Cover

Dr. Norden Bestseller
– 61 –

Verwirrung in der Frauenklinik

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-86377-163-8

Das Mädchen, das sich Dr. Norden mit dem Namen Elisabeth Roth vorgestellt hatte, sah aus wie achtzehn, und er war überrascht, als sie ihm ihren Paß vorlegte, aus dem hervorging, daß sie dreiundzwanzig war.

»Nur, damit Sie nicht denken, daß ich Ihnen Märchen erzähle, Herr Doktor«, sagte sie stockend. »Meine Schwester Hilde war doch bei Ihnen.«

Er zögerte mit der Antwort. Er mußte auch erst überlegen. Eine Hilde Roth war nicht bei ihm gewesen, aber vor etwa vier Wochen eine junge Frau mit einem recht seltsamen Anliegen, und sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Mädchen gehabt, jedenfalls die gleichen grüngrauen Augen, ungewöhnlich in ihrem schrägen Schnitt.

»Eine Hilde Roth war nicht bei mir«, erwiderte er.

»Dann hat sie vielleicht einen anderen Namen benutzt«, sagte Elisabeth. »Ich weiß nicht, wozu dieser unmögliche Kerl sie bewegt hat. Ich will Ihnen gern erklären, warum ich zu Ihnen komme. Frau Zeller hat gesagt, daß ich offen mit Ihnen sprechen kann.«

Frau Zeller kannte Dr. Norden sehr gut. Sie war schon seit Jahren seine Patientin, eine nette, bescheidene Frau.

»Wir wohnen bei ihr«, fuhr Elisabeth fort, »das heißt, jetzt wohne nur ich noch bei ihr. Meine Schwester nicht mehr. – Ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll. Es ist eine ziemlich lange Geschichte. Aber mir geht es vor allem darum, daß mal festgestellt wird, was in diesem Entbindungsheim Miranda vor sich geht.«

Es klang alles noch ein bißchen verworren, aber als sie dieses Entbindungsheim erwähnte, wurde Dr. Norden hellhörig.

»Hätten Sie noch eine Viertelstunde Zeit?« fragte er. »Dann kann ich inzwischen die zwei anderen Patienten noch behandeln, und wir könnten uns in aller Ruhe unterhalten.«

»Kann ich schnell noch eine Besorgung machen? Sonst haben die Läden geschlossen«, sagte sie.

»Ja, selbstverständlich!« Aber als sie gegangen war, fragte er sich, ob sie überhaupt wiederkommen würde. Vielleicht hatte sie sich überlegt, lieber doch nichts zu sagen.

Doch Elisabeth kam wieder, und Dr. Norden erfuhr eine Geschichte, die ihn sehr nachdenklich stimmte.

»Sie wissen ja, daß Frau Zeller Zimmer vermietet«, begann sie. »Ihr war es sehr recht, daß sie uns die Man­sardenwohnung geschlossen abgeben konnte, weil sie schon ziemlich viel Ärger gehabt hatte. Hilde, Sandra und ich waren auch froh, daß wir mit der Miete so gut wegkamen. Sandra Trento ist meine Freundin.« Ein schwerer Seufzer folgte. »Jetzt muß ich vielleicht sagen, sie war meine Freundin. Entschuldigen Sie vielmals, Herr Doktor, ich kenne mich schon gar nicht mehr aus. Vor ein paar Monaten war alles in bester Ordnung, und nun sitze ich allein da und weiß nicht, was ich denken soll.«

»Erzählen Sie mal alles hübsch der Reihe nach, Fräulein Roth«, sagte Dr. Norden.

»Sandra kenne ich schon von der Handelsschule her. Wir sind ein Jahrgang, sie ist ein feines Mädchen. Eigentlich wollte sie das Abitur machen, aber ihr Vater hat wieder geheiratet und bestand darauf, daß sie schnellstens einen Beruf ergriff. Wir haben uns dann bei der Papierfabrik Hellbrink beworben und wurden auch eingestellt. Mittlerweile sind wir schon fünf Jahre dort als Sekretärinnen. Das heißt, Sandra ist nun nicht mehr da. Da war so eine Geschichte mit dem Juniorchef, Götz von Hellbrink, ja, sie sind adlig. Er war erst im Ausland, und als er ein paar Wochen in der Firma war, spann sich was zwischen ihm und Sandra an. Ich habe mir gleich gedacht, daß es der Familie nicht passen würde, denn sie sind ziemlich hochgestochen. Vor allem die Tochter Carola. Jedenfalls wurde der Junior vor sechs Monaten wieder ins Ausland abkommandiert. Sandra hat nie mehr über ihn gesprochen, aber ich glaube, daß sie sich heimlich geschrieben haben. Schlimm ist ja, daß Sandra ein Baby erwartet. Als man es sehen konnte, hat sie gekündigt. Ich habe sie so gebeten, mir doch zu vertrauen, aber eines Tages war sie mit zwei Koffern verschwunden. Sie hat mir einen Brief hinterlassen, daß ich mich nicht sorgen solle. Sie würde sich schon wieder melden. Ich habe dann meiner Schwester Hilde die Stellung verschafft. Hilde ist zwei Jahre jünger als ich, und ich habe ihr eindringlich geraten, ja keine Liebelei am Arbeitsplatz anzufangen, aber prompt läßt sie sich doch mit jemandem ein, mit diesem Fechner. Nun kriegt auch sie ein Kind. Ich bin ganz kopflos, Herr Doktor. Der Fechner denkt gar nicht daran, sie zu heiraten, er ist ein mieser Bursche. Er hat es ja eigentlich auf Carola von Hellbrink abgesehen, aber Hilde war blind und taub.«

