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Claudia Lütje
Jenny Green
Charlie Hugo
u.a.

(K)EIN BAUM ZU WEIHNACHTEN

Romantische Weihnachtsgeschichten

© 2018

édition el!es

www.elles.de
info@elles.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-265-7

Coverillustration:
istock.com/virtustudio

Manuela Schopfer

(K)ein Baum zu Weihnachten

2

Was mach ich nur hier? Ich will doch gar keinen Weihnachtsbaum . . . Ihre Hände tief in den Haaren vergraben, stützte sich Katharina mit den Ellenbogen auf dem Lenkrad ab.

Seit exakt zwanzig Minuten saß sie nun schon hier in ihrem Auto, und langsam wurde es kalt.

Kraftlos ließ sie sich zurück in den Fahrersitz plumpsen. Da steckte sie, genau in ihrem Blickfeld auf dem Armaturenbrett, und verhöhnte sie wortlos. Weiß und unschuldig. Sarahs Visitenkarte. Sie brauchte sie nicht einmal mehr anzusehen, Katharina wusste, was da stand.

»Weihnachtsbäume der Familie Tanner, einfach die Besten«, murmelte sie vor sich hin.

Sie kannte auch die nachfolgende Zeile: »Sarah Tanner«, sprach sie den Namen der Rothaarigen leise aus, und ohne es zu wollen, wanderten ihre Mundwinkel nach oben. Schon allein diesen Namen zu sagen, ließ ihr Herz einen kleinen Freudenhüpfer machen.

Mit Schwung lehnte sie sich nach vorn und prallte mit der Stirn auf das Lenkrad.

Wie hatte sie sich da nur wieder hineinmanövriert? Sie hatte doch vergangenen Donnerstag beim TÜV nur nett sein und Sarah aushelfen wollen, und nun hatte sie den Salat.

Sie hätte es besser wissen müssen. Schon als sie beim TÜV ihre Autotür ins Schloss fallen lassen hatte, hatte sich ein nervöses Kribbeln in ihr breitgemacht. Da hätte sie noch die Gelegenheit gehabt zu fliehen, aber hatte sie sie genutzt? Zermürbt rollte sie mit den Augen. Nein, hatte sie nicht. Wie dumm von ihr . . .

Spätestens als Sarah um die Ecke gekommen war und sich ausgerechnet hinter ihr eingereiht hatte, hätte sie einen Spaziergang um den Block machen und sich einfach ein paar Minuten später noch einmal in der Schlange vor der Kasse anstellen sollen. Aber so war sie Sarahs erdigem Duft, gemischt mit dem leichten Aroma von Tannennadeln, hilflos ausgeliefert gewesen.

Ihre Hände verstärkten den Griff ums Lenkrad, so fest, dass ihre Knöchel weiß hervorstachen.

Das hier sah ihr leider viel zu ähnlich. Sich in eine Frau zu vergucken, mal eben beim Anstehen in der Schlange. Hatte sie sich nicht geschworen, es bleiben zu lassen? Wenigstens um Weihnachten herum. Warum konnte sie nicht ihre eigenen Vorsätze befolgen? Waren die Konsequenzen letztes Mal nicht hart genug gewesen?

Aber es half alles nichts. Irgendetwas hatte sie dazu gedrängt, heute herzukommen.

Ein Glucksen entrang sich ihrer Kehle. Irgendetwas? Nein. Katharina schüttelte schmunzelnd den Kopf, sie wusste genau, was es war. Es waren diese grünen Augen, die sie seither überallhin verfolgten. Selbst in ihren Träumen wurde sie nicht verschont. Diese Augen und ihr Herz hatten sie trotz leichtem Schneefall und eisiger Kälte an diesem Samstagnachmittag aus dem Haus gedrängt.

Ergeben zuckte Katharina mit den Schultern. Wenn sie schon mal hier war, konnte sie sich auch die Weihnachtsbäume ansehen . . . Zumindest war der Weihnachtsbaum für ihre Galerie eine gute Ausrede, Sarah wiederzusehen.

Tief atmete sie durch und kniff die Augen zu. Sie würde es jetzt einfach tun. Ungeachtet der Jahreszeit . . .

Oder sollte sie doch einen Rückzieher machen, schnell wieder losfahren, den Weihnachtsbaum lassen und Sarah vergessen? Daheim hätte sie es warm und kuschelig. Sie könnte sich in ihre flauschige Decke auf dem Sofa einmummeln, einen Tee, ein gutes Buch und das Wochenende genießen. Die Tür zumachen und die Welt draußen für zwei Tage vergessen. Aber da waren auch diese strahlenden grünen Augen, die sie nicht aussperren konnte . . .

Entschlossen schlug sie die Autotür zu und stapfte los durch den Schnee. Als sie die vielen Menschen jeden Alters sah, stutzte sie kurz. Sarah hatte offensichtlich nicht übertrieben, als sie erzählte, dass sie die besten Weihnachtsbäume hätten.

Katharina hatte schon viele Weihnachtsbäume gekauft, und wenn ein Hof derart abgelegen und trotzdem so geschäftig war, musste die Familie Tanner in der Tat weitläufig bekannt sein für ihre Weihnachtsbäume.

Das Knirschen unter ihren Schuhen verstummte abrupt, sie stand still wie eine Statue. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich. Mist!

Argwöhnisch musterte sie den Mann, der Sarah mitten auf dem Hof vor allen Leuten umarmte.

Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, dann fing es an zu rasen. Denn der überschwängliche Kuss, der auf Sarahs Wange landete, zusammen mit dem kleinen Mädchen, das Sarahs Hand hielt, zeigten das Bild einer perfekten Familie.

