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Diana S. Wirtz

TRÄUME UND TRAUMFRAUEN

Roman

© 2016

édition el!es

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Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-167-4

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© 5second – Fotolia.com

Der Chef wollte mich sehen. Ist er da?«, fragte Maddy nervös.

Vanessa, Empfangsdame, Sekretärin, persönliche Assistentin und Mädchen für alles, was ihrem Chef so in den Sinn kam, blickte von ihrem PC auf. »Eine Sekunde«, sagte sie und lächelte, was ihre dunklen Augen mit einem feinen Kranz aus Fältchen umgab. »Ich höre, ob er Zeit für dich hat.« Sie drückte die Taste der Gegensprechanlage. »Jake, Maddy ist hier.«

»Soll reinkommen«, klang es barsch aus dem Lautsprecher.

Vanessa nickte Maddy zu. »Du hast ihn ja gehört. Geh einfach durch.« Offenbar konnte Jakes cholerische Art sie schon längst nicht mehr schocken.

Maddy hingegen wurde noch etwas nervöser. Zaghaft stieß sie die Tür zum Allerheiligsten auf und stand ihrem wutschnaubenden Chefredakteur gegenüber. Er bot ihr keinen Sitzplatz an, sondern legte gleich los, noch bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

»Das hier ist absolute Scheiße!«, brüllte er und wedelte mit einem Blatt Papier vor ihrer Nase herum. »Wenn du Gesellschaftskritik schreiben willst, such dir einen anderen Job. Unsere Leser kaufen das Red-Carpet-Magazin, weil sie Glamour wollen, Neues aus dem Showbiz und pikanten Klatsch, aber keine kritische Auseinandersetzung mit dem Jugend-, Schönheits- oder Schlankheitswahn gewisser Stars! Sie wollen Interviews mit ihren Stars, sie wollen wissen, was sie tragen, wo sie sich aufhalten, mit wem sie sich abgeben. Keine Sau will wissen, ob du Pandora Pfeiffer für zu dünn hältst oder das Botox-Gesicht einer Michelle LaForge peinlich findest. Die Leser wollen Klatsch und Spekulationen, hart an der Grenze zur Verleumdungsklage! Sie wollen das Gefühl haben, genau zu wissen, was in der Glitz-und-Glam-Welt vor sich geht! Schreib das neu, aber ein bisschen plötzlich! Da gibt man einer blutigen Anfängerin mal eine Chance, und dann kommt da so ein Müll heraus!« Sein Tobsuchtsanfall schien gar kein Ende nehmen zu wollen.

Maddy zog den Kopf noch ein bisschen mehr ein. Auch nach mehreren Monaten beim Red-Carpet-Magazin konnte sie sich noch nicht an das jähzornige Herumgebrülle ihres Chefs gewöhnen. Wäre Jake nicht so ein Gigant in der Branche gewesen, von dem sie unbedingt lernen wollte, hätte sie schon innerhalb der ersten vier Wochen gekündigt.

»Ja, Chef«, sagte sie geknickt. »Tut mir wirklich leid.« Sie trat einen Schritt zurück und hoffte, dass sie nun gehen konnte.

Aber Jake war noch nicht mit ihr fertig. »Und mach mal was mit deinem Aussehen«, knurrte er. »Lass dir endlich mal die Haare ordentlich schneiden, und besorg dir ein anständiges Outfit. Jeans und Pferdeschwanz haben vielleicht für das Provinzblatt gereicht, wo du früher warst, aber wir verkaufen Glamour! Wenn du es hier zu etwas bringen willst, solltest du dich als Allererstes mal entsprechend präsentieren. Du siehst aus, als wärst du zwölf und würdest für die Schülerzeitung arbeiten. Und jetzt mach, dass du rauskommst, du hast noch einen Artikel neu zu schreiben!«

»Ja, Chef«, flüsterte Maddy, den Tränen nahe, und schlich wie ein geprügelter Hund aus dem Büro.

Jake hing unterdessen schon wieder an der Gegensprechanlage: »Vanessa, schick mir mal den Knallkopf aus der Werbung hoch. Ich habe heute Morgen nur Mist auf dem Tisch!«

Im Vorzimmer bedeutete Vanessa Maddy, kurz zu warten, während sie in der Werbeabteilung anrief: »Veronika, Vanessa hier. Mein Boss will deinen sehen. Ja, schick ihn gleich hoch, bevor Jake noch platzt. Ich danke dir.« Sie legte den Hörer auf und sah Maddy an.

»Jake ist heute wieder in Topform«, bemerkte sie trocken. »Aber mach dir nichts draus, in einer Stunde hat er es schon wieder vergessen.«

Maddy nickte und biss sich beschämt auf die Unterlippe, als ihr nun doch eine Träne über die Wange rollte. Vanessa lächelte sie tröstend an und reichte ihr eine Box mit Papiertüchern.

»Ich arbeite seit über zwanzig Jahren für Jake«, sagte sie aufmunternd. »Er kommt dir vielleicht im Moment wie ein Riesenarsch vor, aber im Grunde ist er gar nicht so. Du darfst bei ihm nur nicht klein beigeben und ihm nicht nach dem Mund reden. Vertritt einfach deine Meinung, dann wird er dich am ehesten respektieren – er kann Jasager nicht ausstehen. Er wird zwar trotzdem weiter wie ein angeschossener Stier herumbrüllen, aber so ist er nun mal.« Dann deutete sie auf den zerknitterten Bogen Papier in Maddys Hand: »Dein Artikel? Zeig doch mal her.«

Dankbar reichte Maddy ihn ihr. Vanessa schob sich ihre Lesebrille auf die Nase und überflog den Text.

»Ach, alles halb so schlimm«, sagte sie dann und strich sich eine silbrige Haarsträhne aus der Stirn. »Schau mal, wenn du diesen Absatz hier kürzt und den hier ganz streichst, hast du es schon beinahe. Spar dir den moralisch erhobenen Zeigefinger und streu ein wenig Pseudo-Mitgefühl ein, ein wenig gönnerhaft vielleicht. Ansonsten ist der Artikel gar nicht so schlecht. Schreib den ein bisschen um, dann wird das schon.« Sie zwinkerte Maddy verschmitzt zu.

Maddy konnte schon wieder lächeln. »Danke, Vanessa, du bist wirklich die Beste.«

»Ach, Kind, das weiß ich doch. Warum sonst hätte Mr. Style persönlich eine alte Schraube wie mich im Vorzimmer sitzen«, bemerkte sie selbstironisch und schüttelte ihren graumelierten Pagenkopf. Dann sah sie Maddy prüfend an und fügte hinzu: »Mit deinem Look hat er allerdings nicht ganz unrecht. Kleider machen Leute, schon mal gehört? Wenn du aussiehst wie ein Teenager, wirst du auch wie einer behandelt, und niemand nimmt dich für voll.«

»Was soll ich denn an mir ändern?«, fragte Maddy und sah an sich herab. Sie war noch nie ein Modepüppchen gewesen, Klamotten hatten für sie in erster Linie praktisch und robust zu sein. Aber wenn das für ihren Traumjob ein Hindernis darstellen sollte, war sie offen für Vanessas Vorschläge.

