Coverbild

Ina Sembt

DIE KLARINETTISTIN

Roman

© 2016

édition el!es

www.elles.de
info@elles.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-198-8

Coverfoto:
© Ferenc Szelepcsenyi – Fotolia.com

Für alle Musikliebhaberinnen

6

Eine Woche später war Amanda sich sicher, dass Lena van Langens Zusammenbruch unmittelbar bevorstand.

Seit etwa sechs Wochen arbeiteten sie jetzt zusammen, und die letzten paar Sitzungen über hatten sie sich so langsam an Lenas Problem herangetastet. Da Lena dreimal in der Woche kam, sah Amanda keinen Grund, etwas zu überstürzen. Sie ging sehr behutsam vor und hatte eher wieder einen Schritt zurück angeleitet, als einen Schritt zu viel nach vorn zu gehen. Denn inzwischen war ihr klar, dass Lenas äußere Schroffheit eine extreme innere Zerbrechlichkeit und Unsicherheit verdeckte.

Heute allerdings schien diese Schroffheit Überhand zu nehmen. Lena blockte jede Frage mit einer Gegenfrage ab und leugnete vehement jeden Nutzen der Therapie.

»Erzählen Sie doch noch mal etwas genauer, was die Ablehnung durch Ihre Eltern mit Ihnen gemacht hat.«

»Warum sollte ich? Das haben wir doch schon bis zum Erbrechen durchgekaut!«

»Warum wehren Sie sich dann auf einmal so dagegen?«

»Müssten Sie das nicht am besten wissen? Sie sind doch die Psychologin!«

»Aber hier geht es um Sie. Und mir scheint, Sie haben schon große Fortschritte darin gemacht, mit sich und Ihrem Leben besser klarzukommen, seit Sie den Fokus auf sich selbst legen.«

»Das denken Sie doch nur, weil Sie mir ständig irgendwas in den Mund legen! Ich bin mit meinem Leben immer sehr gut klargekommen, vielen Dank.«

So widerspenstig hatte Amanda ihre Klientin seit der allerersten Sitzung nicht mehr erlebt. Aus Erfahrung wusste sie, dass so etwas oft passierte, wenn man kurz vor einem entscheidenden Durchbruch stand. Es war, als stemme sich Lena van Langen mit aller Kraft dagegen, diesen Schritt zu tun, als wolle sie die Erkenntnisse unbedingt hinauszögern, weil sie ahnte, wie schmerzhaft sie wären. Und sicher wären die Entdeckungen, die Lena bevorstanden, nicht nur im übertragenen Sinn schmerzhaft, sondern würden auch körperliche Schmerzen hervorrufen.

Während des Gesprächs überlegte Amanda bereits, welche Maßnahmen sie zur Vorbeugung einleiten könnte. Sicher wäre es klug, Rosina zu informieren. Rosina van Teuwen war die Ärztin, mit der sie eng zusammenarbeitete, wenn ihre Klientinnen ärztliche Hilfe benötigten. Sie arbeitete im Krankenhaus in Middelburg und sollte zumindest vorher wissen, dass Lena eventuell in den nächsten Tagen bei ihr auftauchen könnte. Rasch machte sich Amanda eine entsprechende Notiz. Auch Martina sollte Bescheid wissen. Die Heftigkeit von Lenas Reaktionen heute machte Amanda ein bisschen nervös, aber es war beruhigend, vorzusorgen und alle Eventualitäten in Betracht zu ziehen.

»Gut«, lenkte Amanda jetzt ein, »sprechen wir doch einfach darüber, wie Ihr Leben im Moment aussieht. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich sehr wohlfühlen in Oostkapelle. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Martina?«

Doch wenn Amanda geglaubt hatte, mit dieser Frage zur Deeskalation beizutragen, hatte sie sich getäuscht. Lena brauste auf: »Martina hat mit dem Ganzen hier überhaupt nichts zu tun!«

Amanda musste lächeln. In den letzten Sitzungen hatte Lena so liebevoll von Martina erzählt. Dass sie den Alltag teilten. Dass sie sich wohlfühlte bei ihr – wobei Amanda vermutete, dass sie eher mit ihr meinte. Und auch jetzt strafte das kurze Aufleuchten in Lenas Augen, als der Name ihrer Gastgeberin fiel, ihre ablehnende Heftigkeit Lügen.

Aber heute würden sie auch in dieser Frage nicht weiterkommen. Lena ignorierte nach wie vor mit solcher Konsequenz und Vehemenz ihre eigenen Gefühle, dass Amanda nicht weiter in sie drang und das Ende des Gesprächs einleitete.

Nachdem sich die Tür ihrer Praxis hinter Lena geschlossen hatte, ließ sich Amanda mit einem tiefen Seufzer in den bequemsten Sessel fallen. Sie war froh, dass sie die Sitzungen mit Lena irgendwann auf den Nachmittag verlegt hatte. Vorher hatte sie sogar schon Termine danach absagen müssen, so sehr laugte die Arbeit mit Lena sie aus. Jetzt achtete sie darauf, dass Lena immer ihr letzter Termin des Tages war.

Vielleicht konnte ja Sonja aus Hamburg vorbeikommen. Sonja war Amandas Lebensgefährtin und die Einzige, die es schaffte, Amanda nach einer so anstrengenden Therapiesitzung wieder aufzubauen. Wenn sie doch nur nicht so weit weg wäre . . . Amanda wünschte sich nichts mehr, als dass Sonja sie nach ihrer Arbeit einfach in den Arm nehmen und wieder »heilen« könnte. In letzter Zeit war Sonja in solchen Fällen schon des Öfteren bei ihr aufgetaucht, nur für ein paar Stunden, um sie zu halten und im Morgengrauen wieder zurückzufahren. Vielleicht auch heute . . . Amanda lächelte müde. Dann griff sie zum Telefon, um Rosina und Martina anzurufen.

Martina konnte es nicht glauben. Vor einer halben Stunde hatte Amanda ihr am Telefon genau auseinandergesetzt, was im Fall von Lenas Zusammenbruch zu tun sei – und nun stand Lena mit zwei Einkaufstaschen vor ihr, strahlte sie an und schlug vor, ein neu kreiertes Menü zu zaubern.

»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte Martina vorsichtig.

»Aber sicher. Was sollte denn nicht in Ordnung sein?« Die Musikerin klang heiter und unbeschwert. »Abgesehen davon, dass ich Hunger habe. Dieses Herumgraben in der Psyche ist ganz schön anstrengend. Kommen Sie, legen wir los.«

Martina folgte ihr in die Küche. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die zur Schau gestellte Fröhlichkeit ihres Gastes nur aufgesetzt sei.

