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Foto Ayşe Yavaş

Alberto Nessi, geboren 1940 in Mendrisio, studierte an der Universität Freiburg Literaturwissenschaft und Philosophie. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er unterrichtete italienische Literatur in Mendrisio, schrieb für Zeitungen und verfasste Hörspiele. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Schweizer Grand Prix Literatur für sein Lebenswerk. Alberto Nessi lebt in Bruzella. Im Limmat Verlag sind von ihm lieferbar: «Nächste Woche, vielleicht», «Terra matta», «Schattenblüten», «Die Wohnwagenfrau», «Mit zärtlichem Wahnsinn / Con tenera follia» und «Abendzug».

Die Übersetzerin

Maja Pflug, geboren in Bad Kissingen, Übersetzerausbildung in München, Florenz und London, übersetzt seit über dreißig Jahren italienische Literatur ins Deutsche, u. a. P. P. Pasolini, Cesare Pavese, Natalia Ginzburg. Sie lebt in München und Rom und wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis für ihr Lebenswerk. Im Limmat Verlag sind von ihr Übersetzungen von Anna Felder, Alberto Nessi, Giovanni Orelli und Anna Ruchat lieferbar.

Alberto Nessi

Miló

Auch im neuen Erzählband versammelt Alberto Nessi Geschichten von Menschen aus dem Tessin, Geschichten, die zwischen Norditalien und der Schweiz spielen. Geschichten von heute wie Geschichten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, Geschichten von Menschen, die Mut beweisen. Der Mut jener, die ihr eigenes Leben für die Freiheit eines anderen hergegeben haben, oder derjenigen, die einen Schlussstrich ziehen, wenn es keinen Sinn mehr hat weiterzumachen. «Es wäre nötig, dass hinter der Tür eines jeden glücklichen Menschen jemand steht, der ihn durch das Klopfen mit einem Hämmerchen ständig daran erinnert, dass es unglückliche Menschen gibt», schrieb Tschechow. Dies tut Alberto Nessi in seinem neuen Buch: Auf eine anmutige und feinsinnige Art erinnert er uns daran, dass die Welt voller vergänglicher Wesen ist, die den Zeitraum eines Tages ausfüllen und das zarte Licht der Glühwürmchen in sich tragen, welche in unserer stockfinsteren Zeit die Kraft der Sonne besitzen.

ISBN epub 978-3-03855-040-2

ISBN mobi 978-3-03855-041-9

Alberto Nessi

Schattenblüten

Schattenblüten: das Thema aller Texte dieses Buches sind das Leben im Herbst und seine Erinnerungen an verflossene Träume, seine skurrile und wehmütige Gegenwart. Alberto Nessi versammelt Erlebnisse und Geschichten von Menschen am Rand, zusammengewürfelt in diesem oder jenem Gedächtnis, heraufbeschworen durch Beobachtungen im Alltäglichen, gebündelt in der Frage: Wann war ich glücklich? War ich glücklich?

Alberto Nessis erzählt von diesen ‹unwichtigen› Persönlichkeiten und ihren Schicksalen in seiner poetischen Prosa, die mit leichter Hand Bilder zeichnet von den Stimmungen und Empfindungen seiner Protagonisten. Und fast immer dominiert die Melancholie, eine feine Wehmut, die aufgehoben ist in einem Gespür für den Kreis des Lebens und einem grossen Respekt davor. 