Verdammt!, durchschlug es sie wie ein Blitz, und ihre Hand knallte ungebremst auf ihre Stirn. Wenn sie keine Mütze getragen hätte, hätte es wohl so laut geklatscht, dass es über den ganzen Bauernhof zu hören gewesen wäre.

Das muss dann wohl oder übel Familie Tanner sein . . .

Ungläubig verschränkte sie die Arme vor der Brust und beobachtete Herrn Tanner dabei, wie er sich zu seiner Tochter hinunterbeugte und ihr fürsorglich den Schal richtete. Liebevoll strich er anschließend Sarah über den Arm und winkte seiner Tochter noch hinterher, als sie Richtung Haus davonsprang, gefolgt von Sarah.

Obwohl sie den Mann nicht einmal kannte, fühlte Katharina das eifersüchtige Murren in ihrer Magengegend.

Ungefragt und äußerst lästig drängten sich zusätzlich Bilder vor ihr inneres Auge, sehr unschöne Bilder von ihm und Sarah.

Verlegen kratzte sie sich am Hinterkopf und seufzte tief. Sie hatte zwar Ähnliches geträumt, aber in ihren Träumen waren da nur Sarah und sie selbst gewesen. Und das Gefühl von warmer Haut unter ihren Fingern und überall.

Warum war sie überhaupt noch hier? Sie war gerade so fehl am Platz wie ein Käfer auf einem Salatblatt, das sich auf dem Weg in einen Mund befand.

Sie hätte nicht herkommen sollen. War doch anzunehmen, dass Sarah einen Mann hat, schalt sie sich selbst.

Nachdenklich stupfte sie mit ihrer Stiefelspitze im Schnee herum. Familie Tanner. Ja klar. Das musste, nein, das konnte nur Herr Tanner sein, der sich inzwischen wieder einer Kundin zuwandte und ihr mit einem ehrlichen Lächeln den Tannenbaum abnahm, ihn mit Schwung in die Netzmaschine warf und hinten verpackt wieder herauszog.

Sie rümpfte unzufrieden die Nase und stemmte die Hände in die Hüften. Konnte der Mann nicht wenigstens einen ungepflegten oder ruppigen Eindruck machen? Aber nein, er lächelte herzlich, übergab der Kundin ihren vernetzten Weihnachtsbaum und winkte zu allem Übel noch dermaßen freundlich dem kleinen Kind der Kundin hinterher, dass sich Katharinas Magen umdrehte.

Verzweifelt drehte sie ab und stapfte ein paar Schritte durch den Schnee. Er machte es ihr wirklich nicht leicht, ihn zu hassen. Wenn der liebe Herr Tanner sich so aufführte, war es kein Wunder, dass Sarah Frau Tanner sein musste. Warum nur war der Kerl so sympathisch . . .

Genervt kickte sie nach dem Schnee. Doch es half alles nichts, es war, wie es war, und das galt es nun zu akzeptieren. Aus der Traum . . .

Das passte leider viel zu gut zu ihr und dieser Jahreszeit. Aber vielleicht war es auch besser so.

Was sollte sie nun tun? Nachdenklich richtete sie ihre Mütze. Einfach wieder nach Hause fahren und alles verdrängen? »Nein«, entschlüpfte es ihr trotzig. Wenn sie schon hier war, konnte sie sich auch ein wenig umsehen. Nach dieser unschönen Offenbarung zur Familie Tanner stand ihr der Sinn zwar noch weniger als sonst nach Weihnachten und schon gar nicht nach Weihnachtsbäumen, Sarahs Vorschlag mit dem Baum für ihre Galerie war trotz allem gut. Besonders, da am übernächsten Montag die Weihnachtsausstellung begann und ein bisschen Deko nicht schaden konnte.

Gemächlich schlenderte sie zwischen den Tannen hindurch und betrachtete eine nach der anderen. Hin und wieder ließ sie ihren Blick über den Hof schweifen in der Hoffnung, Sarah noch einmal zu sehen. Aber sie schien wie vom Erdboden verschluckt. Dafür tauchte Herr Tanner permanent in ihrem Sichtfeld auf.

Missbilligend rümpfte sie die Nase und wandte sich schnell wieder den Tannen zu.

Der Hof sah topgepflegt aus. Wenigstens nach dem zu urteilen, was der Schnee nicht bedeckte. Er wirkte fast wie das Motiv einer Postkarte mit Winterlandschaft. Ha, Postkarte! Gibt es die überhaupt noch? Katharina konnte sich nicht daran erinnern, wann sie die letzte erhalten, geschweige denn verschickt hatte.

Sie reckte sich erneut und suchte die Gegend nach Sarah ab. Aber leider sah sie nur den charmanten Herrn Tanner. Dieses Mal trieb er es in der Tat zu weit.

Ein leises Knurren grollte ihre Kehle empor, als sie beobachtete, wie er der Frau mit den grauen Haaren den vernetzten Weihnachtsbaum in den Kofferraum legte und ihr zuvorkommend die Wagentür aufhielt.

Verdrossen drehte sie sich um und sah direkt auf einen mickrigen Tannenbaum, der einen etwas verlorenen Eindruck machte. Aber tatsächlich war es doch eher sie, die hier verloren herumstand.

Sie seufzte und zupfte unentschlossen an einem kurzen Stummelast herum. Der wahre Grund für ihren Besuch war zerplatzt wie eine Seifenblase, die den spitzen Tannennadeln zum Opfer gefallen war. Sie konnte ebenso gut wieder verschwinden. Es würde Sarah nicht auffallen, sie hatte sie inzwischen sicherlich bereits vergessen.