Aber nicht nur für den Rest des Abends, sondern auch in den nächsten Tagen wirkte Lena entspannt und weit entfernt von einem Kollaps. Sie gab sogar ihre oft zelebrierte Distanziertheit auf und hakte Martina bei einem ihrer Strandspaziergänge von sich aus unter, was große Verblüffung und ein gänzlich unverhofftes Glücksgefühl auslöste. Außerdem entdeckte Lena eine neue Leidenschaft beim Kochen. Sie überraschte Martina täglich mit selbst erfundenen Gerichten, neu zusammengestellten Kräutermischungen und ungewöhnlichen Gemüsekombinationen. Die Küche wurde zu ihrem bevorzugten Aufenthaltsort. Fast hätte Martina ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn sie nicht gesehen hätte, mit welcher Freude und Hingabe sich ihr Gast dem Zubereiten der Speisen widmete. Und natürlich war es ihr auch mehr als recht, dass sich nach der etwas angespannten Phase nun wieder ein höchst angenehmer Grad an Harmonie einstellte.

Nachdem Martina sich von Amanda hatte versichern lassen, dass Lenas Begeisterung für das Kochen geradezu therapeutisch auf die Klarinettistin wirken könnte, beschloss sie, das Bedientwerden in vollen Zügen zu genießen. Wer weiß, wie lange es anhalten würde.

Und Lena selbst? Sie fühlte sich durch die intensive Arbeit mit Martina und Amanda zum ersten Mal seit langem wieder als Herrin über ihre Sinne – und auch über ihre Gefühle. Das Schwimmtraining und die Yogaübungen mit Martina hatten ihr ein ganz neues Körpergefühl vermittelt. Und Martina war so etwas wie eine Freundin für sie geworden. Was sie für Martina war, wusste Lena nicht, und sie traute sich auch nicht zu fragen. Nicht nur, weil sie derart intime Gespräche bislang nicht geführt hatten, sondern vor allem, weil sie nicht darüber nachdenken wollte.

Eigentlich spielt es ja auch gar keine Rolle, überzeugte sie sich selbst. In ein paar Monaten bin ich sowieso wieder weg. Deshalb ist es egal, was sie in mir sieht. Es würde überhaupt keinen Sinn ergeben, danach zu fragen.

Sie konnte sich gut daran erinnern, wie Martina bei ihrem ersten abendlichen Spaziergang versucht hatte, sich bei ihr unterzuhaken, und sie sie abgewehrt hatte. Später hatte sie sich manchmal bei dem Wunsch ertappt, Martina möge diesen Versuch noch einmal wagen, aber ihre Gastgeberin hatte ihre Ablehnung konsequent respektiert. Und jetzt hatte Lena hin und wieder eine solche Nähe selbst hergestellt. Warum hatte sie das getan? Sie wusste es nicht – sie hatte gar nicht genauer darüber nachgedacht, sondern war einfach ihrem Impuls gefolgt, ohne sich über Martinas Reaktion Gedanken zu machen. Martina würde ihr schon sagen, wenn sie diese Nähe nicht wollte.

Und auch jetzt, im Rückblick, wollte Lena nicht darüber nachdenken. Sie wollte die Harmonie und die Nähe genießen, nicht erklären. An einer sich entwickelnden Freundschaft war schließlich nichts Verwerfliches. Vage war Lena bewusst, dass sich ihre Beziehung zu Martina völlig anders anfühlte als ihre Freundschaft mit Carol, aber sie vermied es, diesen Unterschied zu analysieren. Mit Martina verbindet mich einfach mehr. Sicher ist sie meine Seelenverwandte.

Einzig ein Traum, den sie vor einiger Zeit gehabt hatte, ließ sich mit dieser Haltung nicht in Einklang bringen. Lena hatte ihn kurz vor jener Therapiesitzung gehabt, in der Amanda sie gefragt hatte, ob sie zurzeit eine Beziehung habe. Er war so verwirrend und verstörend, dass sie bisher noch nicht einmal – oder besser: gerade nicht – mit Amanda darüber gesprochen, sondern deren Nachfragen bezüglich Martina rigoros abgeblockt hatte. Auch wenn ihr klar war, dass Amanda nicht blind war und sich sicher auch nicht hinters Licht führen ließ.

Der Traum hatte von Martina gehandelt. Sie saß in ihrem Sessel im Wintergarten und las, und Lena kam dazu. Martina drehte sich zu ihr um und kündigte an, dass sie etwas vorlesen wolle. Lena setzte sich in den Sessel neben Martinas, wandte sich ihr zu und lauschte andächtig ihren Worten. Etwas Dramatisches oder Poetisches, Lena erinnerte sich nicht genau – aber definitiv nichts Erotisches, das den weiteren Verlauf des Traums hätte erklären können: Irgendwann im Laufe dieser exklusiven Lesung schloss Lena die Augen, und als sie sie wieder öffnete, saß Martina nackt in ihrem Sessel. Sie wirkte völlig natürlich, so, als sei sie sich gar nicht im Klaren darüber, dass sie keine Kleidung trug und ihren Gast damit in heillose Konfusion stürzte.

Gelassen klappte sie das Buch zu, stand auf und setzte sich rittlings auf Lenas Schoß. Lena musste den Atem anhalten. Martina war immer noch nackt! Sie ergriff Lenas Hände, die sie an ihre weichen, unbedeckten Brüste führte. Sehr zu ihrer eigenen Überraschung begann Lena Martinas Brüste zu liebkosen, streichelte die Brustwarzen, bis sie vollkommen hart waren, während sich Martinas Atem ebenso wie Lenas eigener beschleunigte. Schließlich beugte sich Martina zu ihr, ihre Lippen trafen sich . . . und in diesem Moment war Lena erwacht.

Als sie am Morgen danach unter der Dusche stand, konnte sie die Feuchtigkeit in ihrer Mitte fühlen. In diesem Moment überwältigte sie ein Schamgefühl, das sie seit ihrer Pubertät überwunden zu haben glaubte.

Natürlich wusste sie, dass Martina nicht für ihre Träume verantwortlich war. Dennoch hatte sie nach diesem Traum und besonders später, nach der Sitzung mit Amanda, in der sie so überreagiert hatte, in Martinas Gegenwart eine Unsicherheit überfallen, der sie nur mit Schroffheit Einhalt gebieten konnte. Sie wusste, dass sie Martina dadurch einschüchterte, aber sie musste sich einfach selbst schützen, musste ihr verletzliches Inneres gut abschotten. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie wieder in ihrem normalen Modus war.

Aber jetzt lag der Traum ja schon fast zwei Wochen zurück und war auch nicht wiedergekehrt. Es hat nichts zu bedeuten, sagte sich Lena. Es war nur ein Traum, weiter nichts. Wir sind Freundinnen. Das warme, prickelnde Gefühl, das sie trotz allem erfüllte, wann immer sie an den Traum zurückdachte, erklärte sie sich ganz schlüssig damit, dass sie noch nie eine richtige Freundin gehabt hatte.

Prolog

»Du siehst müde aus«, bemerkte Martinas Freundin Janneke, als sie sich in einem ihrer Lieblingscafés in Amsterdam gegenübersaßen. »Waren wohl kurze Nächte, was?«

»Durchaus«, antwortete Martina knapp und nippte an ihrem Kakao. Sie wusste nicht, ob sie bereit war, Janneke zu erzählen, wie sie diese Nächte verbracht hatte: mit einer Zufallsbekanntschaft namens Doris und mit ziemlich viel Sex. Wobei die Freundin sich das sicher denken konnte. Der entscheidende Punkt, über den Martina lieber nicht nachdenken wollte, war, dass sie immer weniger Gefallen an dieser Art sexueller Befriedigung fand. Seit ihrem 40. Geburtstag vor einigen Jahren gelang es ihr immer seltener, sich nach einem One-Night-Stand ausgeruht und voller Tatendrang zu fühlen, so wie früher.

