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Katja Freeh

Solange du bei mir bist

Roman

© 2020

édition el!es

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Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-309-8

Coverillustration:
iStock.com/Vimvertigo

1

»Die Quelle ist versiegt. Von mir wirst du nichts mehr bekommen!« Das Gesicht der älteren Frau verzog sich ablehnend.

»Bitte . . . Tante Petra . . .« Die jüngere Frau versuchte, die ältere mit einem charmanten Lächeln umzustimmen. »Du bist doch meine Lieblingstante.«

»Deine einzige«, korrigierte Petra Lüders. »Jedenfalls die einzige, die dir noch etwas gegeben hat. Aber damit ist es jetzt auch vorbei. Ich habe dir immer wieder gesagt, such dir einen Job, mach etwas aus deinen Talenten. Du hast schließlich eine Menge davon. Und was tust du?«

Die jüngere Frau, elegant gekleidet und ausgesprochen attraktiv, schlug die Beine übereinander und lächelte erneut so bezaubernd, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass irgendjemand ihr auf Dauer widerstehen könnte. »Ich finde, ich mache eine Menge aus meinen Talenten«, erwiderte sie kokett.

»Aus deinem guten Aussehen.« Ihre Tante schnaubte fast durch die Nase. »Und aus deinem Charme. Das nutzt du aus.« Sie schüttelte den Kopf. »Genau wie dein Vater. Der hat eine Frau nach der anderen geschwängert –«

Sorgfältig manikürte Fingerspitzen hoben sich in die Luft. »Das habe ich noch nie getan«, behauptete Charlotte Flemming, von den meisten Charlie genannt, mit ernsthaftem Gesichtsausdruck. »Großes Ehrenwort.« Sie legte eine Hand beschwörend auf ihr Herz, doch ihre Mundwinkel zuckten und machten die ganze gespielte Ernsthaftigkeit sofort wieder zunichte.

»Weil du eine Frau bist«, entgegnete ihre Tante unbeeindruckt. »Wärst du ein Mann, wäre es schon längst passiert. Das zumindest ist ein Vorteil. Dass du die Frauen, denen du schöne Augen machst, nicht so ins Unglück stürzen kannst.«

»Ich stürze sie doch nicht ins Unglück«, wehrte Charlie sich mit einer Miene, als ob sie ganz betroffen von dieser Unterstellung wäre und noch nie an so etwas gedacht hätte. »Eher sie mich. Nur ihretwegen habe ich Schulden. Weil Geschenke nun einmal teuer sind. Und Restaurantbesuche in New York, Paris oder Tokio. Urlaub auf Musha Cay . . .«

Erneut schnaubte Petra Lüders durch die Nase wie ein Pferd, das vorhat, seine Reiterin gleich abzuwerfen. »Wo man sogar nur für eine Nacht die gesamte Insel mieten muss.« Sie schüttelte den Kopf. »Was kostet das?«

»Och . . .« Charlie zuckte die Schultern. »Es ist aber auch wirklich sehr schön dort. Einsam.« Sie grinste ein wenig. »Ungestört.«

»Und das ist wie viel . . .?« Professor Lüders’ Augenbrauen hoben sich. »Fünfzigtausend Dollar pro Nacht wert?«

»Du weißt es ja.« Charlie grinste noch mehr. »Was fragst du mich dann nach dem Preis?«

»Charlie, Charlie . . .« Petra Lüders’ Kopfschütteln hörte schon fast nicht mehr auf. »Was soll nur aus dir werden?«

»Ein einigermaßen menschenwürdiges Leben kostet eben Geld«, erklärte Charlie mit allergrößter Selbstverständlichkeit. »Und dazu bin ich erzogen worden.«

»Dein Erbteil war groß genug.« Ihre Tante seufzte und lehnte sich in dem Bürosessel zurück, in dem sie saß. »Aber du hast es in kürzester Zeit durchgebracht.«

Wieder zuckte Charlie die Schultern. »Niemand hat mir beigebracht, wie man in einer Zweizimmerwohnung lebt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Leute das machen.« Sie verzog die Lippen. »Kann man wirklich von ein paar tausend Euro im Monat existieren?«

Trocken lachte Petra Lüders auf. »Wenn man dich so reden hört . . . Und du warst so ein nettes Kind.«

»Ich bin immer noch nett«, behauptete Charlie. Sie beugte sich leicht vor und lächelte wieder. »Soll ich dir eine Liste mit Namen geben, die das bestätigen?«

»Davon bin ich überzeugt.« Petra Lüders konnte nicht umhin zu schmunzeln. Sie hatte ihre Nichte immer gemocht, aber trotzdem musste sie ihr die Leviten lesen, daran führte kein Weg vorbei. Diese Verschwendungssucht musste ein Ende haben. »Und ich bin froh, dass du so eine Liste hast. Denn dann können sie dir ja das Geld geben, das du benötigst, um deinen Lebensstil weiterhin aufrechtzuerhalten.«

Für einen Moment sah Charlie fassungslos aus. Aber sie fing sich schnell wieder. »Ich bin eine Flemming, ich kann mir doch kein Geld von Leuten leihen, mit denen ich gesellschaftlich verkehre«, bemerkte sie indigniert. »Das würde auch auf dich zurückfallen. Was sollen die Leute von uns denken, von unserer Familie?«

»Schieb bloß nicht mich vor!« Petra Lüders lachte. »Darauf falle ich nicht mehr herein. Ich habe dir gesagt, was du tun musst. Warum hast du dein Medizinstudium abgebrochen? Du wärst eine gute Ärztin geworden. Und dann hättest du mit mir hier in die Klinik einsteigen können. Das hätte mich gefreut, und Schulden müsstest du dann auch keine machen.«

Charlie zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe es ja versucht«, sagte sie. »Aber das Studium lag mir nicht. Ich hatte überhaupt keine Zeit mehr für mich selbst, für die wichtigen Dinge.«

Erneut schüttelte Petra Lüders den Kopf. »Cocktailpartys, Clubnächte und Affären sind keine wichtigen Dinge. Ich weiß«, sie atmete tief durch, »das ist die Schuld deines Vaters. Aber jetzt bist du erwachsen. Schon eine ganze Weile. Und du solltest einsehen, dass ein solches Leben keinen Sinn hat. Es ist verschwendete Zeit. Ganz zu schweigen vom rausgeschmissenen Geld. Davon hattest du viel zu viel, sonst wärst du vielleicht schon früher zur Vernunft gekommen.«

»Vielleicht finde ich ja einen Beruf, der mir wirklich liegt«, lenkte Charlie schmeichelnd ein. »Wenn du mir noch ein bisschen Zeit lässt. Aber bis es soweit ist, brauche ich –«

»Nein, Charlie.« Petra Lüders unterbrach sie und stand auf. »Du bist alt genug. Du kannst für dich selbst sorgen. Oder könntest es, wenn du wolltest. Aber du willst nicht. Und das unterstütze ich nicht. Tut mir leid.«

»Tante Petra . . .«

»Frau Professor?« Die gepolsterte Tür des Büros öffnete sich unvermutet. »Entschuldigen Sie die Störung.« Eine junge Frau in einem weißen Kittel warf einen kühlen Blick auf Charlie, bevor sie sich wieder auf Professor Petra Lüders konzentrierte. »Die Patientin, über die Sie informiert werden wollten . . . Die Ergebnisse sind da.«

»Ich komme.« Professor Lüders nickte der jungen Ärztin zu, die aus der Tür verschwand, sie aber offenließ. »Das sind die wirklich wichtigen Dinge des Lebens«, wandte sie sich noch einmal an ihre Nichte. »Das wirst du hoffentlich auch noch herausfinden. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr, dir das zu erklären.« Sie ging an Charlie vorbei zur Tür hinaus.