»Der passt nicht zu Ihnen.«

Katharina drehte sich um und erstarrte. Da stand sie auch schon, wie aus dem Nichts, keine zwei Meter von ihr.

»Der Baum passt definitiv nicht zu Ihnen.« Lange rote Haare schwangen hin und her.

»Wie kann der Tannenbaum nicht zu mir passen?« Katharina stemmte ihre Hände in die Hüften.

»Der ist zu wenig elegant«, schmunzelte Sarah. »Sie brauchen einen . . .«, nachdenklich strich sie sich übers Kinn. »Sie brauchen einen, der schick ist und anmutig. Genau wie Sie.«

Hatte Katharina den Sommeranfang verpasst, oder warum war es plötzlich so unglaublich heiß? Zittrig öffnete sie den obersten Knopf ihres Mantels, um etwas kühle Luft an ihren Körper zu lassen. Allein schon Sarahs funkelnde Augen schienen die Kälte des Winters schlagartig vertrieben zu haben.

»Ich glaube, ich hab da genau den richtigen Baum für Sie.«

Huch! Katharina konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Sarah ihre Hand nahm und zielstrebig mit ihr durch die Baumreihen marschierte.

»Da vorn, da ist er.« Sarah sah über ihre Schulter zurück, und Katharina konnte das Leuchten in ihren Augen sehen.

Oh Gott!

Katharina wusste nicht, was schneller war. Ihr Herzschlag oder ihre Beine, die versuchten, mit Sarah Schritt zu halten. Oder dieses Kribbeln, das durch ihren Körper sauste, seit Sarah ihre Hand genommen hatte.

»Das ist er.« Etwas außer Atem blieb Sarah stehen und deutete mit Schwung auf die Tanne, die vor ihnen stand. »Das ist der schönste Tannenbaum, den wir haben.« Verträumt strich Sarah einen kleinen Ast entlang. »Er ist genauso schön wie Sie«, murmelte sie, wandte ihren Blick von der Tanne ab und sah Katharina tief in Augen.

Katharina schluckte schwer. Hatte sie das jetzt richtig gehört? Schon vorhin hatte sie kurz an ihrem Gehör gezweifelt, aber die feine Röte, die sich auf Sarahs Wangen legte, war eben noch nicht da gewesen. Da war sie sich sicher.

»Ähm, da. . . danke«, brachte sie kaum hörbar heraus. Sie konnte es spüren, die Hitze breitete sich nun auch in ihren Wangen aus.

Jetzt wusste sie, was am schnellsten war, es war definitiv ihr Herz. Denn unter Sarahs sanftem Blick pochte ihr Herz heftiger als nach einem Sprint auf den Bus.

»Sehen Sie . . .«, Sarah nahm ihre Hand und führte sie behutsam über den Ast und die dichten Nadeln hinweg. »Ich glaube, der Baum ist genau wie Sie«, fuhr sie fort. »Seine spitzen Nadeln können piksen, wenn man in die falsche Richtung streicht. Aber ändert man die Richtung, ist er sanft, anschmiegsam und stark.«

Wie bitte? Anschmiegsam? Himmel noch mal! Genau das Wort erinnerte sie an vergangene Nacht, als Sarah in ihren Träumen dicht an sie gekuschelt im Bett lag, nachdem sie . . .

»Gefällt er Ihnen nicht?«, unterbrach Sarah ihre Gedanken.

»Do. . . doch«, stotterte Katharina und schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben. »Er ist wunderschön.« Genau wie du, konnte sie sich gerade noch verkneifen zu sagen.

Wortlos senkte sie den Blick und betrachtete ihre verschlungenen Hände. Ihre Hand brannte wie Feuer unter Sarahs Daumen, der wiederholt sanft über ihren Handrücken strich und zarte Blitze ihren Arm entlangsandte.

Wie mochten sich Sarahs Hände wohl anfühlen, wenn sie ihren Körper liebkosten? Genießerisch fielen ihre Augen zu, und ein kleiner Seufzer drang zwischen ihren Lippen hervor. Ja, das wäre zu schön . . .

Erschrocken riss sie die Augen auf und zog hastig ihre Hand zurück. Was tat sie hier? Sie flirtete gerade hemmungslos mit einer verheirateten Frau!

Hastig richtete sie ihre Mütze und wankte einen Schritt zurück. Oder war es nicht eher andersrum, und Sarah flirtete mit ihr?

»Er sieht gut aus«, nuschelte sie. »Ich, ich nehme ihn.«

»Sehr schön«, freute sich Sarah und klatschte in die Hände. »Wohin soll ich ihn liefern, in Ihre Galerie?«

»Was, liefern?«, fragte Katharina ungläubig. »Warum liefern? Ich nehme ihn einfach mit.«

»Nein, das geht nicht«, lächelte Sarah. »Er ist viel zu groß, er passt nicht in Ihren Kofferraum.«

Verwirrt strich Katharina sich über die Stirn. Sarah hatte recht, er passte nicht in ihr Auto, aber womöglich auf das Autodach?

»Ich bringe Ihnen den Baum«, wiederholte Sarah. »Ich habe einen Lieferwagen, da passt er perfekt rein.«

»Nein«, wehrte Katharina ab. »Das ist wirklich nicht nötig.«

»Oh doch, das ist es«, protestierte Sarah mit den Händen in die Hüften gestemmt. »Ohne Sie würde ich heute noch beim TÜV am Schalter stehen. Also abgemacht«, fuhr sie unbeirrt fort. »Morgen gegen sechzehn Uhr?«

Was konnte Katharina dagegen noch sagen? Geschlagen ergab sich ihrem Schicksal. Sie würde Sarah also wiedersehen. Himmel, und das schon morgen!

