VVorwort zur 2. Auflage

Die Olympischen Spiele von Peking sind Geschichte, die Weltausstellung in Shanghai hat ihre Pforten längst geschlossen. Aber auch jenseits dieser beiden Großereignisse bewegt sich die Volksrepublik China weiterhin im Fokus der Weltöffentlichkeit. Wirtschaftliche Abhängigkeiten, Globalisierungsprozesse sowie politische und sozio-kulturelle Entwicklungen bleiben vielschichtig und stellen in den bilateralen und multilateralen Beziehungen zum Reich der Mitte eine stete Herausforderung dar. Und nach wie vor sind diese Aufeinandertreffen der Kulturen von Befremden, Unverständnis und gravierenden Kommunikationsproblemen geprägt. Diese Erfahrung musste in diesem Jahr auch die Marketingabteilung eines renommierten Fußballbundesliga-Clubs aus Norddeutschland machen: Auf der Suche nach zahlungskräftigen Sponsoren hatte man eine Delegation nach China entsandt, man arrangierte Meetings, verhandelte, suchte Abschlüsse und kehrte schließlich heim mit einem… unverbindlichen Nichts!

Pech für die Hanseaten? Nein, nur ein klassisches Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich eingehend mit dem Thema „Business in China“ auseinanderzusetzen. In diesem kleinen Fall hat wohl der Faktor „Zeit“ eine besondere Rolle gespielt: Zeit, wie wir sie üblicherweise für Geschäftserfolge einplanen; Zeit als Dimension, wie man sie in China versteht… oder auch Zeit für das Erlernen interkultureller Kompetenz und die detaillierte Analyse einer deutsch-chinesischen Geschäftsanbahnung.

Mit der vorliegenden aktualisierten Fassung des „China Knigge“ wollen wir uns erneut dieser komplexen und facettenreichen Materie, die das Zusammentreffen zweier Kulturen bedeutet, annähern. Dabei wünsche ich Ihnen eine unterhaltsame und bereichernde Lektüre… nehmen Sie sich die Zeit!

Köln, im Dezember 2014

Edith Diekmann

179Literaturverzeichnis:

Bauer, W.: Geschichte der chinesischen Philosophie, München 2001

Bauer, W: China und die Hoffnung auf Glück, München 1989

Baumer, Th.: Handbuch Interkulturelle Kompetenz, Zürich 2002

Blickle, P.: Handbuch der Geschichte Europas, Stuttgart 2000

Cheng, A.: Histoire de la pensée chinoise, Paris 2002

Dahl, S.: Intercultural Skills for Business, London 2000

Eberhard, W: Lexikon chinesischer Symbole, München 1994

Ferber, R.: Philosophische Grundbegriffe, München 2003

Gernet, J.: Die chinesische Welt, Frankfurt am Main 1988

Granet, M.: Das chinesische Denken, München 1963

Gunde, R.: Culture and Customs of China, Westport 2002

Helferich, Ch.: Geschichte der Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart und östliches Denken, Stuttgart 2001

Hirn, W: Herausforderung China, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2006

Hoffmann, H., Schoper Y., Fitzsimons C.: Internationales Projektmanagement, München 2004

Hofstede, G.: Lokales Denken, globales Handeln, München 2011

Hu Hsiang-Fan: Das Geheimnis des Tees, Freiburg 2002

Karlgren, B.: Schrift und Sprache der Chinesen, Heidelberg 2001

Klimkeit, H.-J.: Die Seidenstraße. Kulturbrücke zwischen Morgen- und Abendland, Köln 1988

Linck, G.: Yin und Yang, München 2006

Lüsebrink, H.-J.: Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer, Stuttgart 2005

Mäding, K.: China. Kaiserreich und Moderne, Berlin 2002/2003

Russell, B.: Philosophie des Abendlandes, Zürich 2005

Seitz, K.: China – Eine Weltmacht kehrt zurück, München 2006

Spence, J.: Chinas Weg in die Moderne, Frankfurt am Main 1995

Tan, A.: Das Tuschezeichen, München 2003

Ulfig, A.: Lexikon der philosophischen Begriffe, Köln 2003

Unschuld, P.: Chinesische Medizin, München 2003

van Ess, H.: Der Konfuzianismus, München 2009

180Volpi, F.: Großes Werklexikon der Philosophie, Stuttgart 2004

Weggel, 0.: Die Asiaten, Frankfurt am Main 1997

Yong L.: Höflichkeit im Chinesischen: Geschichte, Konzepte, Handlungsmuster, München 1998

