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Wille

und das Ungeheuer vom Vechtesee

Mathias Meyer-Langenhoff

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2018 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

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Alle Rechte vorbehalte

Cover: Heike Georgi

Illustration: Johanna und Antonia Langenhoff

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM: www.literaturredaktion.de

ISBN: 978-3-86196-776-7 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-078-0 – E-Book

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Inhalt

Im Freibad

Sensation im Vechtesee

In der Schule

Besuch im Krankenhaus

Überraschende Begegnung

Auf den Spurenvon Loch Ness

Ein unerwartetes Wiedersehen

Onkel Werner

Ein überraschender Anruf

Eine erstaunliche Entdeckung

Besuch in Brandlecht

Konzert im Stadtpark

Eine unangenehme Überraschung

In Wolf Watermanns Büro

Onkel Werner weiß Bescheid

Überraschung am Vechtesee

Besuch in Bad Iburg

Im Café

Der Neffe

Zweiter Besuch bei Watermann

Unter der Reiterbrücke

Im Büro von Kommissar Klaus

Der Plan

Überraschung im Anker

An der kopflosen Ente

Nordhorn wird berühmt

*

Im Freibad

„Jaaaaaaaaaaa!!!“ Mit einem lauten Schrei sprang Wille vom Dreimeterbrett, aber weil er irgendwie die Körperkontrolle verloren hatte, schlug er mit dem Bauch auf der Wasseroberfläche auf. Es fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit tausend Nadeln gepikt, und es brannte wie Hölle.

Prustend tauchte er auf und schwamm langsam zurück an den Beckenrand. Er hoffte, dass nicht allzu viele ihn gesehen hatten, doch da hatte er sich getäuscht. Ausgerechnet Patrick, Lars und Ole, die Idioten aus der 9b, standen am Beckenrand und applaudierten feixend.

„Cooler Sprung, Wille. Wo hast du den gelernt? Sah aus wie ein Flugzeugabsturz, echt krass!“

Wille kletterte die Leiter am Beckenrand hoch und grinste verlegen, was blieb ihm anderes übrig? Wille hieß eigentlich Gerwin Willerink, aber alle nannten ihn Wille und darüber war er froh, denn sein Vorname gefiel ihm überhaupt nicht.

„Bloß nicht mit denen reden“, dachte er, „ich gehe jetzt einfach vorbei und haue ab.“

Aber Andy Feldmann, sein bester Freund, sah die Sache anders. Er hatte ebenfalls auf dem Dreier gestanden und war nach ihm gesprungen. „Was soll das, ihr Penner?“, schnauzte er die drei an, nachdem auch er aus dem Becken geklettert war. „Ich möchte euch mal sehen, ihr fallt wahrscheinlich wie Felsbrocken ins Wasser! Am besten ihr haltet die Schnauze und verpisst euch einfach!“ Drohend trat er auf sie zu und schüttelte seine langen, nassen Haare aus, sodass die drei erschrocken zur Seite sprangen. „Wusste ich doch, ihr seid wasserscheu“, grinste er und ließ sie stehen, um Wille zu folgen.

Andy und Wille hatten sich in der ersten Klasse der Grundschule kennengelernt und waren seitdem beinahe unzertrennlich. Und das, obwohl sie ziemlich verschieden waren und Wille nach der vierten Klasse aufs Stadtring-Gymnasium und Andy zur Ludwig-Povel-Oberschule gewechselt war. Beide wohnten in der Blanke, einem Stadtteil Nordhorns, über den manche Erwachsene gerne die Nase rümpften. Die beiden Freunde hatten jedoch eine ganz andere Meinung. Sie waren stolz, dort zu Hause zu sein, und konnten sich überhaupt nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben.

„Wie bescheuert sind die denn?“, meinte Andy kopfschüttelnd, nachdem sie ihre Decke erreicht und sich abgetrocknet hatten.

„Was soll’s, am besten gar nicht beachten“, antwortete Wille.

„Nicht beachten? Nein, das geht gar nicht, die müssen wissen, wo der Hammer hängt!“

„Was ist los mit dir? Bist du schlecht drauf?“, wollte Wille wissen, den Andys Wut etwas nervte.

Andy zuckte mit den Schultern.

„Hier, willst du ein paar Chips?“ Wille reichte ihm die Tüte. Er hatte sie von seiner Mutter im Laden bekommen, sie war Geschäftsführerin in einem kleinen Supermarkt. „Also, was ist jetzt?“, hakte er noch einmal nach, weil Andy nichts sagte.

„Mein Alter war mal wieder da, besoffen wie immer“, knurrte Andy.

