image

„Die Philosophen haben die Welt nur
verschieden interpretiert, es kömmt drauf an
sie zu verändern.“

Karl Marx, Elfte Feuerbachthese (im Original)

Inhalt

Einleitung

Menschen, Methoden und Arbeitsansätze

Grundlagen der aufsuchenden Arbeit bei Gangway

Symptome sozialer und räumlicher Ausgrenzung | Erwachsene als Adressat*innen von aufsuchender Sozialarbeit

Lebenswelten und Besonderheiten der Erwachsenenarbeit

Der soziale Raum – Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit als Bestandteil von Streetwork

Die geschichtliche Entwicklung der Gemeinwesenarbeit | nachgefragt bei C. Wolfgang Müller

Exkurs: Helfen im Kiez und auf der StraßeC. Wolfgang Müller

Zusammenfassung

Das Projekt M.A.N.N.E. F

Zielsetzungen und Handlungsrahmen des Projektes

Koordination und Netzwerkbildung

Exkurs: Antworten von Ines Feierabend, Bezirksstadträtin für Soziales und Gesundheit in Treptow-Köpenick

Feldbezogene Netzwerkarbeit im Gemeinwesen am Beispiel Alt-Treptow

Exkurs: Der (zu) lange Weg zum Milieuschutz in Alt-Treptow – Jürgen Hans, Sozialbündnis Alt-Treptow

Adressat*innenbezogene Netzwerkarbeit im Gemeinwesen

Exkurs: Niedrigschwellige Sozialarbeit konkret: Fallbeispiel Frau A.Anja Piotrowski

Zusammenfassung

Beteiligung ist möglich

Spielregeln und Hürden

Wer muss sich hier eigentlich wem anpassen? – Kriterien zur Aktivierung von wenig beteiligungserfahrenen Menschen

Zwischen Ideal und Wirklichkeit – Erfahrungen in der Ausgestaltung von Beteiligungsangeboten

Ein Platz für Alle – Best Practice auf dem Leopoldplatz

Exkurs: Ein Platz für alle? Gemeinwesenorientierte Konfliktvermittlung in der Sozialen Stadtentwicklung – Franziska Becker und Sanda Hubana

Exkurs: Interview Axel Illesch, Streetworker auf dem Leopoldplatz

Exkurs: GeDenkOrt – Wenn die Trauer keinen Platz hatSanda Hubana

Zusammenfassung

Stadt der Vielfalt – Alles nur ein Traum?

Exkurs: Spirale der Entwertungen - Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Kontext sozialer und räumlicher AusgrenzungJana Johannson

Exkurs: Ich habe einen TraumRalf Rehling-Richter

Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

Die alte Eckkneipe ist in Berlin fast verschwunden. Denjenigen, die sich früher dort trafen, fehlt meist das Geld für die schicken Lifestyle-Cafés in den schicker werdenden Wohngebieten. Zu Hause kriecht die Einsamkeit durch die Ritzen, wenn Arbeit und Familie den Tag nicht mehr ausfüllen. Treffpunkte im öffentlichen Raum – meist dort, wo das Bier billig ist – werden dann oft zum Dreh- und Angelpunkt verbliebener sozialer Kontakte – und schnell zum Ärgernis der Anwohner*innen, weil Konflikte, Lärm und Schmutz zu Störfaktoren werden.

Diese öffentlichen Plätze und Stadtteile, die Streetworker*innen aufsuchen, werden als problematisch wahrgenommen. Ebenso die Menschen, die sich hier treffen. Die Wahrnehmung destruktiver Entwicklungen wie soziale Ausgrenzung und räumliche Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen oder auch die Zunahme Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind dabei Teil der täglichen Arbeit der Streetworker*innen. Gerade hier aber, wo keine*r so gern hinschaut, treffen wir auch auf eine große Selbstverständlichkeit und Bereitschaft, einander zu helfen und sich in den Kiez einzubringen.

Dieses Potential haben wir in den letzten acht Jahren Erwachsenenarbeit bei Gangway in verschiedenen Berliner Stadtteilen aufgegriffen. Stabile, handlungsfähige Netzwerke zwischen den Adressat*innen von Streetwork, engagierten Anwohner*innen, Kiezinitiativen, unterschiedlichen Verwaltungsebenen und Sozialarbeiter*innen von Gangway sind im Laufe der Jahre aufgebaut worden. Und mit ihnen die Möglichkeit, die in dieser Zeit gewachsenen, gut funktionierenden Selbsthilfe-, Organisations- und Kommunikationsstrukturen zu verstetigen.

Die Teams in Treptow und am Leopoldplatz in Mitte beenden ihre Arbeit im Sommer 2015, weil die temporären Finanzierungen auslaufen. Das reguläre Hilfesystem sieht die aufsuchende Soziale Arbeit mit Erwachsenen in den lokalen Strukturen der Selbsthilfe, des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Selbstorganisation als ganzheitliches, präventives Konzept nicht vor.