Zheng, Ch.: Die Mythen des alten China, München 1990

Nützliche Internetlinks

www.auswaertiges-amt.de

www.chinaseite.de

www.bfai.de

www.china-ahk.de

www.info-gov.hk

www.cia.gov

www.chinadaily.com

www.germancentre.org.cn

www.china-botschaft.de

www.bmz.de

11. Kapitel

Interkulturelle Kommunikation und Kultur

1.1 Interkulturelle Kommunikation

1.1.1 Einführung

Ob wir nun wollen oder nicht: Die Globalisierung schreitet weiter voran und trifft uns in allen Lebenslagen, in allen Bereichen, auf allen Märkten. Sie betrifft Wirtschaft und Politik ebenso wie Kultur und Kommunikation. Sie erstreckt sich auf die Beziehungen zwischen Individuen, Institutionen und Staaten, weltweit. Zu ihren Auslösern zählen die digitale Revolution am Ende des letzten Jahrtausends und auch politische Entscheidungen wie die Liberalisierung des Welthandels. Den Begriff der Globalisierung kennt man bereits seit den 60er Jahren als sozialwissenschaftliches Phänomen, seine wirtschaftspolitische Komponente und deren Auswirkungen lassen sich in Deutschland nun auch seit den 90er Jahren verfolgen. Der Wandel von der klassischen Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft und mit ihm die zunehmende internationale Verflechtung bedeuten Konsequenzen für nahezu alle Aspekte unseres Alltags. Eine dieser Folgen ist erhöhter Bedarf an interkultureller Kommunikation. Mit ihr werden wir uns in den nächsten Abschnitten eingehend beschäftigen.

Die entscheidenden Stichworte sind in der Überschrift gefallen: International. Kultur. Kommunikation. Kein Problem, sagen Sie. Das Familienauto stammt vom französischen Hersteller, für mediterranes 2Speisen wähle ich den Lieblingsitaliener, notfalls gibt es warme Käsebrötchen vom Fastfood-Giganten. Wie es scheint, können wir zwischen Karlsruhe und Kapstadt ein internationales Süppchen löffeln, die Globalisierung sorgt dafür, dass Unterschiede zwischen den Kulturen verwässern, gar verschwinden. Wenn nun im Zuge der Globalisierung kulturelle Unterschiede aufgelöst werden, warum sollen wir uns dann mit interkulturellen Fragen befassen? Doch was wir beobachten können, ist nicht das Verschwinden der lokalen Kultur. Vielmehr handelt es sich um eine Veränderung der Verhaltensweisen im Rahmen der Kultur.

BEISPIEL 1: In China ist die Familie die Keimzelle der Gesellschaft. Das Essen findet zum großen Teil im Familienverband statt und erfüllt eine soziale Funktion innerhalb der Familienstruktur. In den USA ist die soziale Funktion des Essens dagegen nicht kulturell verankert. Das Essen findet vielfach alleine oder nur mit der unmittelbaren Familie statt. Wenn nun die Amerikaner mit Vorliebe „chinesisch“ essen, so bezieht sich dies nur auf die Speise selber – nicht jedoch auf den Umgang mit dem Essen in seiner kulturellen Funktion. Umgekehrt kann man sonntags in Shanghai chinesische Großfamilien in der amerikanischen Fastfood-Kette beobachten. In beiden Fällen geht es also um Essen, aber um eine völlig unterschiedliche – kulturell bedingte – Interpretation des Vorgangs.