„Wie ist er denn reingekommen? Er hat doch gar keinen Schlüssel mehr, oder?“

„Irgendein Idiot hat ihn unten reingelassen. Wahrscheinlich hat er wieder auf alle Klingeln gedrückt, bis jemand geöffnet hat. Und dann ist er mit dem Aufzug nach oben und stand vor unserer Wohnungstür.“ Andy und seine Mutter wohnten in einem Hochhaus in Nordhorn direkt am Nordhorn-Almelo-Kanal. Dort lebten sie gerne, seine Mutter, weil es nicht zu teuer war, und Andy, weil sie im achten Stock wohnten und einen großartigen Blick über die ganze Stadt hatten.

„Und?“, wollte Wille wissen.

„Und was?“

„Ist er bei euch reingekommen?“

Andy winkte ab. „Zum Glück nicht. Ich habe durch den Türspion seine besoffene Fresse gesehen. Aber dann fing er an, zu klopfen und immer wieder auf die Klingel zu drücken. Der hat voll Sturm geschellt, irgendwann hat er aufgegeben und ist abgehauen.“

Wille schüttelte den Kopf. „Ihr müsst endlich die Polizei einschalten“, meinte er, „der ist doch saugefährlich für euch. Die kann ihm Hausverbot erteilen, dann darf er sich eurer Wohnung nicht mehr nähern.“

Andy lachte verächtlich. „Das wird ihn nicht davon abhalten. Mein Alter merkt doch nichts, wenn er besoffen ist.“

„Aber wenn ihr dann bei der Polizei anruft, können die ihn einlochen“, antwortete Wille, dessen Bauch langsam aufhörte zu brennen. Er setzte sich auf die Decke und griff noch einmal in die Chipstüte. Seine rotblonden Haare standen in alle Himmelsrichtungen, aber das sah er ja nicht. Überhaupt interessierte ihn sein Aussehen relativ wenig. Nicht mal sein über und über mit Sommersprossen bedecktes Gesicht störte ihn, obwohl die drei von eben sich auch in der Schule deshalb gerne über ihn lustig machten.

„Weißt du was?“, meinte er zu Andy. „Lass uns abhauen, wir gehen zu uns und spielen noch etwas am Computer.“

„Einverstanden, Gerwin“, grinste Andy, weil er genau wusste, wie er seinen Freund ärgern konnte.

Den Namen hatte Wille übrigens von seinem Opa. Der war lange Zeit ziemlich sauer auf Willes Vater gewesen, weil der den Bauernhof in Brandlecht nicht übernommen und stattdessen eine kaufmännische Ausbildung gemacht hatte. Deshalb hatte sein Vater gehofft, Willes Opa mit der Namensgebung besänftigen zu können. Inzwischen hatten die beiden tatsächlich wieder ein normales Verhältnis. Wille mochte zwar seinen und den Namen seines Opas nicht, aber ihn selbst dafür sehr, und er liebte es, in Brandlecht auf dem Bauernhof zu sein. Sein Opa bewirtschaftete ihn immer noch, obwohl er sich eigentlich inzwischen längst zu alt dafür fühlte.

„Sag mal, Junge“, hatte Opa ihn kürzlich gefragt, „kannst du mir jetzt endlich mal erklären, wie man mit diesen Zauberkästen umgeht? Versprochen hast du mir das ja schon lange.“

„Klar, mach ich“, hatte Wille geantwortet und dann versucht, seinen Opa in die Geheimnisse des Computers einzuweihen.

Wille war der totale Spezialist, schon mit acht Jahren hatte er den ersten PC bekommen und seitdem hielt er sich ständig auf dem Laufenden. Mit neuen Programmen kannte er sich schnell aus, und auch wenn seine Eltern ein PC-Problem hatten, war er der Erste, den sie fragten.

Außerdem war er ein großer Fan von Detektivspielen und hatte zusammen mit Andy schon bald begonnen, sogar den einen oder anderen echten Kriminalfall aufzuklären.

„Was ist jetzt, gehen wir?“, fragte Wille Andy noch einmal.

Der nickte. Sie packten ihre Sachen, zogen sich an und verließen das Freibad. Patrick, Lars und Ole lagen in der Nähe des Ausgangs auf dem Rasen, sodass die beiden Freunde an ihnen vorbeimussten.

„Haltet einfach die Klappe!“, knurrte Andy die drei Grinsegesichter an und setzte dazu seinen grimmigsten Blick auf. Tatsächlich trauten die drei sich nicht, etwas zu sagen.