Ich weigere mich zu akzeptieren, dass ich mitten in der Midlife-Crisis bin, dachte sie jetzt missmutig.

Glücklicherweise hakte Janneke nicht weiter nach. Stattdessen fragte sie: »Schläfst du heute Nacht zu Hause und isst mit uns zu Abend?«

Ihr Blick wärmte Martina und vertrieb die grausame Kälte, die sie in sich hochsteigen fühlte. Sie nickte dankbar. Es war schön, dass sie Jannekes und Tonis so normales wie erfrischendes Familienleben heute Abend noch einmal genießen durfte, bevor sie wieder nach Oostkapelle aufbrach, wo sie morgen eine neue Klientin aufnehmen würde. Sie war die Patentante von Thies, Jannekes Dreijährigem. Seit kurzem waren die beiden außerdem Eltern einer kleinen Tochter, Sina, die ihnen derzeit den wohlverdienten Schlaf raubte, aber der ganze Stolz der beiden Mütter war. Martina fand den Gedanken tröstlich, dass es in den Niederlanden so viel einfacher für lesbische Paare war als in Deutschland, Kinder mittels einer Insemination zu bekommen. Sie und Ragnhild hatten es auch versucht . . . Leider hatte Ragnhild das Kind verloren. Jetzt lebte die Partnerin nicht mehr. Martina seufzte tief.

Aber heute Abend hatte sie gar keine Zeit für Trübseligkeiten: Thies und Sina würden ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Sie rang sich ein Lächeln ab und winkte dem Kellner, um die Rechnung zu bezahlen.

3

Entschlossen betätigte Lena van Langen die Klingel. Das Praxisschild der deutschen Psychologin wies darauf hin, dass sie in den dritten Stock musste – über die Treppe.

Kein Aufzug, dachte sie missmutig, das fängt ja gut an. Sie war sowieso schon ein bisschen sauer, dass sie vierzehn Tage auf diesen Termin hatte warten müssen. Sie war es nicht gewohnt zu warten. In der Regel bekam sie, was sie wollte, wann sie es wollte. Und sie wollte diesen unseligen Termin einfach hinter sich haben. Das hatte sie schon vor zwei Wochen gewollt.

Offenbar war Frau Bachs Praxis in einem Wohnhaus untergebracht, denn auf dem langen Weg nach oben las Lena ganz normale Familiennamen auf den Türschildern. Vor einigen Türen standen große und kleine Schuhe. Lena musste grinsen. Endlich erreichte sie den dritten Stock, wo eine der Wohnungstüren geöffnet war und eine Frau sie erwartete.

Die Psychologin hielt Lena van Langen die Hand hin und stellte sich vor: »Amanda Bach. Ich freue mich, Sie zu sehen.«

Eine Floskel . . . Die Musikerin ergriff die Hand und drückte sie entschlossen. Ein schlabbriger Händedruck erschien ihr immer als ein Ausdruck von Unentschlossenheit und mangelnder Willenskraft, und einen solchen ersten Eindruck wollte sie keinesfalls hinterlassen. »Van Langen«, erwiderte sie die, wie sie fand, nichtssagende Begrüßung. »Freut mich auch.« . . . die ich mit einer Floskel beantworte. Sie konnte ein kleines, ironisches Lächeln nicht unterdrücken.

Die Psychologin lächelte zurück. »Kommen Sie bitte herein und nehmen Sie im Sprechzimmer Platz«, sagte sie mit einer einladenden Geste.

Lena van Langen folgte der Richtung, in die Amanda Bach gezeigt hatte, und betrat deren Sprechzimmer. Keine Couch, stellte sie als Erstes fest. Schon mal nicht schlecht. Damit haben sie mich schon in Kanada über Monate gequält, und was hat es gebracht? Ein paar Sekunden betrachtete sie die sparsame, aber freundliche Einrichtung des Raums und setzte sich schließlich auf einen Sessel, der vermutlich ein Designerstück war. Wenigstens sitzt man hier bequem.

Sie ertappte sich dabei, wie sie die Arme vor der Brust verschränkte, und zwang sich dazu, sie wieder zu lösen. Sie wollte nicht von vornherein abweisend erscheinen. Dazu ist später noch Zeit genug, dachte sie sarkastisch.

Die Psychologin war unterdessen ebenfalls hereingekommen und hatte ihr gegenüber Platz genommen, ein Klemmbrett auf dem Schoß. »Frau van Langen, schön, dass Sie bei mir sind.«

Das denke ich mir. Du verdienst bestimmt genug an mir. Aber mehr als eine Sitzung wird ohnehin nicht daraus. »Sie wollen sicher einige persönliche Daten von mir wissen«, sagte Lena kühl. »Adresse, Versicherung et cetera?«

»Nicht unbedingt«, meinte Amanda Bach gelassen.

»Wie? Sie wollen kein Geld von mir?«

»So kann man das nicht sagen. Schließlich lebe ich davon, Menschen zu beraten.«

Beraten . . . Lena konnte den Sarkasmus nicht aus ihren Gedanken verbannen. Das ist ja eine niedliche Ausdrucksweise.

»Aber die pekuniäre Seite hat noch Zeit«, fuhr die Psychologin fort. »Wir müssen doch zuerst wissen, ob wir überhaupt miteinander harmonieren.«

»Sie wollen mit mir harmonieren?« Lena hob überrascht die Augenbrauen. Dass eine Psychologin Wert darauf legte, einen persönlichen Draht zu ihrer Patientin zu haben, war ihr vollkommen neu. Ihre Erfahrung mit den kanadischen Psychologen legte eher das Gegenteil nahe.

»Ich finde es enorm wichtig«, erklärte Amanda Bach, »dass Therapeutin und Klientin sich sympathisch sind. Wenn das nicht der Fall ist, wird es schwer sein, die Therapie zum Erfolg zu führen.«

Lena sah sie nachdenklich an. Ob das der Grund für den Misserfolg meiner bisherigen Therapeuten war? Sie waren mir allesamt unsympathisch. Und ich ihnen sicher auch. »Das heißt«, hakte sie nach, zum ersten Mal ohne ironischen Unterton, »Sie würden unter Umständen nicht mit mir arbeiten, wenn sich herausstellt, dass wir nicht miteinander harmonieren?«

»Genau das heißt es.« Amanda hielt ihren Blick fest.

. . . und würdest dir eine Menge Geld durch die Lappen gehen lassen? Der Zynismus hatte Lena wieder im Griff. Wer’s glaubt, wird selig. »Was heißt denn ›Erfolg‹ für Sie?«, fragte sie mit beißendem Spott. »Wenn die Patientin sich umbringt?«

»Ich bevorzuge den Ausdruck ›Klientin‹«, kommentierte die Psychologin ruhig. »Würden Sie sich als selbstmordgefährdet einschätzen?«

»Ist es nicht Ihre Aufgabe, das herauszufinden?«

»Ich kann mir nach den ersten fünf Minuten sicher noch kein aussagekräftiges Bild machen, aber . . .«

»Sie machen sich ein Bild von mir?«, unterbrach Lena ungehalten. Gleichzeitig dachte sie unwillkürlich: Wie soll sie denn sonst erfolgreich mit mir arbeiten? Sie muss sich doch ein Bild machen.

