach-Mitlesen.

131. Kapitel

Bausteine des Selbstbewusstseins

Kein Mensch ist von vornherein selbstbewusst oder nicht. Selbstbewusstsein verstehe ich anders, als gemeinhin angenommen: Der selbstbewusste Mensch ist nicht unbedingt gleich der Beste, Stärkste, Schönste, Tollste. Nein, ich verstehe es – eben als sprachverliebte Germanistin – im wahrsten Sinne des Wortes: sich seiner selbst bewusst sein. Ich kenne mich, meine Stärken und meine Schwächen. Ich kenne mich aus mit mir und bin damit im Großen und Ganzen im Frieden. Sich seiner selbst bewusst zu werden ist ein lebenslanger Prozess. Ja – lebenslang. Wir mögen zwar irgendwann ein Stadium an Selbstbewusstsein erreicht haben, das im Großen und Ganzen in seiner Ausprägung stabil bleibt. Aber es wäre doch eigentlich schade, wenn unsere eigene Entwicklung an irgendeinem Punkt stehenbleiben würde – dazu ändert sich doch zu viel in unserem Leben und wir bewegen uns mit diesen Veränderungen mit.

Vom ersten Tag nach der Geburt verändern wir uns und schon sehr früh streben wir ganz automatisch danach, uns unserer selbst bewusst zu werden. Bereits im Alter zwischen 8 und 24 Monaten beginnen wir, uns aus der symbiotischen Vater-Mutter-Kind-Triade zu lösen und uns selbst zu erkennen. Und zwar im wahrsten Sinnes des Wortes: Wir erkennen unser Selbst, unser ganz eigenes Ich, das losgelöst und anders ist als Mama und Papa. Jedes Kind strebt sozusagen nach Autonomie. Wenn ein Kind von seinen Eltern eine gesunde, starke Basis mit auf den Weg bekommen hat voller Vertrauen und Sicherheit, wird es neugierig und voller Entdeckerfreude auf die Suche gehen, wer es denn eigentlich so ist. Manchmal wünsche ich mir, wir Erwachsenen könnten uns ein klein wenig mehr dieser spielerischen Neugierde erhalten. Es gibt Menschen, denen macht es zeit ihres Lebens großen Spaß, sich selbst mehr und mehr zu entdecken, sich 14weiterzuentwickeln und sich auszuprobieren. Viele Coachingklienten jedoch empfinden dies eher als harte, anstrengende und oft unfreiwillige Arbeit, so nach dem Motto „Ich muss mich doch jetzt endlich mal verändern, ich muss endlich mehr Selbstbewusstsein kriegen!“.

Wenn ein Klient diesen Satz zu mir sagt, dann schrillen bei mir bereits die ersten Alarmglocken: „Ich muss.“ Unsere Sprache entsteht aus unseren Gedanken. Unsere Gedanken werden aber wiederum auch durch unsere Sprache beeinflusst. Und ganz ehrlich: Wie attraktiv ist ein Ziel, wo „Ich muss“ drinsteht? Ich muss endlich selbstbewusster werden, ich muss endlich mal in die Pötte kommen / mit dem Rauchen aufhören / mehr Sport treiben / den Job wechseln! So ein Ziel ist absolut nicht sexy! Und ein Ziel, das nicht sexy ist, zieht mich nicht wirklich an. „Ich muss“ hat eher den Sex-Appeal von „Ich muss 100-mal schreiben, dass ich nicht schwätzen darf“. Na super. In „Ich muss“ steckt viel Fremdbestimmung, Unfreiwilligkeit, Zwang, schlechte Laune und Druck. Wer sagt, dass ich muss? Will ich mich selbst verändern oder meine ich, mich für wen oder was auch immer verändern zu müssen? Wollen Sie oder müssen Sie?

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„Ich will“ statt „Ich muss“

Achten Sie mal im Alltag darauf, in welchem Zusammenhang und wie oft Sie eigentlich „Ich muss“ sagen. Und versuchen Sie jedes Mal, wenn Ihnen das auffällt, das „Ich muss“ durch ein „Ich will“ auszutauschen. Spüren Sie mal ganz genau nach, welchen Unterschied das macht. Denn es macht einen Unterschied! In „Ich will selbstbewusster werden!“ ist ganz viel Entdeckerfreude, Leichtigkeit und Spaß enthalten – es macht Lust auf mehr! Je öfter Sie darüber stolpern und sich kurz hinterfragen, desto besser. Dies kann mit der Zeit zum wunderbaren Kontrollsystem werden, wie sinnvoll ein Ziel für Sie ist – und wie erfolgversprechend, es zu erreichen. Entweder Sie spüren nämlich, dass das „Ich will“ sich viel besser und kraftvoller anfühlt. Wenn es Ihnen nicht gelingt, das „Ich muss“ auszutauschen – dann ist es wirklich ein „Ich muss“. Jetzt können Sie sich fragen, ob dieses Ziel wirklich Ihres und so erstrebenswert ist. Und dadurch können Sie dann viel verändern – hin zum Selbstbestimmten und Freiwilligen.

Zurück zum kleinen Kind. Es beginnt, auf die Entdeckungsreise nach sich selbst zu gehen. Besonders deutlich wird dies beim bekannten „Rouge-Test“ oder auch „Spiegel-Test“: Man malt einem Kleinkind heimlich einen roten Fleck ins Gesicht, zum Beispiel auf die Nasenspitze. 15Das Kind darf nun in einen Spiegel schauen und man beobachtet, wie es reagiert. Erste Ansätze von beginnender Selbsterkenntnis, von beginnendem Selbstbewusstsein sind dann zu sehen, wenn das Kind sich zum Beispiel den Fleck wegwischen möchte – und eben nicht mehr auf den Spiegel greift, um „dem anderen im Spiegel“ den Fleck wegzuwischen. Das Kind erkennt also, dass das Wesen im Spiegel es selbst ist – und damit beginnt unser Selbstbewusstsein. Die Wissenschaft sagt ganz klar, dass jedes Kind von Natur aus bestrebt ist, sich aus der ursprünglichen Verschmelzung mit der Mutter zu lösen, um zum eigenständigen Selbst zu finden.