Die praktizierte Verzahnung von niedrigschwelliger Lebenshilfe unmittelbar vor Ort mit einer stetigen Kommunikation und (Konflikt-)Mediation mit den verschiedenen Nutzer*innengruppen des öffentlichen Raums, unterstützt durch handlungsorientierte Bezirksverwaltungen, hat gezeigt, dass die Zusammenarbeit über Zuständigkeitsbereiche hinweg möglich, vor allem aber produktiv sein kann. Solch ressortübergreifende Handlungsansätze in der sozialen Stadtentwicklungspolitik sollten nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein.

Insbesondere in Bezug auf komplexe Problemlagen – die in der Erwachsenenarbeit traurige Normalität sind – trägt ein lokaler, ganzheitlicher Blick auf den Stadtteil und die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die in ihm leben, ein großes Selbsthilfe- und Selbstorganisationspotential in sich. Dieses benötigt starke lokale Schnittstellen zwischen Bevölkerung und Verwaltung, die das freiwillige Engagement vieler Bürger*innen – auch und gerade derer, die von Armut und Ausgrenzung besonders betroffen sind – stärken und strukturell unterstützen.

Weil uns die SOZIALE Stadtentwicklung wichtig ist, gibt es diese Dokumentation. Es würde uns freuen, wenn aus unserem Engagement der letzten Jahre etwas bleibt und vielleicht etwas Neues entsteht – auf dem mühevollen Weg in eine solidarische Stadtgesellschaft.

Menschen, Methoden und Arbeitsansätze

Grundlagen der aufsuchenden Arbeit bei Gangway

Das Arbeitsfeld Streetwork beinhaltet die aufsuchende Sozialarbeit auf der Straße sowie den Ausgleich, die Vermittlung und Vertretung der Interessen von Menschen und Gruppen, für die der Aufenthalt auf Straßen und öffentlichen Plätzen von zentraler Bedeutung ist. Der Begriff „Straße“ als pädagogisch und sozial zu betreuender Aktionsraum beinhaltet auch Parkanlagen, Bahnhöfe, Einkaufszentren und andere semiöffentliche Räume sowie Außenbereiche sozialer Einrichtungen. Die mobile Arbeit verläuft adressat*innen-, problemlagen- und arbeitsfeldübergreifend und ist geprägt durch eine Vielfalt von Methoden und Herangehensweisen, die flexibel und bedarfsorientiert eingesetzt werden.

Grundlegende Prinzipien von Streetwork sind: Freiwilligkeit, Parteilichkeit, Transkulturalität, Vertrauensschutz, Anonymität, Verbindlichkeit und Lebensweltorientierung. Die Ansätze der Straßensozialarbeit sind niedrigschwellig, ganzheitlich und akzeptierend. Hilfen und Hilfsangebote knüpfen sich an keinerlei Vorbedingungen1. Diese Arbeitsprinzipien sind unverzichtbar, bedingen sich gegenseitig und prägen alle Angebote von Straßensozialarbeit. Sie bilden darüber hinaus die Spezifik und das Setting von Streetwork als eigenständigen Arbeitsansatz. Streetworker*innen begeben sich zu den Treffpunkten der Menschen. Die Angebote, Hilfen und Beratungen werden unmittelbar im Lebensumfeld der Menschen organisiert und umfassen Einzelberatung, Gruppenarbeit, Projekt- und Stadtteilarbeit2.

Adressat*innen für aufsuchende Arbeit bei Gangway sind Menschen in selbstgewählten Gruppenstrukturen, die ausgegrenzt, von Ausgrenzung bedroht sind oder sich selbst ausgrenzen und deren Lebenssituation durch Angebote und Hilfen Sozialer Arbeit verbessert werden kann, die aber von sozialen Dienstleistungen mit Komm-Struktur nicht mehr erreicht werden. Aufsuchende Straßensozialarbeit richtet sich gezielt an Menschen, „die aus unterschiedlichen Gründen von herkömmlichen Integrationsstrukturen unserer Gesellschaft nicht erreicht werden und die in hohem Maße die Straße zu ihrem Lebensort machen. Prozesse sozialer Benachteiligung und Ausgrenzung, die zum Teil ursächlich dafür waren, den Lebensmittelpunkt auf die Straße zu verlagern, setzen sich verstärkt fort und werden durch Stigmatisierung und Kriminalisierung verschärft. Oft schließen sich diese Menschen mit gleichermaßen Betroffenen zu Gruppen, Cliquen oder Szenen zusammen.“3