»Sicher«, war die offene Antwort. »Sie haben sich doch gewiss auch schon eines von mir gemacht.« Die Psychologin lächelte: »Wenn Sie nicht schon eines hatten, bevor Sie mich kennengelernt haben.«

Treffer! Lena konnte nicht anders, sie musste lächeln. Sie hat mich durchschaut. Zum ersten Mal erschien ihr die Aussicht, mehr als eine einzige Sitzung mit Amanda über sich ergehen zu lassen, erträglich, ja sogar vielversprechend. Ursprünglich hatte sie diesen Psychologinnen-Besuch auf das Nötigste beschränken wollen, um Carol und auch ihrer Gastgeberin ihren guten Willen zu zeigen. Amanda Bachs Herangehensweise und ihr Verhalten aber entsprachen weder ihren bisherigen Erfahrungen mit Psychologen noch ihren Erwartungen – ein eindeutiger Pluspunkt für Frau Bach.

»Wie kriegen wir denn heraus, ob wir uns sympathisch sind?«, fragte Lena mit ehrlichem Interesse.

Amanda Bach machte ein neutrales Gesicht. »Ich für meinen Teil weiß es schon.«

»Und Sie werfen mich nicht sofort raus?«

»Warum sollte ich?«

»Weil ich Ihnen nicht sympathisch bin.« Lena war durchaus bewusst, dass sie beim näheren Umgang in den meisten Fällen nicht besonders freundlich auf Menschen wirkte. Und seit sie hier in den Niederlanden angekommen war, hatte sie sich auch keine Mühe gegeben, diesem Eindruck vorzubeugen – ganz im Gegenteil.

»Was veranlasst Sie, das zu denken?«, erkundigte sich Frau Bach.

»Sie machen so ein geschäftsmäßiges Gesicht.«

Die Psychologin lächelte erneut. »Was sollte das sein?«

»Na ja . . . das gerade . . . ohne Lächeln . . . so ausdruckslos. Sie zeigen keine Emotionen.« Und am liebsten würde ich meine Gefühle auch vor dir verbergen, fügte Lena in Gedanken hinzu.

»Ich bin lediglich konzentriert«, berichtigte Amanda. Ihr Lächeln wurde noch etwas breiter. »Aber um allen anderen Ihrer Spekulationen zuvorzukommen: Auf den ersten Blick sind Sie mir sympathisch. Vielleicht sollten wir einfach ein paar Sitzungen zusammen machen, bevor wir endgültig entscheiden, ob wir erfolgreich miteinander arbeiten können.«

»Das heißt, Sie halten sich noch ein Hintertürchen offen?«, fragte Lena unsicher.

»Nein. Ich halte Ihnen das Hintertürchen offen.« Amanda lächelte immer noch. »Mein erster Eindruck täuscht mich sehr selten. Aber Sie sollten vielleicht erst einmal sehen, ob Sie mit meiner Arbeitsweise zurechtkommen.«

»Gehen nicht alle Psychologen nach demselben Muster vor?«, konterte Lena.

»Das kann man so nicht sagen. Es gibt verschiedene Richtungen in der Psychotherapie – zum Beispiel Verhaltenstherapien und analytische Verfahren, um nur zwei der wichtigsten zu nennen. Ich favorisiere im Allgemeinen die Gesprächstherapie. Im Laufe der Sitzungen kann ich flexibel reagieren und auf eine andere Strategie umschwenken, wenn ich es für nötig halte. Darüber hinaus hat jede ihre Eigenheiten und Tricks.« Amanda Bach hatte ganz sachlich gesprochen und so, als sei sie ernsthaft interessiert daran, Lena mit der größtmöglichen Menge an Informationen über ihre Arbeit zu versorgen. Jetzt machte sie eine kurze Pause und sah sie ermutigend an: »Mögen Sie vielleicht etwas über sich erzählen?«

»Sie meinen, über meine Kindheit?« Klischeealarm!, dachte Lena.

»Wenn Sie wollen. Sie können aber auch einfach nur erzählen, warum Sie hier sind. Das ist als Einstieg vielleicht einfacher.«

In gelangweiltem Ton nahm Lena die Anregung auf: »Weil es die Auflage der Klinik in Kanada war, als sie mich haben gehen lassen. Sie waren der Meinung, ich sei noch nicht so weit, wieder in mein Leben zurückzukehren. Ich war der Meinung, sie haben mir nicht helfen können. Und in mein Leben zurück will ich auch nicht.« Sie unterbrach sich und senkte den Blick. Den letzten Satz hatte sie gar nicht laut aussprechen wollen, er war ihr einfach herausgerutscht. Das war eindeutig eine zu persönliche Information. Lena merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Amanda sich eine Notiz auf ihrem Klemmbrett machte.

War ja klar, dachte Lena. Das ist ein gefundenes Fressen für sie. Aber wenn sie später noch einmal darauf zurückkommt, kann ich immer noch abblocken.

Sie dachte einen Moment nach, bevor sie weitersprach. »Jedenfalls haben die Psychologen Carol, meiner Managerin, nur erlaubt, mich aus der Klinik zu holen, wenn ich woanders eine psychologische Praxis aufsuche.« Und es reicht, einmal vorbeizuschauen, um dieser Bedingung Genüge zu tun und Carols Gewissen zu beruhigen. Schließlich geht es um mich. Ich kann selbst entscheiden, was gut für mich ist.

»Sie denken, Sie brauchen keinen psychologischen Beistand?«, hakte Amanda nach.

»Weil ich mich so ablehnend ausgedrückt habe?«

Amanda nickte.

»Ich könnte schon Hilfe gebrauchen«, gab Lena van Langen zu und wunderte sich gleich darauf über sich selbst. Gerade hatte sie sich doch noch selbst versichert, dass dies ihre einzige Sitzung wäre. Noch viel mehr wunderte sie sich darüber, dass ihre letzte Äußerung der Wahrheit entsprach. Und am erstaunlichsten war, dass sie sich diese Tatsache eingestehen und sogar einer Psychologin gegenüber zugeben konnte, wo sie sie doch bisher erfolgreich verdrängt hatte.

Sie blickte provozierend in Amanda Bachs Richtung und setzte hinzu: »Aber die Psychologen in Kanada haben sich die Zähne an mir ausgebissen. Sie waren unfähig in meinen Augen.« Und ich bin mal gespannt, was du dir jetzt einfallen lässt, wo ich doch ein hoffnungsloser Fall zu sein scheine.

Amanda nickte wieder. »Inwiefern meinen Sie, Hilfe zu brauchen?«

»Wäre es nicht Ihr Job, das herauszufinden?«, schoss Lena zurück.

»Wäre es nicht einfacher, Sie würden mir einen Hinweis geben, damit ich Ihnen gezielter helfen kann?« Die Psychologin schien sich auf das Spiel einzulassen.