Vanessa musterte sie über ihre Brille hinweg gründlich von Kopf bis Fuß. »Alles«, sagte sie schließlich. »Und bei deinem Namen solltest du anfangen.«

Maddy war nur eine knappe Stunde vor ihrem Termin mit Boris wieder zu Hause, wo sie von ihren Freundinnen schon sehnsüchtig erwartet wurde.

»Maddy! Wenn das nicht der Just-Fucked-Look ist, dann weiß ich es nicht«, begrüßte Jeannie sie begeistert, als sie unauffällig in ihrem Zimmer verschwinden wollte, und beförderte sie mehr oder weniger sanft zum Verhör in die Küche. »Nur nicht rot werden, Maddy. Carla hat mir gesteckt, dass du mit einer heißen Cougar weggegangen bist«, fuhr sie fort und ignorierte Carlas warnenden Blick. »Und? Hielt die Dame, was sie versprach?«

Maddy grinste. Eigentlich schadete es ja nicht, den beiden Rede und Antwort zu stehen, innerhalb gewisser Grenzen natürlich. Ihre übersprudelnde Freude brauchte ohnehin ein Ventil. »Und ob! Eigentlich müsste ich Schwierigkeiten haben, geradeaus zu laufen. Ich schätze mal, von Vanessa könntest selbst du noch etwas lernen.«

»Moment«, sagte Carla gedehnt. »Das war Vanessa? Die Vanessa? Die Assistentin deines Chefredakteurs?«

»Yep. Genau diejenige welche«, bestätigte Maddy. Als sie die entgeisterten Gesichter ihrer Freundinnen sah, musste sie lachen.

Carla, die sich als Erste wieder gefangen hatte, wandte vorsichtig ein: »Ähm, meinst du nicht, dass das ein wenig kompliziert werden könnte? Ich meine, mit einer definitiv ranghöheren Kollegin zu schlafen, ist vielleicht nicht gerade der Weisheit letzter Schluss.«

»Ach was«, erwiderte Maddy gutgelaunt und griff nach der wie üblich gut gefüllten Kaffeekanne, um sich eine Tasse einzuschenken. »Warum sollte das kompliziert werden? Wir hatten Sex, den vermutlich verdammt besten Sex meines Lebens, möchte ich hinzufügen – aber wir sind nicht zusammen, also gibt es auch keinen Grund für irgendwelche Dramen.« Seelenruhig trank sie einen Schluck Kaffee.

»Okay, wer bist du, und was hast du mit meiner Freundin gemacht?«, fragte Jeannie irritiert. »Was ist aus deinem ‚Ich halte nichts von One-Nightern, sondern suche die große Liebe’ geworden?«

»Stellte sich raus, dass ich ziemlich falsch lag«, gab Maddy zu. »Relativ unverbindlicher Sex kann offenbar doch ziemlich genial sein.« So richtig hatte sie sich bisher noch gar keine Gedanken darüber gemacht, was diese phantastische Nacht mit Vanessa eigentlich bedeutete. Aber es jetzt so unmissverständlich auszusprechen, fühlte sich überraschend gut an.

Sie leerte ihre Tasse. »Ich werde jetzt erst mal unter die Dusche springen und mich umziehen, damit ich fertig bin, wenn Boris hier auftaucht. Ihr beide könnt ja inzwischen allein weiter staunen«, bestimmte sie und erhob sich.

»Relativ unverbindlicher Sex?«, fragte Carla leise. »Mit einer Frau, die bestimmt doppelt so alt ist wie sie?«

»Im Grunde überrascht mich das nicht allzu sehr«, gab Jeannie zu. »Maddy hatte schon immer ein Faible für attraktive ältere Frauen. Ihre Schwärmerei für Sam Wilderman – du weißt schon, die Schauspielerin – ist ja schon legendär. Und dann war da noch eine unserer Lehrerinnen, in die sie fürchterlich verschossen war. Ich erinnere mich noch, damals . . .«

»Wenn du jetzt wieder mit der Klassenfahrt anfängst, dreh ich dir sonst was um«, unterbrach Maddy und steckte den Kopf wieder in die Küche. »Dass du aber auch immer wieder diese olle Kamelle aufwärmen musst.«

»Ja, sorry, aber das passte eben so gut, weil . . .«

». . . weil du nie die Klappe halten kannst«, fiel Maddy Jeannie ins Wort und warf ihr einen ärgerlichen Blick zu.

Jeannie hob die Hände und kapitulierte. »Schade, die Story wirst du also vermutlich nicht zu hören bekommen«, sagte sie zu Carla.

Die zuckte bloß mit den Achseln und meinte mit einem kleinen Lächeln: »Wenn Maddy nicht möchte, dass du diese Geschichte herumerzählst, dann solltest du das auch nicht tun.«

»Siehst du«, sagte Maddy zu Jeannie, »Carla respektiert meine Privatsphäre. So gehört sich das.« Mit diesem Kommentar schob sie endgültig ab ins Bad.

Boris kam pünktlich und zeigte erstaunlich viel Geduld, während Jeannie ihm im Sekundentakt ungefähr tausend Entwürfe, Kleidungsstücke und Fotos zeigte und dabei unaufhörlich auf ihn einredete. Maddy saß daneben und versuchte vergeblich, ein Grinsen zu unterdrücken.

Nach einer knappen Stunde verabschiedete sich Boris dann wieder und meinte, er habe sich jetzt ein Bild von allem gemacht und werde nun überlegen, wie er Jeannie und ihre Arbeit am besten in Szene setzen könnte. Dann hatte er es ziemlich eilig, die Wohnung zu verlassen. Maddy konnte es ihm nicht verübeln.

Kaum dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, überfiel Jeannie Maddy mit einem neuerlichen Redeschwall: »Meinst du, ihm hat meine Kollektion gefallen? Bist du sicher, dass er das auch richtig hinbekommt? Sollte nicht vielleicht doch lieber Carla die Fotos machen? Warum hast du eigentlich so wenig gesagt, und wann entscheidet ihr euch, was letztendlich in euer Feature kommt? Und . . .«

»Okay, Ruhe jetzt«, befahl Maddy energisch. »Hol erst mal Luft, bevor du die nächsten hundert Fragen auf mich abfeuerst. Du machst einen wirklich kribbelig mit deinem Nonstop-Gelaber.«

»Ich labere nicht«, verwahrte sich Jeannie.

»Nein, du quasselst«, mischte sich Carla ein. »Ohne Punkt und ohne Komma. Der arme Mann hatte ja keine Schnitte, bei dir überhaupt zu Wort zu kommen.«

Jeannie protestierte: »So schlimm war ich nun auch wieder nicht.«

»Nee, schlimmer«, antwortete Maddy, »weil du gar nicht merkst, wenn du jemanden im Rekordtempo zu Tode quasselst.«

»Besonders, wenn du aufgeregt bist«, ergänzte Carla. »Dann erinnerst du mich immer an eine total überdrehte Fünfjährige.«

»Ach, ihr könnt mich alle mal«, sagte Jeannie, aber in nachgiebigem Tonfall. Angesichts der ersten konkreten Schritte in Richtung ihres großen Auftritts im Red-Carpet-Magazin konnte ihr offenbar nichts so schnell die Laune verderben. »Lasst uns eine Pizza in den Ofen werfen und ein paar Folgen L Word ansehen.«

Sie hatten die Pizza gerade in den Ofen geschoben, als Maddys Handy aus ihrem Zimmer dudelte. Sofort stürzte Maddy los. Vanessa! Aus dem Augenwinkel sah sie gerade noch, wie Carla und Jeannie einen Blick wechselten und sich angrinsten.