Nachdem er und Wille in dem Fahrradmeer vor dem Freibad ihre Räder wiedergefunden hatten, fuhren sie langsam über die Bentheimer Straße und den Heideweg zu Wille nach Hause. Es war noch immer sehr heiß, obwohl es schon nach sechs Uhr war, trotzdem war auf dem Eintracht-Gelände Training der C-Jugend.

Wille war froh, nicht mehr im Verein zu sein. Bis zur D-Jugend hatte er noch gespielt, doch im Laufe der Zeit verlor er immer mehr die Lust auf Fußball, erst recht auf das regelmäßige Training. Kurz vor dem Übergang in die C-Jugend war der Druck größer geworden. Immer wieder hatte sein damaliger Trainer Mike Schuh bei seinen Eltern angerufen, um sie davon zu überzeugen, Wille in die Auswahlmannschaft zu schicken.

Aber zum Glück hatten sie die Entscheidung ihrem Sohn überlassen und sich nicht eingemischt. Jetzt empfand er für seine ehemaligen Mannschaftskameraden fast Mitleid.

„Coole Sache, bei der Hitze zu trainieren“, grinste Andy, „gut, dass du Fußball geschmissen hast.“

Wille nickte.

Kurze Zeit später bogen sie in die Klarastraße ein, wo Willes Eltern ein Häuschen gekauft und nach und nach umgebaut hatten.

*

*

Sensation im Vechtesee

Sie stellten ihre Räder in der Einfahrt ab und gingen durch die Garagentür in den Garten.

„Ach, da seid ihr ja“, begrüßte sie Willes Mutter. Sie saß auf der Terrasse und hielt ihre Füße in eine Plastikwanne mit kühlem Wasser. „Wie war es im Freibad?“

„Super wie immer“, antwortete Wille, „nur blöd war, dass ich beim Sprung vom Dreier auf dem Bauch gelandet bin, hat ein bisschen gebrannt.“

Frau Willerink richtete sich auf und zog erschrocken ihre Füße aus der Wanne. „Meine Güte, Gerwin, wie oft soll ich dir noch sagen, dass das gefährlich ist?! Das Einmeterbrett reicht doch völlig aus. Zeig mir mal deinen Bauch.“

„Mama, jetzt lass doch, war halb so wild“, wehrte Wille ab, „wir wollen in mein Zimmer. Und, bitte, nenn mich nicht Gerwin!“

Frau Willerink schüttelte den Kopf. Sie war zu müde, um sich jetzt noch mit ihrem Sohn zu streiten. Der lange Tag im Supermarkt saß ihr in den Knochen. Mit einem wohligen Seufzer ließ sie ihre Füße wieder in das kühle Wannenwasser gleiten und lehnte sich in ihrem Gartenstuhl zurück. „Kannst du ihm das Springen vom Dreier nicht mal abgewöhnen, Andy?“, wandte sie sich an Willes Freund.

„Was soll ich machen, Frau Willerink, da lässt er sich nicht reinreden“, antwortete Andy etwas verlegen.

Wille war schon in die Küche gegangen und rief nach draußen: „Mama, haben wir noch Saft?“

„Im Kühlschrank nicht mehr, guck mal im Keller nach!“

Er spurtete nach unten und griff eine Flasche Apfelsaft aus dem Kasten, während Andy – froh, Frau Willerink entkommen zu sein – in der Küche die Gläser nahm, die Wille schon auf dem Tisch bereitgestellt hatte. Schnell folgte er seinem Freund in dessen Zimmer im Obergeschoss.

„Was machen wir, FIFA spielen?“, wollte Wille wissen, der den PC schon hochgefahren hatte.

„Meinetwegen, wenn du wieder verlieren willst“, lachte Andy.

Obwohl Wille der PC-Freak war, hatte er es bislang nicht geschafft, seinen Freund an der Spielkonsole zu besiegen, da war Andy einfach unschlagbar.

Auch diesmal verlor Wille ein Spiel nach dem anderen, sodass er schließlich seine Konsole verärgert auf sein Bett warf. „Mann, Alter, wie machst du das?“, knurrte er und knuffte seinen Freund in die Seite.

„Keine Ahnung, vielleicht habe ich mehr Training?“

Das war es wohl, denn Andy spielte jeden Tag mindestens zwei Stunden, oft auch online gegen Gegner, die noch viel besser waren als Wille und denen er trotzdem regelmäßig zeigte, was eine Harke war. Im Moment verbrachte er sogar noch mehr Zeit an der Konsole als sonst, weil er sich zu einem Turnier der Jugendzentren in der Grafschaft angemeldet hatte.