BEISPIEL 2: Eine Baustelle irgendwo in der arabischen Wüste. Der deutsche Projektleiter hat eine Lagebesprechung angesetzt, erwartet den termingetreuen Einsatz seines internationalen Teams. Der saudische Fachingenieur erscheint nicht zum vereinbarten Zeitpunkt, eine kleine Familienangelegenheit hat ihn aufgehalten. Die Erklärung liegt in den Gegensätzen kultureller Prägung: Der eine hat monatelang das Projekt vorbereitet, Ablaufpläne erstellt, Meetings abgehalten, trägt Personalverantwortung. Er will seinen Auftrag erfüllen und ordnet alles dem Geschäftlichen unter. Der andere lebt in einer familienbezogenen Kultur, in der zudem der Zeitbegriff wesentlich von dem des Abendlandes differiert. Geschäfte sind wichtig, die Arbeit auch, aber die Familie ist wichtiger. Denn nur in ihr und mit ihr ist die Existenz erfüllt. Einem Familienmitglied nicht zu helfen, wäre Sünde.

3Zwei Beispiele, die zeigen,

Interkulturelle Kommunikation (IK) vereint als interdisziplinäre Wissenschaft Experten unterschiedlicher Fachgebiete wie Soziologen, Anthropologen, Philosophen, Psychologen oder Kulturwissenschaftler. Welche weit reichenden Konsequenzen vor allem der wirtschaftswissenschaftliche – da geldwerte – Aspekt von IK haben kann, zeigen Untersuchungen über das Scheitern von Unternehmensfusionen oder Geschäftsbeziehungen wegen Nichtbeachtung interkultureller Differenzen. Gleiches gilt natürlich auch für die Bewältigung internationaler politischer Krisen, denen häufig die Unvereinbarkeit von religiösen oder ethnischen Standpunkten zugrunde liegt. Gesellschaftlich relevant ist die IK-Forschung auf dem Gebiet der Bildungspolitik, der Migration oder dem multikulturellem Zusammenleben. Die Nachfrage nach dem Einsatz von IK hat diese selbst zu einem Wirtschaftsgut gemacht, das sich in der Praxis hervorragend vermarkten lässt.

Merke:

Das Begreifen und Identifizieren anderer Denkweisen erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den Definitionen und Dimensionen von Kultur. Die unterschiedliche Bewertung von Verhaltensweisen in verschiedenen Kulturen ist Ursache für tief greifende Missverständnisse; interkulturelle Kommunikation (englisch: Cross-Cultural Communication) beschäftigt sich mit der Vermittlung zwischen diesen Kulturräumen und Werten.

41.1.2 Schlüsselbegriffe

Wenn wir uns nun vor Augen führen, dass gerade Deutschland als Exportweltmeister und in hohem Maße auch vom Import abhängige Nation der Interkulturalität Rechnung tragen muss, dann sollten auch die Ansprüche an das Personal im Top-Management entsprechend hoch sein. Allein, technisches und wirtschaftliches Know-how, guter Wille und freundliche Offenheit reichen schon lange nicht mehr aus, um erfolgreiches Zusammenarbeiten auf internationaler Ebene sicher zu stellen. Welche Fähigkeiten und Kenntnisse erwartet man also von einem „Global Player“, wenn das Stellenprofil interkulturelle Kompetenz voraussetzt?

Vor allem sollten Sie ein ganzes Bündel persönlicher Eigenschaften und Befähigungen Ihr Eigen nennen. Man erwartet von Ihnen, dass Sie bei der Zusammenarbeit mit dem anderen Kulturkreis die spezifischen Konzepte im Denken, Fühlen und Handeln wahrnehmen und diese für einen erfolgreichen Dialog umsetzen können. Erfolgreich sein bedeutet dabei ein zufrieden stellendes Ergebnis für beide Seiten zu erzielen…Win-win!

