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Catherine Fox

DATE MIT EINER UNBEKANNTEN

Liebesgeschichte

© 2016

édition el!es

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Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-197-1

Coverillustration:
© XtravaganT – Fotolia.com

»Wie läuft denn deine Partnerinnensuche so?«, fragte Franzi am anderen Ende der Leitung.

»Ach, wie verrückt.« Bea seufzte. »In der Tagespresse schreiben mir nur die Ladenhüter, die nicht an die Frau zu bringen sind. Die haben mir fast alle letztes Jahr auch schon geschrieben. Und die Internetplattformen haben auch nicht gerade das zu bieten, was ich suche. Wahrscheinlich sind meine Anforderungen zu außerirdisch . . . ich weiß es nicht.« Sie sah den Regentropfen nach, die an der Fensterscheibe nach unten rannen. Dieser Märztag war so trüb wie ihre Stimmung.

»Oh je, das klingt aber schwer gefrustet.«

»Ich bin nicht gefrustet«, widersprach Bea. »Ich hab nur das ganze Theater so langsam satt. Am besten, ich bleibe allein, da habe ich auch nicht so ein Hoch und Runter mit den Gefühlen. Ich glaube, da lebt man wesentlich ruhiger und kann machen, was man will.«

»Das ist aber schade. Ich wollte dir gerade noch einen Tipp geben. Hab kürzlich noch von einer Seite gehört, die richtig gut sein soll.«

»Lieb von dir, aber ich will nicht mehr. Sollen mich einfach alle in Ruhe lassen.«

»Du willst doch jetzt nicht etwa den Kopf in den Sand stecken?«

»Das nicht. Aber vielleicht sollte ich mir Sand in den Kopf stecken. Danach ist mir im Moment eher.«

»Guck doch wenigstens mal rein«, beharrte Franzi. »Den Sand kannst du dir dann auch noch danach in den Kopf stecken.«

Bea grinste. »Ich hab dich auch lieb.«

Franzi war schon seit vielen Jahren ihre beste Freundin und wusste, wie sie Bea dazu brachte, doch noch einen Versuch zu wagen: Sie musste nur lange genug nerven. Jetzt nannte sie Bea den Namen der Plattform und verabschiedete sich mit dem nachdrücklichen Wunsch, auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Bea legte auf und sah wieder zum Fenster. Das Wetter war wirklich nicht dafür geeignet, nach draußen zu gehen. Also konnte sie das Ganze ebenso gut sofort hinter sich bringen, um Franzi beim nächsten Gespräch Bericht erstatten zu können. Sie fuhr ihren Laptop hoch, fand die Seite und meldete sich an. Dann machte sie noch den üblichen Persönlichkeitstest und war damit registriert.

Gelangweilt nahm sie die letzten Einstellungen vor und grenzte den Radius um ihren Wohnort herum ein, bis das Angebot an Vorschlägen überschaubar war. Auf dieser Seite gab es sogar Matchingpunkte, die angaben, wie sie zu der jeweiligen Frau passen würde. Dafür waren also diese komischen Persönlichkeitstests gut. Aber ob die Chemie stimmte – das war eine ganz andere Frage, dachte Bea ernüchtert.

Trotzdem scrollte sie sich durch die Profile, las die Selbstbeschreibungen, betrachtete die Fotos. Na ja. Es war wie immer. Einige schienen ganz interessant, denen schickte sie eine kurze Nachricht. Aber nichts Überwältigendes, nichts, das sie fasziniert oder das Bedürfnis geweckt hätte, die Frau unbedingt kennenzulernen. Inzwischen hatte sie schon so viele Profile durch, dass sie die Lust verlor. Nur noch zwei, nahm sie sich vor. Dann würde sie den Computer ausschalten.

Es war das zweite Inserat.

Wow! Was für eine Frau. Dieses Foto . . . der Oberhammer! Lange, braune Haare umrahmten ein feingeschnittenes Gesicht, aus dem ein Paar blaue Augen die Betrachterin sanftmütig anlächelte. Ein Blick, der Bea gefangen nahm. Sie schluckte, bevor sie die Details des Profils aufrief. Besser nicht zu viel erwarten.