„Was ist, hast du keinen Bock mehr?“, wollte er von Wille wissen.

„Genau, für heute reichts mir.“

„Okay. Was machen wir jetzt?“ Andy erhob sich von Willes Schreibtisch.

„Mal eben gucken, was in Nordhorn sonst noch so los ist“, meinte Wille und ging ins Internet, um die Online-Ausgabe des Grafschafter Boten aufzurufen. Das tat er jeden Tag. Es interessierte ihn, was in Nordhorn und im Landkreis vor sich ging, und er fand es spannend, sich die Online-Kommentare der Leser anzusehen. Langsam scrollte er die Seite von oben nach unten durch. Eine Weile blieb er bei einem Bericht über das Fest der Kulturen hängen, das einmal im Jahr im Kloster Frenswegen stattfand. Die Redaktion hatte viele schöne Bilder veröffentlicht. Besonders die Aufnahmen einer türkischen Tanzgruppe gefielen ihm. Man sah die bunten Kostüme der Mädchen und das Publikum, das begeistert mitklatschte.

„Hey, Andy, guck mal hier, Fest der Kulturen, saucool, wir sind auch drauf.“

Sie waren zusammen da gewesen und hatten es genossen. Es herrschte eine tolle Atmosphäre, der ganze Innenhof des Klosters war voller Menschen gewesen, viele bunt gekleidet in ihren Landestrachten, es roch nach Kebab aus der Türkei, gegrilltem Fisch aus Portugal oder nach orientalischen Gewürzen. Mit dem leckeren Essen, das nicht viel kostete, hatten sie sich die Bäuche vollgeschlagen. Mit einem Kebabspieß hatten sie begonnen, danach gönnten sie sich echten Grafschafter Weggen mit Butter und selbst nach einer Portion Fisch waren sie noch nicht satt.

Willes Opa sagte immer: „Ich glaube, Junge, du hast einen Bandwurm, du kannst an einem Tag so viel essen wie Oma und ich in einer Woche!“

Manchmal wunderte sich Wille selbst darüber, aber weil er groß und schlaksig war, machte er sich darüber weiter keine Gedanken.

Auf dem Foto jedenfalls standen sie beide direkt vor der Bühne mit dem Kebabbrötchen in der Hand und sahen den Tänzerinnen zu.

„Mann, sehe ich scheiße aus“, kommentierte Andy, der über Willes Schultern hinweg auf den Bildschirm starrte, das Foto.

„Wieso? Das Foto ist doch typisch für dich.“

„Na und, muss es deshalb in der Zeitung stehen?“, antwortete Andy. „Klicks lieber weg.“

Wille schloss die Seite mit den Fotos und scrollte weiter. Vieles war langweilig und interessierte ihn nicht, aber dann stieß er auf einen Artikel, dessen Überschrift ihn sofort elektrisierte. „Alter Falter, guck mal hier, da steht was Geiles.“

„Schon wieder Fotos von uns?“, fragte Andy.

„Nein, aber ein Artikel über den Vechtesee. Ist der Vechtesee der Loch Ness der Grafschaft? Frau glaubt, Ungeheuer gesehen zu haben.

„Was ist denn das für ein Quatsch? Da ist wohl jemand aus der Klapse ausgebrochen. Ungeheuer im Vechtesee ... tsss.“ Andy tippte sich an die Stirn.

„Jetzt hör doch mal“, entgegnete Wille und las den Artikel vor.

Nordhorn. Eine Urlauberin aus dem Ruhrgebiet ist sich sicher, bei einem Spaziergang in der Dämmerung des Mittwochabends am Nordhorner Vechtesee ein „Ungeheuer“ gesehen zu haben. Es habe sich plötzlich neben ihr aus dem Wasser erhoben, einen riesigen graugrünen Kopf gehabt und ein Maul, das groß genug gewesen sei, einen Menschen zu verschlingen. Sie habe genau die spitzen und scharfen Reißzähne erkennen können, zudem habe das Biest fürchterlich gebrüllt. Nur um Haaresbreite sei sie entkommen, erklärte die Frau gegenüber der Polizei. Zur Identität der Zeugin wollte diese jedoch keine Angaben machen. Sie sei noch nicht vernehmungsfähig und befinde sich zur ärztlichen Betreuung im Euregio-Klinikum. (ww)

„Ja und?“, meinte Andy wieder. „Die hat doch wahrscheinlich nicht alle Latten am Zaun. Die kommt bestimmt aus Dortmund und ist Borussia-Fan, die spinnen sowieso.“ Andy tippte sich erneut an die Stirn.