Sie sollten einen vorurteilsfreien Umgang pflegen, bereit sein, Neues dazu zu lernen und Ambivalenz tolerieren können. Sie identifizieren sprachliche Barrieren, sind sich der Ich-Bezogenheit des eigenen Kulturkreises bewusst. Sie hören aufmerksam zu, sind einfühlsam, wägen ab, harmonisieren, lösen Konflikte produktiv und kreativ auf. Sie verfügen über ein gesundes Selbstbewusstsein, denn natürlich ist auch der eigene Standpunkt zu vertreten. Sie haben langjährige Erfahrungen im internationalen oder bilateralen Umgang mit Menschen. Sie kennen eigene Stärken und Schwächen, sind emotional stabil. Sie wissen die unterschiedlichen Verhaltensweisen als eine der Interpretationsmöglichkeiten von Kultur zu deuten; Sie haben erfahren, dass Kommunizieren nicht immer gleichzusetzen ist mit Verstehen, weil Sender und Empfänger in verschiedenen Werteräumen „übersetzen“. Wie lang die Liste der Teilkompetenzen ist, die in der Summe interkulturell kompetentes Personal charakterisieren, zeigt der folgende Überblick:

5Interkulturelle Kompetenz =

Teilkompetenz

Erläuterung

Ambiguitäts-
toleranz

Fähigkeit, das Spannungsverhältnis zwischen Gegensätzen aushalten zu können, ohne handlungsunfähig zu werden. Das eigene Verhalten bleibt angemessen und effektiv auch in unstrukturierten Situationen

Dissens-
bewusstsein

Voreiliger Konsens wirkt langfristig negativ, da er kulturelle Unterschiede nur verdeckt, nicht aber beseitigt. Unterschiedliche Positionen sind notwendig, um eine Akzeptanz aller Beteiligten herbeizuführen

Empathie

Fähigkeit, sich in verschiedene Rollen oder Standpunkte hineinzudenken; Perspektivwechsel vornehmen können; in Konsequenz besseres Verständnis für Motive anderer Verhaltensweisen

Flexibilität

Bereitschaft, Neues zu lernen und eigene Denkschemata zu hinterfragen; die Fähigkeit, sich auf ungewohnte Situationen schnell einzustellen

Fremdsprachen

Da sich Sprache und Kultur gegenseitig bedingen, trägt die Kenntnis der jeweiligen Fremdsprache wesentlich zum Verständnis der Kultur bei

Kommunikations-
fähigkeit

Fähigkeit, aktiv auf andere zuzugehen statt sich zurückzuziehen; Netzwerke aufbauen und pflegen können

Kommunikations-
steuerung

Fähigkeit, eine Mittler- oder Moderatorfunktion ausüben zu können. Feedback geben, unterschiedliche Beiträge zusammenfassen

Kulturwissen

Elementar! Daher ist dieser Kompetenz das ganze Kapitel 4 gewidmet (Die Kultur Chinas)

Unvoreingenom-
menheit

Fähigkeit, sich gegenüber einer fremden Kultur aufgeschlossen und konzentriert zu zeigen; Neugier; Bereitschaft, eine interkulturelle Situation als Lernbeispiel, nicht als Bedrohung zu empfinden

6 Polyzentrismus

Fähigkeit, die Existenz und Eigenständigkeit anderer Kulturen anzuerkennen; eigene kulturelle Handlungsmuster nicht als den „Nabel der Welt“ ansehen

Synergie-
bewusstsein

Bereitschaft, Neues zuzulassen, kein krampfhaftes Festhalten an bestehenden Strukturen

Toleranz

Eng verknüpft mit Empathie: Fähigkeit, Perspektivwechsel vorzunehmen

Zielorientierung

Fähigkeit, auch unter problematischen Bedingungen zielstrebig auf das Erreichen der gesteckten Aufgabe hinarbeiten; die Hoffnung auf Erfolg übersteigt die Furcht vor Misserfolg

1.1.3 Kommunikations- und Erfahrungsprozess

Bei näherer Betrachtung der aufgeführten Kompetenzen wird deutlich, dass allein das Wissen um Verhaltensweisen und Denkmuster sowie die Sensibilität und das Verständnis ihnen gegenüber nicht ausreichen: Interkulturalität vereint darüber hinaus Selbstvertrauen und die Fähigkeit, den eigenen Standpunkt transparent vermitteln zu können, verstanden und respektiert zu werden. Es geht somit um ein Ausloten größtmöglicher Toleranzräume. Es ist notwendig, die Souveränität der ausländischen Partner anzuerkennen und zu respektieren, in der Lage zu sein, Unvereinbarkeiten zu erkennen und anzusprechen, seine eigene Position zu erklären und die fremde zu verstehen.