5

Mist! Ungebremst schlug ihre Hand auf der Bande auf. Wo ist Sarah nur?

Mit zusammengekniffenen Augen überflog sie abermals eine Person nach der anderen auf der Suche nach ihr. Doch die einzigen bekannten Gesichter auf dem Eis waren Sarahs Bruder und seine Tochter.

Verärgert kickte sie mit dem Fuß gegen die Bande. Wo war sie nur? Sie hatte Sarah doch eben noch gesehen. Von oben, am Rand der Tribüne, waren ihre rote Haare richtiggehend herausgestochen. Aber hier unten am Rand des Eisfelds konnte Katharina sie nirgends mehr entdecken.

Nervös strich sie sich über die Nase, sogar ihr Verstand schien sich inzwischen über sie lustig zu machen. Denn obwohl sie Sarah nicht sehen konnte, schwebte ihr erdiger Duft seltsamerweise überaus deutlich in der Luft.

Tief zog sie diesen berauschenden Duft in ihre Lungen ein. Mit Sarahs Duft kam unvermittelt die Erinnerung an ihren Kuss zurück.

Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. Ja, sie erinnerte sich genau daran, wie Sarah sich im Lager der Galerie an sie geschmiegt hatte und sich ihre Lippen zu einem innigen Kuss verbanden.

Verträumt strich sie sich mit dem Daumen über die Lippen, und ein breites Lächeln legte sich darauf. Das Kribbeln in ihrem Bauch hatte sie die vergangene Woche über begleitet, und Sarahs Duft, der ihr hier so verführerisch in die Nase stieg, schien mit der Erinnerung nur noch stärker zu werden.

Moment mal . . . Ihr Kopf schoss hoch, und ihre Augen weiteten sich schlagartig. Sie spürte, wie ihr Herz für einen Schlag aussetzte und ein heißer Schauer sie durchfuhr.

Aus dem Augenwinkel spähte sie zur Seite und drehte fast schon in Zeitlupe den Kopf nach hinten. Mit jedem Zentimeter, der Sarah in ihrem Sichtfeld erschien, verdoppelte sich der Rhythmus ihres Herzschlags.

Himmel! Katharina wirbelte herum, und ihr Po knallte gegen die Bande.

Da stand sie. Sarah! Direkt vor ihr. Ihre Arme hatte sie fest vor der Brust verschränkt, und ihre grünen Augen funkelten wie die einer Löwin, die sich jede Sekunde auf ihr hilfloses Opfer stürzen würde.

»Was willst du hier?«, schnaubte sie.

»Ich will mich bei dir entschuldigen«, sprudelte es aus Katharina heraus. »Ich habe mich wie eine komplette Idiotin verhalten und ich . . .«, sie strich sich über den Nacken und trat einen wackeligen Schritt näher an Sarah heran.

»War es das dann?« Sarah verdrehte die Augen und wandte sich ab, um zu gehen.

»Nein, das war es nicht«, beteuerte Katharina und hielt sie am Arm zurück. »Ich bitte dich um Verzeihung, und ich möchte, dass du mir – uns – noch eine Chance gibst.«

»Und warum sollte ich das tun?« Sarah drückte Katharinas Hand von ihrem Arm weg. »Nur damit du mir später wieder vorwerfen kannst, ich würde mich wie deine Ex verhalten?« Hastig wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen und schluchzte unterdrückt auf.

»Nein, bitte«, Katharina schüttelte den Kopf. »Ich weiß, es war falsch von mir, und es tut mir unsagbar leid. Die ganze Woche über, bei jedem Gemälde, das ich für die Weihnachtsausstellung aufgehängt habe, konnte ich nur an dich denken. Daran, wie ausgesprochen dämlich ich mich verhalten habe, und daran, wie sehr ich dich vermisse.«

»Du vermisst mich?«

»Ja, natürlich«, nickte Katharina eifrig. »Ich . . . ich liebe dich, Sarah. Mehr, als ich mir eingestehen wollte, und mehr, als . . .«

»Ich habe dich auch vermisst«, unterbrach Sarah sie.

»Wirklich?« Ungläubig weiteten sich Katharinas Augen, und ihr Herz machte einen Freudenhüpfer. Behutsam näherte sie sich Sarah, umschloss ihre Hand und strich ihr zärtlich über den Handrücken. Sofort kribbelte es in ihren Fingerspitzen, und das kleine Lächeln, das über Sarahs Gesicht huschte, zauberte eins auf ihr eigenes.

»Ja, wirklich«, beteuerte Sarah und verschlang ihre Finger mit Katharinas. Mit einem Strahlen übers ganze Gesicht beugte Sarah sich zu Katharina und lehnte ihre Stirn weich gegen ihre.

Sanft spürte Katharina Sarahs Hand an ihrem Hals und Sarahs Finger, die liebevoll ihre Haut streichelten.

»Ich liebe dich nämlich auch«, flüsterte Sarah.

Katharina wollte etwas erwidern, aber Sarahs Lippen legten sich zärtlich auf ihre, und ihre Zunge verband sich sanft mit Katharinas, dass es ihr den Atem verschlug.

Liebevoll schlang sie die Arme um Sarah und zog sie noch näher an sich heran. Sarah endlich zu spüren, wie sich ihr Körper an ihren schmiegte, ließ das Flattern von ihrem Bauch aus ihren ganzen Körper durchwirbeln.