Unzufrieden klopfte Charlie mit den Fingern auf den Schreibtisch ihrer Tante, ließ ihren Blick noch einmal darüberschweifen, als ob sie hoffte, darauf einen vergessenen Packen Geld zu finden, wandte sich dann um und folgte dem Weg der beiden Ärztinnen.

2

»Wie fühlen Sie sich, Frau Hersbach?« Professor Lüders ging lächelnd auf das Bett zu, in dem eine junge Frau lag, die sehr blass aussah. »Besser?«

»Ich weiß gar nicht, was das soll, Frau Professor«, erwiderte Bettina Hersbach lächelnd. »Nur weil mir ein bisschen schwindlig geworden ist, wird hier so ein Aufstand gemacht. Ich fühle mich schon wieder gut. Ich hatte auch früher schon mal Kreislaufprobleme. Da hat man mich nicht gleich ins Krankenhaus gebracht.«

»Da sind Sie vielleicht auch nicht ohnmächtig geworden«, erwiderte Petra Lüders. »Wenn so etwas passiert, sollte man schon mal nachschauen, woran es liegt.«

»Und? Woran liegt es?« Bettina Hersbach lachte. »Bin ich schwanger?« Sie schüttelte den Kopf. »Falls Sie mir das erzählen wollen, muss ich Ihnen gleich eine Enttäuschung bereiten: Das kann nicht sein.«

»Sind Sie da ganz sicher?« Professor Lüders lächelte.

»Ganz sicher«, entgegnete Bettina. »Ich hoffe, das schockiert Sie nicht, aber ich stehe nicht auf Männer. Also so ganz zufällig schwanger werden, weil die Verhütung nicht geklappt hat oder so, ist nicht.«

»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Petra Lüders lächelte immer noch zuversichtlich. »Dann hätten wir nämlich irgendetwas ganz Wichtiges übersehen bei unseren Untersuchungen.« Sie nickte freundlich. »Schwanger sind Sie nicht, und auch sonst sind Sie eigentlich ganz in Ordnung. Aber Sie sind sehr blass. Gehen Sie zu wenig an die Luft? Haben Sie einen Beruf, bei dem Sie viel drin sind?«

»Ja, vielleicht . . .« Bettina zögerte. »Vielleicht kümmere ich mich zu wenig um frische Luft, das stimmt. Ich verbringe die meiste Zeit in irgendwelchen muffigen Museumskellern.« Sie holte tief Atem. »Ist mein Beruf und meine Leidenschaft. Ich fürchte, daran kann ich nicht viel ändern.«

»Und wenn ich Ihnen ein paar Tage frische Luft verordne?«, fragte Petra. »Würden Sie sich daran denn wenigstens halten?«

»Wenn es sein muss . . .« Bettina wirkte zweifelnd. »Ich bin da gerade an einem sehr interessanten Projekt. Der Restaurierung eines lange vergessenen Bildes, das im Keller eines Museums schon fast verschimmelt war. Ich habe es nur zufällig entdeckt. Sonst wäre es der Welt wohl für immer verlorengegangen. Ein unersetzbarer Verlust.«

»Sie kämpfen um verschollene Kunstschätze?«, fragte Petra. »Von denen niemand etwas weiß?«

»Ja, ich finde . . .« Nun stieg doch eine leichte Röte in Bettinas Gesicht. »Ich finde, nichts davon sollte verlorengehen. Diese Dinge sind so wertvoll für unsere Kultur. Was wären wir ohne sie?«

»Ich kenne da jemanden, der sehr gut ohne so etwas leben kann«, murmelte Petra vor sich hin, hob ihre Stimme aber gleich wieder und sagte: »Sie sind eine Idealistin.«

»Was sonst sollte ich mit meinem Geld anfangen?« Bettina zuckte die Schultern. »Ich denke, am besten ist es doch, wenn die ganze Gesellschaft davon profitiert. Und jeder kann dieses Bild anschauen, wenn es fertig ist. Hoffentlich für eine lange Zeit.«

Petra lächelte sie fast liebevoll an. »Sie sind eine erstaunliche junge Frau.«

»Nicht erstaunlicher als andere«, behauptete Bettina. »Also? Wann kann ich wieder an meine Arbeit zurück? Ich bin ja anscheinend gesund.«

»Ja, Sie sind . . . gesund«, bestätigte Petra zögernd. »Aber ich entlasse Sie nur«, sie schmunzelte, »wenn Sie mir versprechen, in Zukunft mehr an die frische Luft zu gehen.«

Bettina hob leicht lachend eine Hand wie zum Schwur. »Ich verspreche es. Kann ich jetzt gehen?«

Professor Petra Lüders nickte. »Aber machen Sie langsam. Wir haben Sie hier jetzt ein bisschen aufgepäppelt, aber wenn Sie keine Sonne bekommen, wehrt sich Ihr Körper. Er braucht etwas Licht ab und zu.«

»Hochheiliges Ehrenwort.« Bettina schaute sie ernsthaft an, und doch blitzte es in ihren Augen leicht mutwillig. »Ich werde mein Fahrrad rausholen. Das steht auch in einem dunklen Keller. Da kenne ich mich ja aus.« Sie lachte.

»Tun Sie das.« Petra streckte ihr die Hand hin. »Ich wünsche Ihnen alles Gute.«

Als Bettina ihre Hand nahm, legte Petra ihre zweite darüber und drückte Bettinas Hand, als ob sie sich versichern wollte, dass sie stark genug war. »Genießen Sie das Leben«, sagte sie warm. »Sie sind noch so jung.«

»Oh, ich liebe das Leben.« Wieder lachte Bettina, und sie sah reizend aus, wenn sie das tat. »Und ich genieße es sehr. Ich liebe jedes einzelne Bild, das ich restauriere, wie mein eigenes Kind.« Sie schmunzelte. »Sie würden nicht glauben, wie viele Kinder ich schon habe, obwohl ich Ihrer Meinung nach ja noch so jung bin.«

»Ich würde mich freuen, wenn Sie sie mir einmal zeigen«, erwiderte Petra. »Und nun an die frische Luft, damit Sie nicht mehr so blass aussehen, als würden Sie wirklich in einem Keller leben.«

Sie verabschiedete sich mit einem letzten freundlichen Lächeln und ging mit der jungen Ärztin hinaus.

»Warum haben Sie das getan?«, fragte die geradezu entsetzt, als sie den langen Krankenhausgang hinunterliefen. »Warum sagen Sie ihr nicht die Wahrheit?«

»Sie denken, das müsste ich, nicht wahr?«, fragte Petra zurück. Sie schaute ihre junge Kollegin an. »Sie halten mich für unehrlich. Oder vielleicht sogar für feige.«

»Nein, natürlich nicht!«, protestierte die junge Ärztin sofort. »Aber sie hat doch ein Recht auf die Wahrheit. Wenn sie Glück hat, hat sie vielleicht noch ein Jahr. Soll sie das in dunklen Kellern verbringen? Sie könnte eine Weltreise machen, noch etwas von ihrem Leben haben, so kurz es auch sein mag.«

»Wäre sie auf einer Weltreise denn glücklicher?« Freundlich musterte Petra das Gesicht der eifrigen jungen Frau. »Sie haben doch gehört, was sie gesagt hat. Diese Bilder sind ihr Beruf und ihre Berufung. Es ist das, worin sie aufgeht, was sie am liebsten macht, was sie genießt. Auf einer langweiligen Kreuzfahrt würde ihr das sehr fehlen. Sie würde sich nicht wohlfühlen.«

»Und so wird sie sich überanstrengen und die kurze Lebensspanne, die ihr noch bleibt, eventuell noch mehr verkürzen.« Das ernsthafte junge Gesicht wirkte unzufrieden.

Petra blieb stehen. »Wenn Sie den Beruf so lange machen wie ich«, sagte sie, »werden Sie erkennen, dass nicht die Länge des Lebens von Bedeutung ist, sondern dessen Qualität. Ein kurzes Leben, in dem man genau das getan hat, wofür man brennt, ist mehr wert als ein langes Leben, in dem man sich nur gelangweilt hat oder in Routine versunken ist, ohne je das zu finden, was wirklich der Sinn des eigenen Lebens gewesen wäre.«

»Aber –«

Wie um sie aufzuhalten hob Petra eine Hand. »Wenn Sie es ihr unbedingt sagen wollen, ich halte Sie nicht davon ab. Aber überlegen Sie sich gut, was Sie da tun.« Damit öffnete sie die Tür ihres Büros und ging hinein.

Die junge Ärztin blieb auf dem Gang zurück und starrte nachdenklich zu Boden.

»Hallo Tanja. Lange nicht gesehen.«

Dr. Tanja Kesten blickte auf. »Charlie«, sagte sie, aber ihr Tonfall war nicht freundlich. »Wieder einmal hier, um deine Tante zu melken?«

»Vielleicht bin ich ja hier, um dich zu sehen?« Charlie warf all ihren Charme in die Runde, dass er fast von den Wänden abprallte.

Doch das beeindruckte Tanja nicht. »Kaum«, erwiderte sie trocken. »Ich habe kein Geld.«

»Das wusste ich, bevor wir uns das erste Mal trafen«, erwiderte Charlie in einem verführerischen Tonfall. Sie trat auf Tanja zu. »Und es hat mich nicht abgehalten.«

»Hätte es das doch.« Tanjas Augenbrauen zogen sich abwehrend zusammen. »Hätte mir einiges erspart.«

»War es denn wirklich so schlimm?« Charlie beugte sich ganz nah zu ihr, als wollte sie sie küssen. »Da erinnere ich mich an etwas anderes.«

Tanja wich aus und begab sich mit langen Schritten den Gang hinunter in Richtung des Krankenzimmers, von dem sie eben mit Professor Lüders zusammen gekommen war.

Charlies Beine waren jedoch länger als ihre, und so holte sie sie mühelos ein. »Immer noch böse? Findest du, dass ich das verdient habe? Wir hatten doch eine schöne Zeit.«

»Wenn du meinst«, erwiderte Tanja, ohne sie anzusehen. Sie legte ihre Hand auf die Türklinke, weil sie nun an dem Zimmer angekommen waren. »Meinetwegen kannst du dir das selbst gern erzählen. Aber ich habe jetzt Arbeit.« Sie verzog abschätzig die Mundwinkel. »Wenn du das Wort verstehst. Ich weiß, dass du es eigentlich nicht kennst.«

»Ich arbeite härter, als du denkst.« Charlie schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Ist nicht leicht, die Nächte durchzumachen und tagsüber so auszusehen.« Sie wies mit den Fingern auf ihr Gesicht.

»Du bist wie Dorian Gray«, entgegnete Tanja verächtlich. »Solange du jung bist, sieht man dir deine Verlebtheit nicht an. Aber warte mal ein paar Jahre ab.« Sie öffnete die Tür und schloss sie schnell wieder hinter sich, nachdem sie ins Zimmer getreten war.

»Frau Doktor?«, fragte Bettina erstaunt, die bereits aufgestanden war und an ihrem Schrank stand. »Haben Sie noch etwas vergessen mir zu sagen?«

Tanja blickte sie an und öffnete den Mund, schloss ihn dann aber sofort wieder. Nachdem sie einmal durchgeatmet hatte, lächelte sie leicht. »Nein«, sagte sie. »Ich wollte mich nur noch einmal persönlich von Ihnen verabschieden. Vorhin ging es so schnell.«

»Das ist aber nett von Ihnen.« Bettina lächelte auf eine Art, wie man sie auf Renaissancegemälden fand. Vielleicht hatte sie es von den vielen Gemälden aus dieser Zeit übernommen, die sie so sehr aus der Nähe betrachtet hatte, um jeden kleinsten Riss zu reparieren.

»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, fuhr Tanja fort. »Und . . . übernehmen Sie sich nicht. Lassen Sie es langsam angehen. Viel Sonne und Erholung.«

Lachend nahm Bettina ein paar Sachen aus dem Schrank und legte sie aufs Bett. »Meine Arbeit ist Erholung für mich. Jeden Tag. Wenn ich die alten Meister sehe . . . die Pinselführung . . .« Ihr Gesicht bekam einen geradezu verträumten Ausdruck.

»Dann will ich Sie nicht länger beim Packen stören«, sagte Tanja. »Werden Sie abgeholt?«

Bettina schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Familie mehr. Ich nehme mir ein Taxi. Machen Sie sich keine Sorgen.« Sie kam auf Tanja zu und schaute sie an. »Über irgendetwas machen Sie sich Sorgen, nicht wahr?«

Schnell schüttelte Tanja den Kopf und drehte sich wieder zur Tür. »Ich bin jetzt seit sechsunddreißig Stunden im Dienst. Wahrscheinlich bin ich nur müde.«

»Dann sollten Sie sich ausruhen, nicht ich«, lachte Bettina. »Ich habe schließlich tagelang im Bett gelegen.«

Tanja zog schief einen Mundwinkel hoch und wandte kurz halb den Kopf über die Schulter, um Bettina noch einmal anzusehen. »Das wird es sein«, sagte sie. »Ich muss mich nur etwas ausruhen.«

Sie zögerte kurz, bevor sie die Tür leicht aufschob und in den Gang blickte.

Erleichtert öffnete sie sie ganz und trat hinaus.

Charlie war verschwunden.

5

Bettina erwachte mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das ausnahmsweise einmal nicht ihren Bildern galt, ihrer Arbeit, auf die sie sich jeden Tag freute. Sie hielt die Augen geschlossen und spürte dem Gefühl nach, das wie eine weiche Wolke der Erinnerung durch jede Faser ihres Körpers zog.

Was war das nur gewesen in dieser Nacht? Eine Wunschvorstellung? Ein Traum? Eine Ausgeburt ihrer überentwickelten Phantasie, gespeist von einer noch nie gestillten Sehnsucht?

Nein, sie wusste, dass es das nicht war. Ihre Hand tastete neben sich im Bett nach warmer Haut.

Irritiert öffnete sie die Augen, als sie nichts fand. Sie wandte den Kopf und sah ein zurückgeschlagenes Bett, ein zerknülltes Kopfkissen. Das war anders als sonst, aber nicht das, was sie erwartet oder sich gewünscht hatte.

Für einen Augenblick stand ihr Herz fast still. Dann begann es zu rasen, als wollte es die verlorenen Schläge aufholen. Seit zwei Wochen hatte sie davon geträumt, dass Charlie beim Aufwachen neben ihr liegen würde, und nun dachte sie, es wäre eingetreten, ihr Traum hätte sich erfüllt, aber Charlie war . . . gegangen?

Sie lauschte nach Geräuschen in der Wohnung.

Nichts.

Starr lag sie da, die Arme steif ausgestreckt neben sich, als läge sie in einem Sarg. So fühlte sie sich auch. Das hier hatte sie schon einmal erlebt, aber sie hätte nie gedacht, dass sie es mit Charlie wieder erleben würde.

»Nicht mit Charlie«, flüsterte sie. »Oh nein, bitte nicht mit Charlie . . .«

Auf einmal hörte sie, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte.

Nackt, wie sie war, sprang sie auf und rannte in die Diele, warf Charlie fast um, als die die Tür öffnete und hereintreten wollte.

»Immer langsam!«, lachte sie. »Ich dachte, du schläfst noch, aber du scheinst ja schon sehr wach zu sein.«

»Charlie.« Bettina keuchte fast.

»Ja, ich«, bestätigte Charlie leicht irritiert. »Hast du jemand anderen erwartet?« Ihr Blick schweifte schmunzelnd über Bettinas nackte Gestalt. »Ich hoffe nicht, dass du all deine Besucher so empfängst.«

Kurz stutzte Bettina, dann begann sie erleichtert zu lachen. »Nein. Nein, das tue ich nicht.«

»Das beruhigt mich«, sagte Charlie. »Und wenn du jetzt ins Bett zurückgehst, bekommst du da dein Frühstück serviert. So hatte ich es nämlich eigentlich geplant.« Sie hob eine Tüte hoch. »Ich bin keine große Frühstückmacherin, deshalb habe ich alles fertig gekauft. Ich hoffe, das stört dich nicht.«

»Stört mich . . .«, Bettina trat auf Charlie zu und zog sich leicht an ihr hoch, um einen Kuss auf ihre Lippen zu drücken, ». . . gar nicht«, flüsterte sie. »Ich bin so froh, dass du da bist.«

»Schade, dass mir die Überraschung nicht gelungen ist.« Bedauernd verzog Charlie das Gesicht. »Da du deinen Schlüssel so bequem hier neben der Tür abgelegt hattest, habe ich ihn mir einfach ausgeborgt. Ich hatte es mir sehr romantisch vorgestellt, dich mit einem Kuss zu wecken.«

»Ich schlafe noch!«, rief Bettina, rannte ins Schlafzimmer zurück und schlüpfte schnell wieder unter die Decke.

Kurz darauf kam Charlie ihr nach, und während Bettina mit Gewalt ihre Augenlider zusammenpresste, beugte Charlie sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft. »Frühstück ist fertig«, sagte sie leise.

Als sie nun zum zweiten Mal an diesem Morgen ihre Augen aufschlug, sah Bettina Charlies lächelndes Gesicht über sich.

»Guten Morgen«, sagte sie. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen.«

»Wunderbar.« Bettina hob die Arme und legte sie um Charlies Nacken. »So gut wie schon lange nicht mehr.«

Diesmal versanken sie in einen längeren Kuss.

»Wenn der Kaffee nicht kalt werden soll, müssen wir jetzt aber wirklich frühstücken«, bemerkte Charlie schmunzelnd. »Diese Pappbecher halten nicht ewig heiß.«

»Frühstück im Bett mit Pappbechern . . . das habe ich tatsächlich noch nie gemacht.« Bettina lachte.

Etwas entschuldigend verzog Charlie das Gesicht. »Tut mir leid. Soll ich den Kaffee umfüllen?«

»Dann wird er ja noch kälter.« Bettina zog Charlie auf die Bettkante. »Pappbecher im Bett sind ganz in Ordnung. So werde ich mich immer an dieses Frühstück mit dir erinnern, weil es völlig anders war als alles, was ich bisher gemacht habe.«

Charlies Augen versanken in ihren. »Diese Nacht war völlig anders als alles, was ich bisher gemacht habe«, erwiderte sie mit belegter Stimme.

Bettina schluckte. »Das . . . Ja . . .« Die Erinnerung an die Zärtlichkeit der Nacht verschlug ihr die Sprache. Charlies Zärtlichkeit. »Der . . . Kaffee . . .«, konnte sie nur noch mühsam hinzufügen.

Charlie griff neben sich und zog einen Kaffeebecher aus der Tüte. »Mit Zucker und Milch?«, fragte sie.

»Beides«, sagte Bettina. »Viel.«

»Dann lag ich mit Cappuccino ja richtig.« Charlie zog den Deckel von dem Becher ab und schaute hinein. »Blöd«, sagte sie. »Der Schaum ist praktisch weg.«

»Macht nichts.« Bettina griff nach dem Becher. »Wenn du mir den Zucker gibst . . .«

Mit einem schnellen Griff zog Charlie eine ganze Handvoll Zuckertütchen heraus.

»Soo viele brauche ich nicht!«, lachte Bettina.

»Sag einfach, wenn es genug ist.« Charlie riss das erste Tütchen auf, schüttete es in den Kaffee, riss ein zweites auf und dann ein drittes. Als auch das in dem braunen Getränk verschwunden war, schaute sie Bettina fragend an.

»Noch eins«, sagte Bettina. »Dann ist es genug.«

»Na, dann war es doch gut, dass ich so viele mitgebracht habe«, neckte Charlie sie. »Du bist ja wirklich eine ganz Süße.« Sie beugte sich vor, und während sie das letzte Zuckertütchen in den Becher entleerte, küsste sie Bettina leidenschaftlich. »Was ich natürlich schon wusste«, hauchte ihre Stimme heiser an Bettinas Lippen, als sie sich endlich wieder davon löste.

Bettina umklammerte den Becher mit aller Kraft, während Charlies Kuss ihr gleichzeitig alle Kraft zu rauben schien. Sie hatte Angst, dass der ganze Kaffee inklusive des ganzen Zuckers im Bett landen würde.

Doch nicht nur sie war atemlos, als sie sich voneinander lösten, auch Charlie atmete schwer.

»Das war die längste Trennung meines Lebens«, keuchte sie. »Dieses Frühstück zu besorgen. Ich hatte das Gefühl, es dauerte eine Ewigkeit. Ich wollte immer nur zu dir zurück.«

Sprachlos starrte Bettina sie an. Sie fühlte, wie Tränen ihre Kehle heraufkrochen, und nahm schnell einen Schluck Kaffee. »Ich bin erst kurz vor deiner Rückkehr aufgewacht. Ich weiß nicht, wie lange du weg warst.« Noch einmal kehrte der Schreck in ihre Glieder zurück, den sie empfunden hatte, als das Bett neben ihr leer war.

»Wahrscheinlich war es nur eine Viertelstunde. Die Bäckerei hier um die Ecke hat ja alles«, erklärte Charlie. »Aber jede Sekunde ohne dich ist eine Ewigkeit.«

Bettina wandte den Kopf ab.

»Was ist?«, fragte Charlie mit besorgtem Tonfall. »Was hast du?«

Noch einmal rettete Bettina sich in einen Schluck Kaffee, aber sie drehte ihren Kopf nicht zurück.

»Nun komm schon«, sagte Charlie. »Du wirst dich doch nicht allein von Kaffee ernähren wollen? Ich habe Croissants hier und belegte Brötchen und Kuchen und –«

Obwohl Bettina ein Schniefen zu unterdrücken versuchte, kam es doch heraus.

»Weinst du?«, fragte Charlie, legte sich quer über das Bett und schaute sie von der anderen Seite her an.

»Nein, ich . . .« Wie um ihre eigene Aussage zu widerlegen, strich Bettina sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel. ». . . weine nicht.« Dann schaute sie Charlie an. »Ich bin nur so glücklich.« Und dabei sah sie fast unglücklich aus.

Charlie lachte. »Schämst du dich etwa dafür, glücklich zu sein?« Mit einem Finger fuhr sie eine nasse Spur auf Bettinas Wange nach, die sie noch übersehen hatte. »Du hast ein Recht darauf.« Sie schob sich leicht auf Bettinas Schoß, legte sich auf den Rücken und blickte von unten zu ihr auf. »Eine Frau wie du hat jedes Recht auf Glück.«

»Eine Frau wie ich?«, fragte Bettina. »Und andere nicht?«

»Doch, natürlich. Jede. Jede Frau hat ein Recht auf Glück.« Charlie strahlte sie an. »Aber du besonders. Weil du etwas Besonderes bist.« Sie sprang auf und stapelte alles, was bisher in der Tüte gewesen war, auf dem Bett. »Und wenn du jetzt nichts isst, werde ich böse.« Herausfordernd begann sie zu grinsen. »Wie kannst du mir das antun? Du weißt, ich mag Frauen lieber, die etwas mehr auf den Rippen haben.«

Entgeistert ließ Bettina ihren Blick über das schweifen, was Charlie alles eingekauft hatte. »Wer soll das essen? Das ist doch viel zu viel für zwei.«

»Findest du? Also ich«, Charlie griff sich ein Croissant und biss ein großzügiges Stück davon ab, »kann eine ganze Menge verdrücken.« Sie kaute mit vollen Backen. »Besonders nach dieser Nacht«, brachte sie etwas undeutlich hervor. Sie schluckte herunter und lehnte sich vor. »Wenn du danach keinen Hunger hast . . .«

Da Bettina mit nacktem Oberkörper im Bett saß, sah man, wie sich ihre Haut von oben bis unten rosa färbte.

»Du wirst rot.« Charlie küsste ihre Brust. »Überall.« Sie lachte Bettina an. »Du bist einfach nur süß. Ich glaube, so eine süße Frau wie dich habe ich noch nie kennengelernt.«

Bettina wusste nicht mehr, wo sie hinschauen sollte. Am liebsten wäre sie aufgestanden und weggelaufen. Sie war Charlie zu dünn, und jetzt wurde sie auch noch über und über rot, sodass Charlie sich über sie lustig machte. »Ich glaube, ich kann nichts essen«, flüsterte sie. Sie musste ihre Lippen zusammenpressen, damit sie nicht in Tränen ausbrach.

»Habe ich etwas Falsches gesagt?« Charlie glitt neben sie. »Meine Süße, mein Engel . . .« Sie strich sanft mit ihrer Hand über Bettinas Wange. »Du willst nicht hören, dass du süß bist? Aber das bist du.«

»Ich . . . ich nehme nicht zu«, schluchzte Bettina. »Selbst wenn ich viel esse, nehme ich nicht zu. Und das magst du nicht.«

Charlie lachte. »Das ist es? Nur weil ich gesagt habe . . .? Komm her . . .« Sie nahm Bettina den Kaffeebecher aus der Hand, stellte ihn auf den Nachttisch und zog sie in ihre Arme. »Das war doch nur ein Scherz. Ein dummer Scherz. Ich bin manchmal dumm, weißt du?« Sie schaute Bettina lächelnd an. »Ich wollte nur, dass du etwas isst, weil ich das Gefühl hatte, du vergisst das Essen über deiner Arbeit oft, weil du so sehr darin versinkst.«

»Wirklich?«, fragte Bettina zweifelnd.

»Wirklich.« Charlie nickte ernsthaft. »Du bist perfekt so, wie du bist. Du musst nicht zunehmen, abnehmen, grün werden . . . gar nichts.«

»Grün werden?« Verständnislos runzelte Bettina die Stirn.

»Statt rot werden.« Charlie lächelte sie an. »Du findest es schlimm, dass du rot wirst? Finde ich gar nicht. Ich habe schon lange keine Frau mehr gekannt, die noch rot werden kann. Das ist eine Eigenschaft, die du nie ablegen solltest.« Sie lehnte Bettina vorsichtig gegen das Kopfteil des Bettes und griff nach einer Schale, die sie ebenfalls aus der Tüte hervorgezaubert hatte. »Und guck mal, was ich hier noch habe. Erdbeeren. Willst du die wirklich nicht essen?« Sie nahm eine in den Mund und kaute genüsslich. »Hmm, wahnsinnig lecker«, sagte sie. Dann nahm sie die nächste und steckte sie nur lose zwischen ihre Lippen. Langsam beugte sie sich zu Bettina vor, damit sie abbeißen konnte.

Bettina sah die verführerische Erdbeere auf sich zukommen – oder vielleicht waren auch nur Charlies Lippen verführerisch, die sie hielten – und begann zu lächeln. Ein Kribbeln durchzog ihren Körper. Sie öffnete die Lippen, umschloss die Hälfte der Erdbeere damit und biss ab.

Charlie aß ihre Hälfte nur Millimeter entfernt, dann küsste sie Bettina, löste sich wieder von ihr und nahm die nächste Erdbeere heraus. »Eine Erdbeere, ein Kuss«, grinste sie. »Ist das ein Deal?«

»Du musst mich nicht füttern.« Bettina lachte. Auf einmal fühlte sie sich befreit. »Ich kann schon selbst essen.«

»Und wenn ich dich gern füttern würde?« Plötzlich klang Charlies Stimme heiser. Diesmal schob sie die Erdbeere nur leicht in Bettinas Mund, ließ sie abbeißen und legte die zweite Hälfte auf ihre Brust, von wo sie sie hingerissen aß, bis sie bei der Brustwarze angekommen war, die sie in ihren Mund sog.

Überrascht stöhnte Bettina auf. »Charlie . . . Die ist aber nicht zum Essen.«

»Nicht?« Charlie tat erstaunt. »Ich finde sie lecker.« Und wieder nahm sie das nun sehr hart gewordene Steinchen zwischen ihre Lippen und saugte daran.

Ein heißes Sehnen schoss durch Bettinas Körper. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und seufzte. »Dafür hättest du nicht einkaufen gehen müssen«, wisperte sie undeutlich.

»Wart’s ab«, erwiderte Charlie keck, »was man mit Erdbeeren alles machen kann.«

»Oh Charlie . . .« Bettina glitt tiefer und vergrub ihre Hände in Charlies Haar. »Vor allen Dingen machst du mich verrückt.«

»Das will ich nicht«, murmelte Charlie kaum verständlich, denn sie war schon an Bettinas Bauchnabel angelangt. »Ich will nicht, dass du verrückt wirst. Ich will, dass du meine Frau wirst.«

»Was?« Bettina erstarrte.

Charlie glitt an ihr nach oben und stützte sich auf den Armen ab, sodass ihr Gesicht über dem von Bettina schwebte. »Willst du meine Frau werden?«, fragte sie lächelnd. »Willst du mich zum glücklichsten Menschen der Welt machen?«

»Charlie, ich . . .« Bettina schnappte nach Luft. »Ist das wieder nur ein dummer Scherz von dir?«

»Nein.« Das Lächeln verschwand aus Charlies Gesicht. »Das ist überhaupt kein Scherz. Das ist mein Ernst.«

»Aber . . . aber wir haben uns doch gerade erst kennengelernt«, stotterte Bettina.

»Vor zwei Wochen, sechzehn Stunden, dreiundzwanzig Minuten und zehn Sekunden.« Charlie lachte. »Okay, bei den Sekunden bin ich nicht so sicher, aber . . .«, sie beugte sich hinunter und ließ ihre Lippen zärtlich über Bettinas streichen, ohne sie zu küssen, »wenn eine Sekunde schon eine Ewigkeit ist, wie viele Ewigkeiten sind dann mehr als zwei Wochen? Und da wir uns schon so lange kennen: Willst du mich heiraten?«

»Du . . . du . . .« Bettina fehlten die Worte.

»Du musst dich nicht sofort entscheiden«, fuhr Charlie neckend fort. »Du hast noch ein paar Minuten Zeit.« Ihre Augen blitzten schelmisch. »Oder wie lange du eben jetzt gleich brauchst.« Sie glitt schnell an Bettina hinab.

»Oh mein Gott!« Bettina schrie auf, als Charlie mit heißen Lippen zwischen ihren Beinen landete. »Ja . . . oh ja . . . ja . . .«, seufzte sie gleich darauf.

»Ja?«, fragte Charlie. »War das ein Ja?«

Trotz der erregenden Situation musste Bettina lachen. »Ja«, wiederholte sie. »Ja, das war ein Ja, du Quälgeist.«

»Gut, dass ich mich nicht verhört habe«, murmelte Charlie. »Sonst hätte ich nämlich vielleicht aufhören müssen, um hochzukommen und dich noch mal zu fragen.«

»Nicht aufhören, bitte . . .« Bettina wand sich unter Charlies Händen und Lippen, die sie nun noch mehr quälten, wenn auch auf süße Art. »Niemals aufhören . . . nie . . . nie . . .«

Und dann dauerte es noch eine ganze Weile, bis sie endlich frühstücken konnten.

4

»Du sollst mir doch nicht immer etwas mitbringen.« Lächelnd schüttelte Bettina den Kopf, als Charlie die Werkstatt betrat. »Die Blumen verwelken nur.« Sie nahm den Strauß und einen Kuss von Charlie entgegen, rutschte von ihrem Hocker und stellte die Rosen in eine Vase.

»Ich kann doch nicht mit leeren Händen kommen«, entschuldigte Charlie sich, trat hinter sie, legte ihre Arme um Bettina und zog sie zu sich heran. Während sie den ersten Kuss auf ihre Wange gehaucht hatte, presste sie ihre Lippen nun über dem Stoff der Bluse auf ihre Schulter, dass Bettina die Stelle von dem heißen Atem fast brennen fühlte. »Du bist eine Frau, die mehr als nur ein paar Blumen verdient hat. Ich würde dir gern so viel mehr geben.«

Aufseufzend ließ Bettina sich zurücksinken. »Du gibst mir schon so viel mehr«, wisperte sie. »Ich freue mich jeden Tag darauf, wenn du kommst.« Ein Schauer lief durch ihren Körper.

»Tina . . .«, flüsterte Charlie. »Meine süße kleine Tina . . .«

»Du bist so lieb zu mir.« Bettina legte ihre Hände auf Charlies, die sie umfasst hielten. »Noch nie war jemand so lieb zu mir. Nun ja«, schränkte sie ein, »nach dem Tod meiner Eltern.«

»Du hast es verdient, dass man lieb zu dir ist«, flüsterte Charlie ihr ins Ohr. »Du bist eine Frau, zu der man einfach lieb sein muss.« Sie drehte Bettina zu sich herum, schaute sie mit einem tiefen Blick an und beugte sich dann langsam zu ihr, bis ihre Lippen sich trafen.

Bettina fühlte das sanfte Streicheln und öffnete ihre Lippen, um Charlie einzulassen. Immer war sie so sanft. Nie forderte sie etwas, drängte Bettina zu nichts. Das fand Bettina sehr ungewöhnlich. Sie hatte schon die eine oder andere Frau gekannt, und wäre es eine dieser Frauen gewesen, wären sie längst im Bett gelandet. Aber Charlie schien unendliche Geduld zu haben. Obwohl es in ihren Augen geschrieben stand, wie sehr sie Bettina begehrte, hielt sie sich zurück.

Der Kuss wurde inniger, und sie fühlte Charlies Herz an ihrem eigenen schlagen. Es schien fast, als wäre es nur ein Herz, das in ihnen beiden schlug. Bettina fühlte sich Charlie so verbunden, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Als hätte sie einen Teil von sich selbst gefunden, der ihr vor langer Zeit verlorengegangen war. Die Teile wollten sich wie von ganz allein wieder zusammenfügen, sie musste gar nichts dazu tun. Sie spürte, wie sie sich danach sehnte, endlich ganz eins mit Charlie zu sein.

»Charlie . . .«, seufzte sie, als ihre Lippen sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder trennten. Sie ließ ihren Kopf an Charlies Brust sinken. »Ich fühle mich so wohl bei dir. So unglaublich ruhig und geborgen.«

Sanft küsste Charlie ihr Haar. »Das freut mich«, sagte sie leise. »So sollst du dich immer fühlen. Am liebsten würde ich immer bei dir sein.«

»Ja, das wäre schön.« Bettina kuschelte sich lächelnd noch mehr an sie. »Wenn wir uns nie mehr trennen müssten, nicht mal für eine Sekunde.«

Charlie räusperte sich. »Meinst du das ernst?«

»Natürlich meine ich das ernst.« Verwundert hob Bettina ihr Gesicht zu Charlie auf. »Wie kannst du daran zweifeln?«

»Tue ich nicht.« Charlie lächelte sie warm an. »Ich kann nur kaum glauben, dass du genauso empfindest wie ich. Das . . . das hätte ich nie zu hoffen gewagt. Bisher –« Sie räusperte sich erneut. »Bisher war es nie so.«

»Du hast schlechte Erfahrungen gemacht?«, fragte Bettina.

Charlie beantwortete die Frage nicht, sondern fragte zurück: »Du denn nur gute?«

»Hm.« In Bettinas Gedächtnis sammelten sich Bilder. Sie dachte immer in Bildern. Ihre Erinnerungen liefen wie Filme vor ihrem inneren Auge ab, Stummfilme. Die Bilder sprachen für sich selbst, sie brauchten keine Worte. »Normale, denke ich.«

»Das klingt nicht begeistert.« Zärtlich strich Charlie mit einem Finger über Bettinas Wange. »Willst du darüber reden?«

»Eigentlich nicht.« Bettina schüttelte widerstrebend den Kopf. »Wie gesagt bin ich schüchtern. Im Umgang mit Menschen komme ich mir oft linkisch vor. Deshalb bin ich am glücklichsten, wenn ich nicht allzu viele Menschen um mich habe. Auf die Art«, sie lachte leicht, »lernt man nicht viele Leute kennen, mit denen man Erfahrungen machen kann.«

»Aber du hast welche gemacht, die . . .«, Charlie zögerte, als ob sie nach dem richtigen Wort suchte, »die nicht sehr angenehm waren?«

»Was ist schon angenehm?« Bettina zuckte die Schultern. »Außer in einem Keller zu hocken und mit jahrhundertealten Bildern zu sprechen? Ihnen zu versprechen, dass man sie wieder zum Leuchten bringen wird.«

»Das tust du? Du sprichst mit ihnen?« Etwas ungläubig warf Charlie einen Blick auf die Staffelei. »Ich meine, sie sind wunderschön, aber –«

Bettina lachte leise. »Ja, das versteht niemand. Noch nicht einmal du.«

»Doch. Doch irgendwie verstehe ich es schon.« Charlie lächelte sie verständnisinnig an. »Ich habe das noch nie getan, aber ich kann es mir vorstellen. In so einem Bild steckt so viel Erfahrung der Vergangenheit, was braucht man da noch die Erfahrung der Gegenwart?«

»Ja, ich lebe wohl eher . . . in der Vergangenheit«, gab Bettina stockend zu. »Auch wenn mir das bis jetzt gar nicht so bewusst geworden ist.« Sie schien mit ihren Augen jedes Detail von Charlies Gesicht zu erforschen, als wäre es eine fremde Landkarte. »Du machst mir so vieles bewusst. Du bist wie ein Tor in eine andere Welt.«

»Wir leben alle in derselben Welt«, erwiderte Charlie, strich mit einem Finger nur wie ein Versprechen über Bettinas Lippen und hauchte dann einen flüchtigen Kuss darauf. »Und wir müssen alle damit klarkommen.« Auf einmal zog sie Bettina heftig in ihre Arme. »Ich würde dich so gern vor dieser Welt beschützen!«, stieß sie atemlos hervor. »Ich möchte nicht, dass du noch einmal . . . unangenehme Erfahrungen machen musst.«

»Im Moment mache ich nur angenehme.« Mit geschlossenen Augen drückte Bettina ihre Wange gegen Charlies weiche Brust, fuhr langsam daran entlang. »Sehr angenehme . . .«, flüsterte sie.

»Mhmm . . .« Charlie seufzte auf. »Weißt du, was du da tust?«

»Ganz genau«, hauchte Bettina. »Ich möchte . . . Charlie . . .« Ihre Augen waren dunkler geworden, als sie sie nun wieder öffnete und Charlie ansah. »Du bist alles, was ich möchte«, fügte sie sehr leise hinzu.

»Dann sind wir uns ja einig«, flüsterte Charlie zurück, beugte sich ein wenig hinunter und zupfte mit ihren Lippen an Bettinas Ohrläppchen. »Denn du bist auch alles, was ich möchte.«

3

»Ich wünschte, ich könnte auch malen.« Die hochgewachsene junge Frau in dem dunklen Hosenanzug trat durch die Tür der Werkstatt.

»Sie dürfen hier eigentlich nicht –« Bettina drehte sich mit einem kleinen Schaber in der Hand von der Staffelei um. Sie hatte die Frau bereits als Reflexion im Fenster gesehen und wusste, dass sie sie nicht kannte und dass sie nicht zum Museumspersonal gehörte. »Dieser Teil des Museums ist nicht öffentlich«, fuhr sie fort. »Hier werden nur Sachen repariert.« Sie schmunzelte. »Und ich wünschte auch, ich könnte malen. Das habe ich versucht, aber leider reicht es nur zur Restauratorin.«

»Nur?« Die Frau kam lächelnd näher. »Das ist eine Kunst für sich.«

Bettina lächelte unwillkürlich zurück. Sie konnte nicht verhindern, sich geschmeichelt zu fühlen. Solche Komplimente bekam sie nicht jeden Tag. Und auch wenn sie kein eingebildeter Mensch war, hörte sie sie doch gern.

Je näher die fremde Frau auf sie zutrat, desto mehr fühlte sie deren faszinierende graue Augen in sich eindringen. Wie bei einem Gemälde, bei dem die Augen absichtlich so gemalt waren, dass sie dem Betrachter zu folgen schienen.

»Trotzdem dürfen Sie nicht hier sein«, fuhr sie fast bedauernd fort. »Oder haben Sie eine Sondererlaubnis? Gehören Sie zum Vorstand des Museums?«

»Nein.« Eine langgliedrige Hand streckte sich in Bettinas Richtung. »Nur zur großen Schar der Kunstbewunderer. Charlotte Flemming.«

»Bettina Hersbach«, sagte Bettina automatisch, und da sie Linkshänderin war und den Schaber demzufolge in der linken Hand hielt, konnte sie Charlie gleich die rechte entgegenstrecken, um deren Hand zu schütteln.

»Sie sind eine Künstlerin«, nahm Charlie den Faden wieder auf, und ihr Blick ruhte sehr lange auf Bettinas Gesicht. »Das sehe ich, ohne selbst eine zu sein. Wer ein solches Gemälde restaurieren kann, muss eine künstlerische Begabung haben, sonst geht es nicht.«

Bettina lachte. »Ich arbeite mit Röntgen, Infrarotkamera und Mikroskop, führe chemische Analysen durch, um die Farben und Pigmente nach Originalrezepturen anzumischen. Chemielaborantin wäre wahrscheinlich ein ähnlicher Beruf. Weit entfernt von Künstlertum.«

»Warum wehren Sie sich so?« Als Charlie sich über Bettinas Schulter lehnte, als ob sie das Bild näher betrachten wollte, streifte ein Hauch ihres Atems Bettinas Wange, und der Duft eines dezenten Parfums zog in ihre Nase. »Auch die alten Meister haben ihre Farben selbst angemischt.«

»Ich . . .«, Bettina schluckte, »wehre mich ja gar nicht«, hauchte sie schwach. War da schon wieder eine Ohnmacht im Anzug? Sie fühlte sich schwindlig.

»Sie sehen blass aus.« Charlie hielt sie fest, als sie auf dem Hocker leicht schwankte. »Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen?«

»Beim Frühstück?« Bettina fragte es sich fast selbst, denn sie wusste es nicht genau.

»Und jetzt ist Nachmittag.« Charlie lächelte äußerst charmant. »Darf ich Sie zu einem späten Mittagessen einladen?«

»Ich esse eigentlich«, Bettina räusperte sich, »so gut wie nie zu Mittag. Höchstens einen Apfel.« Sie wies mit dem Schaber, den sie immer noch in der Hand hielt, auf einen kleinen Korb, in dem Obst lag.

»Kein Wunder, dass Sie so dünn sind.« Fast wie um Verzeihung bittend hob Charlie eine Augenbraue. »Wenn ich das so sagen darf. Ich mag Frauen, die etwas mehr auf den Rippen haben, lieber.«

»Sie –« Bettina hätte beinah nach Luft geschnappt. Diese Charlotte Flemming nahm ihr geradezu den Atem. So etwas hatte sie noch nie erlebt.

»Mittagessen?«, wiederholte Charlie lächelnd. »Da können wir uns besser unterhalten.«

Wie in Trance legte Bettina den Schaber zur Seite, nahm ein Tuch und wischte sich die Finger ab. »Wenn ich jetzt so darüber nachdenke . . .«, ein vorsichtiges Lächeln überzog auch ihr Gesicht, »habe ich tatsächlich Hunger.«

»Sie sind also ganz allein?«, fragte Charlie, während sie Bettina im Restaurant gegenübersaß. »Das haben wir gemeinsam. Meine Eltern sind auch nicht mehr da.«

»Ach?« Bettina hob die Augenbrauen. »Hatten sie einen Unfall?«

Charlie schüttelte den Kopf. »Mein Vater war ein schwerer Trinker. Und geraucht hat er auch wie ein Schlot. Er hatte genug Geld, um sich den besten Champagner, den besten Whisky und die besten Zigarren leisten zu können, und das in Mengen. Das hat ihn umgebracht.«

»Und Ihre Mutter? Wenn ich das fragen darf?« Während Bettina leicht verlegen das Gesicht verzog, bildeten sich reizende Grübchen auf ihren Wangen. Sie sah fast aus wie ein Engel.

»Sie ist nicht tot«, sagte Charlie. »Aber sie hat meinen Vater verlassen, als ich ein kleines Kind war.« Sie zuckte die Schultern. »Was ich ihr nicht übelnehme. Eigentlich haben sich meine Eltern nie verstanden. Sie hätten gar nicht erst heiraten sollen. Mein Vater und ich sind immer gut miteinander ausgekommen, aber sonst war er schon ein ziemlicher Filou. Die meisten waren wohl deshalb mit ihm befreundet, weil er sie immer freigehalten hat. Nicht deshalb, weil er so ein netter Mensch war.«

»Oh«, sagte Bettina.

»Sie würden nicht so über Ihren Vater reden?« Charlie lächelte sie auffordernd an.

»Nein, mein Vater war . . . wunderbar«, erwiderte Bettina mit einem etwas entrückten Gesichtsausdruck. »Und er ist viel zu früh gestorben. Krebs. Was meiner Mutter das Herz gebrochen hat. Zwei Jahre später war sie auch tot. Sie konnte nicht ohne ihn leben.«

»Das ist sehr traurig.« Tröstend legte Charlie eine Hand auf Bettinas. »Tut mir leid.«

Bettina fühlte sich für einen Moment, als hätte sie soeben der Schlag getroffen. »Ich habe eine Menge Geld geerbt«, sagte sie dann mühsam. »Aber was nützt das, wenn die Menschen, die man liebt, tot sind?«

»Ja, geerbt habe ich auch.« Charlie nickte. »Geld ist nicht alles.« Sie wusste, dass solche Sprüche immer wirkten, insbesondere bei denen, die sich nicht viel aus ihrem Geld machten. Davon hatte sie schon oft profitiert. Langsam hob sie Bettinas Hand an ihre Lippen, während sie wie gebannt mit ihrem Blick an ihren Augen hing. »Es tut mir so leid für dich. Du musst sehr gelitten haben.« Zart hauchte sie einen Kuss auf die zitternden Finger.

»Das . . . Charlotte . . .« Bettina wirkte überfordert.

»Charlie«, sagte Charlie. »Meine Freunde nennen mich Charlie. Ich würde mich freuen, wenn du das auch tun würdest.«

»Charlie . . .«, wiederholte Bettina. »Ich weiß im Moment gar nicht, was ich sagen soll.«

»Dann sag einfach nichts.« Charlie setzte ein mitfühlendes Lächeln auf. Sie wusste, wie das aussehen musste, auch wenn das Gefühl fehlte. »Ich verstehe das.«

Bettina spürte, wie ihre Hand, die Charlie immer noch nicht losgelassen hatte, wärmer und wärmer wurde. Fast als würde sie sie in ein Feuer halten. »Charlie . . .«, flüsterte sie noch einmal. Oder eigentlich hauchte sie es nur.

»Ich fühle dasselbe«, gab Charlie leise zurück und versenkte ihre Augen noch tiefer in Bettinas. »Gleich als ich in die Werkstatt kam, habe ich es gefühlt. Als ich dich da sitzen sah an der Staffelei. Vor dem Fenster sahst du selbst aus wie ein Bild.«

Als wäre sie gar nicht richtig da, schüttelte Bettina sehr langsam den Kopf. »Ich bin kein Bild.«

»Nein, glücklicherweise nicht.« Charlie lachte weich. »Du bist ein lebender Mensch. Eine wunderschöne, hinreißende Frau.« Sie küsste Bettinas Hand noch einmal und legte sie dann sanft auf den Tisch zurück. »Du bist zauberhaft. Einfach zauberhaft. Wie ein Gemälde von Raffael.« Sie hob leicht schmunzelnd die Hände, um Bettinas Protest abzufangen. »Nein, damit sage ich nicht, dass du ein Gemälde bist. Nur wie ein Gemälde.«

»Das stimmt genauso wenig«, schmunzelte Bettina zurück. Nun, da Charlie ihre Hand nicht mehr festhielt, kam sie langsam wieder zu sich. »Aber wenn du Komplimente machen willst, nehme ich das jetzt einfach mal so hin.«

»Ich würde gern viel mehr tun als dir nur Komplimente zu machen.« Charlie formte ihre Hände zu einer Schale. »Ich würde dich gern auf Händen tragen, dir alles geben, was du dir wünschst. Dein Lächeln ist so . . .«, sie beugte sich vor, »berauschend, dass ich am liebsten nur noch das anschauen würde. Wer braucht Bilder in einer Galerie, wenn es Frauen wie dich gibt?«

»Wenn es die Bilder nicht gäbe, wäre ich arbeitslos«, wandte Bettina ein.

»Du brauchst nicht zu arbeiten. Du bist reich.« Charlie zuckte die Schultern.

»Ich will aber arbeiten.« Bettina verzog die Lippen. »Was gibt es Schlimmeres als diese faulen Erben, die nur Party machen oder nichts mit ihrem Geld anzufangen wissen, als es für sinnlosen Luxus hinauszuschmeißen?«

Gerade noch konnte Charlie es verhindern zu widersprechen. Sie sammelte sich kurz, dann sagte sie: »Da hast du natürlich recht. Das mag ich auch nicht.«

»Was bist du denn von Beruf?«, fragte Bettina.

»Ärztin«, antwortete Charlie wie aus der Pistole geschossen. »Nun ja, noch nicht ganz«, schränkte sie dann ein. »Ich bin noch im Studium. Habe es eine Weile unterbrochen, um in Südamerika an einem nicht profitorientierten Projekt für die Versorgung der Armen mitzuarbeiten.«

»Das ist schön«, sagte Bettina. »Da kümmert man sich um Menschen, nicht um Bilder.« Sie sah aus, als ob sie sich schämte.

»Die Bilder sind genauso wichtig.« Wieder nahm Charlie ihre Hand. »Diese Menschen brauchen Kunst und Musik, damit sie nicht völlig verzweifeln. Was wäre das Leben, wenn es nur aus Essen und einem Dach über dem Kopf bestünde?«

»Ich bin schüchtern«, bemerkte Bettina, und man sah es ihr an. »Deshalb sind große Menschenmassen nichts für mich. Mit den Bildern bin ich allein.« Ihre Stimme klang entschuldigend.

»Das ist doch völlig in Ordnung.« Diesmal küsste Charlie jeden von Bettinas Fingern einzeln. »So gibst du der Welt Schönheit. Nicht nur durch deine eigene Schönheit, die ein Geschenk ist«, ihre Augen streichelten Bettinas Gesicht, »sondern durch das, was du mit deinen Händen wiederherstellst und das ohne dich verloren wäre.«