Edgar Wallace

 

Verdammte Konkurrenz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015

 

ISBN/EAN: 9783958704763

 

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.

 

www.nexx-verlag.de

 

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An diesem Schicksalstag schien es für die alte, vornehme Firma Maber & Maber keinen Ausweg mehr zu geben. Die blendendweiße Marmorfassade des Hauses Atterman Brothers schaute schon triumphierend auf das gegenüberliegende Konkurrenzgeschäft, als ob sie in prahlenden Goldbuchstaben die Aufschrift trüge: »Dich stecke ich jetzt in die Tasche!«

 

Leider hatte Mr. Maber an diesem verhängnisvollen Tag keine Zeit, sich um sein Geschäft zu kümmern, denn er wollte der Bootsmannschaft von Cambridge ein Essen geben.

 

Und um das Unglück vollzumachen, stieg Barbara Storr an demselben Morgen mit dem falschen Fuß aus dem Bett. Ihr Mädchen sah beim Frühstück die gerunzelte Stirn der Herrin und dachte schon, der gebratene Schinken sei zu salzig gewesen.

 

»Myrtle, ich bin unbeliebt!« erklärte Barbara plötzlich mit düsterer Stimme.

 

»Aber Miss Storr!« rief Myrtle erschrocken.

 

»Ganz verdammt unbeliebt!« sagte Barbara finster, als sie sich bückte, um ihre Schuhe zuzumachen. »Wenn mich Mr. Maber nicht hielte, könnten wir heute Abend im Armenhaus schlafen – hoffentlich schnarchen Sie nicht ...«

 

»Ich dachte, Sie hätten selbst Geld! Sonst wäre ich doch nicht nach London mitgekommen. Ich war auch ganz erstaunt, dass Sie in diese entsetzlich große Stadt gezogen sind. In Ilchester sieht man doch auch allerhand vom Leben! Denken Sie bloß an die Markttage! Und hier kenne ich außer dem Polizisten in unserer Straße keinen einzigen Menschen.«

 

»Als anständiges Mädchen dürften Sie nicht einmal den kennen!«

 

Myrtle wurde rot bis über die Ohren. Sie war noch nicht neunzehn Jahre alt, und sie hielt Londoner Polizisten für Götter.

 

»Schauen Sie einmal hinaus, ob der junge Mann da unten schon fort ist«, sagte Barbara etwas sprunghaft.

 

Myrtle lugte durch die Vorhänge auf die düstere Doughty Street hinaus.

 

»Er ist noch da.«

 

»Sehen Sie genau hin!«

 

»Er ist wirklich noch da. Dort an der Ecke steht er. Er hat elegante, graue Hosen an ...«

 

»Das interessiert mich nicht. Er ist also noch da?«

 

»Ja.«

 

»Dann jagen Sie ihn zum Teufel!«

 

Myrtle wusste nicht, wie sie diesen Auftrag ausführen sollte, und sah ihre Herrin verstört an. Sie hatte sie schon immer schön gefunden, wenn ihr auch nicht klar zum Bewusstsein kam, worin diese Schönheit eigentlich lag. Vielleicht in der zarten Haut und dem wundervollen Haar, vielleicht aber auch in den großen, grauen Augen oder in dem feingeschnittenen Profil.

 

Myrtle wusste aus Zeitungsannoncen, die Seifen, Cremes und andere Schönheitsmittel anpriesen, dass reiner Teint und gepflegtes Haar zu einer schönen Frau gehörten und die jungen Herren am meisten fesselten.

 

»Wartet der Herr draußen auf Sie, Miss Storr?« fragte sie ein wenig boshaft.

 

»Natürlich wartet er auf mich. Tun Sie doch nicht so«, erwiderte Barbara etwas von oben herab. »Sie wissen ganz genau, dass es Mr. Stewart ist, der Werbefachmann.«

 

»Ich weiß nicht, was ein Werbefachmann ist«, entgegnete Myrtle, die Unschuld vom Lande. »Aber warum wartet er denn an der Straßenecke – kennt er unsere Hausnummer nicht?« fragte sie verschmitzt.

 

Barbara sah sie aber so vernichtend an, dass sie entsetzt schwieg.

 

Miss Storr schlüpfte in den Mantel, nahm Handtasche und Schirm und verließ das Haus. Es schlug gerade neun.