Wir alle wollen also eigentlich Selbstbewusstsein erlangen bzw. es mehr und mehr ausbilden. Das verbindet uns alle.

Wodurch unser Selbstbewusstsein bestärkt, gehindert, ausgebildet und erweitert wird, hängt jedoch von jedem Einzelnen ganz individuell ab. Von unserer Herkunft, unseren Erfahrungen, unseren Stärken und unseren Werten.

Die Wurzeln meines Selbstbewusstseins: meine Eltern und Ahnen

Alles beginnt bei unseren Wurzeln, unserem Elternhaus. Das, was unsere Eltern uns bewusst beibringen oder unbewusst vorleben in puncto Selbstbewusstsein, prägt uns. Und eigentlich – systemisch betrachtet – beginnt es ja nicht erst mit unseren Eltern, sondern mit all den Ur-Urahnen, die wiederum unsere Großeltern und Eltern geprägt haben. Und so viel hat all diese Generationen beeinflusst: Die Herkunft aus einem reichen oder armen Elternhaus, Krieg und Flucht, Krankheiten, Glück und Unglück, Konflikte, Hungersnot, unterschiedliche Nationalitäten, Kulturen und Religionen – alles hat Einfluss. Eine lange Reihe also, die den Grundstein legt zu unserem eigenen Wesen – und wir stehen ganz am Ende dieser Reihe.

Wir alle sind zwar einzigartig und in gewisser Weise auch ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier, wenn wir auf die Welt kommen. Alle Möglichkeiten stehen uns offen, das zu werden, was wir wirklich wollen und worin wir unsere Erfüllung und unser Glück sehen. Und doch ist schon so viel da, uns mitgegeben von all den Generationen vor uns.

Ich arbeite seit vielen Jahren gerne mit der Methode der systemischen Strukturaufstellungen nach Matthias Varga von Kibéd – eine Möglichkeit, uns unsere inneren Bilder im außen anzusehen, ein 16System, um zum Beispiel unsere Familie besser zu verstehen. Eine Beobachtung möchte ich mit Ihnen teilen, die ich immer wieder gerade in Familienaufstellungen mache:

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Den Rückhalt der Ahnen spüren

Stellen Sie sich vor, Sie haben keinen sonderlich guten oder engen Kontakt zu Ihren Eltern, aus welchen Gründen auch immer. Sie treffen Entscheidungen alleine, sprechen wenig mit Ihren Eltern ab, Ihre Eltern haben nur am Rande mit Ihrem Leben zu tun. Vielleicht steht auch etliches Unausgesprochenes zwischen Ihnen, alter Groll oder alte Verletzungen. Jedenfalls sind Ihre Eltern Ihnen kein wirklicher Halt und auch sonst haben Sie mit Familie ziemlich wenig am Hut.

Und jetzt machen Sie einmal folgendes Experiment: Sie stellen sich frei im Raum hin, locker in den Knien und mit dem Gewicht auf beiden Beinen, die Arme hängen entspannt herunter, die Augen sind geschlossen. Nun stellen Sie sich hinter Ihrem Rücken Ihre Eltern vor, sie stehen dort, vielleicht mit jeweils einer Hand auf Ihrer Schulter. Und dahinter stehen wiederum deren Eltern und Großeltern, viele, unendlich viele Männer und Frauen, Ihre Ahnen, eine lange Reihe. Atmen Sie ruhig und spüren Sie in sich hinein – wie fühlt sich das an? Wie geht es Ihnen mit derart viel Rück-Halt, mit so viel weiblicher und männlicher Energie, die Sie stützt und hält, die vor Ihnen da war und die Kraft, das Wissen und die Liebe durch alle Generationen hindurch an Sie weitergegeben hat?

Ich erlebe in Aufstellungen immer wieder, wie dankbar, erleichtert, ruhig und erfüllt Menschen auf diese Erfahrung reagieren. Dabei ist es ganz unwichtig, ob wir zum Beispiel konkret mit unserem Vater im Streit liegen oder schon unsere Großeltern gar nicht mehr kennenlernen konnten. Es geht um diese abstrakte Energie, den Halt, den wir in unseren Ahnen haben können. Manche Menschen drehen sich bei dieser Übung dann auch um und blicken über ihre Schulter hinter sich – als ob sie all die Generationen dort sehen könnten, die liebevoll auf sie blicken und ihnen Halt und Kraft geben.

Auch wenn klassische Coachingthemen vorwiegend im beruflichen Umfeld zu finden sind, so erlebe ich es doch immer wieder, wie wichtig der Blick auf unsere Wurzeln ist.

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17Wenn man im strengen Chef den eigenen Vater sieht

Eine Klientin zum Beispiel, Maria, 35 Jahre, leidet über die Maßen unter ihrem strengen Chef, der sie sehr verängstigt und mit Zuckerbrot und Peitsche „regiert“. Keiner in ihrer Abteilung mag ihn sonderlich – sie aber fühlt sich ganz besonders unter Druck gesetzt durch ihn, was sie sich nicht wirklich erklären kann. Sie kann ihm kaum in die Augen blicken, ihre Stimme verändert sich, sie ist oft den Tränen nahe, verkrampft und macht deshalb häufiger als sonst dumme Fehler – was wiederum den strengen Blick ihres Chefs zur Folge hat. Normalerweise ist Maria eine recht erfolgreiche, souveräne Frau, die sich in ihrem Leben durchaus zu behaupten weiß.