Jetzt verschränkte Lena doch die Arme vor der Brust. »Wie wollen Sie mir überhaupt helfen? Ich kann mir das nicht vorstellen.«

Ganz ernst und verständnisvoll erklärte Amanda Bach: »Ich begleite Sie dabei, Erkenntnisse und Stärken in sich zu finden, die für Ihr seelisches Wohlergehen wichtig sind.«

»Sie meinen, Sie bekommen Ihr Geld dafür, dass Sie Dinge aus mir herauskitzeln, die bereits da sind?«

Amandas Augen lächelten, während ihre Miene weiterhin ernst blieb. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen: Ja, dafür bekomme ich das Geld.«

»Warum sollte ich Sie für etwas bezahlen, was bereits vorhanden ist?« Der Schlagabtausch begann Lena Freude zu bereiten. Sie war neugierig, ob es ihr gelingen würde, die Psychologin aus der Reserve zu locken. Aber sie ist eine harte Nuss, dachte sie fast anerkennend, während sie die Hände wieder in den Schoß legte.

Die Psychologin beantwortete ihre Frage: »Es mag zwar vorhanden sein, aber das heißt nicht, dass es für Sie auch nutzbar ist, um sich besser zu fühlen. Außerdem ist es vielleicht schwierig, mit manchen Erkenntnissen umzugehen, und dabei kann ich Ihnen zur Seite stehen.«

»Ganz schön eingebildet«, brummte Lena.

»Das ist Ansichtssache«, meinte Amanda Bach. »Es ist definitiv ein Erfahrungswert.«

»Was können Sie jetzt schon über mich und mein Problem sagen?«, wollte Lena wissen. »Nur damit ich beurteilen kann, ob Sie mein Geld wert sind.«

Nun grinste Amanda. »Sagen werde ich Ihnen ziemlich wenig«, erklärte sie. »Wie schon erwähnt – ich begleite Sie nur. In der Praxis bedeutet das, dass Sie vermutlich mehr reden werden als ich.«

»Das heißt, ich mache auch noch die ganze Arbeit, für die ich Sie bezahle?«

Amandas Reaktion auf diese Aussage war ein hemmungsloses Lachen. Es war entwaffnend und ansteckend. Ehe Lena sich versah, hatte sie in dieses herzerfrischende Lachen eingestimmt – sie konnte es gar nicht verhindern.

Ich werde wiederkommen, beschloss sie in diesem Augenblick. Ich kann ja jederzeit abbrechen. Hier geschieht nur, was ich will. Und irgendwie interessierte es sie, wie es weitergehen würde.

Als Lena van Langen sich in Martinas Jeep auf dem Weg nach Hause befand – zu meinem derzeitigen Wohnsitz, berichtigte sie ihren ersten Gedanken –, lächelte sie. Amanda Bach ist mir definitiv sympathisch. Dann konzentrierte sie sich wieder aufs Fahren. Martina hatte mehrere Autos, die sie ihren Klientinnen zur Verfügung stellte, und Lena hatte sich einfach ohne zu fragen den Jeep genommen. Der hier fährt sich doch ganz schnittig. Nicht so wie diese fahrende Schrankwand, mit der sie mich vom Flughafen abgeholt hat.

Auch sie hatte zu Hause in Jasper mehrere Fahrzeuge: einen Sportwagen, einen Jaguar zu Repräsentationszwecken und einen Land Rover für den täglichen Gebrauch. In ihren kurzen Tourneepausen hatte sie jedoch kaum jemals alle ihre Autos benutzen können. Viel zu selten hielt sie sich zu Hause auf, in ihrem riesigen Anwesen am Rande eines der Skigebiete der kanadischen Rockies, in dem es im Winter wie im Sommer von Touristen nur so wimmelte. Ihr Grundstück lag freilich etwas abseits und war gut gesichert; in den Trubel stürzen musste sie sich nicht, wenn sie nicht wollte. Außerdem bestand kaum die Gefahr, dass sie erkannt wurde, wenn sie sich einmal unter die Touristen mischte. Die wenigsten Leute, die hier ihren Urlaub verbrachten, besuchten auch ihre Konzerte. Das war der Vorteil, wenn man im klassischen Musikgeschäft arbeitete.

Schwungvoll fuhr sie auf den Parkplatz vor Martina Mauritius’ Haus – und sah als Erstes die Hausherrin, die ihr im Blaumann entgegenkam, einen Werkzeugkasten in der Hand. Sie hat doch einen Hausmeister, wunderte sich Lena, während sie den Motor abstellte und ausstieg.

»Was machen Sie denn hier im Arbeitszeug?«, fragte sie und lächelte der anderen zu. »Und mit Werkzeugkasten?«

Martina setzte den schweren Kasten neben Lena ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie hatte augenscheinlich eine schwere Arbeit verrichtet, denn eigentlich war es zu kalt, um zu schwitzen. Lenas Fröhlichkeit quittierte sie mit einem Stirnrunzeln. Es war deutlich sichtbar, dass sie sich fragte, welche Veränderung mit ihrem Gast vor sich gegangen sein mochte. Doch sie erwiderte das Lächeln schließlich und meinte: »Ich nehme nicht an, dass Sie morgen früh auf Ihre Dusche verzichten wollen.«

»Auf keinen Fall«, bestätigte Lena energisch. »Ohne meine Dusche bin ich nur ein halber Mensch.«

Martina nickte. »Und damit Sie morgen ein ganzer Mensch sein können, habe ich mal eben die Wasserpumpe repariert.«

»So was können Sie?«, fragte Lena mit unverhohlener Bewunderung.

»Wie Sie morgen früh sehen werden.«

»Aber wieso repariert Tom die Pumpe denn nicht? Und wieso ist die Pumpe draußen?«

»Tom hat heute seinen freien Tag. Ich konnte ihn nirgendwo erreichen. Wir speisen unser gesamtes Wasser aus dem Grundwasser, und die Pumpe befindet sich in einem kleinen Haus bei den Bäumen dort drüben.« Martina zeigte auf die Baumgruppe am Rande des Grundstücks. »Es war nur eine Dichtung kaputt. Zum Glück, denn mehr verstehe ich auch nicht von der Reparatur einer Wasserpumpe. War aber trotzdem aufwendig – und sehr schweißtreibend.« Martina wischte sich noch einmal mit dem Handrücken über die Stirn und griff wieder nach dem Werkzeugkasten. »Ich gehe mal duschen. Dann kann ich gleich testen, ob alles funktioniert.«

Lena sah ihr nach, als sie mit schweren Schritten auf das Haus zuging. Der blaue Overall brachte Martinas Figur sehr vorteilhaft zur Geltung. Einen knackigen Hintern hat sie, dachte Lena van Langen. Im nächsten Moment erschrak sie über diesen Gedanken.