Auf der Grundlage von Beobachtung, Erhebungen, Befragungen und Sozialraumanalysen werden individuelle und strukturelle Problemlagen der zu betreuenden Adressat*innen definiert. Streetwork betreut marginalisierte und sozial benachteiligte Menschen in gefährdeten Lebenslagen stadtteil- und szenebezogen4. Straßensozialarbeit beschränkt sich jedoch nicht darauf, die Probleme zu bearbeiten, die sich aus dem Leben auf der Straße ergeben (z.B. Konflikte im öffentlichen Raum) sondern bietet auch Unterstützung bei der Bewältigung der Probleme an, die dazu geführt haben, den Lebensmittelpunkt auf die Straße zu verlegen. Eine wesentliche Grundhaltung von Streetwork ist es dennoch, den Gedanken ernst zu nehmen, dass für ihre Adressat*innen die Straße eine legitime und selbstverständliche Lebenswelt ist, die als attraktiver und zugleich risikoreicher öffentlicher Lebensort erfahren wird. Zentrale Aufgabe von aufsuchender Sozialarbeit ist es demnach auch, „Brücken zwischen den Nutzer*innengruppen des öffentlichen Raums zu bauen, die den tendenziellen Ausgrenzungsmechanismen, die sich durch die zunehmende Verregelung und Privatisierung des öffentlichen Raums verstärken, entgegenwirken.“5

Die Tätigkeitsbereiche aufsuchender Arbeit lassen sich in Hinblick auf infrastrukturelle und adressat*innenbezogene Zielsetzungen beschreiben, die sich jedoch vielfach überschneiden. Die grundlegende Zielsetzung von Streetwork ist es, Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen zu verhindern oder zu verringern und Emanzipation und Chancengleichheit zu fördern6. Es werden lebenswelt- und sozialraumorientierte soziale Dienstleistungen angeboten, die die soziale Integration fördern7 und das Recht auf die Nutzung des öffentlichen Raums als legitimen Ort der sozialen Begegnung und der kulturellen Vielfalt stärken und entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten erschließen. Folgende Zielsetzungen lassen sich darüber hinaus formulieren:

Förderung der Akzeptanz bzw. Verbesserung bestehender Lebenswelten

Erweiterung der sozialen Handlungskompetenz der Adressat*innen

Erschließung gesellschaftlicher und individueller Ressourcen (Selbsthilfepotential)

Entwicklung und Unterstützung bei der Umsetzung von Lebensperspektiven

Reduzierung und Vermeidung gesellschaftlicher Benachteiligungen und Diskriminierungen

Bildung von ressortübergreifenden Netzwerken und Kooperationen im Gemeinwesen

Entwicklung inhaltlich-fachlicher und sozialpolitischer Einmischungsstrategien

Hörbarmachen von Interessen der Adressat*innen bzw. von unterrepräsentierten Interessen

Vertretung, Ausgleich und Vermittlung von Interessen (z.B. bei Konflikten in und um öffentliche Räume)

Erschließen, Erhalten und Zurückgewinnen von öffentlichen Räumen für die verschiedenen Adressat*innengruppen

Institutionelle und konzeptionelle Innovation als Grundlage für die Hilfeplanung

Orientierungshilfen bei verschiedenen Lebensfragen (z.B. Jugend-, Sozialhilfe, Ausbildung, Arbeit, Wohnen, Familie, Existenzsicherung, Gesundheitsfürsorge)8

Gangway e.V. arbeitet gruppen-, projekt- und einzelfallbezogen. Darüber hinaus beteiligen sich unsere Teams im Interesse der Adressat*innen auf infrastruktureller Ebene innerhalb von Gremien und Netzwerken des Gemeinwesens an der Entwicklung und Verbesserung u.a. von Hilfestrukturen, Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten und Instrumenten zur Konfliktprävention im öffentlichen Raum. Die Sozialraum- und Bedarfsanalyse gehört sowohl in Hinblick auf die soziale Infrastruktur, als auch in Bezug auf die Entwicklung bedarfsorientierter Angebote für die Adressat*innen(-gruppen) zu den grundlegenden Aufgaben von Gangway.9

Im Mittelpunkt von Gruppen- und Projektarbeit stehen vor allem Themen, Lernziele und Bedarfe, die die Adressat*innen verbinden und die darüber hinaus dazu geeignet sind, durch gemeinsame Aktivitäten eine positive Gruppendynamik zu erzeugen, soziale Integration zu fördern und individuelle Kompetenzen, wie z.B. Kooperationsbereitschaft, zu stärken. Die einzelfallbezogenen Leistungsbereiche umfassen die Beziehungs-, Betreuungs- und Beratungsarbeit sowie die Koordinierung von Hilfen vor dem Hintergrund individueller Problemlagen und Krisen.

