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Die Stunde der Wahrheit

Roman von Patricia Vandenberg

Der verwitwete Geschäftsmann Frank Leonhard verständigt Dr. Norden, da seine treue »Perle«, Carsta Sommer, bewußtlos geworden ist. Später vertraut sie Daniel Norden ihre tragische Lebensgeschichte an. Vor einigen Jahren hatte ihr Mann einen schweren Autounfall verursacht, bei dem er selbst und ein weiterer Fahrer ums Leben gekommen waren. Herbert, der Sohn des Unfallopfers, war der damalige Freund von Carstas Tochter Franzi. Nun drücken die Haushälterin nicht nur hohe Schulden bei der Versicherung, sondern auch Ängste vor Herbert, der den Sommers einen haßerfüllten Brief geschrieben hatte. Um Frau Sommer und ihrer Tochter alle Sorgen zu nehmen, bietet Frank Leonhard eine Vernunftehe mit Franzi an, stellt aber einige harte Bedingungen…

Drei Hausbesuche hatte Dr. Norden an diesem Nachmittag schon hinter sich gebracht. Und weil es Helma Lanz, die an einer schwerzen Bronchitis litt, immer noch nicht besserging, konnte er sich nicht sofort auf den nächsten Patienten konzentrieren.

Er mochte Helma Lanz, weil sie eine so tüchtige Frau und eine so liebevolle Mutter war. Ernsthaft krank war sie eigentlich nie gewesen, und ihm wollte es nicht in den Sinn, daß sie auf keines der guten und erprobten Medikamente ansprach. Sollte ihr schlechter Zustand gar seelisch bedingt sein? Er mußte sich für den nächsten Besuch unbedingt mehr Zeit für sie nehmen, das war für ihn bereits beschlossen, aber jetzt mußte er zu Carsta Sommer fahren. Loni hatte es ihm aufgeschrieben, daß Herr Leonhard selbst angerufen und um seinen dringenden Besuch gebeten hatte.

Carsta Sommer führte dem Unternehmer Frank Leonhard den Haushalt, nachdem dessen junge Frau Laura vor achtzehn Monaten gestorben war. So manche Gerüchte kursierten um den Tod dieser jungen schönen Frau und waren auch Dr. Norden zugetragen worden, aber er war einer der wenigen, die in etwa wußten, woran Laura gestorben war. Und er bewahrte Schweigen darüber.

Er sah in Frank Leonhard auch nicht den eiskalten Geschäftsmann, als den man ihn bezeichnete. Er wußte, welchen Kummer dieser Mann mit sich herumtrug. Er war froh gewesen, daß Frau Sommer sich bereitgefunden hatte, für den früh verwitweten Mann mütterlich zu sorgen.

Beiden war damit geholfen. Frank Leonhard, weil er eine Haushälterin hatte, der er voll vertrauen konnte, Frau Sommer, weil sie sich um ihren Lebensunterhalt keine Sorgen mehr zu machen brauchte, und ihre Tochter Franziska nun doch studieren konnte.

Dr. Daniel Norden war früher oft in diesem schönen Haus, vor dem er jetzt hielt, ein und aus gegangen, damals, als Laura noch lebte. Nun aber kam er wegen Carsta Sommer, die bisher nur zweimal ärztliche Hilfe gebraucht hatte, seit er sie kannte. Einmal hatte er ihr einen Rosendorn aus der Hand entfernen müssen, und das andere Mal hatte sie sich den Arm am Backofen verbrannt. Aber sie war keine wehleidige Frau, und wenn Frank Leonhard dringend um seinen Besuch bat, mußte ein zwingender Grund vorliegen. Und der lag wahrhaftig vor.

Dr. Norden wurde von Frank Leonhard so niedergeschlagen empfangen, als handele es sich bei Frau Sommer um den nächsten Angehörigen.

»Frau Sommer – ich fand sie bewußtlos«, sagte er stockend. »Es ist gut, daß Sie so bald kommen. Sie ist zwar zu sich gekommen, aber sie ist sehr schwach.« Tiefe Besorgnis sprach aus seiner Stimme.

Er geleitete Dr. Norden die Treppe hinauf, die mit einem weichen Teppichläufer belegt war und die Schritte der Männer verschluckte.

Frau Sommer hatte in diesem großzügig angelegten Haus, das einen sehr individuellen Geschmack verriet, ihr eigenes Reich, eine sehr hübsch eingerichtete Dreizimmerwohnung, die verriet, daß sie von Frank Leonhard nicht etwa als Dienstbotin betrachtet wurde, wie ihr seinerzeit warnende Stimmen hatten einflüstern wollen.