Wenig später kam Maddy wie ein glücklicher Osterhase wieder in die Küche gehüpft, mit rosigen Wangen und strahlenden Augen. »Das war Vanessa«, erzählte sie. »Sie wollte hören, ob unser Treffen mit Boris gut gelaufen ist, und ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, dass ich sie eingeladen habe, vorbeizukommen.«

»Wann hätte jemals eine von uns etwas dagegen gehabt, dass eine andere Besuch bekommt?«, fragte Carla gutmütig. »Abgesehen vielleicht von Jeannies tausendundeiner Affäre, aber das lässt sich kaum als regulärer Besuch werten, oder?«

»Haha«, machte Jeannie gelangweilt. »Immer dieser Neid der Besitzlosen. Nein, Maddy, ist schon okay, wenn deine Vanessa vorbeikommt. Ich bin ziemlich gespannt, die Frau kennenzulernen, die dich so ohne weiteres abschleppen konnte. Sollen wir eine Pizza mehr machen?«

Maddy zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Sollten wir? Ich weiß gar nicht, ob sie Pizza mag, das habe ich ganz vergessen zu fragen.«

»Typisch«, kommentierte Jeannie trocken.

Carla kicherte. »Das sagt die Richtige. Bei dir muss man sich fragen, ob du überhaupt die Vornamen deiner One-Night-Stands weiß, von den kulinarischen Vorlieben ganz zu schweigen.«

»Dazu würde ich mich jetzt lieber nicht äußern«, kommentierte Jeannie mit einem Grinsen und holte kurzentschlossen eine weitere Pizza aus dem Gefrierfach. »Sicher ist sicher«, meinte sie und packte sie mit auf das Backblech.

Schließlich klingelte der Timer, und die drei machten es sich schon mal mit ihren Pizzen im Wohnzimmer bequem. »Wann, sagtest du, würde sie kommen?«, erkundigte sich Carla bei Maddy.

Maddy sah auf die Uhr. »Keine Ahnung . . . sie kommt von Unterbilk, sie müsste also jeden Moment hier sein.« Sie kuschelte sich in ihre übliche Ecke der Couch. Jeannie hatte sich wie immer quer im Sessel niedergelassen und ließ die Beine über die Armlehne baumeln, während Carla mit untergeschlagenen Beinen an die Couch gelehnt auf dem Boden hockte.

Jeannie hatte gerade beschlossen, dass sie genauso gut anfangen konnten, bevor die Pizza kalt wurde, als es an der Tür klingelte.

»Das ist sie«, rief Maddy, sprang von der Couch und flitzte zur Wohnungstür, um Vanessa hereinzulassen – nicht ohne die Wohnzimmertür hinter sich zuzuziehen. Zum Glück verstanden Jeannie und Carla den Wink und blieben, wo sie waren, so dass Maddy den Moment der Begrüßung allein mit Vanessa genießen konnte. Freudestrahlend riss sie die Wohnungstür auf.

»Hey«, sagte sie leise und lächelte etwas verschämt. Vanessas Anblick löste sofort ein heftiges Kribbeln in ihrem Bauch aus. »Du siehst wieder unheimlich heiß aus«, entfuhr es ihr, bevor sie sich selbst zur Zurückhaltung ermahnen konnte.

Vanessa erwiderte das Lächeln und strich das schlichte rote Strickkleid glatt, das sich wie eine zweite Haut an ihre wohlgerundeten Formen schmiegte. »Das kann ich nur zurückgeben, Kind. Du siehst zum Anbeißen aus«, wisperte sie, beugte sich zu Maddy hinunter und küsste sie. »Gehe ich recht in der Annahme, dass deine Freundinnen auf uns warten?«, erkundigte sie sich mit einem Augenzwinkern, als sie sich von Maddy löste.

Maddy nickte, und nach einem letzten, verlangenden Blick führte sie Vanessa ins Wohnzimmer. »Mädels, das ist Vanessa. Vanessa, Carla kennst du ja schon, und die Grazie im Sessel ist meine Freundin Jeannie«, stellte sie die drei Frauen einander vor. »Wir wollten gerade anfangen zu essen. Ich hoffe, Tiefkühlpizza ist dir nicht zu profan . . . hier ist dein Stück.«

»Aber nicht doch«, sagte Vanessa strahlend. »Hallo, Carla und Jeannie. Lieb von euch, dass ihr mich mitessen lasst.« Sie ließ sich ganz selbstverständlich neben Maddy auf dem Sofa nieder, die sich wieder in ihrer Ecke zusammenrollte, und schlug elegant die Beine übereinander. Maddy konnte sich wieder einmal nicht sattsehen an ihr. Und dass Vanessa so natürlich mit ihren Mitbewohnerinnen umging, machte sie noch begehrenswerter.

Anfangs aßen sie ihre Pizza ohne viele Worte, doch bald hatte Vanessa sie alle in eine lebhafte Unterhaltung verwickelt – in deren Verlauf Maddy ein ums andere Mal errötete, wenn Jeannie in ihrer üblichen nassforschen Art Kommentare oder indiskrete Nachfragen in den Raum stellte. Es dauerte nicht lange, bis sich das Gespräch dem ersten Kuss zuwandte.

»Meinen ersten Kuss bekam ich mit zwölf von Janine Flieger«, gab Jeannie bekannt.

Maddy sah sie überrascht an. »Janine? Du hast Janine geküsst? Das hast du mir nie erzählt.«

»Da gab es nicht viel zu erzählen«, erwiderte Jeannie leichthin. »Sie hat mir Nachhilfe in Mathe gegeben, ich habe sie geküsst, sie hat mir eine geklebt, und das war das Ende vom Lied. Und von meiner Nachhilfe.«

»Autsch«, kommentierte Carla trocken. »Kaum zu glauben, wenn man dich heute erlebt. Mein erster Kuss war ein bisschen freundlicher. Es ist auf meiner Schulabschlussfeier passiert, da war ich sechzehn. Ich war fürchterlich verliebt in Eloise, und nachdem ein paar von uns die Bowle versetzt hatten, waren wir alle ein wenig beschwipst. Ich habe mich endlich getraut, sie zum Tanzen aufzufordern, und da ist es dann passiert, mitten auf der Tanzfläche.«

»Und was ist dann passiert?«, wollte Maddy wissen und lehnte sich enger an Vanessa.

»Sie starrte mich entsetzt an, dankte mir für den Tanz und verschwand aus dem Saal«, erinnerte sich Carla. »Da bin ich schlagartig nüchtern geworden, das könnt ihr mir glauben. Danach war ich dann auch gleich geoutet, und es war weniger schlimm, als ich befürchtet hatte. Meine Eltern haben es wohl sowieso schon geahnt und sich nicht weiter drüber aufgeregt. Und bei wie war das bei dir, Maddy?«

»Nee, lass mal«, wehrte Maddy ab. »Das möchte ich nicht so gern erzählen.«

»Ach komm, sei kein Frosch«, ermutigte Vanessa, »ich würde die Geschichte wirklich gern hören. Meine kennst du ja schon.«

»Wir aber nicht«, wandte Jeannie ein, und Vanessa lachte.