Sie wusste, mit Sarah an ihrer Seite würde selbst für sie Weihnachten wieder das Fest der Liebe sein. Und so, wie der Weihnachtsbaum in ihrer Galerie regelmäßig frisches Wasser bekam, würde Sarah ihr Herz und sie Sarahs Herz von jetzt an jeden Tag mit Liebe erfüllen.

ENDE

1

»Was für eine Abzocke«, grummelte Katharina vor sich hin und trat am Schalter einen Schritt zur Seite. Das Wechselgeld, die Quittung und ihre Papiere schob sie lässig mit einer Hand über den Tresen zu sich.

Beinahe hätte sie es verpasst. Aber vor ein paar Tagen war ihr gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass ihr Auto zur Hauptuntersuchung fällig war. Sie hatte sich sofort um einen Termin gekümmert, sie fuhr lieber nicht mit einer abgelaufenen TÜV-Plakette herum.

»Was soll das heißen, ich kann nicht mit Karte bezahlen?«, sagte die rothaarige Frau neben ihr erbost, die nun an der Reihe war.

»Wir nehmen nur Bargeld«, erwiderte die TÜV-Mitarbeiterin und tippte an den Zettel, der an der Glasscheibe zwischen ihr und der Rothaarigen klebte. »Es tut mir leid«, zuckte sie mit den Schultern. »Die Zahlterminals sind ausgefallen. Das erleben wir hier leider öfter vor den Feiertagen.«

»Moment«, knurrte die Rothaarige genervt und kramte in ihrer Geldbörse herum. »Ich muss nachsehen, ob ich noch genügend Bargeld bei mir habe.«

Katharina beobachtete aus dem Augenwinkel, wie die Frau hastig in ihrer Geldbörse hantierte. Die Wangen der Rothaarigen hatten schon fast die gleiche Farbe angenommen wie ihre Haare. Ob das an der Kälte lag, die das Land kurz vor Weihnachten fest im Griff hatte, oder daran, dass sie nicht bargeldlos zahlen konnte, vermochte Katharina nicht zu beurteilen. Sich um die Hauptuntersuchung kümmern zu müssen, war ohnehin nicht gerade ein Vergnügen, aber den Termin nicht wahrnehmen zu können, weil die Zahlterminals ihren Dienst verweigerten, war noch viel ärgerlicher.

»Wie viel ist es noch mal?«, fragte die Rothaarige, ohne aufzublicken.

»Hundertzwei Euro und zehn Cent!«

Katharina verkniff sich ein Grinsen. Die Stimme der TÜV-Mitarbeiterin hatte inzwischen unüberhörbar einen frostigen Ton angenommen. Eine Gebührentabelle wurde unter der Glasscheibe hindurchgeschoben, und ein schwarzer Fingernagel tippte ungeduldig auf die entsprechende Stelle.

»Ja, ja, ich habe es gleich, nur einen Moment noch«, versuchte die Rothaarige, etwas Zeit zu schinden. Aber die TÜV-Mitarbeiterin verzog bereits mürrisch den Mund und schaute vielsagend auf die lange Schlange hinter der Rothaarigen.

Ein Fünfziger fand seinen Weg aus der Geldbörse, gefolgt von zwei Zwanzigern. Die Rothaarige öffnete das Münzfach, und wenige Geldstücke klimperten auf das kalte Metall des Tresens.

Die TÜV-Mitarbeiterin zog den Zettel mit der Gebührentabelle zurück ins Schalterinnere, während die Rothaarige die einzelnen Münzen zählend von einer Seite auf die andere schob.

»Wie viel fehlt Ihnen noch?«, brach es aus Katharina heraus. Es ging sie zwar nichts an, aber so gestresst, wie die Rothaarige wirkte, konnte Katharina sie hier nicht hängen lassen. Außerdem gefiel ihr der erdige Duft, der die Frau umspielte, und ebenso der Anblick der feurigen Haare, die mit vereinzelten Tannennadeln gespickt waren.

Auch wenn Weihnachten vor zwei Jahren für Katharina abrupt seinen Glanz verloren hatte, war es trotzdem die Zeit der Nächstenliebe, und eine Frau in Not im Stich zu lassen, widerstrebte ihr zutiefst.

»Öhm.« Zwei grüne Augen weiteten sich erstaunt und sahen direkt in ihre.

Wow!, hallte es durch Katharinas Kopf. Doch bevor sie sich in dem klaren Grün verlieren konnte, wandte sich die Rothaarige ab und überflog die wenigen Münzen auf dem Tresen.

»Acht Euro«, sagte sie geschlagen und seufzte schwer.

Katharina wusste, die acht Euro waren nicht viel, aber definitiv zu viel, als dass die TÜV-Mitarbeiterin hinter der Glasscheibe ein Auge zudrücken konnte.

Kurz entschlossen zog sie einen Zehner aus ihrer Geldbörse und schob ihn unter der Glasscheibe hindurch. Sofort krallten sich schwarze Fingernägel den Schein, und er verschwand in der Kassenschublade.

»Hier, Ihre Quittung«, beeilte sich die TÜV-Mitarbeiterin zu sagen und schob der Rothaarigen das Wechselgeld hin.

Noch bevor diese das Geld aufgelesen hatte, rief die TÜV-Frau bereits nach dem nächsten Kunden und zwang ein zumindest ansatzweises freundliches Lächeln auf ihr Gesicht.

»Da. . . danke«, stotterte die Rothaarige.

Bitte, gern geschehen«, erwiderte Katharina mit einem warmen Lächeln. Ihre Mundwinkel wanderten amüsiert nach oben. Sie konnte förmlich sehen, wie es hinter diesen grünen Augen arbeitete.