Eine Frage hat dann in einer Coachingsitzung sehr viel ausgelöst: „Kennst du das? Woher kennst du das? Kennst du das schon lange?“ Maria bricht nach dieser Frage in Tränen aus und erkennt, dass ihr Vater ähnlich war. Innig von ihr geliebt, wahrte er stets große Distanz und belohnte höchstens außergewöhnliche Leistung hin und wieder mit einem Lächeln oder gar einer Umarmung. Liebe gegen Leistung – auch wenn sie sich stets wie im Hamsterrad gefühlt hat, weil ihre Leistung in den Augen ihres Vaters nie ganz gereicht hat. Inzwischen erwachsen, hat sie sich auf „vernünftige Art und Weise“ mit diesem unzugänglichen Vater arrangiert, sie weiß sich zu distanzieren und zu schützen, erwartet nicht mehr viel von ihm – hat sich abgefunden. Nun taucht aber dieser Chef auf, der in fataler Hinsicht so große Ähnlichkeit mit ihrem Vater hat – und drückt bei ihr auf alte Knöpfe. Und plötzlich meldet sich die kleine Maria wieder! Die kleine Maria, die ihren Vater so geliebt hat und ihm nie genügte. Die kleine Maria, die alles tat, um ihm zu gefallen – und selten das bekam, was sie brauchte. Die kleine Maria, die das alles überhaupt nicht verstanden hat und – wie das Kinder oft tun – die Kälte ihres Vaters darauf zurückführte, dass sie sich noch nicht genügend angestrengt hat, dass sie nicht reichte. Sie konnte noch nicht sehen, dass ihr Vater einfach nicht anders konnte. Und dass sie sich im Gegensatz zur großen Maria noch nicht schützen konnte. Diese kleine Maria also reagierte nun auf ihren Chef – nicht die große souveräne Erwachsene. Deshalb war für die große Maria ihr eigenes Verhalten auch oft so unerklärlich und ärgerlich – sie ermahnte sich so oft, sich doch bitteschön nicht so anzustellen.

18Im Coaching geht es nun darum, dass die große Maria die kleine an der Hand nimmt und ihr das erwachsene Wissen und die Souveränität weitergibt. Die große Maria kann der kleinen das geben, was der Vater ihr nicht gegeben hat – Liebe, Sicherheit, Schutz und Anerkennung. Wir haben einen Prozess des Sich-Kennenlernens in Gang gesetzt, die beiden freunden sich an und sind füreinander da. Und je mehr die große Maria der kleinen das geben kann, was sie stets vermisst hat, desto weniger braucht Maria das von ihrem Chef. Ihr Vater und ihr Chef sind dann quasi entkoppelt, sind wieder zwei völlig verschiedene Personen. Und Maria kann auf ihren Chef wieder so reagieren, wie eine Erwachsene auf ihren Chef reagiert: achtsam, mit gesundem Abstand und professioneller Distanz, unabhängig und vielleicht sogar mit Verständnis – auf jeden Fall geschützt.

Dies ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie sehr unsere Wurzeln uns als Erwachsene noch beeinflussen.

Ganz einig sind sich die Fachleute nicht, ob der Großteil genetisch angelegt ist oder wir eher durch Prägung, Erziehung und Lernen am Vorbild zu unserem Selbstbewusstsein kommen. Klar ist aber, dass wir von unseren Eltern auf zweierlei Arten lernen: Zum einen erziehen sie uns ja ganz bewusst, sie geben uns ihre Werte und Ansichten, ihre Glaubenssätze und Lebensregeln mit. Viel mehr jedoch prägt uns die Art, wie sie uns ihre Werte etc. vorleben. Hier können sich Eltern nicht wirklich verstellen, Kinder spüren schnell und sehr genau, wenn die Eltern Hü sagen und Hott vorleben – ob ihre Eltern also ihre eigenen Werte und Regeln auch leben!

Wichtig in diesem Zusammenhang ist mir dies: Eltern sind nicht „schuld“ an mangelndem Selbstbewusstsein. Eltern sagen nicht nur, dass sie das Beste für ihre Kinder wollen. Im Prinzip können wir wirklich generell von der sogenannten „besten Absicht“ ausgehen. Kaum eine Mutter oder ein Vater will seinem Kind bewusst schaden. Wenn dies geschieht, dann meist deshalb, weil der Elternteil nicht anders kann. Weil er selbst es nie anders gelernt hat, weil er selbst keine Vorbilder für Selbstbewusstsein gehabt hat, weil er selbst ein Leben lang damit gehadert hat oder gar daran gescheitert ist. Eltern können also etwas dafür – sind aber nicht schuld. Das wäre zu linear gedacht: Ursache – Wirkung. Wenn wir es systemisch betrachten, ist es jedoch viel verzweigter und diffiziler: Unsere Eltern erziehen uns nach ihrem Wertesystem, teils bewusst: „Ich möchte, dass mein Kind 19stets respektvoll anderen gegenüber ist.“ Teilweise aber auch unbewusst: Sie geben uns das weiter, was auch sie selbst ausmacht: die Stärken, die Ängste, die Unsicherheiten, die Tabus. Und diese haben unsere Eltern wiederum teilweise aus eigener Erfahrung, teilweise auch von ihren Eltern. So setzt sich die Reihe ins Unendliche fort. Sehr viele Einflussfaktoren bestimmen also, wie wir von unseren Eltern geprägt sind. Daher greift ein „Die Eltern sind schuld“ zu kurz. Für vieles können sie nichts!