Carsta Sommer war eine gebildete Frau, die unverschuldet in Not geraten war. Ihre Lebensgeschichte sollte Dr. Norden jedoch erst an diesem Tag erfahren.

Er hatte festgestellt, daß sie einen Kreislaufzusammenbruch erlitten hatte, hervorgerufen durch einen viel zu niedrigen Blutdruck. Frank Leonhard hatte ihn mit der Patientin allein gelassen, Dr. Norden aber gebeten, ihm später genau Bericht zu erstatten.

Er wollte indessen Frau Sommers Tochter Franziska benachrichtigen, die in Erlangen studierte.

Frau Sommer hatte ihn darum gebeten. Anscheinend stand sie Todesängste aus. Dr. Norden wußte, daß ein solcher Zusammenbruch diese oft zur Folge hatte, besonders bei Menschen, die nie ernsthaft krank gewesen waren.

Gewiß durfte man diesen Zustand nicht leichtnehmen, aber Frau Sommer war zu helfen. Er gab ihr eine Injektion, die sie belebte. Ihr schmales, feines, zuerst wachsbleiches Gesicht bekam etwas Farbe, aber ihr Blick hing mit bangem Ausdruck an Dr. Nordens Gesicht.

»Ich weiß nicht, wie das passieren konnte«, flüsterte sie. »Ich kann Herrn Leonhard doch nicht im Stich lassen. Er ist so gut zu mir.«

»Nur nicht aufregen, Frau Sommer, Herr Leonhard sorgt sich jetzt um Sie. Aber Sie kommen schon wieder auf die Beine. Wann haben Sie denn das letzte Mal Urlaub gemacht?«

»Es ist lange her«, flüsterte sie, »aber darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Ich habe es gut hier. Franzi kann studieren, und wer soll denn für Herrn Leonhard sorgen? Ich brauche mich nicht zu überarbeiten, das ist bestimmt nicht der Grund.«

Der Grund war anderswo zu suchen. Dr.Daniel Norden hatte das bald herausgefunden. Bei Frau Sommer setzten die Wechseljahre ein. Immerhin war sie erst vierundvierzig Jahre alt. Er mußte ihr einige Fragen stellen, und er spürte, daß sie von diesen in Verlegenheit gebracht wurde.

Aber er erfuhr ihre Geschichte. Stockend begann sie zu erzählen. Ihre Ehe war nicht glücklich gewesen. Ihr Mann, ein ehrgeiziger Beamter, war nicht so schnell befördert worden, wie er gehofft hatte.

»Franz fühlte sich immer benachteiligt«, sagte sie leise. »Er suchte die Schuld stets bei anderen, nie bei sich selbst. Er machte sich und auch uns das Leben schwer. Dann legte er sich auch noch mit seinem Vorgesetzten an. Er begann zu trinken.«

Sie machte eine kleine Pause. »Ich möchte nicht, daß Herr Leonhard das erfährt«, fuhr sie stockend fort. »Es war schlimm genug. Aber jetzt wird es wohl doch aufkommen«, schluchzte sie auf.

Beruhigend streichelte Dr. Norden ihre schmale Hand. »Warum denn, Frau Sommer?« fragte er, schon ahnend, daß nicht allein ihr niedriger Blutdruck an diesem Zusammenbruch schuld war.

»Mein Mann verursachte vor vier Jahren in betrunkenem Zustand einen schweren Autounfall, bei dem er selbst ums Leben kam«, flüsterte Carsta Sommer mit erstickter Stimme. »Der Fahrer des anderen Wagens, der bei dem Unfall auch getötet wurde, war zufällig der Vater eines jungen Mannes, der sich sehr für Franzi interessierte. Sie hatte ihn wohl auch recht gern, aber dieser schreckliche Unfall richtete eine Mauer zwischen ihnen auf. Nun las ich heute morgen in der Zeitung, daß auch Herbert Hofmeisters Mutter gestorben ist. Es hat alles wieder aufgerührt.« Sie versuchte, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen, als sie fortfuhr: »Wenn ich sterbe, steht Franzi allein auf der Welt. Solche Gedanken mußten mir doch kommen.«

»Sie werden nicht sterben, Frau Sommer«, sagte Dr. Norden beruhigend. »Sie werden sich erholen, und an diesem früheren Geschehen trifft Sie doch keine Schuld.«

»Ich brauche meinen Verdienst, Herr Dr. Norden«, sagte sie gequält. »Mein Mann hat nicht nur getrunken, er hat auch gespielt und riesige Schulden hinterlassen, die ich noch immer abbezahlen muß. Franzi darf das nicht erfahren. Sie würde ihr Studium sofort aufgeben, und sie ist doch so begabt. Noch drei Semester, dann ist sie fertig, und das ist doch für ein dreiundzwanzigjähriges Mädchen eine große Leistung. Sie darf nicht erfahren, daß ihr Vater ein so schreckliches Erbe hinterlassen hat. Es war furchtbar genug für sie, daß durch seine Schuld Herr Hofmeister sterben mußte.«

»Und warum meinen Sie, daß jetzt alles herauskommen wird?«

Sie legte ihre Hände vor das wieder sehr blasse Gesicht.