Ihr Herz erhöhte ungefragt seinen Rhythmus, und sie erwischte sich dabei, wie sie sich beim Anblick dieses hübschen Gesichts fragte, ob im Sommer wohl auch noch ein paar Sommersprossen die wunderschönen Augen umspielten.

Oh nein. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, und ein kalter Schauer rann ihren Rücken hinunter. Alles, nur das nicht!, schalt sie sich selbst und rief sich innerlich zur Ordnung. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und marschierte mit großen Schritten zurück zu ihrem Auto. Das ist definitiv nicht die richtige Jahreszeit für so etwas, ermahnte sie sich und kramte in ihrer Manteltasche nach dem Autoschlüssel.

»Warten Sie!«, hörte sie hinter sich. »So warten Sie doch bitte.«

Mit der Hand bereits am Türgriff hielt sie inne und atmete tief durch. Warum konnte die Rothaarige es nicht auf sich beruhen lassen?

»Wie kann ich das wiedergutmachen?« Die Rothaarige hatte inzwischen zu ihr aufgeschlossen, fröstelnd vergrub sie ihre Hände unter den Achseln und tapste von einem Bein auf das andere.

»Schon in Ordnung«, winkte Katharina ab. »Sehen Sie es als verfrühtes Weihnachtsgeschenk.«

»Das möchte ich aber nicht«, erwiderte die Rothaarige nachdrücklich. »Geben Sie mir bitte Ihre Adresse, dann kann ich Ihnen das Geld schicken«, schlug sie vor.

»Es ist mein Ernst«, versicherte Katharina, während sie die Autotür öffnete, sich ihre Mütze vom Kopf zog und auf den Beifahrersitz warf. »Es ist ein Weihnachtsgeschenk«, wiederholte sie und wuschelte sich durch die Haare.

Sie spürte, wie ihr augenblicklich heiß wurde, als sie den durchdringenden Blick bemerkte, den die Rothaarige über sie gleiten ließ. Aber noch viel wichtiger: Warum wurde ihr heiß, nur weil eine hübsche Frau sie betrachtete? Normalerweise machte ihr das nichts aus. Schon durch ihren Beruf war sie es gewohnt, hin und wieder im Rampenlicht zu stehen.

Und warum um Himmels willen wuschelte sie sich gerade durch die Haare? Wollte sie etwa gut aussehen für die Rothaarige? Sonst war es ihr doch egal, ob sie wegen ihrer Mütze mit einer platten Frisur hinterm Steuer saß oder nicht.

»Brauchen Sie einen Weihnachtsbaum?« Die Rothaarige kam einen Schritt näher und streckte ihr entschlossen eine Visitenkarte hin.

»Einen Weihnachtsbaum?«, echote Katharina. Skeptisch fixierte sie die Visitenkarte. Sie hätte beinahe gelacht, wenn es nicht so traurig gewesen wäre. Ihr Verhältnis zu Weihnachten und Weihnachtsbäumen konnte man kaum als gelungen bezeichnen.

Früher war das anders gewesen. Da hatte sie sich auf Weihnachten gefreut wie ein kleines Kind. Es gab Tage, da stand sie stundenlang mit großen Augen vor dem Fenster und betrachtete die Schneeflocken, wie sie unablässig vom Himmel fielen, sich am Boden sammelten und das Land in ihre weiße Pracht hüllten.

Auch war sie kaum zu halten, wenn es um den Weihnachtsbaum ging. Meist musste sie sich selbst bremsen, um nicht einen viel zu großen zu kaufen, der dann nicht in ihre Wohnung passte. Bunte Kugeln, Lametta, Schleifen und Kerzen, alles musste herhalten als Dekoration.

Doch als dann . . . Katharina kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken. Keine Sekunde daran vergeuden, das war es schlicht nicht wert.

»Ja, ich . . . meine Familie verkauft Weihnachtsbäume«, erklärte die Rothaarige. »Falls Sie noch keinen haben . . . Es würde mich freuen, Ihnen einen als Dankeschön zu schenken.« Sie hielt ihr immer noch die Visitenkarte entgegen.

»Ich brauche daheim keinen Baum«, lehnte Katharina barsch ab. Sie wusste selbst, dass ihre Stimme sich gerade viel zu streng angehört hatte. Schließlich wollte die Rothaarige ihr nichts Böses, sondern sich nur erkenntlich zeigen.

»Sonst für Ihre Galerie?«, schlug die Rothaarige vor.

»Woher wissen Sie . . .?« Katharina konnte sich nicht erinnern, auch nur einen Ton über ihre Galerie verloren zu haben.

Oder war die Rothaarige eine Kundin von ihr? Das hätte sie gewusst. Sie vergaß nie ein Gesicht. Ganz zu schweigen von diesen grünen Augen, an die hätte sie sich garantiert erinnert. Denn als Galeriebesitzerin konnte sie es sich schlicht nicht leisten, Kunden oder auch Künstler zu vergessen.

Zögerlich deutete die Rothaarige auf die Autotür. »Da, Ihre Werbung.«

Katharina klatschte sich mit der Hand auf die Stirn. Natürlich! Sie stand hier schon die längste Zeit neben der weißen Inschrift auf ihrem schwarzen SUV. Dafür war Werbung schließlich da, dass man sie sah und wahrnahm.

Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Über das Gesicht der Rothaarigen schien ein spitzbübisches Lächeln zu huschen, in einem Wimpernschlag war es da und wieder weg.