Die Wurzeln unseres Selbstbewusstseins liegen also im Elternhaus, unsere Eltern sind also die Ursache – nicht aber der Grund. Wo sehe ich da einen Unterschied, und zwar einen entscheidenden?

Ich erlebe es immer wieder bei Coachingklienten, dass sie sich recht bequem zurücklehnen und zum Beispiel sagen: „Ich kann nichts dafür, dass ich beziehungsunfähig bin – meine Eltern haben mir keine gute Beziehung vorgelebt.“

Stopp! Das gilt nicht. Damit machen wir es uns zu leicht. Wenn ich sage: „Die Eltern sind schuld, ich kann nichts tun“, dann habe ich mein Leben lang eine Ausrede und muss nicht an mir arbeiten. Schön bequem – aber auch schön feige und vor allem: schade! Wir selbst können nämlich so viel tun! Wir können so viel aus unserem Leben machen, ob nun mit oder ohne gute Startvoraussetzungen. Wir können die Gestalter unseres Lebens sein, wir können dafür sorgen, dass wir ein gutes, ein glückliches Leben führen mit allem, was wir dafür brauchen!

Dazu ist es aber nötig, dass wir uns entscheiden! Wir können uns dafür entscheiden, uns bequem zurückzulehnen, Opfer unserer Geschichte zu bleiben, einfach alte Geschichten weiterzuleben und stecken zu bleiben. Und wir können uns dafür entscheiden, das Beste aus unserem Start ins Leben zu machen, zu lernen, uns weiterzuentwickeln und ein erfülltes glückliches Leben voller Selbstbewusstsein zu führen. Diese Entscheidung kann uns niemand abnehmen – aber wir müssen uns entscheiden! Opfer und Spielball des Schicksals oder aktiver Gestalter des Lebens? Was wählen Sie?

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie mühsam diese Beschäftigung mit meiner Herkunft, meiner Familie oft ist. Wie oft war ich in der Therapie wütend auf die Generationen vor mir, weil sie mir so viel vermeintlichen Müll mitgegeben, so viele Steine in den Rucksack gelegt haben. Weil sie nicht in der Lage oder nicht willens waren, ihre Probleme zu lösen und sie somit als Erbe an die folgenden Generationen 20und schließlich an mich weitergegeben haben. Wie oft habe ich mir die gute Fee gewünscht, die mein Leben schnell zum weißen Blatt Papier macht, auf das ich meinen Lebensentwurf selbst zeichnen kann.

Ja, wir bekommen viel Unaufgelöstes, Verworrenes, Tragisches, Schwieriges und Anstrengendes mit von unseren Eltern und Ahnen. Andererseits ist da jedoch auch viel Wunderbares: unsere Stärken, unsere Talente, unsere Fähigkeiten – all die Vorzüge der Generationen vor uns. Alles ist untrennbar miteinander verbunden – und noch viel entscheidender: Es ist so! Punkt. Ob wir nun wollen oder nicht. Ob wir nun damit hadern, es am liebsten abschütteln wollen oder auf Kriegsfuß damit stehen – oder ob wir damit einverstanden sind, das Beste daraus machen und alles, was uns mitgegeben wurde, in unser Leben integrieren.

Ich kenne Menschen, die seit Jahren behaupten, deutlich glücklicher und innerlich ruhiger zu sein, seit sie sich von ihren Eltern losgesagt und jeglichen Kontakt zu ihnen abgebrochen haben. Wissen Sie was? Ich glaube ihnen nicht! Sicher, vielleicht haben sie jetzt ihre Ruhe, streiten nicht mehr um 1001 Kleinigkeiten mit ihren Eltern, fühlen sich endlich erwachsen und nicht mehr ständig wie ein Kind behandelt. Vielleicht leben sie jetzt ihr eigenes Leben nach den ganz eigenen Vorstellungen und „brauchen“ ihre Eltern nicht mehr. Das mag sein. Was ich aber nicht glaube: Dass sie „in Frieden“ sind mit ihren Eltern. In Frieden sind wir dann, wenn wir das, was ist – nämlich die lebenslange untrennbare Verbindung zu unseren Eltern – akzeptieren können. Ohne alles gutheißen zu müssen, ohne gleich viel Liebe oder Dankbarkeit spüren zu müssen. Einfach akzeptieren: Es ist so. Ich habe diese Verbindung zu meinen Eltern.

Meiner Erfahrung nach bin ich dann im Frieden mit meiner Geschichte, wenn ich sagen kann: „Ich bin dankbar für das, was ihr mir mitgegeben habt. Ich bin einverstanden mit allem, ob es mir nun nützt oder schadet. Schaut liebevoll auf mich, denn jetzt gehe ich meinen eigenen Weg. Und mein Weg muss euch nicht gefallen – denn es ist mein Leben, mein Weg.“

Sie haben also jede Menge über Selbstbewusstsein von Ihren Eltern mit auf den Weg bekommen – bewusst durch Erziehung und vermittelte Werte und unbewusst durch das, was Ihnen Ihre Eltern vorgelebt haben.