»Das war ja klar. Na schön, die Kurzfassung: Ich war vierzehn und grenzenlos verliebt in meine beste Freundin, und wir haben uns geküsst. Eine Nachbarin hat uns gesehen, das war ein regelrechter Skandal damals. Sie hat uns bei unseren Eltern verpetzt, wir haben beide fürchterlichen Ärger bekommen, und Sabine hat mich nie wieder angesehen danach.«

»Schöne Scheiße«, kommentierte Jeannie mitfühlend. »Muss damals echt Mist gewesen sein, lesbisch zu sein.«

»Nun, einfach war es nicht gerade«, erwiderte Vanessa trocken. »Aber zum Glück haben sich die Zeiten geändert. Maddy, jetzt bist du dran! Wir haben alle unsere Geschichten erzählt.«

Maddy sträubte sich immer noch. »Das war wirklich nicht so erwähnenswert«, winkte sie ab.

Jeannie lachte. »Das sehe ich anders. Ich sage nur: Klassenfahrt.«

Maddy warf ihr einen scharfen Blick zu. »Ich bitte dich!«

»Also, ich kenne die Geschichte immer noch nicht«, erklärte Carla und sah zu Maddy auf.

Vanessa pflichtete ihr bei: »Ich auch nicht.«

Eine feine Röte breitete sich in Maddys Gesicht aus. Anscheinend würde sie aus dieser Nummer nicht so leicht rauskommen. Verflixt, warum musste Jeannie sie so gut kennen?

»Ich werde euch die Story erzählen, wenn Maddy es nicht tut«, entschied Jeannie prompt und ignorierte Maddys bösen Blick. »Immerhin hatte ich einen Logenplatz dabei.«

»Bitte nicht. Das ist so peinlich«, jammerte Maddy und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Jetzt will ich die Geschichte erst recht hören«, forderte Carla, und Vanessa nickte bekräftigend.

»Na schön«, sagte Jeannie und grinste. »Wir waren auf Klassenfahrt, in der achten Klasse, wir waren also damals vierzehn.«

Maddy richtete hilfesuchend die Augen gen Himmel. »Lieber Gott, erschlag sie doch bitte mit einem Blitz oder so«, flehte sie, doch Jeannie erzählte ungerührt weiter.

»Maddy war bis über beide Ohren in unsere Deutschlehrerin verschossen. Sie hatte immer schon eine Schwäche für attraktive ältere Frauen.« Sie warf einen vielsagenden Blick auf Vanessa. »Jedenfalls, am letzten Abend in der Jugendherberge haben wir eine Art Abschlussfeier veranstaltet, und Maddy klebte förmlich den ganzen Abend an unserer Frau Wagner. Wenn ich mich recht erinnere – und das tue ich ganz sicher – hat Maddy sie sogar zum Tanzen aufgefordert.« Jeannie grinste breit, während Maddy sie anfunkelte. Musste Jeannie wirklich jedes Detail so genüsslich ausbreiten?

Jeannie fing ihren Blick auf und zuckte mit den Achseln, bevor sie fortfuhr: »Am Ende des Abends, als wir dann alle ins Bett gehen sollten, nahm Frau Wagner unsere Maddy kurz in den Arm, und Maddy fasste das als Aufforderung zum Kuss auf. Sie hat Frau Wagner geküsst, mitten auf den Mund, und wenn ihr mich fragt, war da auch ein bisschen Zunge mit im Spiel. Die arme Frau wusste gar nicht, wie ihr geschah. Ich habe selten einen so perplexen Gesichtsausdruck gesehen oder jemanden, der dermaßen bis in die Haarwurzeln errötet. Aber ich habe ihre Reaktion bewundert: Sie nahm Maddy bei den Schultern und hat sie sanft, aber mit Nachdruck von sich weggeschoben, ohne eine Szene daraus zu machen.«

»Das war mir so fürchterlich peinlich«, sagte Maddy betreten. »Ich wusste nicht, ob ich lachen, weinen oder schreiend davonlaufen sollte.«

»Ich habe gedacht, sie fällt jeden Moment in Ohnmacht oder so«, ergänzte Jeannie.

»Da hat auch nicht viel gefehlt«, gab Maddy zu und lächelte nun auch, wenn auch ein wenig schief. »Ich habe mich so geschämt, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Mir ist die Luft weggeblieben, weil ich mich so dämlich gefühlt habe in dem Moment.«

»Das passiert ihr heute immer noch«, neckte Vanessa sanft und zog sie an sich. »Wenn ich sie küsse, muss ich sie festhalten, weil sie das Atmen vergisst.«

Maddy wurde wieder rot und vermied es, ihren Freundinnen ins Gesicht zu sehen.

»Ich weiß nicht, was an dieser Geschichte so peinlich ist, Maddy«, warf Carla ein. »Ich finde sie irgendwie süß.«

Ein wenig kläglich sagte Maddy: »Das war der längste Moment meines Lebens . . . aber er hätte ruhig noch länger dauern können.«

»Das glaube ich dir unbesehen«, sagte Carla und lächelte ihr zu. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr und entfaltete ihre langen Beine, um aufzustehen. »Ich verlasse diese gemütliche Runde nur ungern«, stellte sie bedauernd fest, »aber ich habe noch eine Verabredung.«

Das war offenbar das Startsignal für Jeannie. »Wartest du auf mich?«, fragte sie und schwang die Beine von der Sessellehne. »Ich könnte dich ein Stück mitnehmen.«

»Nur, wenn du nicht wieder ewig brauchst, um dich fertigzumachen«, antwortete Carla. »Ich bin in einer Viertelstunde hier weg, mit dir oder ohne dich.«

»Das schaffe ich«, erwiderte Jeannie, sprang auf und eilte in ihr Zimmer. Knappe zehn Minuten später präsentierte sie sich gestylt und geschminkt im Wohnzimmer, wo Carla bereits auf sie wartete.

»Fertig? Dann können wir ja los.« Und zu Vanessa gewandt, sagte Carla: »Es ist nett, dich besser kennengelernt zu haben.«

»Ganz meinerseits«, erwiderte Vanessa und lächelte zu ihr auf.

»Ja, war wirklich toll, die Frau kennenzulernen, die unsere Maddy so einfach abschleppen konnte«, fügte Jeannie hinzu und zwinkerte Maddy zu. »Wir sind dann mal weg. Tut nichts, das ich nicht auch tun würde!«

»Das lässt uns massig Spielraum«, konterte Maddy trocken. »Viel Spaß!«

»Ja, euch beiden auch.« Mit einem anzüglichen Grinsen machte Jeannie sich aus dem Staub. Carla verdrehte entschuldigend die Augen und folgte ihr dann.

Vanessa lachte. »Ich mag deine Freundinnen. Die scheinen geradeheraus und sehr unkompliziert zu sein.«

»Ja, meistens schon«, antwortete Maddy. »Nur Jeannie kann manchmal ein bisschen peinlich sein mit ihrer Direktheit. Manchmal denke ich fast, dass sie es darauf anlegt, die Leute zu provozieren. Oder sie denkt einfach nicht nach, bevor sie die Klappe aufmacht.«

»Aber wenigstens weißt du ihr bei immer, woran du bist«, beschwichtigte Vanessa.