Ein paar Minuten später saß Lena auf dem Sessel im Wintergarten, den sie sich mittlerweile als eine Art Stammplatz angeeignet hatte. Neben ihr auf dem kleinen Tisch stand eine Kanne voll frisch von ihr aufgebrühtem Assam einschließlich zweier Tassen. Eine hatte sie bereits gefüllt. Die andere wartete auf Martina. Zumindest hoffte Lena, ihre Gastgeberin würde sich zu ihr gesellen und wieder in ihrem Buch lesen. Diese gemeinsame Zeit hier im Wintergarten mochte sie inzwischen nicht mehr missen.

Auch deshalb, weil sie ihr die Gelegenheit gab, Martina immer wieder verstohlen zu mustern. Einmal hatte Martina sie dabei erwischt. Lena hatte sie versonnen betrachtet und nicht gemerkt, wie Martina den Blick in ihre Richtung wandte. Erst Martinas verdutzte Frage »Ist was mit meinem Gesicht nicht in Ordnung?« hatte Lena unsanft aus ihrer Versunkenheit gerissen. Stotternd hatte sie geantwortet, dass sie gerade über etwas nachgedacht hätte, und sich abrupt wieder ihrer Lektüre zugewandt.

Jetzt lächelte Lena. Es erstaunte sie immer wieder, wie wohl sie sich in Gegenwart ihrer Gastgeberin fühlte. Das passierte ihr nicht sehr oft. Im Grunde war sie am liebsten für sich und fand die Gesellschaft anderer Menschen anstrengend. Natürlich hatte sie meistens Carol um sich, doch deren Gegenwart bemerkte sie häufig gar nicht. Carol kannte sie gut genug, um sie weitgehend allein zu lassen und zu wissen, wann Lena für Organisatorisches und Geschäftliches empfänglich war.

Mit Martina war es anders. Mit ihr fühlte sich Lena keine Sekunde allein. Ihre Anwesenheit war wie eine warme Hülle, die sie umgab. Wenn Martina in ihrer Nähe war, wurde Lena augenblicklich ruhig. Und die Gastgeberin verbreitete nicht nur eine entspannte, anheimelnde Atmosphäre, sondern auch einen äußerst angenehmen Duft: herb, aber nicht zu kräftig, ein zarter Hauch, der Lena ständig umwehte. Sie fand es betörend. So hatte sie sich noch nie zuvor in ihrem Leben gefühlt. Und inzwischen musste sie zugeben, dass sie Martinas Nähe immer wieder von sich aus suchte und mit allen Sinnen auskostete.

Das Objekt ihrer Überlegungen betrat den Wintergarten und brachte eine Wolke des angenehm duftenden Duschgels mit, von dessen Aroma Lena gerade geträumt hatte. »Hier sind Sie«, stellte sie fest und ließ sich neben Lena nieder.

Lena wies mit dem Kopf auf das Tischchen mit der Kanne und den Tassen: »Ich dachte, Sie mögen vielleicht einen Tee nach der ungemütlichen Arbeit mit der Wasserpumpe.«

»Oh, das ist wirklich zuvorkommend von Ihnen.« Martina lächelte vorsichtig und beobachtete, wie Lena ihr einschenkte. »Es scheint, als könnten Sie Gedanken lesen. Einen Tee kann ich jetzt wirklich gut gebrauchen.«

Lena erwiderte das Lächeln strahlend, bevor sie ihre eigene Tasse zum Mund führte und an dem köstlichen Assam-Tee nippte. »Nein«, antwortete sie, »Gedanken lesen kann ich nicht. Aber ich habe mich daran erinnert, dass ich es geliebt habe, nach einem anstrengenden Konzert mit einer guten Tasse Tee in der Garderobe zu sitzen und ein paar Minuten für mich zu sein, bevor die Welt wieder auf mich einstürmte.«

Martina sah sie überrascht an. Offenbar hätte sie nicht gedacht, dass Lena so einfühlsam sein konnte. Doch sie kommentierte diese Tatsache nicht, sondern nahm ihrerseits einen Schluck Tee und lobte: »Der ist Ihnen wirklich gut gelungen.«

Lena nickte. »Danke. Und, war Ihre Reparaturmission erfolgreich?«

»Sie meinen, ob das Wasser wieder läuft? Ja. Der Erweckung Ihrer Lebensgeister morgen früh steht nichts im Wege.«

»Freut mich.«

»Danke für den Tee!« Martina hielt mit einer Hand die Untertasse, mit der anderen die Tasse, die sie jetzt in die Höhe schwenkte, um ein »Prost!« anzudeuten. Dann griff sie nach ihrem Buch.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie nebeneinander im Wintergarten, jede in ihr Buch vertieft. Schließlich erhob sich Martina und streckte sich. »Ich bekomme langsam Hunger. Und Sie?«

Auch Lena fand, dass es Zeit für das Abendessen war. »Mein Magen knurrt schon seit einiger Zeit.«

»Ihrer war das«, lachte Martina verschmitzt. »Ich hatte meinen im Verdacht.«

»Was steht denn heute auf dem Speiseplan?«, erkundigte sich Lena neugierig. Ihre anfängliche Gleichgültigkeit, was das Essen anging, hatte sie längst abgelegt. Sie half sogar regelmäßig bei der Zubereitung und hatte überrascht festgestellt, dass es ihr Spaß machte, dabei selbst dazuzulernen. Auch die gemeinsamen Mahlzeiten waren zu einem festen und liebgewonnenen Bestandteil ihres Tagesablaufs geworden.

Martina überlegte einen Moment. »Wonach ist Ihnen denn? Auf etwas Aufwändiges, wie es auf dem Speiseplan steht, habe ich heute gar keine Lust.«

»Wie wäre es mit Pasta mit Pesto?« Davon hatte Lena bereits eine Kostprobe bekommen, und Martinas Pesto schmeckte ihr ganz phantastisch. »Falls Sie alles im Haus haben, meine ich. Kann ich behilflich sein?«

»Danke, nicht nötig. Ein Pesto geht ja schnell von der Hand. Ich habe heute Morgen frischen Rucola mitgebracht – mögen Sie Rucola?« Fragend blickte Martina, die schon an der Tür war, zu Lena herüber.

»Sicher. Hört sich lecker an.« Lena lächelte. »Ich decke gleich den Tisch.«

»In Ordnung.« Martina drehte sich um und ging in die Küche, um das Essen zuzubereiten.

Währenddessen lehnte sich Lena noch einmal in ihrem Sessel zurück. Vor ihrem inneren Auge sah sie ein Bild, das nicht weichen wollte: Vorhin hatte sie beobachtet, wie konzentriert ihre Gastgeberin bei der Lektüre ihres niederländischen Buches einige Wörter in ihrem kleinen Wörterbuch nachgeschlagen hatte. Ihre Augen hatten dabei einen seltsamen Glanz bekommen, und ein sanftes Lächeln hatte jedes Mal ihre Züge erhellt, wenn sie den Sinn eines Wortes erfasst hatte. Sie ist eine verdammt gutaussehende Frau, dachte Lena unwillkürlich.

Sie sprang auf, einmal mehr verstört von ihren eigenen Gedanken. Hastig schüttelte sie sie ab und machte sich ans Tischdecken.