Ich beginne jetzt, Sie zu einigen Übungen einzuladen, die sich durch das gesamte Buch ziehen. Was mir dabei wichtig ist: Sie können diese 21Übungen machen, Sie müssen es aber nicht! Ich wünsche mir, dass Sie möglichst viele Impulse aus diesem Buch mit in Ihr Leben nehmen können – der eine braucht dazu praktische, ergänzende Übungen, die andere möchte einfach nur lesen und über das eine oder andere intensiver nachdenken. Die Übungen sind zwar dort platziert, wo sie inhaltlich gut ins Kapitel passen – Sie können die Übungen aber auch bunt durcheinandergewürfelt oder zu einem späteren Zeitpunkt machen. Entscheiden Sie selbst, was und wie es für Sie gut passt!

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Ihr Selbstbewusstseinsbuch

Vielleicht haben Sie ja Lust dazu, sich für einige Gedanken, die Sie sich im Laufe dieses Buches machen, ein schönes Heft oder Büchlein zu kaufen – Ihr Selbstbewusstseinsbuch! Warum ist es so empfehlenswert, sich Gedanken und Impulse schriftlich festzuhalten? Folgende Gründe sprechen für mich dafür:

Ein kleiner Exkurs übers Schreiben

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Kreatives/freies Schreiben

Eine bestimmte Form des Schreibens, manchmal „kreatives Schreiben“ oder „freies Schreiben“ genannt, fördert viel aus Ihrem Unterbewusstsein zutage. Bei dieser Technik schalten Sie den Kopf weitestgehend aus – und das funktioniert so:

Sie schreiben als Überschrift ein Thema oder eine Frage oben auf ein Blatt Papier. Dann stellen Sie die Stoppuhr auf zehn Minuten und schreiben wild drauflos. Das heißt, Sie schreiben so 22schnell, wie Sie irgend können, alles auf, was Ihnen durch den Kopf schießt, ohne abzusetzen, Sauklaue hin oder her, völlig ungefiltert, ungeordnet. Hauptsache, Sie schreiben bis zum Klingeln zehn Minuten lang ohne Unterbrechung! Dann lesen Sie sich das Geschriebene durch und unterstreichen, ohne lange nachzudenken, die Sätze bzw. Worte, die Ihnen besonders ins Auge stechen. Und daraus schreiben Sie wieder ein paar Sätze, sozusagen eine Zusammenfassung. Sie werden manchmal sehr überrascht darüber sein, welche Gedanken da plötzlich auf dem Papier stehen. Aspekte, die Ihnen vorher zu dieser Frage nie in den Sinn kamen.

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Morgenseiten

Die Bestsellerautorin und Kreativtrainerin Julia Cameron („Der Weg des Künstlers“ oder „Von der Kunst des Schreibens“) empfiehlt zum Beispiel die sogenannten „Morgenseiten“: Schreiben Sie jeden Morgen direkt nach dem Aufwachen – möglichst also nicht erst aufstehen, legen Sie einen Block direkt neben Ihr Bett – auf drei DIN-A4-Seiten alles auf, was Ihnen in den Sinn kommt, und zwar möglichst schnell und möglichst ungefiltert. Ohne konkretes Thema, quasi ohne Sinn und Zweck. Sie werden sehen: Dieses Ritual kann Ihnen dabei helfen, sich besser kennenzulernen, Gedanken zu ordnen und mehr Klarheit zu gewinnen über das, was gerade so in Ihnen arbeitet.

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Ihr Erfolgstagebuch

Eine andere Idee empfehle ich meinen Coachingklienten auch oft: Führen Sie ein Erfolgstagebuch. Schreiben Sie mindestens 21 Tage lang jeden Abend in ein schönes Buch Ihre Erfolge des Tages – und seien sie noch so klein! Das muss keine große Tat sein, wichtig ist es hier, den Fokus zu verändern. Menschen, die sehr hohe Ansprüche an sich haben und mit sich nie wirklich zufrieden sind – denen tut ein Erfolgstagebuch meist sehr gut. Sie lernen dadurch, auch kleine Erfolge zu sehen: Wenn sie es zum Beispiel geschafft haben, den stets schlecht gelaunten Busfahrer endlich mal zum Lächeln zu bringen. Oder wenn heute der Cappuccino ganz besonders gut gelungen ist. Man sagt, dass wir mindestens 21 Tage kontinuierliches Training brauchen, um (Verhaltens-)Änderungen dauerhaft zu verankern. Wichtig ist also, mindestens 21 Tage lang am Erfolgstagebuch zu schreiben und wirklich jeden Tag Erfolge festzuhalten. Und wenn uns an einem Tag partout nichts einfällt, 23dann müssen wir eben unsere Ansprüche an „Erfolg“ ein wenig herunterschrauben, damit wir dann doch einen klitzekleinen Erfolg an dem Tag verbuchen können.

Als ich mein zweites Buch geschrieben habe, hatte ich zum Beispiel in der letzten Schreibphase den Ehrgeiz, jeden Tag mindestens drei Seiten zu schreiben. Aus unterschiedlichen Gründen gelang mir das nicht so oft, was mich sehr frustrierte. Mein Erfolgstagebuch half mir da sehr: Da ich jeden Tag einen Erfolg verbuchen „musste“, schrieb ich dann an einigen Tagen ins Buch „Ich habe heute am Buch weitergeschrieben“ – also ohne Seitenzahl. Auch ein Erfolg! Schließlich wurde auch so das Buch pünktlich zu Abgabetermin fertig.

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Ihr Dankbarkeitsbuch

Eine weitere Variante ist das Dankbarkeitsbuch. Auch hier gilt es, den Fokus zu verändern. Wir alle kennen Lebensphasen, in denen wir sehr im Mangeldenken sind – wir haben ständig vor Augen, was wir alles nicht haben: Wir haben nicht den richtigen Job, nicht den richtigen Mann, nicht das richtige Gewicht, nicht mal einen Lottogewinn … und geraten gerne ins Jammern: Ach hätte ich doch xy, dann wäre ich auch glücklich!