 

Als der junge Mann ihre Schritte hörte, drehte er sich schnell um und zog den Hut.

 

»Ich dachte schon, Sie wären ...«

 

Barbaras unwillige Handbewegung ließ ihn sofort wieder verstummen.

 

»Wissen Sie auch, dass Sie mich bei Myrtle in ein ganz falsches Licht gebracht haben?« sagte sie ungnädig, als er sich entschuldigen wollte. »Myrtle hat eine Tante in meiner Heimatstadt Ilchester, und die ist die größte Klatschbase im ganzen Nest. Wenn die etwas weiß, ist es gerade so gut, als ob es durchs Radio verbreitet würde! Ich selbst kümmere mich um die Ansichten der Leute in Ilchester nicht im Mindesten, aber bedenken Sie, dass Mr. Maber dort Kirchenältester ist. Er hat mich nach London gebracht, und ich darf seinem Namen keine Schande machen.«

 

»Es tut mir wirklich aufrichtig leid«, erwiderte Alan Stewart geknickt, »aber wir sind doch Nachbarn, und es kommt mir tatsächlich komisch vor, dass jeder von uns allein zum Büro gehen soll.«

 

»Können Sie denn nicht mit dem Bus in die Stadt fahren?« fragte sie ungerührt. »Ich muss ja zugeben, Mr. Stewart, dass Ihnen das Wohl meines Chefs sehr am Herzen liegt, aber es wäre mir viel lieber, wenn Sie dann mit ihm in die Stadt gingen und ihm alles direkt sagten. Wenn Sie übrigens darauf angewiesen sind, dass Mr. Maber in Ihren Zeitungen Annoncen aufgibt, können Sie getrost mit Ihren Hoffnungen einpacken und sich begraben lassen.«

 

Mr. Stewart wollte gerade antworten, dass ihn die Anzeigenaufträge Mr. Mabers herzlich wenig interessierten, aber er besann sich eines Besseren.

 

»Ich fürchte, dass ich Ihnen sehr auf die Nerven gefallen bin. Aber wer ist denn eigentlich Myrtle – Ihre Schwester?«

 

»Nein.«

 

Barbara schaute ihn kühl an.

 

»Ach so, Ihr Mädchen?« verbesserte er sich schnell. »Entschuldigen Sie bitte vielmals!«

 

Sie rümpfte die Nase.

 

Er entschloss sich, nun doch zu sprechen.

 

»Ich habe es übrigens jetzt aufgegeben, mich um Mr. Maber zu kümmern«, begann er etwas anmaßend und hochmütig, denn schließlich war er der Vertreter dreier großer Zeitungen. »Wenn jemand sein Firmenschild an das Dach der Arche Noah aufpinseln lässt und glaubt, damit für alle Zeiten genügend Reklame gemacht zu haben, zählt er für mich eben nicht länger zu den Lebenden. Wenn ich an dem Geschäftshaus Ihres Mr. Maber vorbeikomme, ziehe ich ehrfürchtig den Hut und zerdrücke eine Träne im Auge für den Frühverstorbenen.«

 

»Hat der Firmenname tatsächlich auf dem Dach der Arche Noah gestanden?« fragte sie interessiert.

 

»Aber nein, das habe ich doch bildlich gemeint, um Ihnen zu zeigen, wie vorsintflutlich und altertümlich Ihre Firma ist. Mr. Maber annonciert ja auch, das stimmt. Ab und zu eine halbe Seite in den vornehmen Zeitschriften. Aber reklametechnisch kommt das doch gar nicht in Frage. Ich nenne das eher Mitteilungen ans Publikum, dass er noch nicht ganz verschieden ist. Und während die Firma Maber & Maber auf der einen Seite der Straße immer mehr zurückgeht, wächst, blüht und gedeiht auf der anderen Seite Atterman, obwohl das Geschäft erst vor acht Jahren gegründet worden ist. Das Haus Maber & Maber kann allerdings auf das beträchtliche Alter von hundertfünfzig Jahren zurückschauen, aber es ist augenblicklich das größte Verkehrshindernis auf dem Weg moderner Geschäftsentwicklung. Mehr möchte ich über diese Angelegenheit nicht mehr sagen.«

 