»Das ist allerdings wahr«, stimmte Maddy zu und kuschelte sich an sie. »Und wenn es drauf ankommt, würde sie für mich durchs Feuer gehen.« Dann fragte sie: »Sollen wir in mein Zimmer gehen? Wir haben nämlich eine ganz klare Regel: Kein Sex auf dem Sofa. Und sogar Jeannie hält sich dran.«

»Dann sollten wir uns langfristig lieber in dein Zimmer verfügen«, sagte Vanessa mit einem vielversprechenden Funkeln in den Augen. »Abgesehen davon würde ich wirklich gern sehen, wie du so lebst.«

»Dann komm.« Maddy stand auf und griff nach Vanessas Hand. »Ich habe das letzte Zimmer. Es ist zwar das kleinste, aber ich brauche auch nicht so viel Platz«, erklärte sie und öffnete die Tür zu ihrem Raum. »Willkommen in meinem kleinen Reich in der Kreativ-WG.«

Ihr Zimmer war wirklich klein, aber es befand sich auch nicht viel darin. Ein normal großes Bett, ein Schreibtisch, auf dem sich ihr Laptop, Schreibblöcke und Kugelschreiber befanden, ein Kleiderschrank und ein großes, überfülltes Bücherregal, das eine ganze Wand einnahm, waren die ganze Einrichtung. Und dann natürlich das gerahmte Plakat mit Samantha Wilderman, das neben einem Kunstdruck von Botticellis Geburt der Aphrodite über ihrem Bett hing.

Maddy errötete ein wenig, als Vanessa das Plakat in Augenschein nahm und neugierig fragte: »Samantha Wilderman? Du bist ein Fan?«

Maddy nickte. »Schon seit Jahren. Ich finde sie einfach nur genial. Eine wunderbare Schauspielerin und eine verdammt attraktive Frau.« Dann wandte sie den Blick von dem überlebensgroßen Porträt der Schauspielerin zu Vanessa und fügte verlegen hinzu: »Du erinnerst mich ein wenig an sie.«

Vanessa lächelte. »Ich nehme das mal als Kompliment. Wilderman ist bestimmt zehn Jahre jünger als ich.« Sie betrachtete das Bild der attraktiven Frau mit dem tizianroten Haar und den meergrünen Augen nachdenklich und sagte unvermittelt: »Ich habe gehört, dass sie schon bald wieder nach Düsseldorf kommt.«

Maddy nickte. Natürlich wusste sie das längst. »Oh ja. Sie tourt mit einem neuen Stück von Alessandra Allen, Talking Women, und im Juni ist Weltpremiere im Theater an der Kö. Ich würde so gern hingehen, aber es ist absolut unmöglich, noch an Karten zu kommen.« Sie zuckte resignierend die Schultern.

»Unmöglich ist gar nichts«, widersprach Vanessa. »Vielleicht können wir über die Redaktion noch an Karten kommen. Ich werde Jake gleich am Montag danach fragen.«

Maddy wurde ganz schwindelig. »Das würdest du wirklich tun?«, fragte sie mit glänzenden Augen, um Vanessa im nächsten Moment stürmisch zu umarmen. »Das wäre phantastisch, wenn das klappen würde!«

Vanessa schmunzelte und zog sie enger an sich. »Sag deiner Jeannie, sie soll schon mal ein Kleid für dich entwerfen – du wirst es brauchen. Ich nehme doch mal an, dass du auch gern zur Premierenfeier gehen würdest.«

»Premierenfeier . . . wow«, stammelte Maddy. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«

»Am besten, du sagst gar nichts und küsst mich stattdessen lieber«, schlug Vanessa vor. »Darauf warte ich schon den ganzen Abend.«

Das ließ Maddy sich nicht zweimal sagen. Sie schlang die Arme um Vanessa und küsste sie mit Hingabe, bis sie schließlich wie von selbst in Maddys Bett landeten.

Am Montagmorgen warf Maddy Jeannie schon früh aus dem Bett, um sich in ihrem neuen Outfit zu präsentieren. Mit einem lauten »Morgen, du Schlafmütze!« öffnete sie Jeannies Zimmertür.

»Was’n los?«, kam es verschlafen unter der Decke hervor.

»Nichts«, erwiderte Maddy lachend. »Du sollst nur mal schauen, ob man mich so auf die Menschheit loslassen kann.«

Jeannie schielte aus ihrem Deckenberg heraus und warf einen Blick auf Maddy. »Ja, kannst gehen. Alles okay«, gähnte sie, zog sich die Decke wieder über den Kopf und drehte sich um.

Maddy grinste und schloss die Tür mit einem vernehmlichen Knall hinter sich, wohl wissend, dass sie Jeannie damit noch ein bisschen mehr ärgerte. Dann griff sie entschlossen nach ihrer Aktentasche. Madeleine Lamont war bereit, die Redaktion des Red-Carpet-Magazins zu rocken.

Wie jeden Morgen hetzte Maddy durch die Rushhour, quetschte sich in überfüllte Straßenbahnen und hastete über viel zu kurze Grünphasen an den Ampeln. Aber trotz – oder gerade wegen – dieser Hektik liebte sie ihr neues Zuhause. Düsseldorf war so voller Leben, so voller Energie, ganz anders als Hucklenbroich.

Bis zur Redaktionssitzung blieb ihr noch ein wenig Zeit. Sie huschte in die kleine Abstellkammer, die unverschämterweise als ihr Büro bezeichnet wurde, suchte auf ihrem wackeligen Schreibtisch die Papiere zusammen, die sie möglicherweise in der Konferenz brauchen würde, und packte sie in eine Mappe. Rasch sah sie ihre Notizen noch mal durch, um sicher sein zu können, dass sie tatsächlich alles hatte, dann warf sie einen Blick auf die Uhr und fluchte. Nun war sie spät dran. Eilig griff sie nach ihren Unterlagen und hastete zum Konferenzraum.

Als sie die Tür öffnete, hörte sie Jake verstimmt sagen: »Wo ist denn Maddy? Vanessa, hat sie angerufen, dass sie nicht kommt, oder was?«

Sie stieß die Tür ganz auf. Ihr großer Auftritt! Hochaufgerichtet betrat sie den Raum. »Guten Morgen«, sagte sie weitaus gelassener, als sie sich tatsächlich fühlte. »Maddy wird nicht mehr kommen, dafür wird Madeleine Lamont ihren Job übernehmen.« Sie sah Jake fest in die Augen und registrierte mit klopfendem Herzen das amüsierte Funkeln in seinen Augen.

»Schön, dass du den Weg zu uns gefunden hast, Madeleine«, erwiderte er.

Sie konnte etwas in seiner Stimme hören, das sie bisher nur wahrgenommen hatte, wenn er mit Vanessa sprach. Etwas wie ein warmes Lächeln. Innerlich atmete sie auf, als sich an ihren üblichen Platz setzte. Das war ja schon mal ein guter Anfang.

Sie legte ihre Mappe mit den Unterlagen ordentlich vor sich auf den Tisch und hörte sich an, welche Pläne Jake für die nächsten Ausgaben hatte. Dann und wann warf sie, wie die anderen Redakteure auch, einen Vorschlag oder gar Kritik ein. Ihre Kollegen warfen ihr erstaunte, stellenweise sogar beifällige Blicke zu, denn so hatten sie Maddy in all den Monaten noch nicht erlebt. Bisher war sie in den Redaktionssitzungen immer recht still gewesen und hatte bestenfalls ein paar Nachfragen gestellt. Doch nicht nur ihr Aussehen hatte sich verändert, sondern auch ihr Auftreten – quasi über Nacht war sie zu einer neuen Persönlichkeit geworden. Sie wusste selbst nicht, woran das genau lag, und fragte sich nach jedem Kommentar, woher sie überhaupt den Mut dazu nahm. Aber sie fühlte sich definitiv anders als vorher. Energischer, selbstbewusster und kompetenter. Und vor allem fest entschlossen, endlich allen zu zeigen, was wirklich in ihr steckte: eine verdammt gute Journalistin.