In was stecke ich meine Energie – in das, was ich nicht ändern kann und was mich zudem runterzieht, also in den Mangel? Oder stecke ich meine Energie und Aufmerksamkeit in das, was ich habe, also in die Fülle? Die Buddhisten sagen weise: „Das, worauf ich meine Aufmerksamkeit lenke, wächst.“ Also sollten wir uns doch dafür entscheiden, dass die Fülle und nicht der Mangel wächst, oder?

Eine Möglichkeit, dies zu üben, ist eben jenes Buch für die Dankbarkeit. Das funktioniert ganz ähnlich wie das Erfolgsbuch: Schreiben Sie mindestens 21 Tage lang jeden Abend etwas hinein, für das Sie an diesem Tag dankbar sein können – und auch hier gilt: kleine Freuden ebenso wie große: Das Lächeln Ihrer Tochter, das Dach über dem Kopf, das warme Essen auf dem Teller, das Lob des Chefs, das schöne neue Buch, der frische Strauß Blumen.

Dankbarkeit also, Fülledenken und Demut. Denkweisen, für die ich mich bewusst entscheiden und die ich trainieren kann. Eine gute Möglichkeit dafür ist das Schreiben über die Wurzeln Ihres Selbstbewusstseins:

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24Fragen zu den Wurzeln Ihres Selbstbewusstseins

Zurück zum Schreiben über Ihre Wurzeln: Nehmen Sie sich 20 Minuten Zeit, sorgen Sie dafür, dass Sie ungestört sind und beantworten Sie folgende Fragen – und zwar möglichst spontan und ohne zu viele Kopffilter, es gilt, in den Schreibfluss zu kommen und Ihre Intuition anzuzapfen. Also ohne allzu viel darüber nachzudenken, einfach drauflosschreiben!

Um es noch mal ganz deutlich zu machen: Klar finde ich als ausgebildete Familientherapeutin und zertifizierter Business-Coach es sehr hilfreich und wichtig, sich mit den eigenen Wurzeln auseinanderzusetzen. Ich bin allerdings erst durch eigene Erfahrungen zu dieser Erkenntnis gekommen, habe selbst viel eigene Therapie- bzw. Selbsterfahrung hinter mir. Und die zeigte mir, wie hilfreich es ist, die eigene Geschichte zu kennen und vor allem zu verstehen. Wenn ich weiß, wo zum Beispiel diese oder jene Angst oder Schwäche oder Stolperschwelle herkommt, dann brauche ich mich nicht mehr so zu wundern oder gar mit mir selbst zu hadern. Ich verstehe mich, mein Denken und Handeln besser – und wenn ich bewusst hinsehe, es irgendwann verstehe, dann kann ich etwas verändern, dann kann ich mein Leben selbst in die Hand nehmen.

In der Therapie sagt man: Wer sich mit seiner eigenen Geschichte nicht beschäftigt, hat nur zwei Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten: kompensieren, also alles genau anders zu machen wie unsere Eltern (zum Beispiel der spießige Bankersohn der 68er-Eltern) – oder reinszenieren, also alles genauso zu machen. Dazwischen liegt Niemandsland, auf das ich keinen Zugriff habe.

Wenn ich mich allerdings mit meinen Wurzeln bewusst auseinandergesetzt habe, dann steht mir die gesamte Bandbreite zwischen Reinszenieren und Kompensieren zur Verfügung, alle Farbtöne zwischen 25schwarz und weiß. Dann kann ich bewusst entscheiden, was ich von meinen Wurzen und meiner Erziehung gerne übernehmen und integrieren möchte und was ich gerne loslassen oder zurückgeben möchte, weil es mir nicht guttut und weil ich mich anders entschieden habe. Dann erst bin ich der Regisseur meines Lebens, dann erst habe ich die wirklich freie Wahl, für welches Leben ich mich entscheide.

Und dann kann ich meine eigenen Erfahrungen machen und leben.

Meine eigenen Erfahrungen

Waren Sie eigentlich ein selbstbewusstes Kind? Oder eher ein scheues, unsicheres und schüchternes? Und wenn Sie an sich als Kind denken, sind diese Gedanken dann eher liebevoll oder distanziert und kritisch?

Schon bald nach der ausschließlichen Prägung durch die Eltern erweitert ein Kind seine Kreise und macht jeden Tag neue Erfahrungen. Es lernt neue Menschen kennen, stellt sich Herausforderungen, besteht Prüfungen, ist glücklich, traurig, ängstlich und lernt sich immer besser kennen. Ein ständiges Interagieren findet zwischen dem heranwachsenden Kind und seiner Umwelt statt – die Umwelt prägt, das Kind reagiert darauf und prägt auf diese Weise wieder die Umwelt und so fort.

Auf unser Selbstbewusstsein haben all diese Erfahrungen enormen Einfluss. Die Beschäftigung mit unseren früheren Erfahrungen dient – ebenso wie die Beschäftigung mit unseren Wurzeln – dem besseren Verständnis unserer selbst. Warum bin ich so, wie ich bin? Wie bin ich so geworden? Wer und was hat mich geprägt? Je mehr Antworten ich darauf finde, desto weniger „blinde Flecken“ gibt es bei mir, desto mehr werde ich mir meiner selbst bewusst, desto besser kenne ich mich aus mit mir. Wenn ich etwas verstehe, habe ich die Wahl: Behalte ich es bei oder möchte ich es lieber verändern? Bin ich zufrieden mit mir oder möchte ich mich weiterentwickeln, an mir arbeiten, mein „besseres Selbst“ entwickeln?