Doch was sie da las, ließ sie erneut schlucken. Das war genau das, was sie sich von einer Frau vorstellte. Sollte es ihre Traumfrau tatsächlich geben?

Beas Blick wanderte zwischen dem Foto und dem Profiltext hin und her. Das konnte doch nicht sein. So was war unmöglich! Das gab es einfach nicht! Das wäre ja ein Sechser in der Liebeslotterie. Bea meinte fast, eine Stimme zu hören: Sie haben gewonnen . . . aber dazu müssen Sie erst etwas bestellen, sonst werden Sie von der Ziehung ausgeschlossen.

Bea schüttelte den Kopf. Das war doch verrückt. Aber egal . . . ich bestelle jetzt einfach. Die oder keine!

Wie ferngesteuert tippte sie ein paar Zeilen an Jeanny, wie sich die Frau nannte, und schickte sie ab. Dann wartete sie mit hämmerndem Herzen. Ob Jeanny antworten würde?

Jeanny antwortete am nächsten Tag. Gleich zu Beginn ihrer E-Mail teilte sie Bea mit, dass sie ihr Profil auf der Plattform abgeändert habe, und Bea solle doch einmal reinschauen. Noch war Bea dort ebenfalls angemeldet, also loggte sie sich ein und fand anstelle von Jeannys altem Profiltext ein wunderschönes Gedicht.

Ich war mal auf Suche, doch hab sie gefunden,
noch sind wir getrennt, aber für immer verbunden.
Sie ist das Wichtigste hier auf der Erde,
ich will sie lieben mit ihrem weißen Pferde.
Und eines weiß ich jetzt schon genau,
eines Tages wird sie meine geliebte Frau.
Sie versteht mich, auch wenn ich nichts höre,
sie liebt mich, weil ich zu ihr gehöre.
Ich liebe sie auch, das weiß sie genau,
denn sie ist die wunderbarste und reizvollste Frau.
Sei lieb gegrüßt und heiß geküsst,
wann immer du diese Zeilen liest.
Hab dich ganz doll lieb.

Jeanny war einfach zu süß. Bea standen Tränen in den Augen. Das war eine eindeutige und klare Liebeserklärung! Was wollte Bea nun noch mehr?

Sie las das Gedicht noch ein paarmal durch und speicherte es dann auf ihrem Computer ab. Anschließend löschte sie mit einem tiefen Seufzer ihr eigenes Profil. Sie brauchte es nicht mehr. Ihre Suche war abgeschlossen, sie hatte den passenden Deckel zu ihrem Topf gefunden, und sie wollte den anderen Frauen, die sie ab und an noch anschrieben, nicht die irrige Hoffnung machen, dass sie noch zu haben sei.

Dann kehrte sie zu Jeannys E-Mail zurück, die sie noch nicht vollständig zu Ende gelesen hatte. Sie hätte nichts gegen diesen Urlaub zu dritt, schrieb Jeanny, wenn es Franzi nicht stören würde. Nur wisse sie leider nicht, ob ihr Chef ihr zu diesem Zeitpunkt auch Urlaub genehmigen würde. Das müsse sie erst noch beantragen. Es folgten ausgiebige Träumereien, was sie im Urlaub am Strand alles so anstellen könnten, die Bea fast die Schamesröte ins Gesicht trieben. Was ihr allerdings wirklich das Blut ins Gesicht schießen und den Atem stocken ließ, war das Bild, das Jeanny der E-Mail beigefügt hatte. Es zeigte sie völlig nackt auf der Couch. Ein kleiner Vorgeschmack auf den FKK-Strand an der Ostsee.

Bea schluckte. Ihr Blick hing wie gebannt auf dem Bildschirm. Mit zitternden Fingern strich sie darüber hinweg, als würde sie Jeanny leibhaftig streicheln. Ihr Kopf glühte, ihr Herz raste, und ihr Atem ging flach und unregelmäßig. Gleich würden ihr die Synapsen durchbrennen.

Aufstehen war jetzt völlig undenkbar, weil ihre Beine sie nicht tragen würden. Aber das war auch nicht notwendig. Es reichte, sie zu spreizen, sich mit der Hand in die Hose zu fahren und es sich selbst zu machen, Jeannys Nacktfoto vor Augen.