Zwischendurch fing sie einmal einen Blick von Vanessa auf, die ihr zuzwinkerte. Dadurch ermutigt, holte sie erneut tief Luft. Warum nicht aufs Ganze gehen, wo es gerade so gut lief? Sie hatte da schon vor langer Zeit eine Idee gehabt, die sie bisher nie zu äußern gewagt hatte. Aber vielleicht war jetzt der richtige Moment.

»Warum gehen wir nicht mal neue Wege?«, fragte sie in die Runde, als eine Pause eintrat. »Ich meine, wir berichten ständig über die bekannten Promis und was die so treiben. Aber warum machen wir nicht mal ein Feature über Nachwuchstalente? Und ich meine jetzt nicht die neuen Gesichter irgendeiner Soap, sondern junge, unbekannte Künstler, Modedesigner, Maler, Fotografen, etwas in der Richtung. Düsseldorf ist doch eine Kunst- und Kulturstadt. Ich denke, gerade hier haben wir eine Menge unerkanntes und unentdecktes Talent, von dem wir alle profitieren könnten. Und ich bin mir sicher, dass wir damit viele der jüngeren Leserinnen erreichen können, die bislang kein Interesse an uns hatten, weil sie uns eher für ein Oma-Magazin hielten.« Sie warf einen herausfordernden Blick in die Runde und fuhr fort: »Ich für meinen Teil kenne eine junge Modedesignerin, die zweifellos talentiert ist, der es aber am nötigen Startkapital und an Einfluss fehlt, um ihr Label zu vermarkten. Warum fangen wir nicht mit ihr an, stellen sie vor und machen vielleicht eine Vorher-Nachher-Story mit jemandem, den sie komplett umstylt?«

»So wie dich?«, fragte Jake interessiert.

»So wie mich«, bestätigte Maddy und lächelte kurz.

Jake erwiderte das Lächeln nicht, aber er versprach: »Ich werde darüber nachdenken. Ich möchte nach der Sitzung sowieso noch mit dir sprechen, wenn du also dann noch einen Moment bleiben würdest . . .«

»Sicher«, stimmte Maddy zu, äußerlich ruhig. Doch ihr Magen schlug plötzlich Purzelbäume. Ob sie sich doch zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte? Vielleicht gab es eine ungeschriebene Regel, die besagte, dass Junior-Redaktionsmitglieder keine grundsätzlichen Vorschläge zum Aufbau des Magazins zu machen hatten . . .

Sie faltete die Hände auf ihrer Mappe, um nicht zu zeigen, dass ihre Finger zitterten, und bemühte sich, auch weiterhin konzentriert der Besprechung zu folgen.

Schließlich war die Sitzung beendet, und ihre Kollegen verließen nach und nach den Raum. Vanessa zwinkerte ihr ein letztes Mal ermutigend zu. Und dann war Maddy mit ihrem Chef allein.

Du bist eine erwachsene Frau, redete sie sich zu. Das Schlimmste, was Jake tun kann, ist, dich anbrüllen und feuern, aber damit kommst du klar. Er kann dir gar nichts. Trotzdem krampfte sich ihr Magen unangenehm zusammen, und ihre Hände wurden kalt und feucht.

Jake sah sie schweigend an, bequem an den Tisch gelehnt, die Arme verschränkt, und sagte erst einmal nichts. Vermutlich war das seine Taktik, sein Opfer mürbe zu machen. Maddy imitierte seine Position, so gut sie konnte. Erst mal abwarten, was er ihr zu sagen hatte. Verrückt machen konnte sie sich dann immer noch. Aber ihr Herz hämmerte so laut, dass sie sicher war, er müsse es hören können.

Zu ihrer Überraschung lächelte er sie an. »Das war ein sehr überzeugender Auftritt von dir«, sagte er. »Ich sehe, dass du dir meine Worte zu Herzen genommen hast und dir wirklich Mühe gibst, deinen Job gut zu machen.«

Maddy atmete erleichtert auf. Das klang ganz und gar nicht nach dem Anschiss, den sie erwartet hatte.

»Ich habe ein Gespür dafür, wer wirklich Talent und Ambitionen hat«, sagte er und musterte sie, »und bei dir hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass beträchtlich viel mehr in dir steckt, als du auf den ersten Blick zeigst – sonst hätte ich dich gar nicht erst eingestellt. Ich brauche hier Leute wie dich, mit Ehrgeiz, mit Ideen, Leute, die bereit sind, hart zu arbeiten und zu lernen. Ich will keine Duckmäuser um mich herum, die keine eigene Meinung haben, so was kann ich hier nicht gebrauchen. Aber Leute wie dich, die braucht das Magazin, und solche Leute fördere ich.«

Maddy blieb nun wirklich die Spucke weg. Das war das erste Mal, dass Jake sie tatsächlich lobte.

Er fuhr fort: »Ich möchte, dass du ein Exposé zu deiner Idee schreibst, wie du dir den Beitrag zu den Newcomern vorstellst. Wen du gern vorstellen würdest und wie. Und dann sprechen wir darüber, wie sich das am besten verkaufen lässt.«

Nun hatte Maddy ihre Sprache endlich wiedergefunden. »Ich dachte an etwas wie Newcomer of the Month. Mit vielen Fotos, Beispielen für ihre Arbeit, möglichst vielseitig und möglichst ansprechend . . . eine Rundum-Präsentation eben.«

Jake nickte zustimmend. »Klingt gut. Arbeite diese Idee weiter aus, und dann legst du sie mir vor. Schön, dass du endlich zur Arbeit erschienen bist, Frau Lamont.« Er blinzelte ihr zu und richtete sich auf, um zu gehen. »Oh, und mach einen Termin mit Vanessa, um mir dein Exposé vorzustellen«, sagte er im Hinausgehen, bevor die Tür hinter ihm zufiel.

Maddy wartete noch einen Moment, um sicherzugehen, dass er außer Hörweite war. Dann atmete sie tief durch und stieß ein lautes »Yeah!« aus.

Sie hatte die Redaktionskonferenz gerockt.

Madeleine Lamont war definitiv im Kommen.

»Jeannie? Jeannie! Du musst mir ein Kleid entwerfen«, rief Maddy, als sie am Montagabend die Wohnungstür aufschloss.

»Wer ist kaputt?«, fragte Jeannie und steckte den Kopf durch die Tür ihres Zimmers.