Bei der Thematisierung kultureller Unterschiede als Konfliktpotenzial wird häufig vergessen, dass diese auch erhebliche Chancen beinhalten können. So eröffnet interkulturelle Zusammenarbeit die Möglichkeit, neue Arbeits- und Organisationsformen, Vorgehens- und Sichtweisen sowie neues Know-how in ein Unternehmen zu bringen: Ein eindeutiger Wettbewerbsvorteil für diejenigen, die diese Synergien zu schätzen und einzusetzen wissen.

7Das Ausschöpfen interkultureller Synergien setzt die Bereitschaft zum Erkennen und konstruktiven Verknüpfen der kulturspezifischen Stärken der einzelnen Mitarbeiter voraus. Die bloße Suche nach kulturellen Gemeinsamkeiten im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners und ein Verdrängen der Unterschiede erweist sich als ebenso falsch wie ausschließliches Fixieren auf die Unterschiede. Vielmehr sind Organisation, Aufgaben, Prozesse und Führung gezielt so zu gestalten, dass möglichst viele Mitarbeiter ihre Stärken einbringen können, ohne ihre kulturelle Identität zu verlieren.

1.2 Kultur

1.2.1 Einführung

Die kleinen Beispiele aus unserer Erläuterung zum Thema „Interkulturelle Kommunikation“ machen die Vielschichtigkeit von Kultur deutlich: So sind äußerlich beobachtbare Verhaltensweisen offenbar nur eine Interpretation der darunter liegenden Werte und Normen. Was also ist Kultur?

Ein weiter, vielschichtiger Begriff, dessen Definitionen je nach Blickwinkel und Interpretation des Betrachters divergieren können. In der Kulturwissenschaft wird „Kultur“ seit langem nicht mehr nur mit Tradition, Geisteskultur und Bildung gleichgesetzt, sondern auf die Praxis menschlichen Denkens und Handelns nach bestimmten Regeln erweitert. Kultur drückt somit die Gesamtheit der Gewohnheiten einer Gruppe oder Gesellschaft aus und definiert mit diesen Merkmalen gleichzeitig die Unterscheidung zu anderen Gruppen.

Geert Hofstede,1 der das Phänomen Kultur im Umfeld von interkultureller Kommunikation erforscht hat, argumentiert wie folgt:

„Kultur kann als die kollektive Programmierung des Geistes, welche die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet, interpretiert werden und im Rahmen der Sozialisation bewusst oder unbewusst von jeder Generation neu erlernt und verinnerlicht werden. Kultur ist ein Orientierungssystem, welches innerhalb einer Gruppe eine reibungslose und 8effektive Interaktion, Kommunikation und Kooperation erlaubt. Neben dieser orientierenden, Sinn gebenden und Identität stiftenden Funktion grenzt Kultur die Mitglieder einer Gruppe zugleich von anderen sozialen Gruppen ab.“

Kollektive Programmierung des Geistes? Ein Blick auf Hofstedes Pyramide (Abbildung 1) verdeutlicht diese Ausführungen.

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Abb. 1: Kultur und interkulturelle Kommunikation

Ebene 1:

Die „menschliche Natur“ als unterste Ebene umfasst all das, was allen Menschen gemeinsam und damit universell ist. Neben der physischen gehört dazu auch in Ansätzen die psychische Funktionsweise wie beispielsweise die Fähigkeit, Gefühle zu empfinden. Wie jeder Mensch mit diesen Gefühlen umgeht und wie er sie ausdrückt, wird jedoch durch die Kultur bestimmt und ist im Gegensatz zur menschlichen Natur nicht angeboren sondern erlernt.

Ebene 2:

Stufe 2, der Übergang von der menschlichen Natur zur Kultur, stellt die gruppen- oder kategorienspezifische Ebene der mentalen Programmierung dar und ist von der menschlichen Natur einerseits und von der Persönlichkeit eines Menschen zu unterscheiden.