»Ach, bitte sprechen Sie doch weiter«, bat sie. »Sie gefallen mir, wenn Sie sich so bilderreich ausdrücken. Wenn ich sage, Sie gefallen mir«, fügte sie schnell hinzu, »dann soll das heißen, dass ich Sie nicht ganz so unausstehlich finde wie sonst. Wir haben es nicht nötig, zu annoncieren. Der Name Maber allein garantiert eben schon für beste Qualität bei unseren Waren.«

 

»Das wäre ja ganz gut und schön, wenn die Leute nur Ihre Waren kauften!«

 

»Wir sind ebenso groß wie Atterman.« Sie blieb herausfordernd stehen, runzelte die Stirn und sah ihn kampflustig an.

 

»Oberflächlich gesehen, haben Sie recht. Ihr Haus ist ebenso groß wie das andere, aber Atterman ist eben ein viel tüchtigerer Geschäftsmann. Die Leute setzen zehnmal so viel um wie Ihre Firma. Als Mensch mag ich Mr. Maber ja sehr gern. Er stammt aus einer guten, alten Familie, und zu Atterman verhält er sich ungefähr wie eine Orchidee zu Blumenkohl.«

 

Barbara nickte. Sie hielt es nicht für unbedingt notwendig, ihm mitzuteilen, dass Mr. Maber ihr Pate war. Ebenso wenig brauchte er zu wissen, wie sehr sie den armen Mann gequält hatte, ihr eine Stellung in London zu besorgen. Nur widerstrebend hatte ihr Mr. Maber den Posten einer Privatsekretärin in seiner eigenen Firma gegeben, aber sie hatte sich schon nach kurzer Zeit durch ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten unentbehrlich gemacht.

 

»Mr. Julius Colesberg, der Juniorpartner, ist für Ihre Firma genauso nutzlos wie ein elektrischer Glühofen für die Sahara.«

 

Barbara musste ihm darin Recht geben. Sie sah ihn jetzt etwas freundlicher von der Seite an. Er war gut gewachsen und hatte auch eine tadellose Haltung.

 

»Warum sind Sie eigentlich ein Werbefachmann? Sie sehen viel mehr wie ein Offizier aus.«

 

»Ich habe diesen Beruf nun einmal gewählt. Im Krieg war ich ja auch Soldat«, fügte er diplomatisch hinzu. »Schließlich muss man doch seinen Lebensunterhalt auf die eine oder andere Weise verdienen.«

 

»Aber ist Ihnen denn noch nie der Gedanke gekommen, in die weite Welt hinauszugehen, in Länder, wo ein Mann noch seine vollen Kräfte entfalten kann, wo sich der Energie und Tatkraft noch weite Betätigungsfelder bieten?«

 

Er nickte.

 

»Ja. Erst gestern habe ich mit der Siedlungsgesellschaft ›Goldner Westen‹ in Kanada drei ganzseitige Annoncen abgeschlossen. Und dann habe ich mir natürlich ebenso viele Filme angesehen wie Sie. Daraus lernt man die Welt ja auch einigermaßen kennen. Was ich Ihnen noch sagen wollte«, fuhr er plötzlich in ernstem Ton fort, »Atterman hat heute Morgen eine Besprechung mit Mr. Maber.«

 

»Woher wissen Sie denn das?« fragte sie erstaunt.

 

»Ich weiß alles. Mir bleibt nichts verborgen«, erwiderte er und lächelte geheimnisvoll.

 

An der Ecke der Marlborough Avenue trennte er sich von ihr. Sie ging an den großen, vornehmen Schaufenstern der Firma Maber & Maber vorüber. Die prachtvollen Auslagen waren so herrlich anzusehen, aber so schwer zu verkaufen. An dem großen Haupteingang mit den Schwingtüren blieb sie stehen und sah nach der strahlendweißen Fassade von Atterman hinüber. Auf dem fünf Stockwerke hohen Gebäude wehten die verschiedensten Flaggen, um anzudeuten, dass es nicht darauf ankam, welcher Nationalität der Käufer angehörte. Mr. Atterman hatte einen gut trainierten Stab von Leuten, die fremde Sprachen beherrschten, und das Geld der Ausländer wurde ebenso gerne genommen wie das der Einheimischen.