Kraftlos hing sie danach in ihrem Drehsessel und musste sich dazu zwingen, das Bild wegzuklicken, um Jeannys E-Mail zu beantworten. Sie gestand Jeanny, dass sie sich beim Anblick des Fotos selbst befriedigt hatte, weil es sie unwahrscheinlich anmachte. Und sie flehte Jeanny an, dass sie sich doch alsbald treffen müssten, sonst würde Bea daran kaputtgehen.

Als sie dann endlich den Computer heruntergefahren hatte, zeigten sich auf dem dunklen Bildschirm die Spuren ihrer Finger, mit denen sie Jeannys Konturen nachgezeichnet hatte. Und nicht nur die – auch ihre Klit, mit der Vorstellung, dass es Jeanny sei, die sie streichelte und verwöhnte.

Einige Stunden später kam Jeannys Antwort per SMS. Sie freue sich über diese gelungene Überraschung und dass diese so gut bei Bea angekommen war. Dann kam noch eine weitere Nachricht hinterher: Denk daran, Deine Finger sind meine Finger. Ich fühle Dich, Du bist ganz nah bei mir.

Mit dieser Vorstellung war es bei Bea endgültig vorbei. Es war, als ob ihr vernünftiges Denken sich verabschiedete. Alles wurde nur noch von den Gedanken an Jeanny beherrscht. Auf Arbeit passierte ihr ein Schnitzer nach dem anderen, und noch am selben Tag musste sie sich von ihrem Chef eine gepfefferte Standpauke anhören. Auch später im Stall stand sie nur noch neben sich und konnte froh sein, dass ihr Pferd die Gegend kannte und auf ihrem Ausritt den Weg nach Hause allein fand. Und an den folgenden Tagen wurde es nicht besser.

Damit musste Schluss sein! Notgedrungen fasste Bea einen schweren Entschluss: Entweder sie trafen sich zeitnah, oder sie würde das Ganze beenden. Sie konnte einfach nicht mehr. Inzwischen hatte der Chef ihr bereits mit Kündigung gedroht.

In einigen kurzen Sätzen teilte sie Jeanny ihre Entscheidung mit. Und Jeanny schien zu spüren, dass es ihr ernst war, und antwortete versöhnlich. Sie habe am Wochenende eine Weiterbildung in Kassel. Danach, wenn sie wieder frei hatte, sei sie mit einem Treffen einverstanden.

Bea atmete erleichtert durch. Endlich! Die paar Tage bis dahin würde sie auch noch überstehen. Sie musste.

Vor allem musste sie sich wieder konzentrieren. In den nächsten Tagen verrichtete sie ihre Arbeit mehr als gewissenhaft, und es half ihr sogar, für größere zeitliche Abstände Jeanny aus ihrem Kopf zu verbannen.

Franzi schaute völlig verdattert drein, als Bea die Tür öffnete und sie mit spastisch wirkenden Bewegungen empfing. »Geht es dir gut?«

Bea antwortete nicht, sondern fuchtelte weiter mit den Armen in der Luft herum, als fege sie nicht vorhandene Spinnweben weg.

»Ist das ansteckend?«

Jetzt gestikulierten nur noch Beas Hände.

»Okay, du probst den letzten Akt vom sterbenden Schwan.«

Bea schüttelte den Kopf und wiederholte die Spinnwebennummer.

»Also, ich mach mir jetzt doch Gedanken. Wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, was los ist, ruf ich die Leute an, die diese Jacken mit den langen Ärmeln haben . . .«

»Mensch, Franzi, das ist Gebärdensprache und heißt: Schön, dass du gekommen bist an diesem herrlichen Abend. Sei willkommen und tritt ein.«

»Ach sooo . . . Warum sagst du das nicht gleich?«

»Hab ich doch. Nur ohne Worte.«

»Und woher hast du diese . . . Verrenkungen?«

»Ich hab im Internet eine Seite gefunden, da kann man anhand von Videos die Gebärdensprache erlernen. Die ist echt klasse. Viel anschaulicher als die Bücher. Willst du mal mit reinschauen?«

»Klar doch.« Neugierig folgte Franzi Bea zum Computer.