Erfahrungen – ganz wertneutral betrachtet – prägen uns. Sie machen etwas mit uns, bewegen und verändern uns, wir sind hinterher ein klein wenig anders als vorher. Das ist so, ob wir wollen oder nicht. Spannend ist es dann, das später einmal ganz bewusst zu erkennen, Zusammenhänge zu sehen zum Beispiel zwischen den Erzieherinnen im Kindergarten, die mir nie zugehört haben, und der Schülerin, die 26dann alles mit sich allein ausgemacht und wenig geredet hat. Oder auch zwischen dem kleinen Jungen, der wegen seines Übergewichts gehänselt wurde, und dem erwachsenen Mann, der inzwischen so verbissen Sport treibt.

Marie, eine Klientin, die während unserer Zusammenarbeit mit viel Engagement und Neugier ihren Erfahrungen und ihrer Kindheit auf die Spur kam, meinte eines Tages:

„Es ist richtig spannend! Als ob ich im Kinosessel säße und den Film meiner Kindheit ansähe – mit den Augen einer Erwachsenen. Ich entdecke viel Neues, sehe Altvertrautes, manchmal bin ich wütend beim Hingucken, manchmal werde ich sehr traurig. Die Kleine tut mir manchmal unendlich leid – wie einsam und schutzlos hat sie sich doch gefühlt. Warum nur hat das keiner gesehen? Kein Wunder, dass sie sich derart in sich selbst zurückgezogen hat.“

Hier wird noch ein weiterer Aspekt deutlich, der für ein gesundes Selbstbewusstsein von so großer Bedeutung ist: Wie gehen wir mit dem Kind von damals um? Liebevoll? Fürsorglich? Mitfühlend? Oder kritisch, abschätzig und kühl? Wir neigen leider allzu oft dazu, unser härtester und gnadenlosester Kritiker zu sein, uns mehr abzuwerten und infrage zu stellen, als es je andere aus unserer Umgebung tun würden. Für einen liebevolleren, mitfühlenden Umgang mit dem kleinen Kind in uns brauchen wir auch wieder das Verständnis, das Verstehenwollen, das Hinsehen. Wie war das damals? Was hat uns geprägt? Welche Erfahrungen haben wir gemacht, die uns so werden ließen, wie wir heute sind?

Wenn ich mich besser verstehe, wundert mich weniger, ich kann mir vieles besser erklären – und gehe dann vielleicht auch ein bisschen weniger hart mit mir ins Gericht. Und wenn ich liebevoller mit mir selbst umgehe, weniger streng bin mit mir, dann kann ich auch irgendwann regelrecht Frieden mit mir schließen – und das ist ein wirklich großer, heilsamer Schritt.

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Fragen zu Ihrer eigenen Entwicklung

Also – haben Sie Lust? Wollen Sie sich ein paar Gedanken machen – wie immer möglichst schriftlich – zu diesen Fragen? Natürlich können solche Angebote nie vollständig sein, ich gebe Ihnen ein paar Denkanstöße und Impulse – vielleicht fallen Ihnen ja noch ganz andere Fragen ein. Und bitte einfach auf der Parallelspur im Kopf alle Fragen unter dem Gesichtspunkt „Selbstbewusstsein“ beantworten.

Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Weitere Gelegenheiten, über sich selbst nachzudenken, kommen noch häufiger in diesem Buch.

Erfahrungen haben ja eine ganz großartige Eigenschaft: Die meisten Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, nutzen uns etwas und bringen uns ein Stück weiter. Gute Erfahrungen tragen dazu bei, dass wir uns wohl und bestätigt fühlen, stärker werden und ein immer größeres Selbstwertgefühl bekommen. Bei schlechten Erfahrungen denken wir ja häufig „Ach, das hätte es jetzt nicht gebraucht, darauf hätte ich jetzt gut verzichten können!“ Verständlich, dieser Gedanke – aber schade! Überlegen Sie mal: Was hat Sie wachsen lassen, wodurch haben Sie sich weiterentwickelt, woraus haben Sie besonders viel gelernt – aus den guten oder aus den schlechten Erfahrungen? Sicher, gute Erfahrungen bestätigen uns in unserem Weg und signalisieren, dass wir weitergehen können auf diesem Weg. Wirklich lernen können wir allerdings noch deutlich mehr aus den ungeliebten schlechten Erfahrungen – wenigstens dafür sind sie gut, ja manchmal sogar Gold wert. Ja, ich halte hier gerade ein Plädoyer dafür, sich geradezu anzufreunden mit den schlechten Erfahrungen! Der Volksmund sagt: „Aus Schaden wird man klug.“ Und Oscar Wilde (1854–1900, irischer Schriftsteller) hat so treffend angemerkt: „Seine eigenen Erfahrungen bedauern heißt, seine Entwicklung aufhalten.“ Lessing schließlich (1729–1781, Schriftsteller) meinte gar: „Der aus Büchern erworbene Reichtum fremder Erfahrung heißt Gelehrsamkeit. Eigene Erfahrung ist Weisheit. Das kleinste Kapital von dieser ist mehr wert als Millionen von jener.“

Je mehr Erfahrung wir haben, desto besser können wir unser Leben meistern, im Beruf und im Privatleben. Wir lernen und machen bestenfalls dieselben Fehler nicht zweimal (es bleiben ja noch genügend andere übrig).