 

Drüben wurden gerade einige Schaufenster neu dekoriert. Die Firma Atterman hatte sich schon mehrfach vor dem Gericht verantworten müssen, weil ihre Ausstellungen Verkehrsstockungen hervorriefen. Und beinahe jeder Bus, der vorüberfuhr, trug in großen Buchstaben die Reklameaufschrift: »Wer bei Atterman kauft, ist stets vergnügt.«

 

»Verdammte Konkurrenz!« sagte Barbara wütend, trat durch die Schwingtür und ging zum Büro hinauf.

 

Mr. Lark, der Chef der Einkaufsabteilung und der Kasse, beobachtete sie, machte eine Pause in der Arbeit und sah ihr mit bissigen, feindseligen Blicken nach.

 

»Sie kommt schon wieder zehn Minuten zu spät«, sagte er gehässig. »Wenn's nach mir ginge, würde ich diese Person glatt auf die Straße setzen! ›Miss Storr‹, würde ich sagen, ›hier ist Ihr Geld, und nun. machen Sie, dass Sie fortkommen. Ich kann nicht dulden, dass Sie hier herumlaufen und alle Leute mit gnädiger Herablassung behandeln! Suchen Sie sich gefälligst eine andere Stellung.‹«

 

Seine Stenotypistin, die ihm aufmerksam zugehört hatte, nickte beifällig, um ihre Anerkennung für seinen Mut und seine Energie auszudrücken.

 

»Ich würde ihr ganz einfach erklären: ›Sie sind entlassen!‹ Was ist denn schon eine Privatsekretärin? Doch weiter nichts als ein Dienstmädchen, das für alle Leute zu laufen und zu springen hat!«

 

»Ja, es ist wirklich entsetzlich mit ihr«, pflichtete seine Stenotypistin bei.

 

»Entsetzlich? Das ist noch gar kein Ausdruck für ihr Benehmen. Denken Sie doch nur einmal daran, wie sie mit Mr. Colesberg umgeht. Wie einen Hund behandelt sie den armen Mann! Den Teilhaber der Firma! Aber ich sage es ja immer, die Sozialdemokraten haben überhaupt keine Achtung vor anderen Leuten.«

 

»Ist sie denn eine Sozialdemokratin?« fragte Miss Leverby interessiert.

 

»Ich weiß nichts von ihren Privatverhältnissen«, erwiderte er abweisend. »Mit derartigen Menschen komme ich gesellschaftlich nicht zusammen. Wenn ich ihr auf der Straße begegnete, würde ich sie überhaupt nicht grüßen. In der Beziehung ist mit mir nicht zu spaßen. Ich behandle die Leute genauso, wie sie es verdienen.«

 

Miss Leverbys Hochachtung für diesen tüchtigen Mann stieg mehr und mehr.

 

»Immer liegt sie dem Chef in den Ohren, dass er mehr annoncieren soll. Sie lässt ihm keine Ruhe. Ich habe selbst gehört, wie sie ihm zugesetzt hat. Glauben Sie vielleicht, der bekommt überhaupt noch ein Bein auf die Erde? Alles weiß sie besser. Und ständig fragt sie, warum wir diesen und jenen Artikel nicht führen. ›Miss Storr‹, habe ich neulich noch zu ihr gesagt, ›wenn die Leute eben nicht kaufen wollen, was wir haben, dann können sie ja in ein anderes Geschäft gehen. ‹Das tun sie auch‹, gibt mir die unverschämte Person zur Antwort. ›Sie gehen zum Beispiel zu Atterman, da bekommen sie alles – von einer Stecknadel bis zu einer komplett ausgestatteten Villa.‹ ›Aber Miss Storr, wir sind eine gediegene Firma‹, erkläre ich ihr. ›Unser Haus besteht seit hundertfünfzig Jahren, und alle Leute kennen uns! Wir haben es weder nötig, zu vulgären Geschäftspraktiken zu greifen, noch irgendwelchen billigen Plunder zu verkaufen!‹ ›Nötig haben Sie es schon‹, sagte sie darauf ganz frech, ›Sie wissen nur nicht, wie Sie es anfangen sollen!‹ Mein Gott, dieses Frauenzimmer tut wirklich, als ob ihr die ganze Firma gehörte, und als ob sie allein alles zu sagen hätte!«

 

»Ja, das stimmt tatsächlich«, bestätigte die Stenotypistin eifrig.