Symptome sozialer und räumlicher Ausgrenzung | Erwachsene als Adressat*innen von aufsuchender Sozialarbeit

Der Ansatz der aufsuchenden, niedrigschwelligen Sozialarbeit basiert auf der Erfahrung, dass vorwiegend junge Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten und in unterschiedlicher Form von sozialer Benachteiligung betroffen sind, in der Regel von anderen Beratungs- und Hilfsangeboten nicht erreicht werden können. Die Lebensweltorientiertheit, eine grundsätzlich akzeptierende sozialarbeiterische Haltung und Hilfsangebote, die frei von Vorbedingungen in Anspruch genommen werden können, sind grundlegende Prämissen der Straßensozialarbeit10. Sie sind eine adäquate Antwort auf die schwierige Erreichbarkeit der Adressat*innen infolge komplexer Problemlagen.

image

Wie sich in den letzten Jahren verdeutlichte, gilt dies – teilweise in besonderem Maße – auch für erwachsene, von Armut und Ausgrenzungserfahrung geprägte Menschen, die ihren sozialen Lebensmittelpunkt vermehrt in den öffentlichen Raum verlagern11. An verschiedenen Orten Berlins, beispielsweise an der sogenannten „Kugel“, einem Treffort in Altglienicke oder dem Schmollerplatz in Alt-Treptow, sind daher spezifische Angebote für Erwachsene geschaffen worden.

Die Kluft zwischen Menschen, die Arbeit und Einkommen haben, und denen, die auf beides verzichten müssen12, wird zunehmend sichtbar, besonders im öffentlichen Raum. Dem seismografischen Potential13 der Straßensozialarbeit für gesellschaftliche Tendenzen ist es dann auch zu schulden, dass die rasant voranschreitenden sozialen Verwerfungen wahrgenommen werden, bevor sie ins öffentliche Bewusstsein dringen. Unterschiedliche Phänomene, wie die zunehmende soziale Entmischung der Kieze durch Aufwertung und Verdrängung, die Verfestigung schicht-spezifischer Merkmale und Verhaltensweisen, eine verstärkte soziale Undurchlässigkeit und die Entfremdung vom politischen System14 sind Indikatoren für die Verwerfungen, die sich zuerst an den Rändern der Gesellschaft abzeichnen, bevor sie langsam in die Mitte der Gesellschaft dringen. Hinzu kommt ein Wertewandel, mit dem häufig eine Entwertung von Menschen einhergeht, die von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind. Mangelnde Leistungsbereitschaft und Intelligenz sind nur zwei von zahlreichen Mutmaßungen, die darauf abzielen, die Schuld den Betroffenen selbst zuzuschreiben.

Die besonderen Lebenssituationen unserer Adressat*innen sind häufig von Langzeitarbeitslosigkeit und den daraus resultierenden Schwierigkeiten gekennzeichnet: Armutserfahrungen, (Sucht)-Erkrankungen, schwierige Familienverhältnisse und fehlende Perspektiven15. O-Ton: „Den Umgang mit Geld habe ich durch Hartz IV und die Scheidung schmerzhaft lernen müssen. Meine Schwester hat mir beibringen müssen Prospekte zu studieren, damit ich bei Lidl oder sonst wo ein paar Cent sparen kann.“16 Adressat, Altglienicke.

Vom lokalen Umfeld werden diese Menschen häufig als sogenannte "Trinker- und Drogenszene"17 wahrgenommen, problematisiert und stigmatisiert. Das Phänomen erwachsener Menschen, die den öffentlichen Raum als Lebensmittelpunkt nutzen18, erklärt sich aus sozialarbeiterischer Sicht als nachvollziehbare und durchaus konstruktive Reaktion auf (drohende) soziale Isolation infolge der komplexen Problemlagen. O-Ton: „Jedenfalls mache ich nicht den Fehler, den andere machen, die sich in ihrer Bude verkriechen.“19 Adressat, Altglienicke. Die Menschen antworten damit in pragmatischer Weise auf starke Einschränkungen ihrer sozialen und kulturellen Teilhabemöglichkeiten.

Dennoch: „Es ist keine homogene Szene, von der wir hier sprechen, sondern – nach unseren Beobachtungen – ein neuer Teil der Gesellschaft, der sich an öffentlichen Orten versammelt, die bis dato eben nicht „typische“ Treffpunkte von Erwachsenen waren. Stigmatisierte und marginalisierte Gruppen am Rande der Gesellschaft hat es lange vorher gegeben, es gibt sie noch und wird sie (auf absehbare Zeit) auch weiterhin geben – „Trinker“- und offene Drogenszenen, wohnungslose Menschen und dergleichen mehr. Die Grenzen zwischen den einzelnen Milieus sind fließend, zum Teil vermischen sich die Szenen, erst recht in der Wahrnehmung von außen. Unser Projekt M.A.N.N.E F. konzentriert sich auf die hier beschriebenen Adressat*innen, wenngleich eine strenge „Typisierung“ durch uns weder realistisch noch beabsichtigt ist. Gerade das Unspezifische, Unkomplizierte, was das Individuum in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt, jenseits seiner Zugehörigkeit zu irgendwelchen „Szenen“ oder Gruppen, ist ja zentrales Merkmal der aufsuchenden Arbeit bei Gangway.“20

Die oftmals langjährigen Erfahrungen von Arbeitslosigkeit, damit verbundener zunehmender Ausgrenzungsdynamik und kultureller Deprivation21 gehen häufig mit einem problematischen Alkohol- und Drogenkonsum einher. Vorhandene individuelle Ressourcen und Potentiale werden zunehmend verschüttet und aus Mangel an realistischen Möglichkeiten der Reintegration in gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten, wie Lohnarbeit und/ oder sinnvolle Beschäftigung, aufgegeben.