Wurde sie etwa gerade ausgelacht? Na ja, wägte sie ab. Sie machte sich in der Tat gerade selbst zum Depp. Es zeugte wohl nicht von besonderer Geistesgegenwart, wenn sie ihre eigene Werbung vergaß, zumal wenn sie direkt danebenstand.

»Ach, stimmt«, sagte sie etwas verlegen und nahm zaghaft die Visitenkarte entgegen. »Ich werde es mir überlegen«, versprach sie.

Die Hand der Rothaarigen berührte ihre kaum für eine Sekunde, aber schon das reichte, und ein Kribbeln sauste durch ihren Körper. Auch dieser feine, erdige Duft war wieder da, der ihr vorhin am TÜV-Schalter bereits die Sinne vernebelt hatte. Tief atmete sie ihn ein, und auf ihr Gesicht stahl sich ein scheues Lächeln. Jetzt wusste sie ja auch, woher die Rothaarige die Tannennadeln in ihren Haaren hatte.

»Es würde mich wirklich freuen, Sie wiederzusehen«, versicherte ihr die Rothaarige, vergrub die Hände tief in den Hosentaschen und sah ihr direkt in die Augen.

Katharina schluckte schwer. Diese Augen . . . Warum brachten sie diese grünen Augen so aus der Fassung? »Mich auch«, murmelte sie kaum hörbar, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen.

Aber offenbar immer noch laut genug, denn die Rothaarige lächelte zufrieden und zwinkerte ihr noch frech zu, bevor sie sich umdrehte und zu den geparkten Autos hinüberschlenderte.

Hatte sie das jetzt richtig gesehen? Hatte die Rothaarige ihr tatsächlich zugezwinkert, oder hatte sie nur etwas im Auge gehabt?

Seufzend ließ Katharina sich in den Fahrersitz plumpsen und wischte sich übers Gesicht. Eingebildet hatte sie sich das Zwinkern hoffentlich nicht. Falls doch, wurde es Zeit, ihre geistige Gesundheit untersuchen zu lassen.

»Wenn die Rothaarige etwas im Auge gehabt hätte«, sinnierte sie, »hätte sie doch mit der Hand daran gerieben. Das war ein Zwinkern, was sonst.«

Ach herrje! Ratlos warf sie ihre Hände in die Luft. Warum machte sie sich darüber überhaupt Gedanken? Sie würde die Rothaarige sowieso nicht wiedersehen.

Zum Glück hatte sie keine Zeit mehr, sich noch weiter den Kopf zu zerbrechen. Denn ein Mann winkte ihr bereits zu, um sie – oder besser ihr Auto – zur Hauptuntersuchung abzuholen.

4

»Du dumme Kuh!«, schrie sie den Briefkasten an. Am liebsten hätte sie ihm noch einen kräftigen Tritt gegeben, aber der kleine Blechkasten konnte am allerwenigsten dafür, dass sie sich am Sonntag vor einer Woche aufgeführt hatte wie eine Idiotin.

Es war schon zwei Jahre her, seit Paula sie verlassen hatte, und doch vermieste sie ihr auch dieses Weihnachten wieder.

Ärgerlich knirschte sie mit den Zähnen und fixierte den Briefkasten. Warum nur hatte sie Sarah vergangenen Sonntag nicht einfach an die Hand genommen, sich mit ihr zusammen hingesetzt und ihr bei einem Glas Wein erzählt, was ihr Paula damals angetan hatte?

»Ach . . .«, seufzte sie. »Meine Sarah . . .«

Beim Gedanken an Sarah huschte für einen Augenblick ein kleines Lächeln über ihr Gesicht, und die Wut in ihr verflog wie der Dampf ihres warmen Atems, der sich in der Kälte verlor.

Noch mit Sarahs Bild vor Augen ließ sie ihren Kopf in den Nacken fallen und betrachtete die Schneeflocken, wie sie zu Tausenden vom Himmel fielen. Ausgerechnet eine ganz besonders große suchte sich exakt ihre Nasenspitze für ihre Landung aus.

Schmunzelnd wischte sie sich das glitzernde Ding von der Nase, doch schnell wurde sie wieder ernst. Genau wie diese Schneeflocke mussten damals ihre Augen gefunkelt haben, als sie freudestrahlend am Weihnachtsabend Paula das kleine Geschenk überreicht hatte. Ungeduldig und mit pochendem Herzen war sie auf ihrem Stuhl hin- und hergerutscht, während sie zusah, wie Paula das Geschenk auspackte, mit seltsam finsterer Miene und ohne ein einziges Wort zu sagen.

Gespannt wie ein Gummiband kurz vor dem Reißen hatte sie beobachtet, wie Paula den Deckel aufklappte. Sie hatte Freude und Strahlen und ein Ja erwartet, doch Paulas Gesicht hatte augenblicklich jegliche Farbe verloren.

Katharina hatte gar nicht so schnell schauen können, wie Paula zuerst die kleine Schachtel und dann den Verlobungsring auf den Tisch pfefferte.

»Leb wohl.«

Das war alles, was Paula ihr zugefaucht hatte, bevor sie sich erhob und aus dem Wohnzimmer stürzte.

Wie gelähmt hatte sie den Verlobungsring angestarrt, der noch über den Tisch rollte, bevor er umkippte und genauso regungslos liegenblieb wie Katharinas Herz, das sich anfühlte, als hätte es gerade für immer aufgehört zu schlagen.

Nur undeutlich hatte sie mit verheulten Augen Paula wahrgenommen, die mit Jacke und Stiefel bekleidet zurück ins Wohnzimmer trampelte, sich mit versteinerter Miene den Weihnachtsbaum mit den goldenen Kugeln schnappte und gleich darauf die Wohnungstür hinter sich ins Schloss knallte.