 

»Sie muss den Chef irgendwie in der Tasche haben, passen Sie nur auf. Sie werden noch an meine Worte denken. Neulich stand ein ähnlicher Fall in der Sonntagszeitung. Vielleicht haben Sie die Überschrift gelesen: ›Junges Mädchen hat alten Millionär in der Gewalt.‹ Genauso eine ist die auch!«

 

•••

 

Eine Verkettung von merkwürdigen Umständen brachte an diesem Morgen Barbaras Abneigung gegen den Juniorpartner zum Siedepunkt.

 

Mr. Colesbergs Sekretärin hatte sich erkältet und war nicht im Geschäft erschienen. Barbara musste deshalb zu Mr. Julius gehen, um sein Diktat aufzunehmen.

 

Vom ersten Augenblick an hatte sie einen instinktiven Widerwillen gegen diesen Menschen gefühlt. Besonders missfiel ihr sein aalglattes Wesen. Er stand in den Dreißigern, sah aber noch jugendlich aus, ging stets elegant gekleidet und parfümierte sich. Barbara hasste Männer, die Parfüm gebrauchten und Diamantringe trugen, aber es war zwischen ihr und Mr. Julius Colesberg bisher noch nicht zu einem offenen Zusammenstoß gekommen.

 

»Guten Morgen.«

 

»Guten Morgen, Miss Storr«, sagte er nachlässig, als sie eintrat. Er saß an seinem luxuriösen Empireschreibtisch und sah mit müdem Ausdruck zu ihr auf. »Ist der Alte schon im Geschäft?«

 

»Mr. Maber ist noch nicht da.«

 

Er fuhr mit einem kostbaren Spitzentaschentuch nachdenklich über die Lippen.

 

»Die entscheidende Konferenz findet heute Vormittag statt. Die Firma Atterman macht uns ein sehr – sehr günstiges Angebot. Mr. Maber wird alt – es wäre eine Torheit von ihm, wenn er nicht darauf einginge.«

 

Julius hatte kurze Zeit vorher in Mr. Attermans Villa in Regent's Park gefrühstückt und verschiedene Vereinbarungen mit ihm getroffen. Zwar hatte Mr. Colesberg nur ein fünfundzwanzigstel Anteil an der Firma und mit der Geschäftsleitung direkt nichts zu tun, aber Mr. Atterman hatte ihm einen größeren Anteil und einen Sitz in der Direktion versprochen, falls der Verkauf zu seinen Bedingungen zustande käme.

 

Barbara schlug ihren Stenogrammblock auf und zückte den Bleistift, um Mr. Julius an den Zweck ihres Kommens zu erinnern.

 

»Also, hören Sie, mein liebes Kind.« Der väterliche Ton, in dem er sprach, machte sie ganz krank. »Sie nehmen heute auch an der Konferenz teil, und Sie erweisen sich und allen anderen einen guten Dienst, wenn Sie Ihren zweifellos großen Einfluss auf Mr. Maber in der richtigen Weise geltend machen.«

 

»Wozu soll ich ihn denn beeinflussen?«

 

»Er muss das Geschäft verkaufen. Die Firma kommt immer mehr und mehr herunter. Wir brauchen einen viel tätigeren Chef. Vor allem muss ordentlich Reklame gemacht werden. In den Zeitungen müssen große Annoncen erscheinen – aber ein so altmodischer Mann wie Mr. Maber versteht das eben nicht!«

 

Sie kräuselte verächtlich die Lippen.

 

»Und dabei haben Sie dem Chef immer erklärt, dass eine Firma wie Maber & Maber unmöglich vulgäre Reklamemethoden anwenden könnte!«

 

»Unter den damaligen Umständen hatte ich auch vollkommen recht«, erwiderte er hastig. »Maber konnte das nicht tun, wohl aber Atterman. Begreifen Sie denn den Unterschied nicht, meine liebe Kleine?«

 

»Ich bin nicht Ihre liebe Kleine. Aber sagen Sie mir eins: Wenn Atterman die Firma übernimmt, engagiert er wohl eine Damenkapelle, die hier im Kaufhaus konzertieren soll?«

 

Das war eine anscheinend harmlose Bemerkung, aber sie hatte eine ganz bedenkliche Spitze gegen Mr. Atterman, und zwar wegen der Affäre mit der schönen, blonden Solo-Trompeterin.

