Der SM-Club

Lisa Cohen

Alex sah sich kritisch in ihrem begehbaren Kleiderschrank um. Sie besaß genug Klamotten. Coole, stylishe Sachen, aber auch easy going Jeans und Co. und auch jede Menge Elegantes war dabei. Aber um in einen S/M-Club zu gehen, dazu war ihr Sortiment nicht exotisch genug. Unschlüssig nahm sie den blauen Latexanzug in die Hand. Eines ihrer Lieblings-Stücke. Den hatte sie nach einem ihrer Model-Aufträge mitnehmen dürfen. Aber irgendwie erschien ihr das Teil nicht düster genug. Er war zu fröhlich, um sich darin an einem solch dunklen Ort herumzutreiben.

Eigentlich war diese ganze „dunkle Lust Ge­schichte“ irgendwie albern. Die Leute, die zu einem solchen Event eingeladen wurden, kamen sich irgendwie zu cool vor. Zu wichtig sogar. Zu besonders. Denn nicht jeder konnte einfach so in solch einen Club hineinmarschieren. Das ging nicht ohne Einladung oder Empfehlung. Was das auch immer hieß: Empfehlung. Genauso verhielt es sich mit diesen Darkroom Partys. Den privaten und auch den halb professionellen. Da durfte noch lange nicht jeder hin, um sich die dunkle Seite der Lust anzusehen oder daran teilzunehmen.

Alex probierte gern alles aus, fand sogar ab und zu Gefallen an bisexuellen oder lesbischen Spielchen. Sie mochte den Geruch von Fetisch-Klamotten. Das Material überhaupt. Aber auch wenn sie gerne mal dominant war und es auch ruhig mal etwas härter gebrauchen konnte, war sie niemals in irgendeiner Form in den Bereich S/M vorgedrungen.

Konnte sie sich das überhaupt vorstellen? Alex dachte nach. Sie war grundsätzlich offen für alles – fast alles. Einer ihrer Lover hatte sie mal mit diesen Plüsch-Handschellen ans Bett gefesselt. Sie war geil geworden, weil sie ausgeliefert gewesen war, und konnte sich noch daran erinnern; sie war ziemlich gut gekommen, aber diese Erfahrung würde sie nicht unbedingt unter S/M-Sex vermerken.

Irene war eine alte Häsin auf diesem Gebiet. Sie lief in ihrer Freizeit immer nur in dunklem Leder herum und machte keinen Hehl aus ihrer Sado-Maso-Neigung. Irene arbeitete an zwei Tagen in der Woche im selben Lokal wie Alex und so hatten sie sich kennengelernt. Und nun durfte Alex sich geehrt fühlen, dass sie von Irene in diesen Kreis eingeladen worden war. Sie hatte die Einladung angenommen, denn Alex war offen für alles, erst einmal, und ein wenig Erfahrung auf der dunklen Seite der Lust konnte nicht schaden.

Alex entschied sich schließlich für ihre Lackschuhe mit den hohen Absätzen, fand die schwarze Latexkorsage mit passendem Slip wieder, zog dazu schwarze Netzstrümpfe an und hoffte, man würde sie so in den Club hineinlassen. Irene musterte sie kritisch. „Na, wird wohl irgendwie gehen …“ Sie selbst sah sehr professionell aus. Schon ihre Kleidung ließ keinen Zweifel daran, was sie sich für den Abend vorstellte.

Der Doorman musterte Alex abschätzend und sie hatte größte Lust wieder umzukehren. Doch schließlich überzeugte ihn Irene, dass es Alex’ erster Abend sei in diesem Club und ihre Freundin deshalb optisch noch nicht so versiert mit dem Ganzen. Alex lächelte spöttisch; wie gut, dass sie sich nichts auf ihre sexuellen Vorlieben einbilden musste.

Der Club war dunkel und düster – und die anwesenden Gäste natürlich auch. Überall wurde gefummelt und geknutscht und sich hemmungslos nähergekommen. Irene wurde gleich von jemanden an Land gezogen, der noch düsterer war als sie selbst, und Alex stand alleine da. Sie holte sich eine Bloody Mary, passt irgendwie zum Ambiente, musste sie grinsen und setzte sich in Sichtweite der Tanzfläche. Sie hatte kaum den ersten Schluck ihres Cocktails getrunken, als sich jemand neben sie schob. Der Mann trug einen hautengen Latexanzug, der sein offensichtlich ausgeprägtes Geschlecht erregend in Szene setzte, und eine Augenmaske. Viele trugen hier diese Augenmasken, das war auffällig. Natürlich, das machte alles spannender, wenn man nicht erkennen konnte, mit wem man es treiben würde. Alex hatte viel erlebt auf sexuellem Gebiet und war nicht mehr so leicht zu beeindrucken, aber dieser Typ neben ihr machte sie unsicher.