O-Ton: „Das sind hier alles Nichtschwimmer, die versuchen, sich gegenseitig vor dem Ertrinken zu retten. Was wir brauchen, sind richtige Rettungsschwimmer, nicht bloß Leute, die selber gerade so schwimmen können.“ Zitat von „Wolle“ Degen, Adressat aus Altglienicke, gest. Juni 2008 – R.I.P.22

In ihren Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in ähnlichem Maße begrenzt wie Jugendliche, erschließen sich diese erwachsenen Menschen aus Mangel an finanziellen Ressourcen den öffentlichen Raum als Ort gesellschaftlicher Teilhabe. Sie suchen und finden dort Zugang, Halt und Geborgenheit unter Menschen, die ähnliche Erfahrungen verbinden23. Das ist einerseits konstruktiv, führt andererseits jedoch zu einer Vielzahl von Konflikten innerhalb der Gruppen selbst, vor allem aber mit Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und angrenzenden sozialen Einrichtungen. Das Aussehen und Verhalten vieler Nutzer*innen öffentlicher Plätze entspricht aus verschiedensten Gründen oftmals nicht den Normen, Erwartungen und Interessen von Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und ansässigen Einrichtungen. Schnell werden Menschen dann zum „öffentlichen Ärgernis“ und begründen diffuse Unsicherheitsgefühle des lokalen Umfeldes. Schnell werden durch Anwohner*inneninitiativen ein hartes Durchgreifen der Polizei und ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum gefordert. Ziel ist meistens, die Menschen mittels schneller Lösungen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.24

image

O-Ton: „Mich ärgert das maßlos, wenn alle uns über einen Kamm scheren. Ich bin seit Jahren trockener Alkoholiker, einige von uns trinken gar nicht. Gaststätten und Restaurant können wir uns nicht leisten, also treffen wir uns hier draußen, bevor ich völlig vereinsame und gar keine Kontakte mehr habe.“25 Willi, Nutzer eines öffentlichen Platzes

Die Außenperspektive, die u.a. durch Anwohner*innen, andere lokale Akteur*innen und Medien auf diese Adressat*innengruppen eingenommen wird und zudem negativ verstärkend auf diese zurückwirkt, ist nur eine Seite der Medaille. Wir als Straßensozialarbeiter*innen gehen nicht davon aus, dass diese Menschen aufgrund ihrer Erscheinung und Verhaltensweisen per se problematisch sind, sondern versuchen zu ergründen, in welcher Lebenssituation sie sich befinden und welche konkreten Probleme zum beschriebenen Konfliktpotential führen, die in der Forderung münden, diese Menschen aus dem öffentlichen Raum zu entfernen26.

Es liegt auf der Hand, dass eine Kriminalisierung und Verdrängung der Gruppen von öffentlichen Plätzen die Probleme nicht löst, sondern lediglich an andere Orte verlagert27. Nachhaltige Lösungen, die die Lebenssituationen und Interessen der problematisierten Gruppen und die Interessen von Anwohner*innen und anderen Parknutzer*innen gleichermaßen einbeziehen, sind daher die inhaltlichen Koordinaten der Erwachsenenarbeit bei Gangway. Die einzelfall- und gruppenbezogene Arbeit, der Interessenausgleich und die Konfliktvermittlung im Gemeinwesen sind wesentliche Schwerpunkte der Arbeit vor Ort.

Lebenswelten und Besonderheiten der Erwachsenenarbeit

„Die Lebenswelten sind inzwischen soweit auseinandergedriftet, dass es tatsächlich kaum noch Einblicke in die Lebensrealität der jeweils anderen Gruppen gibt. Dieses Phänomen betrifft die gesamte Gesellschaft. Ein erster Schritt ist es sicherlich, sich selbst für diese anderen Lebenswelten überhaupt zu interessieren. Ein zweiter muss sein, Gelegenheiten für konkrete Begegnungen und Einblicke zu schaffen. Dies tun wir in unserer Arbeit immer wieder und durchaus mit Erfolg, wir würden uns aber viel mehr solcher „Grenzgänger“ wünschen, die die Komfortzone ihrer eigenen Welt hin und wieder verlassen und sich mit Empathie und wirklichem Interesse auf die Welten einlassen, in die sie sonst keinen Einblick haben.“ Elvira Berndt, Geschäftsführerin von Gangway e.V.28

Wer also sind diese Erwachsenen, die sich in immer größer werdenden Gruppen auf öffentlichen Plätzen treffen und dort einen Großteil ihrer Zeit verbringen? Um zu verstehen welche besonderen Lebensumstände und individuellen Problemlagen dieser Dynamik zugrunde liegen, welche Konflikte sich daraus ergeben, aber auch, über welch vielfältige Ressourcen diese Menschen verfügen, ist es wichtig, etwas tiefer in die Lebenswelten unserer Adressat*innen im Projekt M.A.N.N.E. F. zu schauen.