 

Mr. Julius war sehr ärgerlich, dass Barbara Mr. Atterman durch eine solche Anspielung anzugreifen wagte.

 

»Die Geschworenen haben Mr. Atterman freigesprochen, und das Mädchen hätte sich überhaupt schämen sollen, einen so großen Geschäftsmann wegen Bruchs des Heiratsversprechens zu verklagen!«

 

»Aber Maudie hat ihn doch so geliebt«, entgegnete sie heftig. »Sie wohnt in meiner Nähe – ich gehe oft mit ihr zusammen nach Hause. Die Geschichte hat sie derartig mitgenommen, dass sie nur noch Choräle spielen kann!«

 

»Ich finde es etwas eigenartig, dass sie überhaupt Trompete spielt. Das ist kein Instrument für eine anständige junge Dame.«

 

»Sie wird noch Harfe spielen und Klagelieder dazu singen, wenn nicht bald etwas geschieht«, prophezeite Barbara düster. »Aber wollten Sie mir nicht Briefe diktieren?«

 

Als sie zwei Stenogramme aufgenommen hatte und auf ein neues Diktat wartete, legte er plötzlich wie geistesabwesend seine lange, knochige Hand auf die ihre.

 

Barbara erhob sich langsam.

 

»Ist das alles, Mr. Colesberg?«

 

»Das ist alles.«

 

Er ging zur Tür, und als er zur Seite trat, um ihr Platz zu machen, murmelte er etwas von »zum Diner einladen und ins Theater gehen«.

 

»Ach, eine Einladung von Mrs. Colesberg?« fragte sie interessiert.

 

»Ich bin nicht verheiratet«, erwiderte Julius ein wenig verlegen. »Eine Ehe könnte ich nicht ertragen. Sie verstehen doch ... immer an dieselbe Frau gebunden ... einfach schrecklich! Also, ich erwarte Sie heute Abend an der Ecke von Haymarket. Sagen wir um acht – ich liebe die Hetze beim Ankleiden nicht. Und tragen Sie ein gediegenes, einfaches Kleid. Am besten sieht eine junge Dame immer in Schwarz aus. In einem farbigen Kleid fällt sie auf und kompromittiert ihren Begleiter ...«

 

»An welchem Ende von Haymarket?«

 

»An der Ecke der Jermyn Street. Sie werden mich doch hoffentlich erkennen?«

 

»Vielleicht könnte ich Sie mit einem Regenwurm verwechseln«, entgegnete sie verbindlich. »Ich mache Ihnen deshalb den Vorschlag, sich Ihren Namen in elektrischen Leuchtbuchstaben um Ihren Zylinder montieren zu lassen. Oder noch besser, kommen Sie mit einer großen Fahne – blau ist meine Lieblingsfarbe. Oder Sie könnten einen rosa Golfanzug tragen. Ich wäre untröstlich, wenn ich Sie verfehlte.«

 

Colesberg wurde dunkelrot vor Wut.

 

»Unerhört, sich mir gegenüber eine derartige Sprache zu erlauben«, brauste er auf. »Sie – Sie – aber warten Sie nur, ich werde schon dafür sorgen, dass Sie noch heute fliegen! Ich habe dieses gnädige Benehmen und dieses Getue satt! Tut immer, als ob sie eine Herzogin wäre! Das ist doch die Höhe! Ich werde mit Mr. Maber sprechen, sobald er kommt ...«

 

»Ich werde Sie telefonisch von seinem Eintreffen benachrichtigen«, sagte sie mit vollendeter Höflichkeit.

 

Kaum war sie in ihrem Zimmer angekommen, als Mr. Maber schon nach ihr klingelte. Schnell griff sie wieder zu Stenogrammblock und Bleistift und ging in sein Büro.

 

Wer Mr. Maber in seiner vollen, stattlichen Breite und Größe sah, konnte kaum glauben, dass dieser Mann einmal in seiner Jugend dem Cambridger Achter mit zum Siege über Oxford verholfen hatte.

 

Er selbst hielt sich für altmodisch, aber in Wirklichkeit war er nur bequem und schrak deshalb vor modernen Geschäftsmethoden zurück. Als Privatmann beschäftigte er sich gern mit Kirchenmusik, saß im Kirchenvorstand von Ilchester und nahm es mit seinen Pflichten durchaus ernst.