»Herbert Hofmeister hat in Erfahrung gebracht, wo ich jetzt lebe. Er hat mir vor einigen Tagen geschrieben. Er ist voller Haß auf uns. Seine Mutter mußte sterben, und ich dürfte leben, schrieb er. Mein Mann hätte seinen Vater getötet, und seine Mutter hätte das niemals verwunden. Franzi dürfe studieren, während er für seine jüngere Schwester sorgen müsse. Uns würde es gutgehen, während sie mit einer lächerlichen Versicherungssumme abgespeist worden wären.«

Nun war ihre Stimme immer leiser geworden. Die Augen fielen ihr zu, und das war gut so, meinte Dr. Norden. Sie wollte schlafen und sich nicht zerquälen. Er blieb noch an ihrem Bett sitzen.

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Frank Leonhard hatte indessen die Nummer gewählt, unter der Franziska Sommer zu erreichen war. Sie wohnte in einem Studentenwohnheim.

Eine junge männliche Stimme hatte sich gemeldet. Frank sagte, daß er Fräulein Sommer dringend sprechen müsse.

»Ich schaue mal nach, ob Franzi schon da ist«, erwiderte der unbekannte junge Mann.

Wenig später meldete sich Franzi mit erregter Stimme, die dennoch melodisch an Frank Leonhards Ohr tönte.

Mehrmals hatte Franzi ihre Mutter in seinem Hause besucht, und es war auch zu kurzen, flüchtigen Begegnungen zwischen ihnen gekommen.

Frank war Franzi also kein ganz Fremder. Schonend brachte er ihr bei, daß ihre Mutter erkrankt sei und es gut wäre, wenn sie am Wochenende kommen könnte.

Frank spürte, wie Franzi den Atem anhielt, er spürte sogar, daß sie mit Tränen kämpfte und das rührte ihn. Er wußte, wie innig sich Mutter und Tochter liebten, und er wußte über Carsta Sommer mehr, als diese ahnte.

»Ja, ich komme«, erwiderte Franzi. »Vielen Dank für den Anruf, Herr Leonhard. Ich komme schon heute abend. Ist es sehr schlimm?«

»Dr. Norden ist bei Ihrer Mutter. Es wird ihr bald wieder bessergehen«, sagte er. Aber sonst wußte er nichts zu sagen.

»Was ist denn los, Franzi?« fragte Robert Kayser, jener junge Mann, der zuerst am Telefon gewesen war, als Franzi, mühsam gegen Tränen ankämpfend, denTelefonhörer auflegte.

»Mutti ist krank«, erwiderte Franzi bebend. »Ich muß heute noch nach München fahren. Würdest du bitte mal bei der Auskunft anrufen, wann der nächste Zug geht, Bobby?«

Alle nannten ihn Bobby. Er war sehr beliebt und stets hilfsbereit. Etwas kleiner als Franzi, die sehr schlank und hochgewachsen war, lehnte er an der Wand, schon ein bißchen behäbig und wahrhaftig nicht attraktiv zu nennen. Bei den Mädchen hatte er kein Glück, und wenn sich mal eine an ihn hängte, dann nur, weil er immer eine wohlgefüllte Brieftasche hatte. Franzi gehörte nicht zu jenen, sie mochte ihn, weil er ein wahrhaft guter Freund war.

»Ich bringe dich nach München«, sagte er rauh. »Ein Besuch bei meinen alten Herrschaften ist sowieso fällig. Wir können gleich starten, Franzi.«

»Du bist so lieb, Bobby«, sagte sie leise. »Das kann ich nicht annehmen.«

»Natürlich kannst du es annehmen. Ich bin froh, wenn ich nicht allein fahren muß. Ich hatte ohnehin vor, das Wochenende bei meinen Eltern zu verbringen.«

Sie wußte, daß dem nicht so war. Robert stand mit seinen Eltern auf Kriegsfuß, weil er lieber Jura statt Medizin studierte, denn sein Vater war Arzt und hatte eine blendend gehende Praxis als Internist, die sein ältester Sohn übernehmen sollte. So jedenfalls hatte es der Vater gedacht.