Dr. Norden konnte sich jetzt genau erinnern, daß er die bestehende Schwangerschaft im zweiten Monat bei Hilde festgestellt hatte, und sie hatte den Namen Fechner als ihren eigenen angegeben. Er konnte sich an ein auffallend hübsches Mädchen erinnern. Aber er wollte Elisabeth, die nun ruhiger sprach, nicht unterbrechen.

»Hilde war furchtbar niedergeschlagen nach einer Aussprache mit Fechner«, fuhr sie fort. »Sie sagte, daß sie das Kind abtreiben lassen will, und alles gute Zureden nutzte nichts. Vor acht Tagen hat sie mir dann auch gesagt, daß Fechner ihr das Geld gegeben hätte und daß sie in dieses Entbindungsheim Miranda gehen würde. Sie hat Urlaub genommen, und schon war sie weg. Ja, und ich bin dann dorthin gefahren. Ich muß schon sagen, daß mir manches merkwürdig vorkam. Es wurde geleugnet, daß Hilde dort sei. Ich wurde gar nicht eingelassen, und ich bin da herumgeschlichen, weil ich Angst um Hilde hatte. Und mir blieb die Luft weg, als ich Sandra sah, meine Freundin Sandra! Sie ging im Garten spazieren.«

»Wenn sie ein Baby bekommt, ist es doch eigentlich natürlich, daß sie ein Entbindungsheim aufsucht«, sagte Dr. Norden.

»Aber eins, wo auch Abtreibungen vorgenommen werden? Ich habe da meine eigene Einstellung, Herr Doktor. Und dann habe ich was gehört, was mir ganz seltsam vorkam, als ich noch ein bißchen herumgelaufen bin, weil ich so aufgeregt war. Da ging auch ein Ehepaar spazieren, schon so im guten Mittelalter. Sie sprachen Englisch, aber das kann ich sehr gut. Ich muß ja die englische Korrespondenz erledigen. Der Mann sagte zu der Frau, daß sie ja nun bald ihr Baby haben würden. Aber sie war nicht schwanger! Nächste Woche könnten sie es abholen, und dann würden sie gleich heimreisen.« Sie sah ihn an. »Finden Sie das nicht auch merkwürdig, Herr Doktor?«

»Es gibt viele kinderlose Ehepaare, die ein Kind adoptieren«, sagte Dr. Norden begütigend. »Und es gibt viele junge Mädchen, die ihr uneheliches Kind zur Adoption freigeben.«

»Ich finde so was schrecklich«, sagte Elisabeth, »aber was meinen Sie, wenn jemand sagt, daß der Preis eigentlich ein bißchen hoch sei?«

»Wer hat das gesagt?«

»Der Mann, dieser Amerikaner. Es war einer, das habe ich an der Aussprache gehört. Aber die Frau sagte, es sei ihr gleich, aber sie wolle einen Jungen. Mir ist es eiskalt über den Rücken gelaufen. Werden da Kinder verkauft? Ich wäre ja am liebsten gleich zur Polizei gegangen, aber dann habe ich an Hilde und Sandra gedacht. Und ich hatte ja auch keine Beweise in der Hand. Frau Zeller hat immer so von Ihnen geschwärmt, und da habe ich mir halt gedacht, daß ich erst mal mit Ihnen spreche.«

»Es ist wirklich interessant, was Sie erzählt haben, Fräulein Roth«, sagte Dr. Norden nachdenklich. »Ich weiß nichts von diesem Entbindungsheim, aber ich werde mich erkundigen.«