 

Sein Leben war wie ein offenes Buch, und er hatte nichts zu verheimlichen. Das erklärte er manchmal halb stolz, manchmal auch mit leiser Wehmut. Ein paar Seiten musste man allerdings rasch überblättern, wenn man nicht doch eine Schattenseite entdecken wollte. Einmal hatte er nämlich am Abend des berühmten Bootsrennens den Rudermannschaften ein Essen gegeben. Es war an dem Sonnabend, bevor Markus Elbury, sein alter Schulfreund, nach den Vereinigten Staaten reiste. Nach dem Essen waren die beiden noch ins Empire-Theater gegangen, das damals noch ein Varieté war. Um neun Uhr fünfundvierzig waren sie in heiterster Stimmung, laut und fröhlich singend, in das Lokal hineinmarschiert, aber um neun Uhr fünfzig kamen sie schon wieder heraus, und zwar unter Bedeckung von vier Logenschließern, drei Polizisten und einem Garderobier. Auch eine Frau spielte eine Rolle dabei, aber was dann folgte, wollen wir lieber mit dem Mantel der christlichen Nächstenliebe zudecken.

 

Mr. Maber war in jenen Tagen ein vermögender junger Mann gewesen, und es war ihm nicht schwer gefallen, zehn Pfund Strafe zu zahlen, weil er die Uniform der Polizisten etwas zerrissen und ihnen auch sonst übel mitgespielt hatte. Aber er dachte nur mit größtem Unbehagen an die andere Seite der Geschichte.

 

Und nun war Markus von Amerika zurückgekommen, und Mr. Maber hatte wieder einmal die Cambridger Rudermannschaft eingeladen. Er war gespannt, ob der Wein von 1911 heute Abend gut schmecken würde.

 

Auf dem Weg zur Marlborough Avenue wurde er in seinen angenehmen Gedanken häufig durch die Erinnerung an das Geschäft gestört. Am liebsten hätte er mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun gehabt. Die Nachbarschaft dieses vulgären Atterman genügte schon, um ihn krank und elend zu machen. Im Innersten hatte er allerdings doch den geheimen Wunsch, mit der Zeit zu gehen, und die Firma Maber & Maber, die seit fünf Generationen bestand, auf der Höhe zu halten. Er seufzte. Obwohl er ein reicher Mann war, konnte er es doch nicht über sich gewinnen, seine guten Papiere an der Börse zu verkaufen und das Kapital in die Firma zu stecken.

 

In düsterer Stimmung betrat er sein Büro, hing Hut und Schirm auf und ließ sich von Barbara aus dem Mantel helfen. Dabei schüttelte er traurig den Kopf.

 

»Lange sind wir nun nicht mehr hier, Barbara«, sagte er melancholisch. »Dann geht's wieder zurück nach Ilchester. Ist ja auch wirklich ein nettes, altes Städtchen, nicht wahr?«

 

Sein Gesichtsausdruck verriet allerdings, dass ihn der Gedanke an diese Rückkehr wenig zu beglücken schien.

 

»Du bleibst natürlich auch nicht hier, wenn das Geschäft verkauft wird. Ich werde dir dann dort eine andere Stellung verschaffen.«

 

»Lieber tot, als nach Ilchester zurück!« erklärte sie ruhig.

 

Er sah sie bestürzt an.

 

»Aber liebes Kind, Ilchester ist eine große, alte Stadt«, sagte er leise, »eine große, alte Stadt. Denke doch nur an das herrliche Glockenspiel vom Dom.«

 

»Ja, und an die entsetzlichen Moskitos hinten in der Pferdeschwemme, und an die vielen alten Klatschbasen, die nichts anderes zu tun haben als andere Leute durch die Zähne zu ziehen und sich zu erkundigen, warum sie manchmal eilig heiraten müssen ...«

 

»Aber Barbara!« erwiderte er vorwurfsvoll.

 

Sie fasste sich und reichte ihm die Post.

 

»Wann ist die Konferenz angesetzt?« fragte er.

 

»In zwanzig Minuten.«

 

Er biss sich auf die Unterlippe.