Ebene 3:

Die Persönlichkeit eines Individuums ist demgegenüber seine einzigartige – persönliche – Kombination mentaler Programme, die es 9mit keinem anderen Individuum teilt und die teilweise angeboren, teilweise erlernt ist.

Blickt man nun aus seiner eigenen mentalen Programmierung auf eine fremde Kultur, dann lässt sich diese Wahrnehmung gut mit dem Eisbergmodell (Abbildung 2) beschreiben: Das, was für uns sichtbar, verständlich und zugänglich ist, umfasst nur einen kleinen Teil des Gesamtwerks. Hierbei handelt es sich überwiegend um Äußerungen der anderen Kultur wie Symbole oder Rituale. Symbole sind direkt wahrnehmbare Objekte einer Kultur wie zum Beispiel Sprache, Nahrungsmittel oder Kunst. Rituale sind ebenfalls wahrnehmbare, kollektive Tätigkeiten, die in einem Kulturkreis oft nur um ihrer selbst willen ausgeübt werden und deren Nutzen und Funktion für Außenstehende nicht immer offensichtlich sind: Was dies mit Bezug auf die chinesische Kultur bedeutet, wird ausführlich in Kapitel 5 erläutert.

Im unsichtbaren Teil des Eisbergs verbergen sich dagegen die Werte und Normen, die das menschliche Denken und Handeln in einer Kultur bestimmen und die ihrerseits auf Grundannahmen basieren. Werte reflektieren die – auch gefühlsgeprägten – Auffassungen einer Kultur und machen positive oder negative Aussagen. Sie beschreiben die Ziele, die eine Gesellschaft für erstrebenswert oder wünschenswert erachtet, und sie vermitteln uns, was wir tun sollten. Werte sind innerhalb einer kulturellen Gruppe relativ konstant und wir bemerken sie kaum: Wir haben gelernt, mit ihnen umzugehen, ohne sie vielleicht zu hinterfragen ... „weil es einfach so ist“. Wir beurteilen auch andere Menschen anhand dieser Werte und interpretieren ihr Verhalten als Ausdruck der darunter liegenden Werte. Dagegen sagen Normen aus, wie wir uns in konkreten Situationen zu verhalten haben. Normen stellen Verhaltensregeln dar, die die Durchführung der Werte im Alltag garantieren. Wir unterscheiden explizite Normen wie Rauchverbot oder Verkehrsvorschriften und implizite Normen, die nicht formalisiert oder schriftlich fixiert sind, so zum Beispiel Kleidervorschriften. Derjenige, der gegen die Normen verstößt, wird von der Gesellschaft darauf aufmerksam gemacht. Die Bedeutung vieler Werte, Normen und Institutionen lässt aus den fundamentalen Antworten einer Kultur auf die elementaren Überlebensfragen herleiten.

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Abb. 2: Eisbergmodell

Das Ziel interkultureller Verständigung sollte es nun also sein, nicht mit dem Eisberg zu kollidieren, sondern Gemeinsamkeiten und Unterschiede so in Begriffe fassen zu können, dass wir auf die Begegnung mit anderen Kulturen besser vorbereitet sind. Ein Hilfsmittel, dessen wir uns dabei bedienen können, sind die so genannten Kulturdimensionen nach Geert Hofstede. Sie wurden entwickelt, um Parameter für die Vergleichbarkeit zwischen Kulturen und Gesellschaften formulieren zu können. Sie geben darüber hinaus wertvolle Hinweise auf den Zusammenhang von nationalen Kulturen und ihren spezifischen Verhaltensweisen in Business und Unternehmensstrukturen. Kulturdimensionen stellen somit ein Referenzsystem für das komplexe Phänomen Kultur dar. Sie ermöglichen, die eigene Kultur auf Grund des Vergleichs mit anderen Kulturen bewusst zu reflektieren und damit die Gebundenheit des Denkens und Verhaltens an die eigene Kultur sowie die Relativität des eigenen kulturellen Rahmens zu erkennen.