Aber Bobby hatte eine Abneigung gegen den Arztberuf und gegen Kranke überhaupt. Außerdem, so meinte er, würde sein jüngerer Bruder Paul ohnehin Medizin studieren und dann würde es nur Konflikte geben, wer die Praxis übernehmen solle. Er jedenfalls wollte Rechtsanwalt werden.

Er war nicht aus der Ruhe zu bringen, und so überzeugte er Franzi auch sehr schnell, daß es tatsächlich seine Absicht gewesen sei, nach München zu fahren.

»Ich erkläre dir unterwegs den eigentlichen Grund«, sagte er. »Überleg nicht lange. Wir können noch vor der Dunkelheit dort sein.«

Schnell packte Franzi ein paar Sachen in ihre Reisetasche. Wenig später saß sie schon neben Bobby in seinem alten Wagen, der aber nur äußerlich klapprig wirkte, dabei aber sehr gut inSchuß war.

»Willst du mir wirklich nicht nur einen Gefallen tun, Bobby?« fragte sie.

»Keineswegs. Ich habe heute die Nachricht bekommen, daß Liesis Mutter gestorben ist. Ein nettes Mädchen, das ein bißchen seelische Unterstützung braucht.«

»Und Bobby ist immer zur Stelle, wenn es um seelisch Bedrängte geht«, sagte Franzi leise.

»Wäre das Leben sonst sinnvoll?« fragte er. »Ich vertrete halt den Standpunkt, daß man mit seelischer Unterstützung mehr helfen kann, als ein Arzt mit dem Verschreiben von irgendwelchen Medikamenten.«

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Dr. Norden hielt jedoch auch nichts davon, nur mit Medikamenten einer Krankheit beizukommen. Er vertrat auch den Standpunkt, daß seelischer Beistand oft hilfreicher war. Und er hatte sich vorgenommen, offen mit Frank Leonhard zu sprechen.

Er war überrascht, daß dieser abwinkte, als er die ersten Worte gesagt hatte, die da lauteten: Frau Sommer hat große Probleme.

»Das weiß ich, Herr Dr. Norden«, erwiderte Frank ruhig. »Ich weiß mehr über sie, als sie ahnt, aber man soll nicht an Dingen rühren, die der Vergangenheit angehören.«

Unwillkürlich wanderte sein Blick bei diesen Worten zu einem Gemälde, das eine zauberhaft schöne Frau darstellte. Laura Leonhard stellte es dar. Franks Frau, die vor zwei Jahren gestorben war. Nein, es waren noch nicht ganz zwei Jahre, wie es blitzschnell Dr. Norden durch den Sinn ging.

»Frau Sommer wird aber von der Vergangenheit verfolgt, und sie macht sich Gedanken um die Zukunft ihrer Tochter«, sagte Daniel.

»Was kann ich tun, damit sie sich keine Sorgen macht«, fragte Frank. »Diese Frau hat doch so viel Kummer wahrhaftig nicht verdient.«

»Darf ich offen sein, ohne daß Frau Sommer dadurch Schaden entsteht, Herr Leonhard?« fragte Daniel.

»Ich schätze Frau Sommer überaus. Wegen ihrer Erkrankung werde ich sie bestimmt nicht entlassen. Im Gegenteil, ich hoffe mit Ihrer Hilfe, sie einmal zu einer Kur überreden zu können, für deren Kosten ich selbstverständlich aufkommen werde.«

Dr. Norden betrachtete den anderen, der noch etwas größer war als er, schlank, eigentlich hager zu nennen, älter aussehend, als er mit seinen vierunddreißig Jahren war. Dr. Norden hatte Frank Leonhard noch niemals lächeln sehen. Sein Mund war schmal wie ein Strich, seine Augen hell und glasklar, aber kalt konnte man diese Augen dennoch nicht nennen.Es waren kluge, durchdringende Augen, die das jeweilige Gegenüber immer bis ins Innerste zu erforschen schienen.

»Sie wissen von dem Unfall?« fragte Daniel zögernd.

»Ja, ich weiß alles. Daß Franz Sommer den Unfall verschuldet hat, daß er ein Alkoholiker war. Aber seine Frau trägt daran keine Schuld.«

»Sie muß nur die Schulden bezahlen, die er hinterlassen hat«, sagte Daniel Norden heiser.