 

»Ich halte es für richtig, Mr. Lark zu der Besprechung zuzuziehen. Er kennt das Geschäft genau, denn er ist darin groß geworden. Und natürlich müssen wir auch Mr. Colesberg bitten. Atterman bringt seinen Direktor mit.«

 

»Diesen Monkey?«

 

»Minkey.«

 

»Mr. Maber, warum wollen Sie denn eigentlich die Firma verkaufen?« fragte sie ihn geradeheraus. »Ich bin davon überzeugt, dass man viel Geld mit diesem Geschäft verdienen könnte, wenn die Sache nur richtig angepackt würde. Was können denn Leute wie Mr. Lark dem Haus nützen? Er soll ja seinen Lebensunterhalt nicht verlieren, aber ich würde ihm an Ihrer Stelle eine Gehaltserhöhung von zehn Prozent geben unter der Bedingung, dass er sich nicht wieder hier blicken lässt! Der Mann ist als Einkäufer einfach unmöglich! Den halte ich nicht für fähig, auch nur eine Mausefalle einzukaufen, geschweige denn etwas anderes!«

 

»Wir verkaufen keine Mausefallen«, entgegnete Mr. Maber verstimmt.

 

»Warum verkaufen Sie denn nicht, was verlangt wird, wenn die Leute die Artikel nicht kaufen, die Sie führen?« Ihre lebhaften Augen blitzten ihn unternehmungslustig an. »Ich würde Mr. Lark durch irgendeinen fähigen Menschen ersetzen, der das Geschäft wieder einmal richtig in Schwung bringt, der ordentlich Reklame macht! Das zahlt sich auf alle Fälle ...«

 

Sie machte eine Pause, weil sie Atem holen musste.

 

Mr. Maber betrachtete sie halb bewundernd, halb mitleidig.

 

»Ich bin zu alt, um mich noch einmal auf moderne Methoden umzustellen«, meinte er traurig, aber eine Sekunde später leuchteten seine Augen wieder auf. »Ach, läute doch einmal das Trocadero an und sage den Leuten, es soll Knallbonbons und andere Scherzartikel zum Nachtisch geben. Heute wollen wir lustig sein ... und dann, damit die jungen Leute sich nach dem harten Training einmal gründlich erholen können, soll nur Sekt getrunken werden, den ganzen Abend hindurch ...«

 

Er dachte an seinen Freund Markus, der aus Amerika zurückgekommen war, und lächelte vergnügt. Vor dreißig Jahren schon hatten sie sich gestritten, wer von ihnen damals zuerst auf der Straße lag, und der Streitfall war bis zum heutigen Tag noch nicht endgültig geklärt, obgleich sie einen lebhaften Briefwechsel darüber geführt hatten.

 

»Bitte, sieh doch einmal nach«, wandte er sich wieder an Barbara, »ob die Leute schon im Konferenzzimmer sind. Mr. Atterman muss einen schönen, weichen Sessel bekommen, hörst du?«

 

Die letzten Worte sagte er in so elegischem Ton, wie ein zum Tode Verurteilter sich erkundigen würde, ob der Henker gut geschlafen habe.

 

•••

 

Mr. Atterman war eine etwas hagere Erscheinung und ging leicht nach vornüber gebeugt. Er war gut gekleidet und trug eine Hornbrille. Sein höchster Stolz bestand darin, für einen Amerikaner gehalten zu werden. Innerlich und äußerlich war er das Gegenteil von Mr. Maber.

 

»Ich freue mich außerordentlich, Sie wiederzusehen, Mr. Maber«, sagte er verbindlich. »Darf ich Ihnen meinen Direktor, Mr. Hercules Minkey, vorstellen?«

 

Der Name Hercules passte ganz und gar nicht zu dem schmächtigen Herrn mit den runden Schultern und dem gewöhnlichen Gesicht. Er hatte eine kurze, breite Nase, und seine kleinen, dunklen Augen lagen tief in den Höhlen. Aber auf jeden Fall war dies ein Mann nach dem Herzen Mr. Attermans, lebendig wie Quecksilber, dabei großzügig und geschäftstüchtig.

 

»Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Miss Storr. Wirklich, ich beneide Sie um Ihre Privatsekretärin, Mr. Maber. Ich möchte direkt die Bedingung stellen, dass die junge Dame in der Firma bleibt, wenn ich Ihr Geschäft übernehme. Hoffentlich gelingt es mir, sie dazu zu überreden.«