Sie stöberten eine Weile auf der Seite und ahmten die Gesten nach, die dort gezeigt wurden. Es machte Spaß, war allerdings nicht ganz einfach. Um sich wirklich in Gebärdensprache verständigen zu können, würde es viel Übung bedürfen.

Bea war froh über Franzis Besuch, sorgte er doch für etwas Abwechslung an diesem Wochenende. Denn während Jeanny in Kassel weilte, war ihre Kommunikation wieder auf ein Minimum gesunken, da Jeanny durch ihre Weiterbildung kaum Zeit zum Schreiben hatte. Aber wenn sie schrieb, dann waren es heiße Zeilen. Sie hatte Bea gestanden, sich ebenfalls selbst zu befriedigen, wenn sie an Bea dachte, und so wurden aus ihren SMS kleine erotische Phantasien und Geschichten.

Zwar hatte Bea sich wieder darauf eingelassen, doch sie wollte sich nicht wieder allzu sehr hochschaukeln nach dem Chaos der letzten Wochen. Also hatte sie versucht, Jeanny auf andere Themen und Interessen außerhalb des Bettes anzusprechen. Jeanny antwortete lieb und sexy, aber sehr knapp, und auf Beas anderweitige Fragen war sie bisher nicht eingegangen. Wahrscheinlich hatte sie jetzt mit ihrer Weiterbildung den Kopf voll. Das konnte Bea nachvollziehen. Aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben, und nach dem Wochenende war noch genug Zeit für längere Antworten.

Dann war das Wochenende vorüber, und Bea konnte nicht verhindern, dass sie sich vor Hoffnung und Ungeduld schon wieder zu verzehren begann. Vor allem wartete sie auf eine Nachricht, wann es denn nun endlich mit ihrem Date klappen würde. Immer wieder dachte sie daran, Jeanny darauf anzusprechen, und zwang sich jedes Mal, die Füße stillzuhalten. Sie hatten es vor Kassel miteinander ausgemacht, und Bea wollte es Jeanny überlassen, sich den Zeitpunkt auszusuchen. Sie wollte ihr zeigen, dass sie ihr vertraute und sie nicht unter Druck setzen wollte.

Doch nichts kam. Ein Tag nach dem anderen verging, und kein Wort von Jeanny über ihr Treffen. Schließlich, als bereits das nächste Wochenende vor der Tür stand, hielt Bea es nicht mehr aus. So unbefangen wie möglich schrieb sie Jeanny: Weißt du eigentlich schon, wann es mit unserem Treffen klappt? Aber ihre Hände zitterten, als sie die Nachricht abschickte.

Die Antwort kam wenig später und verschlug ihr die Sprache.

Wir hatten doch Anfang kommenden Monats ausgemacht. Eher geht es bei mir nicht.

Was war das? War Bea jetzt im falschen Film? Das konnte doch nicht wahr sein! Jeanny zögerte ein Treffen schon wieder hinaus. Vom kommenden Monat war nie die Rede gewesen. Fassungslos scrollte sich Bea durch ihren Nachrichtenverlauf mit Jeanny und suchte die entsprechende SMS heraus. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Jeanny hatte eingewilligt, sich nach dem Kurs mit ihr zu treffen.

Als Bea die weiteren Nachrichten noch einmal überflog, stutzte sie. Irgendetwas daran war seltsam. Seit Tagen gingen nun schon belanglose SMS hin und her. E-Mail schrieb Jeanny seit ihrer Rückkehr aus Kassel gar nicht mehr, und Beas Fragen zu allem, was nicht mit Erotik und Sex zusammenhing, hatte sie auch weiterhin stoisch ignoriert. Alle ihre Gespräche seit Kassel waren auf der sexuellen Ebene angesiedelt. Deine Hand, meine Brust, Küsschen hin, Küsschen her, schöne Grüße . . .

Es sah ganz danach aus, dass Jeanny sie hinhielt. Warum auch immer. Vielleicht sogar nur mit ihr spielte. Bea konnte nicht glauben, dass böser Wille dahintersteckte, aber jetzt brauchte sie Klarheit. Unbedingt.