Bei unseren Adressat*innen handelt es sich vorwiegend um nicht erwerbstätige und/oder nicht erwerbsfähige Männer und (weniger) Frauen zwischen 25 und 65 Jahren, die sich auf öffentlichen Plätzen treffen und dort ihre sozialen Kontakte pflegen, essen und trinken, in der Regel aber nicht wohnungslos sind. Infolge der einseitigen Stadtentwicklungspolitik, die in verschiedenen Stadtteilen zu einer massiven Verdrängung der alteingesessenen Bewohner*innen führt, sind jedoch insbesondere einkommensschwächere Menschen in immer stärkerem Maße von Wohnungslosigkeit bedroht29. O-Ton: „Ansonsten bin ich froh, dass ich wenigstens eine Wohnung habe und nicht auf der Straße leben muss.“30 Adressat, Altglienicke. Auch Zwangsumzüge und -räumungen sind zunehmend Thema der Beratung und Hilfeleistung. Einige Adressat*innen sind im Rahmen einer Bachelorarbeit darüber befragt worden, ob es schon einmal Situationen gab, in denen Streetworker*innen Hilfe leisten konnten. „Ja, bei der Wohnungssuche. Als wir die Aufforderung zum Zwangsumzug gekriegt haben. Also, war gut. Besser als alleine, auch wenn es eigentlich nichts gebracht hat. Wir mussten trotzdem umziehen, aber durch Euch hatte ich wenigstens keine Angst mehr vor Obdachlosigkeit oder Umzug in ein anderes Viertel. Ihr habt mir Ruhe gegeben durch Eure Fachkenntnisse und einfach, weil wir da nicht alleine durch mussten.“31

Die Gruppengrößen variieren. Sie können – abhängig von der Wetterlage – in Spitzenzeiten bis zu 30 und mehr Personen umfassen32. Die von uns betreuten Menschen gehen keiner geregelten Arbeit oder Beschäftigung nach; die meisten von ihnen leben seit vielen Jahren von staatlichen Transferleistungen. Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass immer mehr unserer Adressat*innen aufgefordert werden Erwerbsunfähigkeits-Rente (EU-Rente) zu beantragen. Dies hat in einigen Fällen ungünstige Nebeneffekte. Abgesehen davon, dass diese Menschen damit von der Arbeitslosenstatistik nicht mehr erfasst werden, verlieren sie auch ihre Anspruchsvoraussetzungen für Beschäftigungsmaßnahmen und andere Instrumente zur Integration in den ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Mit dem EU-Renten-Status erfüllen sie darüber hinaus nicht mehr die formalen Bedingungen als Adressat*innen unseres Projektes. M.A.N.N.E. F. ist ein EU-gefördertes Projekt, dessen Ziel die Arbeitsförderung ist. Die meisten unserer Adressat*innen wünschen sich Arbeit. Die Aufforderung zur Berentung kann daher ein fatales Signal sein.

In der Regel wohnen die Nutzer*innen von öffentlichen Plätzen im näheren Einzugsgebiet. Der Kiez ist aufgrund mangelnder Mobilität und Beschäftigungslosigkeit gleichzeitig auch der Sozialraum, in dem alle nennenswerten sozialen Kontakte und Beziehungen angesiedelt sind. Aufgrund finanzieller Not bleiben den Adressat*innen kaum andere Möglichkeiten eine soziale Isolation zu umgehen, als sich an öffentlichen Plätzen zu treffen. Selbst die immer weniger werdenden günstigen Lokale, in denen der Konsum von Alkohol der gesellschaftlichen Norm entsprechend als legitim und angemessen empfunden wird, sind für Bezieher*innen von Transferleistungen zu teuer geworden. Ganz zu schweigen von anderen kulturellen Angeboten, die es bspw. in Stadtlagenrandgegenden, wie Altglienicke, kaum gibt33.

Die Mobilität dieser Menschen ist aufgrund ökonomischer, teilweise auch gesundheitlicher Beeinträchtigungen34 stark eingeschränkt. Ein weiterer Grund sei die Unsicherheit gegenüber fremden Menschen und Orten, wie eine Befragung unserer Adressat*innen in Altglienicke aus dem Jahr 2007 ergab35. O-Ton: „Ich bin durch meine Kindheit sowieso ein ängstlicher Mensch. Ich bin so richtig ängstlich. Bei mir kommt schon Panik auf, wenn es heißt, ich muss irgendwo alleine hinfahren. Da krieg ich schon Zustände. Da muss immer einer bei mir sein.“36 Adressatin, Altglienicke. Alle Orte, die nicht im direkten Einzugsgebiet des Wohnumfeldes liegen, werden in der Regel nicht frequentiert. Fahrtkosten, die das geringe Budget zusätzlich belasten, werden vermieden37.

Die meisten der von uns betreuten Menschen haben eine Bezugsgruppe, die sich an einem bestimmten, öffentlichen Ort trifft, solange dieser Ort als Treffort zur Verfügung steht. Sie pflegen ein umfassendes Netz von Bekanntschaften und Freundschaften im Kiez38. Sie alle verbindet die Erfahrung des Ausgegrenztseins und das Gefühl von Hilflosigkeit39. Resignation der eigenen Lebenssituation gegenüber ist das vorherrschende Gefühl der Menschen, wenn sie über Zukunft sprechen. O-Ton: „Wenn ich zehn Jahre in die Zukunft gucke, dann wird es mir wohl genauso gehen, wie jetzt auch. Weil es wird ja nicht besser, es wird ja immer schlechter. Lotto spiele ich nicht, von daher kann ich mein Leben nicht verbessern.“40 Adressatin, Altglienicke

In der Regel zeigt sich eine hohe Alkoholaffinität, die alle Lebensbereiche negativ überformt41. An den Trefforten konsumieren die Nutzer*innen häufig übermäßig Alkohol; in selteneren Fällen auch andere Suchtmittel. Die Gruppendynamik an den Trefforten verstärkt die Tendenz zum übermäßigen Konsum im öffentlichen Raum. O-Ton: „Ich meine, die ganzen Leute sind alle super nett, aber was mich stört ist die Sauferei. Das verleitet ja doch.“42 Adressatin, Altglienicke.

Einige Adressat*innen nehmen dazu eine kritische Haltung ein. O-Ton: „Und wenn du dich mit den anderen getroffen hast, dann war das immer mit Alkohol verbunden. Die trinken hier ja permanent, jeden Tag. Und damit kann ich nichts anfangen. Manchmal, ja, aber jeden Tag, das könnte ich nicht.“43 Adressatin, Altglienicke. Teilweise finden wir eine stark ausgeprägte Suchtproblematik vor, die bereits über viele Jahre besteht. O-Ton: „Angefangen hab ich mit vierzehn, fünfzehn, so, wie alle. Gegen Ende der Neunziger hab ich dann gemerkt, dass ich ohne Alk nicht mehr klarkomme. Als es losging, dass ich schon früh mein Bierchen getrunken habe – das hat mir schon ein bisschen zu denken gegeben. Aber eigentlich war mir das alles auch scheißegal. Irgendwann bin ich vom Bier auf Schnaps umgestiegen, weil ich keinen Bock mehr hatte soviel Bier nach oben zu schleppen.“44 Adressat, Altglienicke.

Wie wirken sich diese individuellen Problemlagen auf die Möglichkeiten sozialer Integration und das Sozialverhalten in und außerhalb der Gruppen aus?

Eine Tagesstruktur fehlt in manchen Fällen aufgrund der Beschäftigungslosigkeit. O-Töne: „Einen regelmäßigen Tagesablauf habe ich heute nicht. Das liegt an der Langeweile. Weil nichts zu tun ist. Die einzige Regelmäßigkeit ist, mit den Hunden raus zu gehen. Jetzt, wo wir im Ghetto wohnen, bin ich regelmäßig an der Hundewiese. Ansonsten gehe ich an die Kugel. Da sind viele, die man hier in den Jahren kennen gelernt hat. Da treffen wir uns, unterhalten uns, trinken mal Brause, mal ein Bier. Ich glaube, ich habe so ein leichtes Problem mit Alkohol. Weil, in letzter Zeit habe ich doch öfter mal ein bisschen heftig „zugeschlagen“. Da ist schon immer ein kleiner Drang da. Das ist mein Alltag, nichts Besonderes.“45 Adressat, Altglienicke.

„Als wir mit der MAE angefangen haben, da hatte ich einen Tagesablauf. Da musste ich ja immer früh aufstehen und arbeiten. Danach hab ich das auch noch ein, zwei Monate durchgehalten, aber dann hab ich mich gefragt: Für was? Weil, du stehst jeden Morgen auf und machst den Haushalt. Aber du kannst ja nicht jeden Tag ein- und dasselbe machen, das kommt dir doch zu den Ohren raus.“46 Adressatin, Altglienicke.

Eine regelmäßige Körperhygiene und ein Bewusstsein über ein Mindestmaß an gesundheitlicher Sorge und gesunder Ernährung fehlen in einigen Fällen ebenfalls47. Allgemeingültige Zuschreibungen sind hier aber problematisch, da gerade Tagesstruktur, Körperpflege und andere Bereiche, in denen eine gewisse Selbstdisziplin einer möglichen Verwahrlosung entgegenwirkt, für viele Adressat*innen einen großen Stellenwert einnehmen, wie Befragungen zu Beginn des Projektes M.A.N.N.E. F. gezeigt haben. Die Abgrenzung zu Mitgliedern der Gruppe, die diese Bemühungen nicht zeigen, ist einigen Befragten wichtig48. O-Ton: „Heute sage ich mir: Auch, wenn ich arbeitslos bin oder Hartz IV kriege, muss ich ja nicht abrutschen. Man kann auch mit wenig Geld was machen. Man muss nicht dem Alkohol verfallen oder so absacken, dass man seine Wohnung verwahrlosen lässt. Muss man nicht, man kann aus seinem Leben schon etwas machen.“49 Adressatin, Altglienicke.