»Und sagen Sie mir dann Bescheid?« fragte sie bebend. »Ich habe meine Schwester sehr gern und Sandra auch. Ich meine, wenn man schon ein Baby bekommt, muß man auch dafür geradestehen. Mir ist so vieles durch den Kopf gegangen. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, daß Sandra ihr Baby verkauft, und es will mir schon gar nicht in den Sinn, daß meine Schwester mit einer Abtreibung einverstanden sein soll.«

»Manchmal mag das besser für das Kind sein und auch für die Mutter, wenn sie noch jung und unreif ist.«

»Aber so jung ist Hilde mit einundzwanzig Jahren nicht mehr, daß sie sich erst mit solch einem Kerl einläßt und dann allen Anstand, der uns anerzogen wurde, vergißt. Aber ein bißchen wohler ist mir jetzt schon, weil Sie mich angehört haben. Sie sind sehr nett, Herr Dr. Norden.«

»Sie haben keinen festen Freund?« fragte er väterlich.

Sie schüttelte heftig den Kopf. »Mir vergeht’s, wenn ich so erlebe, was andere mitmachen. Aber der Götz von Hellbrink hat Sandra bestimmt sehr gern gehabt. Die beiden sind nur von der Familie auseinandergebracht worden, davon bin ich überzeugt.«

Dr. Norden sah sie nachdenklich an. Er verriet nichts davon, und das durfte er ja auch nicht, daß er erst vor einer Woche in das Haus Hellbrink gerufen worden war, weil Frau von Hellbrink einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Sie hatte die Nachricht bekommen, daß ihr Sohn Götz in Afrika verschollen war, wohin er von seinem Vater geschickt worden war, um die geschäftlichen Interessen der Firma wahrzunehmen. Nun ahnte er, daß dies nicht der einzige Grund gewesen war, sondern auch eine der Familie unwillkommene Liebesgeschichte eine Rolle spielte.

»Ich werde Sie anrufen, wenn ich etwas erfahren habe, Fräulein Roth«, sagte er.

»Vielen Dank, Herr Doktor. Ich fürchte, daß ich nun auch noch entlassen werde, und dann weiß ich nicht mehr, wie ich allein die Miete aufbringen soll. Aber ich werde dann schon wieder eine neue Stellung finden. Wenn ich nur nicht solche Angst um Hilde haben müßte.«

»Verlieren Sie nicht den Mut, Fräulein Roth«, sage Dr. Norden. »Es wird sich schon alles aufklären, und Ihre Schwester müßte eigentlich selbst wissen, was sie tut.«

»Sie ist ein hübsches Schäfchen«, sagte Elisabeth seufzend. »Eigentlich bin ich froh, daß ich kein Typ bin, auf den die Männer fliegen.«

Nein, das war sie nicht. Sie würde es keinem leicht machen, obgleich sie sehr apart war. Aber Männer hatten ein Gespür dafür, ob ein Mädchen für eine Liebelei zu haben war, die nur ein Abenteuer bleiben sollte. Dafür war Elisabeth Roth gewiß nicht der Typ. Wenn sie auch manchmal unklar gesprochen hatte, so wußte Dr. Norden doch, daß sie intelligent und auch mißtrauisch war.

*

»Hast du schon mal was von einem Entbindungsheim Miranda gehört, Fee?« fragte Daniel Norden seine Frau, als sie nach dem Mittagessen ihren gewohnten Mokka tranken.

»Miranda? Ja, eine Annonce habe ich mal gelesen. Privates Entbindungsheim, sehr diskret, auch für uneheliche Mütter. Ein hochtrabender Name, wenn man ihn zu deuten weiß.«

»Wieso?« fragte Daniel geistesabwesend.

»Weil Miranda die ›Bewunderungswürdige‹ bedeutet. Aber was hast du damit zu tun?«

»Bisher nichts. Ich werde mich mal bei Schorsch erkunden, ob er mehr weiß.«

Schorsch, das war Dr. Hans-Georg Leitner, seines Zeichens Gynäkologe und Chefarzt einer hochangesehenen Frauenklinik. Ein Studienfreund von Daniel Norden, ein Freund im besten Sinne des Wortes.

»Es gibt jetzt mehr solche privaten Entbindungsheime«, meinte Fee sinnend. »Meistens werden sie von Hebammen geleitet, die mit Hausentbindungen nichts mehr verdienen können. Aber sie brauchen eine Zulassung, und meistens verstehen sie ja auch etwas von ihrem Beruf. Es wird halt immer häufiger, daß man Diskretion gewahrt wissen möchte. Manche Frauen scheuen eine Geburtenunterbrechung und geben ihre Kinder lieber zur Adoption frei. Ich weiß nicht, ob man damit sein Gewissen beruhigen kann, aber wenigstens werden damit Frauen glücklich gemacht, die sich nach einem Kind sehnen. Ob alles immer mit rechten Dingen zugeht, das ist eine andere Frage.«

»Sag mir deine Gedanken, Fee«, bat Daniel.