Also schrieb sie: Irgendwie hab ich ein komisches Gefühl. Seit Kassel wirkst Du verändert. Kühler, distanzierter, und die meisten meiner Fragen ignorierst Du hartnäckig. Nicht mal eine Viertelstunde für eine Mail scheinst Du zu haben. Ist Dir was in den falschen Hals gekommen, oder was ist los?

Bea wusste, dass Jeanny zur Nachtschicht musste, aber noch genug Zeit hatte, die SMS zu lesen. Doch eine Antwort kam nicht. Eine böse Ahnung stieg in Bea auf.

Jeanny, schrieb sie verzweifelt, was beschäftigt Dich, dass Du Dich so zurückziehst? Du bist für mich die Frau, die ich gern an meiner Seite haben möchte. Das ist für mich kein Spaß. Und ich kann auch nicht glauben, dass das von Dir alles nur schöne Worte gewesen sein sollen . . . Was liegt Dir quer? Ist mit Dir überhaupt alles in Ordnung? Lass mich bitte nicht im Ungewissen.

Die nächsten vierundzwanzig Stunden vergingen ohne ein Lebenszeichen von Jeanny – und ohne einen Augenblick, in dem Bea sich nicht darüber den Kopf zerbrach, was los war. Sollte Jeanny gar etwas passiert sein? Sie musste es herausfinden. Aber wie? Sie hatte nichts und niemanden, an den sie sich wenden konnte, um nachzufragen. Im Grunde wusste sie so gut wie nichts von Jeanny, jedenfalls nichts, was ihr weiterhelfen konnte. Das wurde ihr jetzt nur allzu deutlich bewusst. All die letzten Wochen hatte sie einen Tunnelblick gehabt, hatte sich ihren hormonellen Ergüssen und Phantasien hingegeben und dabei das reale Leben völlig außer Acht gelassen. Jetzt bekam sie die Quittung dafür.

Jeanny, ist irgendwas passiert?, schrieb sie am Samstagabend. Melde Dich doch bitte! Mir ist seit gestern schon richtig schlecht.

Das konnte so nicht weitergehen. Diese Funkstille machte Bea fertig, sie hatte den ganzen Tag keinen Bissen hinuntergebracht. Sie brauchte Gewissheit. Nicht auszudenken, wenn Jeanny tatsächlich etwas passiert war und sie sich deswegen nicht melden konnte. Und sie, Bea, konnte sie nicht erreichen, konnte ihr nicht helfen . . . Sie hatte keine Adresse, nichts. Nur den Wohnort: Weimar. Aber die Stadt war groß, und eine einzelne Person dort ausfindig zu machen, wäre die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Ob sie vielleicht einfach die Krankenhäuser anrufen sollte? Nein, das brachte nichts, weil sie mit Jeanny nicht verwandt war und deshalb keine Auskunft bekommen würde. Es war zum Haareausraufen.

Als Bea bis Sonntagmittag immer noch nichts von Jeanny gehört hatte, entschloss sie sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie setzte sich an den Computer und suchte im Internet alle Altenpflegeheime in Weimar und Umgebung. Jeanny hatte ihr anfangs geschrieben, dass sie in der Altenpflege der Diakonie arbeitete. Glücklicherweise gab es in Weimar nur zwei solcher Heime und eines etwas außerhalb der Stadt. Nachdem Bea sich die Adressen aufgeschrieben hatte, war ihr zum ersten Mal an diesem unglückseligen Wochenende wieder etwas leichter ums Herz. Sie verließ ihre Wohnung, stieg ins Auto und fuhr nach Weimar.

»Frau Steiner? Wieso fährt Müller mit einer Leertour von Hamburg nach Potsdam und Papenbrink leer von Berlin nach Kiel? Warum haben Sie das nicht umgekehrt organisiert?«

Bea zog den Kopf zwischen die Schultern. Ihr Chef war zu Recht sauer. Sie war so unkonzentriert, dass sie den Logistikplan falsch aufgestellt hatte. Das durfte nicht passieren! »Ich kümmere mich darum und rufe die Fahrer zurück«, versprach sie. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«

»Tun Sie das, und passen Sie das nächste Mal besser auf!«

Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Erleichtert atmete Bea aus. Dann telefonierte sie sofort mit den beiden Fahrern, die gerade dabei waren, die aktuelle Fracht zu löschen. Zum Glück konnte sie sie noch umdisponieren, ohne dass Verluste entstanden.