«Die Gründe seines Erfolgs liegen nicht auf der Hand: Er ist kein Unterhalter, kein Vielschreiber; seine Erzählungsbände oder Kurzromane sind fast so schmal wie seine Gedichtsammlungen; seine bevorzugte literarische Gattung ist die Lyrik, und auch wenn er Erzählungen schreibt, geht es ihm nicht um eine spannende Handlung, sondern um die Evokation der Vergangenheit, die Stimmen der Toten, das knappe und farbige Protokoll des gelebten Alltags. Er ist ein aufmerksamer Beobachter der Grenz- und Umbruchsituationen, unter denen gerade diejenigen am meisten leiden, die sich nur schwer mitteilen können: die Alten, die Armen, die Unterdrückten, die Zugewanderten, die einsam nebeneinander, aber nicht mehr zusammenleben. Ihnen gibt er eine Stimme, indem er sie häufig in der Ich-Form von ihrem Alltag erzählen lässt: stockend und ungefähr, doch immer in konkreten Details, die eine Situation unverwechselbar machen.» Neue Zürcher Zeitung

ISBN epub 978-3-03855-048-8

ISBN mobi 978-3-03855-049-5

Alberto Nessi

Terra matta

In kurzen pointierten Anekdoten und Episoden, wie man sie sich abends in der Runde erzählt, wenn die Rede auf interessante Figuren oder spannende Ereignisse der Region kommt, welche jeder einheimische kennt, berichtet Nessi vom traurigen Leben und wilden Aufbegehren des Tonio Boldini, der für die Republikaner in den Spanischen Bürgerkrieg ging; berichtet er von den harten Handarbeiten in dem Tabakmanufakturen des frühen 20. Jahrhunderts, wie die Frauen zwar zart mit den kostbaren Tabakblättern umgehen konnten, in ihren Streiks aber auch entschlossen mit den Padroni umzugehen wussten; berichtet er von den Hungersnöten Mitte des 19. Jahrhunderts, und wie 300 Mann unter der Führung des Mattirolo aus den Tälern in die Ebene stiegen, um die Lagerhäuser den Armen zu öffnen. Diese Erzählungen sind Poesie, so dicht und farbig diese nur sein kann, und Geschichte, so hart und lehrreich jene für das einfache Volk ja war. 

«Nessis nüchterne Erzählungen sind eine notwendige Erinnerung. Sie führen von der Mitte des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart, er kennt die alten Geschichten, da er selbst aus der Gegend stammt.» Frankfurter Allgemeine Zeitung

ISBN epub 978-3-03855-046-4

ISBN mobi 978-3-03855-047-1

Alberto Nessi

Nächste Woche, vieleicht

«Ich heisse José, bin einunddreissig Jahre alt und Buchhändler in Lissabon. Ich bin lungenkrank und will die Welt verändern.» Mit diesen Worten stellt sich der Protagonist José Fontana im neusten Roman von Alberto Nessi vor. Er erzählt von seiner Kindheit im Tessin, von der Zeit als Uhrmacherlehrling in Le Locle und seiner Emigration nach Lissabon, wo er den Sozialismus in Portugal kennengelernt hat und zur historischen Buchhandlung Bertrand fand.

Einmal mehr gelingt es dem Tessiner Schriftsteller Alberto Nessi, eine historische Figur zum Protagonisten seines Romans zu machen und mit der ihm eigenen Menschlichkeit dessen Geschichte zu erzählen. Die Auswanderung aus der Armut im Tessiner Tal ist ebenso Thema wie die Welten, die sich José in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts öffnen.

«Ein kluges und gescheites Buch ist dem Autor gelungen, anspruchsvoll, tiefgründig und literarisch versiert geschrieben.» literatur.de

ISBN epub 978-3-03855-044-0

ISBN mobi 978-3-03855-045-7

Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, die Personen aber sind Figuren der Phantasie. Jede Ähnlichkeit mit Orten, Dingen oder Personen ist literarische Fiktion.

I

Man mußte froh sein, daß es Wohltäter auf der Welt gab. Und daß die schwarzgekleidete Dame, die stets im Oval über der Tür zur Eingangshalle wachte, dieses Heim für verwahrloste Jugendliche gewollt hatte.