Ich erinnere mich gut an meine Lerneffekte während meiner Ausbildung zum Business-Coach. Wir mussten nach jedem Übungscoaching einen Feedbackbogen für uns selbst ausfüllen: Was ist gut gelaufen, was ist nicht so gut gelaufen, woran lag es, welche Hypothesen 29hatte ich, welche Methoden kamen zum Einsatz etc.? Wenn nun ein Übungscoaching gut gelaufen war, dann war dieser Bogen schnell ausgefüllt und ich war zufrieden und stolz auf eine gut gelaufene Session. Lief jedoch ein Übungscoaching nicht ganz so gut, war es für mich anstrengend oder unbefriedigend, dann beschäftigte ich mich sehr viel länger mit diesem Bogen, dachte über die Session nach, ließ die einzelnen Schritte noch einmal Revue passieren – und lernte enorm viel dabei! Ich kam meinen Unachtsamkeiten auf die Spur, sah, wo ich vielleicht nicht gut genug zugehört hatte oder zu schnell war. Und beim nächsten Mal achtete ich dann auf diese Punkte ganz besonders und entwickelte mich weiter. Die guten Coachings also brauchten mein Ego und meine Selbstsicherheit, die unrund gelaufenen jedoch brachten die wirklich echte Weiterentwicklung.

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Reframing

Erinnern Sie sich an schlechte Erfahrungen Ihrer Vergangenheit, größere oder kleinere, und schreiben Sie sie auf. Und jetzt suchen Sie mal ganz bewusst nach den Lerneffekten, den positiven Erkenntnissen und nach der Weiterentwicklung, die Ihnen dadurch möglich wurde. Wir können diesen „anderen“ Blick gut trainieren, die Psychologen sprechen hier auch vom „Reframing“ – wir geben also Ereignissen einen anderen Rahmen, deuten positiv um.

Ich habe mich zum Beispiel gerade letzte Woche sehr darüber geärgert, dass mir nach einer Auseinandersetzung meine Putzfrau ihre Hilfe aufgekündigt hat. Ich war sauer, dass ich den Mist jetzt wieder selbst machen muss, dachte an das elend lange Treppenhaus, das ich jetzt putzen muss etc. Am nächsten Tag sah die Welt schon wieder ganz anders aus: Ich sah, dass ihre Kündigung auch viel Gutes mit sich bringt: Ich muss mich nicht mehr über ihre Unzuverlässigkeit ärgern, sitze nicht mehr auf dem Pulverfass, wann der nächste Streit ausbricht, und kann mir jetzt ganz in Ruhe eine wirklich gute, zuverlässige neue Perle suchen. Et voilà – ein positiver Rahmen ums eigentlich düstere Bild.

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Reframing, die zweite

Lassen Sie bei den folgenden Beispielen Ihre Fantasie spielen – was könnte hier ein positives Reframing, also eine positive Umdeutung sein?

Meine Stärken

Selbstbewusstsein und Stärken hängen natürlich untrennbar zusammen – sie bedingen sich gegenseitig, meine Stärken fördern mein Selbstbewusstsein und je selbstbewusster ich bin, desto klarer bin ich mir über meine Stärken.

In meiner Coachingpraxis und auch zum Beispiel in vielen Gesprächen nach meinen Vorträgen bin ich immer wieder erstaunt – nein, eigentlich regelrecht erschrocken darüber, wie wenig sich Menschen oft ihrer Stärken bewusst sind. Klar, wir haben alle Stärken und zwei oder drei davon sind auch schnell aufgezählt. Und? Was sind Ihre Stärken? Los, sagen Sie mal ganz schnell.

Sie finden schnell zwei oder drei, richtig? Und wenn Sie jetzt einmal genauer hinschauen: Sind das Stärken, die wirklich in erster Linie Ihre Stärken sind, also Ihre ganz persönlichen Eigenheiten? Oder sind das, wenn Sie ehrlich sind, eher so 08/15-Stärken, die wahrscheinlich neun von zehn gefragten Personen haben – Eigenschaften wie zum Beispiel „Teamfähigkeit“ oder „Fleiß“? Ohne Frage, das sind durchaus Stärken, wichtige und richtige, ja. Und es gibt Menschen, die diese Stärken derart ausgeprägt haben, dass sie mit Fug und Recht explizit darauf bauen bzw. damit für sich werben können. Jemand, der es zum Beispiel immer wieder schafft, ganz besonders großartige Projektteams zusammenzustellen und dabei ein besonders guter Motivator ist – und damit herausragende Ergebnisse erreicht. Oder jemand, der sich in kürzester Zeit ein gut funktionierendes Business aufgebaut hat, weil er mehr oder weniger Tag und Nacht gearbeitet hat. Ja, dann sind Teamfähigkeit und Fleiß explizite Stärken. Aber wenn mich ganz gut in Teams einfügen kann, 31ohne groß anzuecken, und wenn ich immer brav meine Aufgaben erledige – sind dann Teamfähigkeit und Fleiß schon echte Stärken von mir?

Warum beschäftigen wir uns so wenig mit unseren wirklichen Stärken? Sind wir zu bescheiden? Unsäglich! Weil allzu große Bescheidenheit niemandem bekommt. Es bringt uns nichts, wenn wir unser Licht ständig unter den Scheffel stellen. Vor allem im Berufsleben haben uns dann ganz fix alle anderen überholt. Ein typischer Frauenspruch ist: „Ich möchte durch meine Leistung punkten – die spricht sich dann schon rum.“ Quatsch! Nichts spricht sich einfach so rum! (Es sei denn, Sie haben durch Ihre Leistung gerade den Nobelpreis bekommen). Zum Thema „gelungene Eigen-PR“ gibt es später mehr in diesem Buch.

Also – setzen Sie sich doch mal ganz bewusst und in Ruhe mit Ihren Stärken auseinander und machen Sie Folgendes: