Catherine Fox

MANCHE MÖGEN’S WEISS

Ein (nicht ganz ernst gemeintes) Weihnachtsmärchen

© 2016

édition el!es

www.elles.de
info@elles.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-202-2

Coverillustrationen:
© Ruediger Rau, flipfloyart, juliars, Alexandra Karamyshev – Fotolia.com

1.

Ein Geräusch ließ sie wach werden.

Angestrengt lauschte sie in die Stille hinein. Da. Da war es wieder! Sie kannte dieses Geräusch nur zu gut. Das Reiben von Holz aneinander. Jemand war im Wohnzimmer und machte sich an den Schubladen der Kommode zu schaffen!

Sie rüttelte an der großen Wulst, die neben ihr lag, und flüsterte: »Schatz, wir haben einen Einbrecher im Haus!«

Der Wulstberg rührte sich nicht.

»Scha-hatz! Da ist ein Einbrecher!« Sie rüttelte erneut. Unter der Decke des Wulstberges war nur ein Grunzen zu vernehmen.

Wieder rumorte es im Wohnzimmer.

»Schatz, jetzt wach endlich auf!« Aus dem Rütteln wurde ein Schütteln.

Schatz bewegte sich. Kaum spürbar. Ein unverständliches Brabbeln kam unter der Decke hervor, dann schlief Schatz weiter.

Missmutig schwang sie sich aus dem Bett und warf sich den Bademantel über. Sie schlich zur Tür und öffnete sie leise. Vorsichtig spähte sie durch den Spalt. Da sie nichts erkennen konnte, wagte sie sich weiter hinaus.

Am Treppengeländer konnte sie in die untere Etage schauen. Und was sie da sah, ließ ihr den Atem stocken. Die Wohnzimmertür stand ein Stück offen, der Lichtkegel einer Taschenlampe wanderte durchs Zimmer. Zwischendurch wieder die Geräusche des Öffnens und Schließens von Schubladen und Türen.

Was sollte sie nur tun? Die Polizei anrufen? Das Haustelefon und das Handy lagen ausgerechnet im Wohnzimmer.

Schatz wecken? Eh der in die Gänge kam, war der Einbrecher mit seiner Beute längst weg.

Mit dem Schürhaken zuschlagen, wie sie es in Fernsehkrimis taten? Das Ding hing auch im Wohnzimmer, gleich neben dem Einbrecher.

Ihr kam eine andere Idee. Sie schlich zu der kleinen Abstellkammer neben dem Bad und fand das Gesuchte. Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht machte sie sich auf den Weg in die Höhle des Löwen.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie wusste, dass sie nur eine Chance hatte, den Überraschungsmoment zu nutzen. Eine Weile verharrte sie vor dem Wohnzimmer, um sich zu vergewissern, dass es nur ein Einbrecher war und nicht mehrere. Umso überraschter war sie, als sie die Silhouette des Einbrechers sah. Es war ein Weihnachtsmann!

Aha, so läuft das also, dachte sie. Sie klauen sich von dem einen die Sachen, um sie dann an andere als Geschenke zu verteilen. Da hatte dieser Weihnachtsmann aber die Rechnung ohne sie gemacht! Was im Haus war, blieb auch hier!

Ihre Hand tastete um die Ecke nach dem Lichtschalter. Im selben Augenblick, als sie das Licht anknipste, stürzte sie todesmutig ins Zimmer. Erschrocken fuhr der Weihnachtsmann herum – und bekam sofort ihre Waffe ins Gesicht.

»Was zum Teufel . . . hatschi . . . ist das . . . hatschi . . .«

Volltreffer! Sie fuchtelte noch ein wenig mit dem Staubwedel vor seinem Gesicht herum. Das Mottenpulver, mit dem sie die Waffe vorher »geladen« hatte, hatte sich so richtig in seinem Bart verfangen. Doch als sie nach dem Schürhaken griff, kam er ihr trotzdem zuvor. Mit einer Hand hielt er sie am Arm fest, mit der anderen riss er sich den Bart vom Gesicht, um den Niesattacken ein Ende zu bereiten.

»Mein Schmuck bleibt hier!«, geiferte sie, als sie sah, dass er ihr Geheimfach geknackt und schon die Hälfte des Inhalts eingesackt hatte.

Sie rangen miteinander, ein Stuhl flog um, eine Vase ging zu Bruch. Er hielt immer noch ihr Handgelenk mit eisernem Griff umklammert.

Im Flur ging das Licht an. Durch die offene Tür konnte sie erkennen, wie sich oben auf der Treppe ein Bierbauch um die Ecke schob.

»Schatz, hilf mir!«, schrie sie.

Der Weihnachtsmann hielt ihr mit der freien Hand den Mund zu. Sie wand sich unter seinem Klammergriff, versuchte zu beißen. Inmitten des Gerangels hörte sie ein leises Klirren in der Tasche ihres Bademantels.

Das war die Lösung. Na warte, du Weihnachtsmann. Ein Klicken ertönte, dann noch eines.

Verdattert sah der Einbrecher auf seine Hand, mit der er sie nach wie vor festhielt. Rosa Plüschhandschellen fesselten sie beide aneinander. Sie grinste ihn schadenfroh an.

»Du bleibst hier!« Dann wandte sie sich zur Tür und rief nach draußen: »Schatz, beeil dich doch!«

Der Bierbauch schob sich weiter vor. Unter ihm konnte man die unterste Hälfte von gestreiften Shorts ausmachen, der restliche Teil wurde von dem überhängenden Bauch verdeckt. Aus den Shorts ragten zwei haarige Beine, die wie Sauerkrautstampfer aussahen und sich in Zeitlupe bewegten.

Der Weihnachtsmann hob die Hand mit den Handschellen hoch und deutete mit einem Blick darauf. »Wo ist der Schlüssel?«

»Oben, im Schlafzimmer.« Ein breites Grinsen legte sich über ihr Gesicht.

Der Weihnachtsmann sah sie an, überlegte kurz. »Du kommst mit«, legte er fest und zog sie mit sich Richtung Fenster.

»Das hättest du wohl gern!« Mit ihrer freien Hand trommelte sie wild auf ihn ein. Doch er war kräftiger als sie und zog sie unerbittlich mit sich fort, kletterte aus dem Fenster, und sie hatte keine andere Wahl, als dicht hinter ihm hinauszusteigen.

»Iiiiiihhh, ist das kalt!«, kreischte sie, als sie barfuß im Schnee landete. »Ich habe nichts anzuziehen!«

»Ihr reichen Schnösel habt immer ein halbes Dutzend Schränke voll Nichts anzuziehen«, zischte er und zerrte sie grob hinter sich her. »Das hast du dir selber eingebrockt.« Er hielt erneut die Hand mit den Handschellen hoch, um ihr ihre Situation zu verdeutlichen.

Dann standen sie vor einem Schneemobil.

Sie rammte ihre nackten Füße in den Boden. »Da fahre ich aber nicht mit!« Nie im Leben würde sie sich darauf verfrachten lassen. Nur über ihre Leiche.

Im nächsten Moment setzte sie ein ordentlicher Kinnhaken außer Gefecht.

Das Schneemobil verschwand mit zwei Personen darauf durch das einsetzende dichte Schneegestöber im Dunkel der Nacht. Schatz, der es endlich bis ans Wohnzimmerfenster geschafft hatte, schaute verdattert hinterher.

9.

Es klingelte an der Tür. Graf Austel öffnete und nahm vom Postboten ein Einschreiben entgegen, das er mit seiner Unterschrift quittierte.

»Darling, wer war da eben an der Tür?«, flötete es aus dem Schlafzimmer der oberen Etage.

Graf Austel riss das dicke Kuvert auf und entnahm ihm seinen Inhalt.

»Darling? Was ist los?« In Spitzenunterwäsche gekleidet erschien das ehemalige Hausmädchen Susi auf der Treppe.

»Ich habe gewonnen!«, jubelte der Graf. »Ich habe gewonnen!«

»Was hast du denn gewonnen? In der Lotterie?«

»Nein, eine Reise.«

»Ach so, nur eine Reise.« Susi verlangsamte ihre Schritte die Treppe herunter, als sie hörte, dass es kein Geld war.

»Aber was für eine Reise! Schau her. Zwei Wochen First Class für zwei Personen all inclusive auf den Malediven, und dazu fünftausend Euro Taschengeld obendrein.«

»Aha. Und wo ist der Haken?«

Graf Austel blätterte die Unterlagen durch. »Gar kein Haken. Es ist bereits alles gebucht, und die Abfahrt erfolgt direkt vor unserer Haustür.«

»Wen willst du denn dorthin mitnehmen?«

»Na, dich natürlich, mein Zuckerschnäuzchen. Die Reise ist für zwei Personen, und da meine Frau immer noch verschollen ist und wohl auch bleiben wird – Gott hab sie selig –, kommst du natürlich an ihrer statt mit, mein geliebtes Zuckerschnäuzchen.«

»Wann geht denn die Reise los?« Susis Interesse war wieder erwacht.

»Warte . . . Oh. Morgen Abend schon. Wir müssen sofort packen.«

»Willst du nicht doch lieber bei dem Absender des Gewinns anrufen, ob alles seine Richtigkeit hat?« Susi hatte so ihre Zweifel an dieser ganzen Geschichte.

»Oh ja, Zuckerschnäuzchen, du hast völlig recht. Ich werde mich gleich erkundigen.«

Nach einem kurzen Telefonat sagte Graf Austel: »Es ist alles schon bezahlt. Wir brauchen uns um nichts zu kümmern, außer die Koffer zu packen. Oh, das wird herrlich. Zum Jahreswechsel in die Sonne. Ich liebe es.«

»Ich kann das alles gar nicht so recht glauben. Bei welchem Gewinnspiel hast du überhaupt mitgemacht?«

»Ähm . . . keine Ahnung. Muss wohl irgend so eine Briefkastenwerbung gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr.«

Am Abend des nächsten Tages fuhr eine Luxuslimousine vor und holte die beiden ab. Die Austelvilla blieb dunkel zurück.

Vierzehn Tage später hielt gegen Mittag ein Taxi vor der Villa. Graf Austel und eine schlechtgelaunte Susi stiegen aus. Er bezahlte den Taxifahrer und lud die Koffer aus.

Susi stand vor der Villa und starrte auf das Schild neben der Eingangstür.

»Zuckerschnäuzchen, warum schließt du nicht schon auf?«

»Hier stimmt etwas nicht«, antwortete sie.

»Warum?«

»Sieh nur.«

Er war neben sie getreten und las die Worte auf dem Schild.

Kreativ-Zentrum für Kinder in Not.

»Was soll das denn?«, fragte er verwundert. »Das ist mein Haus!«

Er nahm seinen Hausschlüssel und wollte die Tür aufschließen, doch der Schlüssel passte nicht.

»Das gibt’s doch nicht.« Graf Austel hämmerte gegen die Tür, klingelte Sturm.

Kurz darauf öffnete eine kleine rundliche Frau in Küchenschürze die Tür. »Sie wünschen?«

»Was tun Sie in meiner Villa?«

»Ihre Villa? Wer sind Sie?« Drohend hob sie den Kochlöffel, den sie in der Hand hielt, und ging in Abwehrstellung.

»Ich bin Graf Austel, und diese Villa gehört mir. Und wer sind Sie, und was tun Sie hier?«

»Mein Name ist Marianne Fischer. Ich bin hier Köchin für die Kinder.«

»Kinder? In meinem Haus?«

»Ihr Haus? Da muss ein Missverständnis vorliegen. Diese Villa gehört der Stiftung Kinder in Not und ist ein Kreativ-Zentrum, in dem diese Kinder ihre Freizeit nützlich verbringen können.«

»Aber das ist nicht möglich. Ich wohne hier.«