Erst Wochen später hatte sie durch Zufall erfahren, dass Paula mitsamt dem Weihnachtsbaum bei ihrer heimlichen Geliebten eingezogen war.

Katharina wischte sich die restlichen Schneeflocken vom Gesicht. Damals hatte Paula ihr wahrlich das Herz gebrochen. Aber mittlerweile empfand sie rein gar nichts mehr für sie. Dafür – das war ihr vergangene Woche mehr als klar geworden – umso mehr für Sarah.

Seufzend zog sie den Umschlag aus ihrer Manteltasche und betrachtete ihn.

»Sarah«, hauchte sie, während sie die goldenen Buchstaben von Sarahs Namen nachzeichnete. Warum nur hatte sie sich Sarah gegenüber so dämlich benommen und ihre ganzen Ängste, die eigentlich Paula galten, an Sarah ausgelassen?

Kraftlos ließ sie ihre Schultern hängen und schlug die Augen nieder. Es gab leider nur eine Antwort darauf.

Ich bin feige, gestand sie sich ein.

Ihre starken Gefühle für Sarah hatten sie unvorbereitet erwischt. So sehr, dass sie sich gefürchtet hatte, sich darauf einzulassen und womöglich wieder verletzt zu werden.

Sarah hatte sie vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen, und sie hatte förmlich fühlen können, wie die Liebe in ihrem Herzen für Sarah erwachte, als sie ihr zum ersten Mal in die Augen sah. Mit der Weihnachtszeit und den Erinnerungen an Paula war alles über ihr zusammengebrochen, und anstatt sich wie eine gestandene Frau zu benehmen, hatte sie die Frau am weitesten von sich weggestoßen, die sie doch in Wahrheit ganz nah bei sich haben wollte.

Und wohin hatte sie ihre eigene Dummheit geführt?

Sie wischte sich eine Träne von der Wange und vergrub ihre Stiefel noch tiefer im Schnee. Die eisige Kälte herrschte nicht nur hier draußen, sondern seit Sarah aus der Galerie verschwunden war auch in ihrem Herzen. Anstatt sich mit Sarah zusammen auf dem Sofa unter eine Decke zu kuscheln, stand sie am frühen Sonntagnachmittag mitten im Schneegestöber auf Sarahs Hof und beschimpfte einen unschuldigen Briefkasten.

Erneut wischte sie sich die Tränen aus den Augen und schluckte angestrengt den Kloß hinunter. Sie senkte ihre Augen auf den Umschlag und stupste mit der anderen Hand wiederholt die Briefkastenklappe an, die so jämmerlich quietschte, wie sie sich fühlte.

Sollte sie ihn einwerfen, an der Tür klopfen und hoffen, dass Sarah daheim war, oder einfach wieder verschwinden?

»Kann ich Ihnen helfen?«

Ihr Kopf schoss hoch, und sie starrte mit klopfendem Herzen in die grünen Augen einer älteren Dame, die mit einer Küchenschürze und einem Kochlöffel in der geöffneten Tür stand.

»Moment mal . . .«, nachdenklich kniff die Dame die Augen zusammen und schob ihre Brille den Nasenrücken hoch. »Sie müssen Katharina sein. Richtig?«

Katharina schluckte trocken und legte eine Hand auf ihr rasendes Herz. »Ja«, brachte sie unsicher hervor. »Die bin ich.«

Jetzt erhellten sich die Gesichtszüge der Dame, und der Kochlöffel schwang in großem Bogen einmal an Katharinas Nase vorbei.

»Wusste ich’s doch«, jauchzte sie triumphierend. »Sarah hat mir dermaßen viel von Ihnen erzählt, ich glaube, ich hätte Sie unter Tausenden von Frauen erkannt.« Vergnügt steckte sie den Kochlöffel zurück in ihre Küchenschürzentasche.

»Sarah?«, stammelte Katharina ungläubig. »Sarah hat von mir gesprochen?«

»Ja, aber natürlich«, nickte die Dame mit einem breiten Lächeln. »Sie spricht seit . . .«, nachdenklich strich sie über ihre Schürze, ». . . seit gut zwei Wochen nur noch von Ihnen.«

Kurz wandte Katharina die Augen ab und stupfte mit der Stiefelspitze im Schnee herum. Sarah . . .

»Ist sie . . .« Katharina sah auf den Umschlag in ihrer Hand. »Ist Sarah da?«

»Nein«, schüttelte die ältere Dame den Kopf. »Sie ist mit ihrem Bruder und ihrer Nichte beim Eislaufen. Aber wollen Sie nicht reinkommen und auf sie warten? Ich mache gern einen Kaffee für Sie. Oder einen Tee? Zum Aufwärmen?«

»Nein, danke«, räusperte sich Katharina. »Ich . . .«, unschlüssig zuckte sie mit den Schultern. »Ich wollte Sarah nur diese Einladung zur Weihnachtsausstellung geben.«

»Ja, genau«, erinnerte sich die Dame und stupste sich an die Nasenspitze. »Sarah hat mir ausführlich von Ihrer Galerie und dem Weihnachtsbaum erzählt. Ach übrigens, ich bin Elke. Sarahs Mutter«, stellte sie sich vor.

»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen«, erwiderte Katharina und reichte Elke die Hand.

Was würde sie dafür geben, wenn das jetzt Sarahs weiche Hand wäre und nicht die ihrer Mutter? Entnervt versuchte sie, diesen Gedanken zu vertreiben und hielt den Umschlag hoch.