Die Wohltäter waren überall. In den Texten für die Satzanalyse, in den Abendgebeten, auf der Marmortafel im Flur, auf den Fotos im Album. Solange sie lebten, mußte man vor der Mutter Oberin stehend das Gedicht Sankt Ludwig, Schutzpatron der Jugend, mach, daß ich werde wie du voller Tugend für sie aufsagen; wenn sie starben, geleitete man sie im Takt des Trauermarsches der Städtischen Symphoniker in die Welt des Jenseits, was auch immer eine gute Gelegenheit bot, das Haus der Dame zu verlassen und in den Ort hinunterzugehen, die Mädchen mit schwarzem Umhang über den Schultern, im Haar die weiße Schleife der Reinheit anstelle des Schnürsenkels für alle Tage. Wer flink war, nutzte diese aufwendigen Begräbnisse erster Klasse, um an den Straßenecken die Abfallkörbe zu durchwühlen, während die herausgeputzten Herrschaften und Pröpste hinter dem Sarg das De Profundis sangen. Da, jetzt ist die kleine Tosca an der Reihe: Sie fischt eine Bananenschale aus dem Abfallkorb an der Bahnhofstraße, wo sich frühmorgens auch die Tauben einfinden, um trippelnd die Krümel aufzupicken.

Auf dem Vorplatz vor dem Haus stand hoch aufragend ein sonderbarer Baum, wie ihn die Heimzöglinge noch nie gesehen hatten, und manchmal träumten sie davon hinaufzuklettern, um fortzufliegen. Er hieß Araukarie und streckte seine Zweige in die Höhe wie der blaue Löwe, der sich dort in der Eingangshalle mit heraushängender Zunge und aufgestelltem Schwanz auf dem Wappen der vornehmen Stifter brüstet, seine Tatzen: Es ist das Wappen der von Mentlen aus dem Kanton Uri, Leute von hohem Rang – bei den Begräbnissen zwanzig Priester, um sie mit Rauchfässern zu beweihräuchern, und hundert Musikanten in Gala, um ihnen die Himmelspforten zu öffnen. Im Sekretär ihres Salons bewahrten diese Fomenta – so wurden sie im Dorf genannt – die Pistolen von General Suwarow und die Manuskripte eines Vorfahren auf, eines Dichters, der eine Ode an Ugo Foscolo gesandt hatte, ohne Antwort zu bekommen. Er hatte ihn sogar Unsterblicher Schwan genannt, aber nichts: Ugo, am Kaledonischen Gestade, hatte anderes zu tun.

Die letzte der von Mentlen verfügte zwar über eine Kutsche, um die Mauern der Kleinstadt hinter sich zu lassen und ein Landgut zu genießen, wo Fasane gezüchtet wurden, sie konnte der Köchin Anweisungen geben und sich mit einem etwas verschrobenen Cousin unterhalten, der eine weiße Nelke im Knopfloch trug, hatte aber dennoch ein trauriges, von Todesfällen überschattetes Leben gehabt: Der erste Sohn starb als Student in Deutschland, Virginia kurz nach ihrer Verheiratung, Rocchino als Kavallerieoffizier mit sechsunddreißig Jahren, der Jüngste brachte sich um aus Liebe zu einer Frau. Und gerade zum Gedenken an diesen letzten Sohn hatte sie das Heim über der Stadt, in der Nähe der Schneemadonna, gegründet. Davor bewohnten die kleinen Kahlköpfchen, die niemanden hatten, und die Rotzgören mit karierter Kittelschürze ein Haus im Zentrum, das Abessinien getauft worden war.

Von diesem neuen Wohnsitz auf dem Hügel schweifte der Blick über die Ebene, die den Kanton Tessin zweiteilt: und am Ende blitzte, unerreichbar, ein Seestreifen auf, unter Bergen, die sanft wie Tierrücken gewölbte Flanken darbieten, wohin sich manchmal die Gedanken der jungen Nonnen flüchteten.