Frank Leonhards Augen verengten sich. »Immer noch? Das wußte ich nicht.«

»Und jetzt ist die Frau des Unfallopfers, Frau Hofmeister, gestorben.«

Franks Augen wurden weit. »Das wußte ich auch nicht. Nimmt sich Frau Sommer das so zu Herzen? Bitte, sagen Sie mir alles, Dr. Norden.«

Daniel schöpfte tief Atem. »Der Zufall wollte es, daß Franzi mit Herbert Hofmeister befreundet war. Diese Freundschaft ging in die Brüche, aber der junge Mann hegt Haßgefühle gegen Mutter und Tochter Sommer, vor allem wohl deshalb, weil er sie in gesicherter Situation wähnt, da Franzi studieren kann. Dies alles habe ich eben erst von Frau Sommer erfahren. Ihre große Sorge ist, daß Franzi allein mit all den Lasten zurückbleiben würde, wenn sie stürbe.«

»Sie wird doch nicht sterben?« fragte Frank erregt.

»Nein, aber ich verstehe ihre Gedanken.Sie trägt ihr Leid nicht erst seit dem Tode ihres Mannes. Sie mußte schon zuvor viele Lasten tragen.«

»Franz Sommer war ein mieses Subjekt, nach allem, was ich erfahren habe«, sagte Frank Leonhard bitter. »Er hat diese Frau nicht verdient. Ich habe selten einen Menschen kennengelernt, der so voller Güte ist. Was also kann ich für diese Frau tun, die mir mehr bedeutet, als meine Mutter mir bedeutet hat?«

»Nehmen Sie ihr die Angst, daß sie ihre Stellung verliert«, sagte Daniel. »Sie braucht ein paar Wochen völlige Ruhe, das muß ich als Arzt sagen.«

»Sie haben doch Ihre Insel der Hoffnung«, sagte Frank. »Sorgen Sie bitte dafür, daß sie sich dort erholen kann.«

»Und wer wird Sie versorgen?«

»Ich werde in ein Hotel gehen. Natürlich werde ich die liebevolle Fürsorge vermissen, die mir viel bedeutet, aber ein paar Wochen werde ich schon überstehen, wenn mir Frau Sommer dann erhalten bleibt. Die Kostenfrage brauchen wir nicht zu erörtern, Herr Dr. Norden. Die Rechnungen werden von mir bezahlt. Ich werde mit Frau Sommer sprechen, wenn sie besser beisammen ist.«

Dr. Norden verließ das Haus mit der Überzeugung, daß Frank Leonhard meinte, was er sagte. Er hatte großen Respekt vor seiner Einstellung.

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Franzi und Robert Kayser sahen die Silhouetten der Türme Münchens schon am dämmrigen Himmel, als sie ihr langes Schweigen brachen.

»Bedeutet dir diese Liesi viel, Bobby?« fragte Franzi.

»Ich habe noch nicht darüber nachgedacht«, erwiderte er. »Wir haben uns selten gesehen. Eigentlich müßtest du sie kennen, Franzi.«

»Wieso?«

»Sie heißt Anneliese Hofmeister«, erwiderte er rauh.

Franzi zuckte zusammen.Sie starrte blicklos zum Fenster hinaus.

»Ja, ich kenne sie«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Du weißt also, daß mein Vater den Tod ihres Vaters verschuldet hat.«

»Ich bin nicht geneigt, von Schuld zu reden, nicht von der Schuld eines Toten, Franzi.«

Eine kurze Pause trat ein. Franzi atmete schnell. »Ich war mal mit Herbert befreundet, Bobby«, stieß sie hervor.

»Ja, ich weiß. Liesi hat es mir erzählt, als ich mal über dich sprach.«

»Ihr habt über mich gesprochen«, wiederholte Franzi tonlos. »Die Hofmeisters sind nicht gut auf uns zu sprechen.«

»Liesi denkt nicht wie ihr Bruder.«

»Uns wird es wohl ein Leben lang belasten« sagte Franzi. »Aber ich will nicht, daß Mutti daran auch noch zerbricht.« Wieder trat ein kurzes Schweigen ein. »Jetzt sind wir gleich da«, sagte Franzi dann.

»Kommst du am Sonntag wieder mit zurück?« fragte Bobby.

»Ich weiß noch nicht. Es kommt darauf an, wie es Mutti geht.«

»Ruf mich an, Franzi. Und wenn du einen Freund brauchst, weißt du, wo du ihn finden kannst.«

»Danke, Bobby.«

Der Wagen hielt vor der Villa. Franzi ahnte nicht, daß Frank Leonhard von seinem Fenster aus beobachtete, wie Bobby sich von ihr verabschiedete.

Er öffnete ihr dann auch die Tür. Sie errötete, als er sie forschend musterte.