Hui, das war noch einmal gutgegangen! Bea lehnte sich zurück, atmete tief durch und schloss die Augen, um sich zu sammeln. Seit sie Jeanny kannte, drifteten ihre Gedanken immer wieder zu ihr ab, auch auf der Arbeit. Schnell schlichen sich dabei Fehler ein, die sie sich nicht erlauben durfte. Das war ihr noch nie passiert: dass eine Frau sie so sehr beschäftigte, dass sie nichts mehr tun konnte, ohne an diese Frau denken zu müssen. Und seit sie in ihrer letzten Mail zum ersten Mal vorsichtig angedeutet hatte, dass sie sich doch vielleicht bald mal zu einem richtigen Date treffen könnten, war es erst recht vorbei mit ihrer Konzentration. Nur ein einziger Gedanke hatte in ihrem Kopf Platz: Bitte sag ja!

Nach der Arbeit fuhr Bea in den Stall. Dort traf sie auf ihre Freundin Claudia, und gemeinsam machten sie einen Ausritt in den nahegelegenen Wald. Doch auch jetzt war Bea mit ihren Gedanken wieder bei Jeanny. Claudia erzählte irgendwas, aber Bea bekam nichts davon mit.

Schließlich kam Claudia dicht neben sie geritten. »Hallo, Erde an Bea. Ist jemand zu Hause?«

»Hä? Entschuldige, ich war mit den Gedanken woanders. Was sagtest du?«

»Das habe ich gemerkt. Ich rede mir hier den Mund fusselig, und du bist nur noch körperlich anwesend. Was ist überhaupt los mit dir?«

»Ach, nichts Besonderes«, wich Bea aus. »Mir gehen nur verschiedene Dinge durch den Kopf, die ich noch erledigen muss.«

»Dein Gesichtsausdruck sieht aber total anders aus. So verzückt und glücklich lächelnd, als würdest du auf Wolke sieben schweben.«

Oh, sah man ihr das wirklich an? Wie peinlich. »Na ja . . . hast ja recht. Ich habe da jemand kennengelernt, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht.«

»Wie sieht sie denn aus?«, fragte Claudia grinsend. Sie wusste, dass Bea auf Frauen stand. Bea machte kein Geheimnis daraus.

Nun erzählte sie Claudia von Jeanny und erwähnte auch, dass sie sich noch nicht getroffen hatten. »Es steckt alles noch in den Anfängen. Darum will ich vorerst auch nicht mehr darüber erzählen.«

»Ist okay. Bleibt es trotzdem bei unserem gemeinsamen Reiturlaub?«

»Ja, sicher.«

»Gut. Davon hatte ich vorhin gesprochen, als du in anderen Sphären weiltest. Ich habe die Zusage für unseren geplanten Termin bekommen, und wir müssen jetzt nur noch die Bestätigung zurückschicken.«

»Kümmerst du dich bitte darum?«, bat Bea. »Ich bin momentan nicht so ganz bei Sinnen, wie du merkst . . .«

Claudia lachte. »Na klar doch. Vielleicht möchte deine neue Flamme ja mitkommen.«

Bea überlegte. »Ich glaube nicht, dass sie so auf Outdoorabenteuer steht. Aber ich kann sie mal fragen.«

Es war bereits dunkel, als sie zu Hause ankam. Ihr erster Gang war natürlich zum Computer, um ihre E-Mails zu checken. Und siehe da, ein Sie haben Post blinkte auf. Gierig verschlang Bea die Zeilen, die Jeanny ihr geschrieben hatte.

Es ist wirklich verrückt, was hier gerade so abgeht. Ich meine, wir sind uns noch nicht einmal über den Weg gelaufen, Du hast mich erst vor gut zwei Wochen angeschrieben, und doch kommt es mir wie Ewigkeiten vor, dass ich Dich kenne. Es ist ein wunderschönes Gefühl, dieses Prickeln, wenn ich an Dich denke, die Gänsehaut, die mir da schon den Rücken hinunterjagt. Aber das macht mir auch ganz schön Angst. Diese rasende Schnelligkeit, mit der sich alles