Gleich hinter der Brücke über den Dragonato und dem steinernen Tor – in den Augen der Abessinier, die es zum ersten Mal durchschreiten, ein riesiges Vorhängeschloß – steht die Kirche, durch einen Steg mit dem Institut verbunden: Tosca ging gern in die Kirche, und sie wäre auch zweimal am Tag zur Kommunion gegangen, so gut schmeckt die Hostie. Morgens, in der Messe, betrachtete sie das Fresko in der Apsis, auf dem geschrieben stand: Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich. Aber was ist denn das Himmelreich? Ein Ort, wo man sich an der Hand hält wie die Kinder, die Behinderten, die Liebespaare?

Im Institut begann Tosca die Ungerechtigkeit der Welt kennenzulernen. Sie schliefen in einem Schlafsaal mit drei Bettenreihen, doch als die niedrigen, bequemen Betten kamen, wurden sie zuerst den Töchtern einer Dame aus Lugano zugeteilt. Auch die Badewanne war nur für sie; die übrigen standen in einer Reihe unter den Duschen, und die Nonne ging von einer zur anderen, um ihnen den Rücken abzuseifen. Bevor es die Duschen gab, badete man in einem langen weißen Hemd, um die Schamteile zu verbergen.

Mit der Zeit lernte sie dann die Tricks: Im Unterricht brav sein, um den schnabelförmig gekrümmten Fingern zu entgehen, die Schwester Brigida – die Türklopferin – von oben herabsausen läßt, während sie zwischen den Bänken umhergeht; die Augenblicke der Zerstreutheit bei den Aufseherinnen nutzen: Wenn Schwester Gaudenzia, groß und breit wie ein Schrank, dem Küchentisch den Rücken kehrt, schnappt man sich die Kartoffelschalen und stopft sich die Taschen voll. An den Zucker in der großen blauen Dose, die in einer Ecke steht, kommt man ganz leicht heran: Man öffnet unten die Schublade und füllt sich das Tütchen.

Der Hunger, das elende Biest, streckte seine Schnauze auch zwischen den Mäandern, dem Immergrün, den Winden und Kleeblättern der Hefte hervor. Eleonora, eine schon gut abgerichtete Schülerin aus der achten, schrieb ins Tagebuch:

Wir kehren gerade das Klassenzimmer. Da kommt Tosca herein und sagt: Ich habe Hunger! Wir schauen uns verwundert an. Als wir dann sehen, daß Tosca sich dem Schrank nähert, erraten wir ihre Absicht, nämlich sich einen Teil ihrer Süßigkeiten zu nehmen. Unsere Warnungen konnten nichts bei ihr ausrichten; sie hatte schon die Hand in den Schrank gesteckt, als die Lehrerin hereintrat und zu ihr sagte: Den Schrank darf man nicht ohne meine Erlaubnis öffnen; wenn du Obst hast, das schlecht wird, so bitte darum, dann gebe ich es dir um zehn und um vier. Man muß es ihr aber nachsehen, weil sie neu ist und die Gepflogenheiten des Hauses und der Schule noch nicht so gut kennt.

Die Töchter der Dame aus Lugano putzten sich die Zähne mit der Zahnbürste anstatt, wie alle anderen, mit einem Salbeiblatt; ihre schöne Tube Colgate sollten sie jedoch besser verstecken, denn die Zahnpasta duftet und schmeckt so gut wie eine Puddingcreme.

Lasset die Kindlein zu mir kommen. Galt das auch für Mädchen? Tosca lernte, auf der Welt zu sein. Sie sah sich um. Die Stirn der Schwestern vom Heiligen Kreuz war von einer gestärkten Binde bedeckt, alles übrige war schwarz. Das Gesicht weiß; nur Schwester Clarenzia glühte, wenn sie in der Küche der Flasche zusprach, und Schwester Maria Laudes wurde rot wie ein Mädchen, wenn sie lachte. Alle trugen ein Kruzifix auf der Brust. Hatten sie einen Busen unter der Tracht? Hatten sie Haare? Hatten sie die Liebe erfahren, bevor sie Nonnen wurden?