Als Martina mit einer großen Schüssel in den Essbereich kam, saß Lena van Langen schon am Tisch und strahlte sie ungewohnt vergnügt an. Und das war nicht die einzige Überraschung. Die Tafel war festlich gedeckt: Auf dem beigen Tischläufer hatte Lena in unregelmäßigen Abständen größere und kleinere Muscheln platziert. Zwei brennende, langstielige bläuliche Kerzen prangten in der Mitte. Neben den Tellern lagen Servietten mit Seemotiven, die definitiv nicht aus Martinas Küche stammten, aber hervorragend zu der übrigen Deko passten.

»Wo haben Sie denn die tollen Servietten her?«, fragte Martina, als sie die Schüssel mit den dampfenden Spaghetti auf dem Tisch abstellte.

Verschmitzt gab Lena Auskunft: »Ich war doch heute bei Amanda in Middelburg. Und dort gibt es eine liebenswerte Innenstadt, in der man alles kaufen kann, was man sich wünscht – und vor allem, was man nicht braucht.« Sie grinste breit.

»Sehr geschmackvoll zusammengestellt«, lobte Martina. Gleichzeitig dachte sie bei sich: Amanda muss ja wahre Wunder gewirkt haben. Wenn sie schon nach einer einzigen Sitzung so verändert ist . . . Ich bin gespannt, womit sie mich noch überrascht.

Lena erhob sich, um die Weinflasche aus dem Weinkühler zu nehmen und ihnen beiden einzuschenken. »Und dann habe ich noch diesen italienischen Wein entdeckt. Ich dachte, das sei doch eine angemessene Abrundung für das tolle Mahl, das Sie gezaubert haben.«

»Von Zaubern kann gar keine Rede sein«, wehrte Martina ab, während sie Platz nahm. »Außerdem haben Sie ja noch gar nicht probiert.«

»Ich weiß doch schon, dass Sie phantastisch kochen.« Lena setzte sich ebenfalls wieder, zwinkerte Martina zu und hob ihr Glas zum Anstoßen.

Flirtet sie etwa mit mir?, dachte Martina, als die Weingläser mit sanftem Klingen aufeinandertrafen.

Der Wein war wirklich gut, und Martina freute sich auf das gemeinsame Essen. Nicht so wie am Anfang . . . da war es doch sehr anstrengend mit ihr. Aber in letzter Zeit ist sie durchaus pflegeleicht.

»Das schmeckt wirklich ganz köstlich«, ließ Lena verlauten, als sie den ersten Bissen Nudeln und Pesto kostete.

Und jetzt klingt sie ehrlich, dachte Martina. »Ja, und der Wein passt großartig dazu, finde ich. Danke.« Sie hob neuerlich ihr Glas und beobachtete, wie ihr Gast sich hingebungsvoll und konzentriert der Pasta widmete und ganz in dem Geschmackserlebnis aufzugehen schien. Eine Genießerin . . . Man sollte nicht denken, dass sie ein Problem hat.

»Woher haben Sie das Rezept?«, wollte Lena nach einer Weile genießerischen Schweigens wissen.

»Um ehrlich zu sein, koche ich fast immer ohne Rezept«, antwortete Martina wahrheitsgemäß. »Als ich mich entschloss, diesen Rückzugsort anzubieten, habe ich einen Kochkurs besucht.«

»Im Kochkurs lernt man Kochen ohne Rezept?«, wunderte sich die Klarinettistin.

»Die Kursleiterin war eine der führenden deutschen Sterneköchinnen«, erklärte Martina, »und sie hat mir vor allem beigebracht, kreativ zu sein, und nicht unbedingt, mich sklavisch nach Rezepten zu richten.« Sie nahm noch einen Bissen und fügte hinzu: »Allerdings habe ich mich schon immer fürs Kochen interessiert. Das war sehr hilfreich.«

»Sie stecken voller Überraschungen: Sie reparieren Wasserpumpen, Sie kochen kreativ . . .« Lena van Langen sah sie nachdenklich an. »Was verbirgt sich noch alles hinter der kreativen Denkerstirn?« Ihr Blick hielt Martinas fest und wurde beinahe durchdringend.

Martinas Puls beeilte sich etwas zu sehr, als dass man eine harmlose Erklärung dafür hätte finden können. Sie musste tief durchatmen, um die angenehme Aufgeregtheit in ihrem Körper wieder loszuwerden, die Lenas Blick ausgelöst hatte. Rasch wechselte sie das Thema, und der Rest des Essens verlief in angenehmer und gänzlich unverfänglicher Unterhaltung.

Nachdem sie anschließend zusammen den Tisch abgeräumt und die Spülmaschine eingeräumt hatten, fragte Martina, ermutigt durch die entspannte Stimmung: »Wie wär’s mit einem kleinen abendlichen Strandspaziergang?«

»Sehr gern«, antwortete Lena van Langen sofort. »Ich ziehe mir nur schnell einen warmen Pullover an.« Und schon verschwand sie, und Martina hörte sie die Treppe hinaufhechten.

Sie schaute ihrem Gast verblüfft hinterher. Das war noch nie vorgekommen. Bisher hatte die Klarinettistin ihre Einladungen, sie auf ihren Spaziergängen zu begleiten, immer abgelehnt. Was hat Amanda bloß mit ihr gemacht?

Sie zog ihre Winterjacke an und setzte ein Paar Ohrenschützer auf. Der Wind konnte hier an der Küste reichlich ungemütlich sein, vor allem in den Wintermonaten. Gleich darauf kam die Klarinettistin in Pudelmütze und Parka sowie mit einem Paar Handschuhe bewaffnet die Treppe wieder herunter. Beide zogen ihre warmen Winterschuhe an und machten sich auf den Weg.

Bis zum Strand war es nicht weit – einer der wichtigsten Faktoren, die Martina vor über acht Jahren, als sie ein Haus in der Nähe der Nordseeküste gesucht hatte, so von dem Anwesen eingenommen hatten. Die Unannehmlichkeiten der Winterstürme wurden durch die Tatsache versüßt, dass es im restlichen Jahr einfach atemberaubend schön und abwechslungsreich war. Der Wind war die einzige Konstante, er war immer vorhanden, und selbst im heißesten Sommer konnte man es in dieser Gegend gut aushalten. Außerdem half der Wind dabei, in stressigen Situationen einen klaren Kopf zu bekommen. Wenn Martina von einem Spaziergang zurückkam, fühlte sie sich immer seltsam euphorisch, so als habe der Wind ihr neue Energie eingehaucht. Sie liebte dieses Gefühl. Selbst im Winter, wenn sie durchgefroren vom Strand zurückkehrte. Doch dann sorgte der Kamin im Wohnzimmer rasch dafür, dass ihr wieder warm wurde – dazu ein Tee, manchmal ein heißes Bad.

Unvermittelt und ungebeten tauchte in ihrem Kopf ein Phantasiebild auf, das ihren Puls sofort in die Höhe schnellen ließ: Sie saß in der Badewanne, die Arme um ihre angewinkelten Beine geschlungen, und Lena van Langen massierte ihr sanft den Rücken. Sie meinte die Berührung fast zu spüren, und eine Gänsehaut bildete sich an der Stelle. Gleich darauf erschrak sie zutiefst. Noch nie hatte sie solche Gedanken im Zusammenhang mit einer ihrer Klientinnen gehabt. Und Verliebtheiten, die etwas mit einer Klientin zu tun hatten, widersprachen ihrem Berufsethos, waren unprofessionell und absolut tabu.