Ohne Punkt und Komma sprudelte Maddy hervor: »Ich brauche ein Kleid für die Premiere von Talking Women und die anschließende Premierenfeier. Vanessa hat mit Jake gesprochen, er besorgt uns Pressekarten, und sie geht mit mir hin, und sie meinte, du solltest doch das Kleid für mich entwerfen. Oh Jeannie, bitte sag, dass du das machst!«

Jeannie schüttelte amüsiert den Kopf. »Ich versteh zwar nur Bahnhof, Abfahrt, Koffer klauen, aber sicher, was immer du willst. Solange du Kleider von mir willst, bist du goldrichtig. Und nun setz dich mal hin, atme durch und erzähl mir alles von Anfang an, damit ich weiß, worum es eigentlich geht.«

Gehorsam setzte Maddy sich auf Jeannies Bett und erzählte etwas ruhiger, was Vanessa ihr heute beim gemeinsamen Mittagessen verkündet hatte: dass Jake sich bereiterklärt hatte, ihr und Vanessa Premierenkarten zu beschaffen, und dass sie nun ein passendes Kleid dafür brauchte.

Jeannie nickte. »Ich werde sehen, was mir so für dich einfällt«, versprach sie. »Du sollst da ja nicht total aus dem Rahmen fallen, oder? Überlass das mal ruhig mir, ich denke, ich kann dir schon bald einen Entwurf zeigen.«

»Du bist die allerbeste Freundin der Welt«, jubelte Maddy und warf Jeannie die Arme um den Hals.

Die schob sie lachend von sich. »Hey, kein Grund, mich zu erwürgen. Und jetzt raus mit dir, ich habe noch zu tun!« Grinsend sah sie Maddy nach, die glücklich aus dem Raum hüpfte.

Am darauffolgenden Donnerstag trafen sich die drei Freundinnen abends wieder einmal im Café Hüftgold. Dieses Mal brachte Maddy Vanessa mit. Jeannie hatte darum gebeten, damit Vanessa ihren Entwurf begutachten konnte. Maddy selbst hielt ihn für grenzenlos übertrieben.

»Ich weiß gar nicht, was du hast, Maddy«, meinte Carla und betrachtete eingehend den Entwurf, den Jeannie auf den Tisch gelegt hatte. »Du wirst in dem Kleid absolut umwerfend aussehen.«

»Das kann ja sein, aber ist es nicht zu auffällig?«, jammerte Maddy. »Ich bin doch nicht der Eröffnungsvorhang.«

»Was soll denn das bitte heißen?«, empörte sich Jeannie. »Wann hätte ich dich denn schon mal schlecht beraten?«

»Da fällt mir schon die eine oder andere Begebenheit ein«, meinte Carla grinsend.

Jeannie konterte sofort: »Nicht hilfreich, Carla. Absolut nicht hilfreich.«

Nun richteten sich alle drei Augenpaare auf Vanessa, die mit gesenktem Kopf den Entwurf studierte. Schließlich nickte sie. »Ich denke, der Schnitt des Kleides ist durchaus angemessen«, sagte sie langsam.

Triumphierend blickte Jeannie zu Maddy. »Siehst du! Sie findet es angemessen.«

»Nur den Schnitt«, schoss Maddy zurück. »Von der Farbe hat sie nichts gesagt.«

»Nun, die Farbe und der Stoff sind eine ganz andere Sache«, bestätigte Vanessa. »Ich finde, leuchtend roter Samtstoff wäre geradezu Overkill, wenn ich das so sagen darf. Die Farbe ist doch sehr auffällig, das würde unserer Madeleine nur den ganzen Abend lang Unbehagen bescheren. Und Samt finde ich persönlich ein bisschen zu viel. Ende Juni dürfte es schon recht warm sein, so dass Samt unangenehm zu tragen wäre. Etwas Leichteres in einer weniger knalligen Farbe wäre sicher besser geeignet.«

Jeannie sah eine Sekunde lang getroffen aus, gab dann aber zu: »Ich bin mir sicher, dass ich den Entwurf an einen leichteren Stoff angleichen könnte.«

»Und vielleicht kannst du ihn auch so angleichen, dass ich ein wenig weniger Haut zeige«, warf Maddy ein.

Vanessa sah sie überrascht an. »Warum? Ich finde das ganz entzückend so. Gerade der asymmetrische Ausschnitt, der die eine Schulter freilässt, hat etwas für sich.«

»Du wirst eben mal einen Abend lang ohne BH auskommen müssen«, ergänzte Jeannie, die ihre Freundin nur zu gut kannte. »Ich weiß sowieso nicht, warum du immer meinst, das Ding tragen zu müssen. Wenn ich solche Brüste hätte wie du, würde ich mir das komplett schenken. Aber mit diesen Tüten, wie ich sie nun mal habe, komme ich leider nicht darum herum.«

Vanessas Blick war jetzt regelrecht entrüstet. »Deshalb willst du das Kleid nicht haben? Kind, das ist unfassbar. Gerade du kannst dich doch zeigen.«

»Na ja, ich fühle mich eben nicht wohl damit, so halbnackt herumzulaufen«, verteidigte sich Maddy.

»Von halbnackt kann ja gar keine Rede sein«, mischte sich Carla ein. »Du bist immer noch ausreichend angezogen, auch wenn mal eine Schulter frei bleibt.« Sie warf Vanessa einen Blick zu.

Diese hob kaum merklich die Augenbrauen und streichelte dann sanft Maddys Hand. »Ich würde dich sehr gern in diesem Kleid sehen«, sagte sie mit Nachdruck. »Du bist darin garantiert eine Augenweide, und es wird mir Spaß machen, wenn mich alle um meine Begleitung beneiden.«

Maddy sah ihr nachdenklich in die Augen. Bestimmt würde Vanessa hinreißend aussehen und ganz und gar nicht mit ihren Reizen hinter dem Berg halten. Die Vorstellung, neben ihr ähnlich atemberaubend herausgeputzt bei der Premierenfeier zu erscheinen, begann Maddy allmählich zu gefallen. Zumal auf dieser Feier auch noch ihr langjähriger Schwarm zugegen sein würde . . . Sie nickte langsam. »Na schön, ihr habt mich überredet. Jeannie, du kannst anfangen.«

»Na, zum Glück. Viel Zeit ist ja nicht mehr, nur noch ein paar Wochen«, meinte Jeannie und verstaute den Entwurf wieder sorgfältig in ihrer Handtasche. »Ich müsste nur noch mal deine Maße nehmen, für alle Fälle.«

»Du hast meine Maße«, erwiderte Maddy.

»Ja, aber sicher ist sicher. Außerdem müsste ich dich mal ohne BH messen, da du an dem Abend ja keinen tragen wirst.« Jeannie schmunzelte.

»Na, von mir aus«, seufzte Maddy. Eigentlich hatte sie gehofft, dass die Peinlichkeiten endlich ein Ende hätten, aber da hatte sie sich wohl getäuscht. »Dann hätte ich jetzt aber gern noch einen Kaffee, nach all diesen Diskussionen hier.«

»Das lässt sich arrangieren«, meinte Vanessa, gab der Bedienung ein Zeichen und bestellte Maddy das Gewünschte.

Nachdem die Kellnerin sich wieder entfernt hatte, sagte Jeannie: »Eigentlich könnte dein Kleid auch mit in mein Feature.« Sie sah Vanessa beifallheischend an. »Einfach nur, um zu zeigen, dass JFK auch Abendkleider anbietet.«

»JFK?«, fragte Vanessa stirnrunzelnd.