Die Fähigkeit und Bereitschaft, Konflikte sachlich und gewaltfrei zu lösen tritt in einigen Fällen u.a. auch durch negativen Gruppendruck in den Hintergrund. In konflikthaften Situationen bestimmt eine verbal aggressive und mitunter gewaltbereite Grundstimmung das Bild. Der Alkoholkonsum verstärkt diese Tendenz50. Insbesondere zu Beginn des Projektes M.A.N.N.E. F. waren verbal-aggressive Konflikte, zum Teil gewalttätige Übergriffe, innerhalb der Gruppen aber auch gegen Anwohner*innen, teilweise aus fremdenfeindlicher Motivation, ein zentrales Problem51.

Die Bereitschaft und mitunter auch die Kompetenzen, die vielfältig notwendigen Hilfen (z.B. Schuldner-, Mieter- und Rechtsberatung, suchttherapeutische Hilfen, psychosoziale Beratung, Familienhilfe) eigenständig aufzusuchen und persönliche Problemlagen und Bedarfe zu schildern, sind unterdessen sehr begrenzt52. Oft mangelt es an Selbstvertrauen, sprachlichen Fähigkeiten oder der Routine eines angemessenen Auftretens gegenüber staatlichen und kommunalen Institutionen, sodass beispielsweise Ansprüche auf Kindergeld, ALG II und dergleichen nicht geltend gemacht werden können53. Die Hürden, reguläre Hilfsangebote mit Komm-Struktur in Anspruch nehmen zu können, sind daher für die meisten dieser Menschen nicht ohne Unterstützung überwindbar. Die Menschen werden von vorhandenen Angeboten schlichtweg nicht erreicht. Den Zugang und die Einübung solcher Kompetenzen über aufsuchende Sozialarbeit zu gewährleisten, ist daher geboten und notwendig.

Dadurch, dass die Adressat*innen ihren Kiez kaum oder gar nicht verlassen und nicht über finanzielle Ressourcen verfügen, sonstige kulturelle Angebote nutzen zu können – dieser Formen von Freizeitgestaltung vielfach bereits sogar völlig entfremdet sind – ist ihre Lebenswelt in vielen Fällen zusätzlich von inhaltlicher, sozialer und kultureller Armut geprägt54. In infrastrukturschwachen Stadtrandlagen, wie Altglienicke, verstärkt sich der Mangel an individueller Mobilität und kultureller Armut nochmals55. O-Ton: „Ich würde ja gern mal ins Theater gehen. Früher waren wir mit der Schule einmal im Theater und einmal in der Oper. Das würde ich schon mal wieder gerne machen. Na gut, Oper eher nicht, weil, da versteht man ja eh nichts. Aber Theater, doch, das würde ich schon mal wieder gerne machen. Aber A. ist nicht dafür. Und jetzt zeig mir mal irgendeinen hier, der sich für sowas interessiert. Die gehen ja noch nicht einmal zur Weihnachtsfeier von der MAE, geschweige denn ins Theater.“56 Adressatin, Altglienicke.

Darüber hinaus herrscht bei den meisten dieser Menschen ein ausgesprochenes Misstrauen gegenüber Ämtern, Behörden, Polizei und allem „Staatlichen“. Viele von ihnen haben einschlägige Erfahrungen mit einem für sie unverständlichen Hilfesystem, in dem sie sich nicht verstanden fühlen57 und Regelungen, die ihre Lage oftmals noch verkomplizieren. O-Töne: „Seitdem ich hier wohne, habe ich nur noch schlechte Erfahrungen mit denen. Speziell mit dem Jobcenter. Erstens mal wirst Du nicht unterstützt von den Leuten. Du bist auf Dich selbst angewiesen. Du musst selbst Initiative zeigen. Ich meine, das ist ja auch richtig, aber eine gewisse Unterstützung verlange ich schon! Dass die vom Jobcenter einem unter die Arme greifen. Und mich nicht so niedermachen. Nur, weil ich keinen Abschluss oder keine Ausbildung habe, werde ich abgestempelt, wie der letzte Dreck. Die beschäftigen sich da doch mehr mit den Gesetzen als mit den Leuten, damit sie uns besser runterputzen können. Oder uns nichts bewilligen oder gewähren müssen. Die sitzen sich quasi den Hintern breit, kriegen ihren Lohn und unsereinen machen sie nieder. So sehe ich die.“58 Adressatin, Altglienicke.