»Du kannst doch selbst kombinieren.«

»Aber ich möchte von dir hören, was du darüber denkst, und wie das so vor sich gehen könnte.«

»Da kommt halt ein Mädchen oder eine Frau daher, die sich entschlossen hat, ihr Kind zur Welt zu bringen, und sie sieht eine Chance, damit auch noch zu Geld zu kommen. Immerhin sind neun Monate ja nicht das reine Zuckerlecken, und wenn man dann noch eine lange Zukunft vor sich sieht und von einem Mann sitzengelassen wurde, ergreift man jede Chance, sich einen neuen Start zu verschaffen. Ich habe da neulich mal so einen Bericht über den Babyhandel in den Staaten gelesen. Da ist man erschüttert. Eine Adoption ist ja immer mit großen Schwierigkeiten verbunden, aber man kann auch krumme Wege gehen. Da gibt es genügend Interessenten, die bereit sind, beträchtliche Summen auf den Tisch zu legen, damit es gar nicht erst bekannt wird, daß es ein adoptiertes Kind ist. Die Frau, die keine Kinder bekommen kann, geht in ein solches Entbindungsheim, wenn eine Geburt in Aussicht steht. Ein uneheliches Kind wird zur Welt gebracht, aber es wird angemeldet auf den Namen des Ehepaares, das sich ein Kind wünscht.«

»Das ist kriminell«, sagte Daniel.

»Nicht für die Eltern, die das Kind haben wollen. Sie zahlen kräftig dafür und umgehen mit Hilfe des Geburtshelfers die Behörden. Es ist einfach ihr Kind. Basta!«

»Dann ist es doch eigentlich unwahrscheinlich, daß in solchen Entbindungsheimen auch Abtreibungen vorgenommen werden«, sagte Daniel.

»Ich könnte mir vorstellen, daß dafür Unsummen auf den Tisch gelegt werden müßten, aber nach dem amerikanischen Muster scheint es wahrscheinlicher, daß diese Mädchen überredet werden, ihr Kind zur Welt zu bringen. Sie bekommen freie Wohnung und Kost und das Versprechen, eine beträchtliche Starthilfe für ein neues Leben zu bekommen. Am meisten verdient dann allerdings das jeweilige Heim. So ist das in den Staaten. Aber da gibt es auch noch Organisationen, die es sich viele einfacher machen. Die stehlen Babys und verkaufen sie. Tu nicht so, als hättest du nie was davon gehört, Da­niel.«

»Mir wird übel bei dem Gedanken«, erwiderte er.

*

Dr. Norden nahm sich die Zeit, zwischen zwei Krankenbesuchen zur Leitner-Klinik zu fahren, denn dar­über wollte er mit seinem Freund Schorsch lieber persönlich sprechen.

Er hatte freilich vorher angerufen, denn Schorsch hatte ebenso wie er sehr wenig Zeit.

Daniel hielt sich auch nicht lange bei der Vorrede auf. »Was weißt du von dem Entbindungsheim Miranda?« fragte er.

»Daß es da äußerst diskret zugeht. Bisher habe ich noch nichts Nachteiliges gehört. Frau Renz gilt als sehr erfahrene Hebamme. Ich kann es solchen nicht verdenken, wenn sie ein Heim gründen, sofern sie die Mittel dazu haben.«

»Du meinst also, daß dort alles in Ordnung ist?«

»Du nicht?« fragte Schorsch irritiert.

»Mir ist da etwas Merkwürdiges zu Ohren gekommen, und ich kann nicht glauben, daß das pures Gerede ist.«

Er erzählte, was er von Elisabeth Roth erfahren hatte. Schorsch runzelte die Stirn.

»Illegaler Babyhandel? Ich kann es mir bei uns kaum vorstellen. Da sind unsere Behörden doch eigentlich sehr wachsam. Aber es passiert auch bei uns, daß werdende Mütter ihr Baby sofort zur Adoption freigeben. Es ist ihre Entscheidung.«

»Aber da geht doch alles den Rechtsweg. Die Adoptionen werden rechtlich durchgeführt, die Eltern vorher überprüft.«

»Selbstverständlich.«

»Ich werde mich jedenfalls mal nach dieser Frau Renz erkundigen«, sagte Daniel. »Falls du etwas in Erfahrung bringen solltest, laß es mich wissen.«