»Jeannie’s Fashion Kingdom«, erklärte Maddy. »So will sie ihr Label nennen. Außerdem will sie einen Showroom haben wie die ganz Großen, wahlweise auf der Cäcilienallee oder an der Kaiserswerther Straße.«

»Nun«, fand Jeannie, »wenn man schon träumt, dann sollte man seine Träume so groß wie möglich machen. Dann lohnt sich das Träumen doch wenigstens.«

Carla stimmte ihr zu: »Recht hast du. Wenn man nicht überlebensgroß träumt, hat man doch gar keine Motivation, seine Träume auch wahrzumachen.«

Maddy nickte. »Ich will ja auch nicht einfach nur irgendein Buch schreiben, das irgendwo auf einem Ramschtisch landet, sondern einen Bestseller. Und ich weiß, dass ich das kann.«

»Natürlich kannst du das«, rief Jeannie eifrig. »Und Carla wird in den größten Galerien ausstellen, wartet es nur ab.«

»Was ist denn dein Traum?«, fragte Maddy an Vanessa gewandt.

Die hatte die Unterhaltung stumm verfolgt. Jetzt lächelte sie ein wenig. »Ich glaube nicht, dass ich noch so große Träume habe wie ihr jungen Hüpfer«, sagte sie. »Ich hatte auch nie besondere Talente wie ihr, von daher stellte sich mir die Frage nie.«

Jeannie starrte sie ungläubig an. »Aber irgendetwas musst du dir doch vorgestellt haben, was du mal machen wolltest.«

»Nein.« Vanessa schüttelte den Kopf. »Ich wollte in die Großstadt ziehen, einen vernünftigen, gutbezahlten Job haben und meine eigene Wohnung. Und all das habe ich.«

»Keine geheimen Ambitionen? Keine großen Träume?«, fragte Jeannie fassungslos.

»Nein«, erwiderte Vanessa schlicht und trank ihren Kaffee aus. Dann legte sie Geld für ihre Rechnung auf den Tisch und erhob sich. »Ich werde dann mal gehen«, verkündete sie.

Maddy sah enttäuscht zu ihr auf. Sie hatte gehofft, Vanessa heute auch noch ein wenig für sich allein zu haben. »Kommst du nicht mehr mit zu uns?«

Vanessa schüttelte den Kopf. »Heute nicht, Kleines. Ich muss mich noch um ein paar Sachen kümmern«, antwortete sie, beugte sich zu Maddy hinab und küsste sie auf die Stirn.

»Aber am Sonntag gehen wir zusammen ins Museum, oder?«, vergewisserte sich Maddy.

»Natürlich, das hatten wir doch so ausgemacht.« Vanessa lächelte und verabschiedete sich in die Runde: »Macht euch noch einen schönen Abend, wir sehen uns.« Und weg war sie.

»Meinst du, wir haben sie in die Flucht geschlagen, weil wir so viel von unseren Träumen geredet haben?«, fragte Jeannie.

Vanessa und die Flucht ergreifen? Maddy schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Vermutlich hat sie wirklich noch zu tun.«

Carla allerdings meinte nachdenklich: »Vielleicht auch nicht. Vielleicht haben wir auch einfach an etwas gerührt, über das sie nicht sprechen oder auch nur nachdenken will. Mir kam ihr Aufbruch doch ein bisschen sehr plötzlich vor.«

»Das hätte sie doch sagen können«, entgegnete Maddy. »Sonst sagt sie doch auch, was ihr missfällt. Diese Frau mag schön sein, aber sie ist so zart wie ein Stahlnagel und so hilflos wie eine angriffsbereite Tigerin. Ihr solltet sie mal in den Redaktionssitzungen erleben, wenn ihr irgendetwas gegen den Strich geht.«

»Ja«, hielt Carla dagegen, »aber das ist dann dienstlich. Wir haben über etwas sehr Persönliches gesprochen, und das war ihr vielleicht einfach zu persönlich, um es uns anzuvertrauen. Denk daran, so gut kennen wir einander nun auch nicht. Sicher, du schläfst mit ihr, aber kennst du sie deswegen? Ich denke, eher nicht. Physische Intimität beinhaltet nicht notwendigerweise auch persönliche Nähe, wie unsere Jeannie immer wieder so eindrucksvoll demonstriert.«

»Du willst Vanessa aber jetzt nicht mit Jeannie vergleichen, oder?«, fragte Maddy zweifelnd.

»Nein, das hatte ich nicht vor«, begütigte Carla. »Ich wollte nur darauf hinweisen, dass man mit jemandem ins Bett gehen kann, ihn – oder sie – aber deswegen noch lange nicht richtig kennen muss.«

Jeannie warf grinsend ein: »Ich dachte schon, ich wäre in Gefahr, meinen Status als Womanizer zu verlieren.«

»Oh ja, das wäre schlimm«, gab Maddy kratzbürstig zurück.

Jeannie öffnete den Mund, um ihre Bemerkung zu kontern, wurde aber durch einen bitterbösen Blick von Carla daran gehindert. Mit einem vernehmlichen Schnappen schloss sie den Mund wieder und beschäftigte sich angelegentlich mit ihrer Kaffeetasse.

Maddy kochte noch ein wenig still vor sich hin, obwohl ihr nicht ganz klar war, warum eigentlich. War es Vanessas unerwarteter Abgang? Sicher auch. Aber dafür konnte Jeannie doch nichts . . . Schließlich leerte Maddy ihre Tasse in einem langen Zug und stand auf. »Ich gehe dann auch«, sagte sie.

»Wenn du einen Moment wartest, komme ich mit«, sagte Carla.

Maddy nickte kurz und hockte sich wieder auf ihren Stuhl, bis Carla ihre Tasse geleert und sie beide die Rechnung bezahlt hatten.

»Was dagegen, wenn ich nicht mit nach Hause gehe?«, fragte Jeannie.

»Nein, warum auch?«, erwiderte Maddy und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme schnippisch klang. Sie stand ein zweites Mal auf und klemmte sich ihre Tasche unter den Arm. »Viel Spaß, wobei auch immer«, wünschte sie ihrer Freundin und verließ das Café, Carla im Schlepptau.

»Kannst du mir mal sagen, warum du plötzlich so auf Jeannie losgehst?«, wollte Carla wissen, als sie draußen auf der Straße waren.

Maddy zuckte die Achseln. Diese Frage hätte sie sich ja selbst gern beantworten können. »Ich weiß es nicht.«

»Darf ich dir dazu eine Theorie anbieten?«, fragte Carla, während sie langsam die Straße entlanggingen.

Maddy zögerte. Sie wollte nicht darüber sprechen. Und im Grunde, dachte sie ein wenig trotzig, ging Carla das Ganze auch nichts an. Aber dann sagte sie doch: »Ich höre.«

»Ich persönlich vermute«, begann Carla, »dass es dich wurmt, dass du Vanessa nicht annähernd so gut kennst, wie du es gern hättest. Es ärgert dich, dass sie heute Abend nicht mehr Zeit mit dir verbringt, und du fragst dich insgeheim, ob sie nicht womöglich noch andere Frauen sieht. Allein der Gedanke macht dich wütend und verletzt dich, weil du ihr nicht so gelassen gegenüberstehst, wie du es vorgibst. Maddy, ich befürchte, du bist auf dem besten Weg, dich in Vanessa zu verlieben – aber du weißt, dass das zwischen euch langfristig nicht funktioniert, und deinen Frust darüber hast du an Jeannie abreagiert. Sie war ein bequemer Sündenbock, weil sie die Frage aufgeworfen hat, ob sie sie nicht in die Flucht geschlagen hat.«