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CVETKA LIPUŠ

KOMM, SCHNÜREN
WIR DIE KNOCHEN

Gedichte

Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof

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Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI,
ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für Europa,
Integration und Äußeres der Republik Österreich,
das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland,
die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia,
KulturKontakt Austria (im Auftrag des Bundeskanzleramts
der Republik Österreich),
das Goethe-Institut, die Slowenische Buchagentur JAK,
das Ministerium für Kultur der Republik Kroatien,
das Ressort Kultur der Regierung des Fürstentums Liechtenstein,
die Kulturstiftung Liechtenstein,
das Ministerium für Kultur der Republik Albanien,
das Ministerium für Kultur und Information der Republik Serbien,
das Ministerium für Kultur und nationale Identität Rumäniens,
das Ministerium für Kultur von Montenegro,
das Ministerium für Kultur der Republik Mazedonien,
die Leipziger Buchmesse
und die S. Fischer Stiftung angehören.

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1269-6

Titel der Orginalausgabe: Pojdimo vezat kosti

© für die deutschsprachige Ausgabe:

INHALT

Erwache, Wunde, sagt das Messer

Keine Bange vor der Schlange

Ein Handbuch für das Sein

Die Rinde der Bitte

Komm, schnüren auch wir die Knochen

In Erdennähe

Zwölf Mal Frau Luna

Let it go

Phönix

How does it feel

Savage love

Weißt du was Zorn ist?

Die Geschichte vom Tattoo

Der Geburtstag

Love stricken

Der Hinterhalt

Im Schlafsaal nach dem Krieg

Die Tragödie

104 Fahrenheit

Das Gespräch

Das Duett

Welcome back

Like a prayer

ERWACHE, WUNDE, SAGT DAS MESSER

1

Vorsichtiges Atemholen. Sonst könnte die Schrapnellkühle

das in Eile zur Passform zusammengestückelte

Ich sprengen. Die ausgeschiedene hartnäckige Sehnsucht,

ein Friedensopfer, liegt auf dem Operationstisch

in den letzten Zügen. Trotzdem schickt der Verstand

seine Spione dort hinunter, wo Unruhe und heißes Blut

herrschen. Sie sollen den Hilferuf auffangen, das Ächzen.

Was hilft es, wo es doch schon im ganzen Körper herum ist,

wo schon jede Zelle raunt, dass dort, wo einst

das Leben pochte, temperierter Schmerz eingestellt ist.

2

Geh mir nicht zu Rilke, wenn alles reißt, sich

auflöst, zerfällt, wenn alle zu sich selber

drängen, zurück in den ausgezehrten Kern, wenn

der Körper auf das Gesetz der Schwerkraft pfeift,

am liebsten den Sternen die Hand schüttelte,

bis zum Verkohlen. Lass das Buch in Ruhe,

wenn die Stunde nur Treibsand ist, wenn es

am Horizont nichts Greifbares gibt, wenn nur das

Knirschen der tektonischen Platten zu hören ist.

Niemand misst die Länge der Verzweiflung

oder die Entfernung von der Tür. Geh nicht hin,

lehn dich nicht in die Nacht. Sie wird dich nehmen,

sich von deinem Herzfleisch nähren, aus den Knochen

die lockende Flöte schnitzen, zurückgelassene

Schuhe unter dem Fensterbrett, die letzte Spur.

3

Dort, wo etwas war, wächst dir jetzt wildes Fleisch.

Na und, heutzutage zeigt man eine Wunde nicht her

wie ein Kind, als Beweis, dass man schlimm dran ist.

Vorbei die Spielchen, die Dramolette, geschlossen die