»Was verschlägt eine deutsche Physiotherapeutin an die holländische Nordseeküste?«, unterbrach Lena van Langen ihren inneren Kampf und verjagte damit zum Glück auch das Bild in ihrem Kopf.

Martina musste sich einen Moment sammeln. »Ich habe eine neue Herausforderung gesucht«, sagte sie schließlich, »und diesen Platz hier gefunden.« Sie war stehen geblieben und blickte auf die schäumende See. Das mit Ragnhild muss sie nicht wissen. »Das Meer liebe ich sowieso. Diese ungestümen Wellen, das Brausen der Brandung . . . Und das Haus hat mein Herz auf den ersten Blick erobert.«

Lena van Langen hatte ebenfalls angehalten und stand dicht neben ihr, fast berührten sie sich. Martina atmete tief ein und spürte den salzigen Geschmack auf der Zunge. »In der Dunkelheit hat das Meer noch einmal einen ganz anderen Klang«, bemerkte sie leise und sah zu ihrer Begleiterin, deren Gesicht im Mondlicht einen zauberischen Glanz erhielt. Martina verlor sich im Anblick der weichen, sanften Züge. Sie sieht sogar im Dunkeln gut aus . . .

»Gehen wir weiter?«, fragte Lena van Langen ebenso leise, offensichtlich bemüht, die harmonische Atmosphäre nicht zu zerstören.

Martina nickte. Ein wunderbares Gefühl tiefer Nähe überkam sie. Ehe sie sich selbst zensieren konnte, fragte sie: »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich bei Ihnen unterhake?«

Lena van Langen blickte zu ihr hin. Ihr Ausdruck verriet Verwunderung, vielleicht Erschrecken, Martina konnte es nicht genau erkennen. Siedend heiß fiel ihr jetzt wieder ein, dass Carol in einer ihrer Mails angedeutet hatte, sie solle möglichst vermeiden, der Klarinettistin zu nahe zu kommen. Nähe zu anderen Menschen musste Lena sehr unangenehm sein. Möglicherweise war sie sogar traumatisiert. Jetzt bereute Martina ihren Vorschlag.

»Entschuldigung«, sagte sie hastig. »Ich wollte Sie nicht bedrängen. Ich ziehe die Frage wieder zurück.« Sie trat einen Schritt zur Seite, um einen größeren Abstand zwischen sich und Lena zu schaffen.

»Danke.« Ein gequältes Lächeln huschte über Lenas Gesicht.

Schweigend setzten die beiden Frauen ihren Weg fort – peinlich darauf bedacht, einander auf keinen Fall näher zu kommen oder sich gar zu berühren. Martina verfluchte sich innerlich für ihre unbedachte Äußerung. Sie hatte sich einfach so wohlgefühlt in der Anwesenheit der Musikerin. Und das nicht zum ersten Mal, seit sie bei ihr war. In den vergangenen Wochen schien sich die Klarinettistin selbst zunehmend besser zu fühlen. Sie beteiligte sich an den täglich anfallenden Arbeiten, und auch ihr anfängliches Genörgel hatte deutlich nachgelassen; nur über ihren Zusammenbruch gab sie nach wie vor nichts preis. Heute war sie Martina besonders entspannt vorgekommen. Schon den ganzen Tag über seit ihrer Sitzung bei Amanda, aber vor allem jetzt gerade während ihres Spaziergangs. Wenn sie sich jetzt wieder zurückzieht, wäre das ganz allein deine Schuld, schalt sich Martina.

Nach einer Weile hielt sie das unbehagliche Schweigen nicht mehr aus. »Ich würde am liebsten umkehren«, sagte sie leise. Sie hatte das Gefühl, es nicht mehr länger in Lenas Nähe aushalten zu können. Und offensichtlich war ihre Gegenwart ja auch zu viel für die Musikerin, nachdem Martina vorhin ganz klar eine Grenze überschritten hatte.

Lena van Langen wandte sich ihr zu. »Ich hätte schon Lust, noch ein Stück zu gehen. Und ich fände es schön, wenn Sie mich begleiten würden.«

Hatte Martina richtig gehört? Sie will, dass ich sie weiter begleite? Auch Martina drehte nun den Kopf, um die Frau neben sich direkt anzusehen. Sie schaute in ernst dreinblickende, dunkle Augen. Die Klarinettistin schien tatsächlich zu meinen, was sie gesagt hatte.

»Oder ist Ihnen kalt?«, setzte Lena hinzu.

»Nein.« Martina war im Gegenteil wunderbar warm. Sie beide hatten ein ganz schönes Tempo vorgelegt. Ihr Körper hatte gar keine Zeit zum Frieren gehabt. Ermutigt durch das unverhoffte Entgegenkommen der Musikerin fühlte sie sich genötigt, ihren unangemessenen Wunsch noch einmal zu erklären: »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten . . .«

»Es liegt nicht an Ihnen«, fiel Lena ihr ins Wort. »Ich habe Nähe noch nie gemocht.« Sie stockte und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Ich wollte Sie nicht verletzen.« Ihr Kopf war gesenkt, als bedeute schon ein Blick in Martinas Augen zu viel Nähe.

Auch Martina mied jetzt Lenas Blick. Sie wollte den Schrecken in Lenas Augen nicht sehen. Aber möglicherweise, ging es ihr durch den Kopf, hätte sie dort etwas ganz anderes entdeckt: Verletzlichkeit; Schmerz vielleicht.

Ihr Schritt wurde wieder fester, während sie an Lenas Seite weiterging. Sie öffnet sich schon ein wenig. Und ich werde mich ihretwegen nicht verstellen. Manchmal bin ich eben so – so spontan. Sieht aus, als könne sie damit umgehen. Die Unruhe, die sie soeben noch erfasst hatte, wich von ihr. Lena wollte sie bei sich haben. Das hatte sie explizit gesagt. Trotz etwaiger Missverständnisse war das ein gutes Zeichen.

»Ist schon gut«, beruhigte sie Lena sanft. »Ich war einfach zu spontan.«

Lena van Langen brummelte einige unverständliche Worte, und Martina meinte etwas wie »Das genau mag ich doch an Ihnen« zu hören. Nein, das konnte doch wohl nicht sein. Ein solcher Satz, der direkte Sympathie zum Ausdruck brachte, war bisher nicht im Repertoire der Musikerin enthalten gewesen.

»Wie bitte?«, fragte sie behutsam nach.

»Nichts, nichts«, wiegelte Lena van Langen ab. »Lassen Sie uns einfach noch eine Weile der Brandung lauschen und uns den Wind um die Ohren wehen.«

Bis sie zum Haus zurückkehrten, sprachen sie nicht mehr viel. Jede war in ihre eigenen Gedanken versunken. Als sie wieder im Flur standen und ihre Jacken und Schals ablegten, verabschiedete sich Martina. »Bitte seien Sie mir nicht böse – aber der Spaziergang hat mich wirklich geschafft. Ich bin furchtbar müde.«