Eines Abends beobachtete Tosca heimlich die Nonne, die sich in ihrer Kammer die Flügel vom Kopf nahm: Ein weißes Häubchen kam zum Vorschein, das aussah wie ein Puppenmützchen. Aber plötzlich hob die Nonne das Gesicht und entdeckte die Kleine, die sie anstarrte. Da zerrte sie sie in das Schulzimmer, um Buße zu tun: Die Arme über dem Pult verschränkt und mit gesenktem Kopf mußte sie über die begangene Sünde nachdenken.

Die Schülerinnen zerfielen in zwei Gruppen: die Internen und die Externen. Die Externen brachten der Lehrerin Alpenveilchen mit und hatten die Taschen voller Lakritze. Man stellte sich besser gut mit ihnen.

Toscas Freundin gehörte jedoch zu den Internen: Enrica mit dem Flammenhaar, Tochter eines Bildhauers aus Arzo, der sich in Vermont eine Staublunge zugezogen hatte und jetzt, in die Heimat zurückgekehrt, im Sanatorium lebte. Die Freundinnen waren unzertrennlich, obwohl die Oberin gesagt hatte, man dürfe im Institut keine Freundschaften schließen. Und außerdem: Tosca, was ist das überhaupt für ein Name? Es gibt keine heilige Tosca. Und im Kalender steht er auch nicht, als Name. Er erinnert an etwas Morsches, an Gift, an Sünde.

Aber den beiden Freundinnen gefiel dieser Name. Und sie flüsterten miteinander, tauschten Sachen aus, gingen Arm in Arm spazieren. Bevor Enrica die Ansichtskarte von den Zwergen mit langen Bärten, den als Schneeflocken verkleideten Mädchen und denen mit dem Stern auf der Brust nach Hause schickte, hatte sie sie Tosca zu lesen gegeben. Auf der Karte stand: Liebe Mama, ich schicke dir dieses Bild von mir, wir spielen im Theater die kleinen Zwerge. Mir geht es gut und dir? Ich verspreche, daß ich lieb und brav sein will. Komm mich irgendwann einmal besuchen, wenn du kannst. Vielen Dank für das Päckchen. Es küßt dich deine Enrica. Und dann gab es zwischen ihnen noch das Geheimnis der gestohlenen Eier. Enrica sagte abends manchmal nach dem Abendessen: «Ich gehe mausen», schlüpfte durch die Glastür des Refektoriums, wich den Dornen der Araukarie aus, zwinkerte dem Terrakotta-Jungen auf dem Brunnen zu, durchquerte den Schulgarten und war im Hühnerstall. Doch an jenem Abend schloß eine, die sie die Quasselpetze nannten, neidisch auf die Tochter des Bildhauers, die die schönsten Schnörkel der ganzen Klasse in ihr Heft malte, die Türe mit dem Schlüssel ab: um sie draußen im Dunkeln auszusperren, um sie hereinzulegen. Und so zerbrach Enrica bei dem Versuch, wieder ins Haus zu kommen, eine Scheibe und verletzte sich am Handgelenk, und die Aufseherin stürzte sich auf sie: Diesmal habe ich dich erwischt! Die Kleine hatte die Eier versteckt und wollte nicht beichten. «Eine Hexe bist du. Die Hexe von Arzo!» rief die Schwester flügelschlagend und zeigte vor allen anderen mit dem Finger auf sie.

Die Hexe hatte die schönsten Hefte, weil sie vom Vater die Kunst des Ornaments ererbt hatte. Feuerrote Rosen rankten sich auf den karierten Seiten, die an Zellenfenster erinnerten, und umschlangen die in gotischen Buchstaben mit Tusche gemalten Überschriften. Blaßblaue Glockenblumen umrahmten dagegen die von der Tafel abgeschriebenen Verse:

Wenn die Toten heut abend wiederkehren
für kurze Zeit den weißen Friedhof verlassen
wenn sie wie im Gebet uns beehren
im Rauchfang des schwarzen Kamins …
Dann still, o Kinder, daß sie nicht fliehn.