111.2.2 Kulturdimensionen

Hofstede interpretiert fünf große Dimensionen in seiner Forschung:

Kultur- dimensionen

Kriterium

Beschreibung

Machtdistanz

Sie beschreibt, wie groß die Bereitschaft einer Gesellschaft ist, ungleiche Machtverteilung hinzunehmen bzw. zu erwarten; welchen Respekt hat diese Kultur vor ihren Autoritäten?

Individualismus vs. Kollektivismus

Diese Dimension misst den Integrationsgrad von Individuen in Gruppen: in individualistischen Gesellschaften sind die Bindungen zwischen Individuen locker: „Jeder sorgt für sich selbst“. In kollektivistischen Gesellschaften sind Menschen in starke, geschlossene Wir-Gruppen eingebunden; die Gruppe schützt und erwartet dafür Loyalität.

Femininität vs. Maskulinität

In maskulinen Gesellschaften sind die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt. Männer bestimmen, sind materiell orientiert; Frauen sollen bescheidener sein, den Wert auf die Lebensqualität legen. In femininen Gesellschaften überschneiden sich die Rollen der Geschlechter; sowohl Männer als auch Frauen sollen bescheiden, feinfühlig sein. Gleichstellung wird thematisiert.

Unsicherheits-
vermeidung vs. Risikobereitschaft

Wie hoch ist die Bereitschaft einer Gesellschaft, Risiken einzugehen oder ohne Sicherheit zu leben? Wie groß ist das Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit? Nach geschriebenen und ungeschriebenen Regeln?

Lang- oder kurzfristige Orientierung

Wie groß ist der Planungshorizont einer Gesellschaft?

Vielleicht haben Sie beim Lesen schon gegrübelt, welches der Kriterien für Sie persönlich oder Ihr Umfeld zutrifft? Und in welcher Ausprägung? Welche Dimensionen sind Deutschland, welche eindeutig China zuzuordnen?

12Sind die Überschneidungen zweier Kulturen in den aufgeführten Dimensionen eher gering, ist das Fremdheitserleben umso ausgeprägter. Bei leichter Ausprägung können Neugier- und Annäherungsverhalten entstehen, bei starker Ausprägung Angst, Verunsicherung und Ablehnung. Natürlich zeigen nicht alle Mitglieder einer Kultur alle identischen Ausprägungen der jeweiligen Dimension. Es gibt ihn nicht, den Chinesen! Oder den Deutschen!

Was die Ausprägungen der Kulturdimensionen im Einzelnen aussagen können, das wollen wir mit dem folgenden Überblick an dreien von ihnen erörtern:

BEISPIEL 1: Machtdistanz. Wie äußert große Machtdistanz einer Kultur in den allgemeinen Normen, oder konkret in der Familie, am Arbeitsplatz oder in den Staatsstrukturen?

Wie äußert sich geringe Machtdistanz?

BEISPIEL 2: Individualismus vs. Kollektivismus Ob eine Kultur kollektivistische oder individualistische Züge trägt, ob sich also ihre Mitglieder stark an der sozialen Gruppe orientieren, der sie angehören, oder ob die Betonung auf dem Individuum und seinen Bedürfnissen liegt, lässt sich an den folgenden Kriterien feststellen:

BEISPIEL 3: Lang- vs. Kurzfristige Orientierung

15Vielleicht machen Sie sich selbst ein Bild und versuchen anhand der oben geschilderten Kriterien die deutsche und chinesische Kultur an die entsprechende Stelle in das Raster einzubinden? Bei den Dimensionen Langzeitorientierung und Kollektivismus ist die Antwort sicher eindeutig!

1.3 Kommunikationsebenen

Wie lässt sich nun das Wissen über kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Kulturdimensionen-Modells konkret in Situationen interkultureller Interaktion umsetzen? Da jedes Verhalten zwischen Menschen kommunikativen Charakter hat, stellt sich die Frage nach adäquaten Kommunikationsverhalten zwischen den Kulturen.

Kommunikationsprozesse vollziehen sich nicht nur im Sinne des Informationsaustauschs. Vielmehr bieten sie die Grundlage für zwischenmenschliche Beziehungen. Das Besondere einer Kultur, also das, was eine Kultur charakterisiert und was sie von anderen unterscheidet, ist im Wesentlichen ein Produkt von Kommunikationsprozessen. Wir definieren Kommunikation als einen hochkomplexen Prozess, bei dem ein Sender eine Botschaft in einem bestimmten Code verschlüsselt und sie über einen Kommunikationskanal sendet, um einen Empfänger zu erreichen, der sie entschlüsselt und bei dem sie eine Wirkung erzeugt. Kommunikation ist folglich nur dann effektiv, wenn die Prozesse der Umwandlung der Botschaft auf Sender- und Empfängerebene kompatibel sind. Nur so erreicht den Empfänger die Botschaft, die der Sender übermitteln wollte. Stammen Sender und Empfänger aus unterschiedlichen Kulturen, handelt es sich um interkulturelle Kommunikation. Da Codes erlernt und damit kulturspezifisch sind, ist das Codieren und Decodieren im interkulturellen Austausch erschwert. Abbildung 3 stellt vereinfacht die drei Kommunikationsebenen dar, in denen Informationsaustausch stattfindet.

16img

Abb. 3: Kommunikationsebenen

Verbal – nonverbal?

Es wird so viel geredet ... und dennoch: Kommunikation findet größtenteils auf nonverbaler und paraverbaler (Tonfall und Lautstärke) Ebene statt, d. h. die Wirkung einer Botschaft beruht überwiegend auf Körpersprache und Mimik, danach auf der Art und Weise, wie die Worte gesprochen werden. Addieren Sie nun noch kulturspezifische Besonderheiten eines aus unserer Sicht sehr fremden Kulturkreises hinzu, können Sie sich vorstellen, wie komplex der Kommunikationsprozess abläuft, wie fein die Nuancen zwischen Verständnis und Befremden sind.

Im Falle Chinas kommt hinzu, dass die chinesische Sprache und Schrift eine völlig andere Struktur aufweisen. Genauso wie das einzelne Wort oder Symbol, so ist auch der einzelne Mensch in der chinesischen Gesellschaft für sich allein genommen nichts: Erst im Kontext seiner Beziehungen und Bindungen, seiner Familie oder seines Arbeitsumfeldes erlangt er seine Wertigkeit. Diese Betonung des Personenfokus im Gegensatz zum Sachfokus des westlichen Individualismus durchzieht den chinesischen Kommunikationsstil wie ein roter Faden. Abbildung 4 listet diverse Kriterien im Kommunikationsprozess auf und zeigt, wie unterschiedlich 17diese auf deutscher und chinesischer Seite interpretiert werden.

Deutschland

China

Kulturelle Dimension

Individualismus; Schuldkultur: man ist seinem Gewissen verpflichtet

Kollektivismus; Schamkultur: man ist seinem Gesicht verpflichtet

Mittelpunkt der Kommunikation

Die Sache: das Projekt oder der Auftrag, Problem, Produkt etc.

Die Person (Kunde, Lieferant, Mitarbeiter) und die Beziehungen

Gesprächsziel

Sache oder Problem klären! Ansporn zu Leistung; Konflikt offen austragen

Beziehung aufbauen (Vertrauen und Wohlwollen), stabilisieren und vertiefen; Harmonie und Diplomatie

Sprache

Direkt, offen, sachbezogen

Höflichkeitsfloskeln, indirekt, ritualisiert

Gestik, Mimik

Vitalität, Offenheit; Individualität; man verleiht den Gefühlen Ausdruck, lacht, gestikuliert; Ausdrucksschwaches Verhalten wird als Hemmung interpretiert

Gestik und Mimik werden sparsam eingesetzt; hohes Maß an Selbstkontrolle und -beherrschung; Ausdrucksstarkes Verhalten gilt als unreif oder aggressiv

Blickkontakt

Direkter Blickkontakt schafft Vertrauen

Indirekt; Blickkontakt generiert Unsicherheit

Tonfall und Lautstärke

Starke Betonung des Sprechenden verleiht Autorität und Überzeugungskraft; offenes Feedback durch Zuhörer

Gesprächs-
regulierung

Rasche Wortwechsel

Häufig längere Pausen

Kommuni-
kationsstil

Expressiv, dynamisch

Verhalten, abwartend