„Nur weil du für Schalke bist, sind doch nicht Dortmunder sofort bescheuert“, antwortete Wille und grinste.

„Jetzt sag bloß, du glaubst diesen Quatsch?“

Wille schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht, aber die Frage ist doch, ob sie wirklich nicht alle Latten am Zaun hat oder irgendwas anderes dahintersteckt.“

„Und wer oder was?“

„Keine Ahnung, aber spannend finde ich die Sache schon.“

„Wer hat den Artikel denn geschrieben? Vielleicht fragen wir erst mal den Redakteur“, schlug Andy vor, weil er genau wusste, dass er Wille die Sache nicht mehr ausreden konnte. Wenn sein Freund sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es am besten, einfach mitzumachen. Wille würde sicher wieder in die eine oder andere Schwierigkeit geraten.

„Wolf Watermann.“ Das konnte er an dem Kürzel ww erkennen. Jeder Redakteur oder jede Redakteurin der Zeitung hatte ein Kürzel, damit man die Artikel zuordnen konnte.

Wolf Watermann gehörte zu Willes und Andys speziellen „Freunden“. Vor einigen Monaten hatten sie nach einem Einbruch im Jugendzentrum mal wieder ermittelt, denn sie waren davon überzeugt gewesen, dass es sich um einen Besucher handeln musste. Er kannte sich offenbar aus und wusste genau, wo die Laptops standen. Auch den Schrank mit den Süßigkeiten hinter der Theke hatte er leer geräumt. Der ließ sich nur mit einem bestimmten Trick öffnen, den er offenbar gekannt hatte, denn die Tür war nicht aufgebrochen worden.

Aus welchen Gründen auch immer hatte Wolf Watermann davon Wind bekommen und sich bei Willes und Andys Ermittlungen an ihre Fersen geheftet. Er war ein unsympathischer Superstreber, immer auf der Suche nach einer Story oder was er dafür hielt. Mehr als einmal hatte er dafür gesorgt, dass Fallen, die sie dem Verdächtigen gestellt hatten, um ihn auf frischer Tat zu ertappen, nicht zuschnappen konnten, weil er ihnen dazwischengefunkt hatte. Entweder störte er mit seiner Kamera oder mit seinem Aufnahmegerät, in das er ständig hineinquatschte. Der vermeintliche Dieb hatte sich deshalb regelmäßig davongemacht. Erst beim dritten Versuch war es Andy und Wille gelungen, den Einbrecher zu stellen, sodass Hauptkommissar Hans Klaus und sein Assistent Ludger Vennegerts ihn nur noch festnehmen mussten. Im Gegensatz zu Ludger Vennegerts gehörte Hans Klaus nicht zu den hellsten Kerzen auf der Torte. Das meinte jedenfalls Wille. Deshalb recherchierten er und Andy zu Beginn eines Falles lieber allein, ohne ihn oder seinen Assistenten zu benachrichtigen. Erst wenn sie ganz sicher waren, informierten sie die Polizisten, damit diese ihres Amtes walten konnten.

Natürlich hatte Watermann aus dem Jugendzentrumseinbruch eine Riesenstory gemacht, aber Wille und Andy in seinem Artikel mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen hatte er den Eindruck vermittelt, selbst den Dieb aufgespürt zu haben.

„Ist doch super, dann versuchen wir mal, Watermann in die Suppe zu spucken. Was hältst du davon?“, freute sich Wille.

Jetzt war auch Andy Feuer und Flamme. Dieser Watermann war nicht nur nervig, sondern auch noch ein total arroganter Typ. Dem würde er wirklich gerne mal zeigen, wo es langging. „Okay“, antwortete er deshalb, „ich bin dabei. Wie gehen wir vor?“

„Ich würde sagen, erst versuchen wir mal, mit dieser Frau zu sprechen.“

„Aber wie sollen wir an die herankommen? Sie ist doch in der Klinik.“

„Na und? Wir können ihr doch einen Krankenbesuch abstatten. Meine Tante ist da Stationsschwester, aus der kriege ich schon raus, wie die Frau heißt und wo sie liegt.“ Wille rieb sich die Hände, schon jetzt freute er sich auf die Ermittlungsarbeiten.

„Und was ist, wenn es wirklich ein Ungeheuer ist?“, fragte Andy.

„Ich wette mit dir, dass etwas anderes dahintersteckt.“

„Aber warum sollen wir uns dann damit beschäftigen?“

„Wegen Watermann! Außerdem haben wir schon lange keinen Fall mehr gelöst“, antwortete Wille und gähnte. „Heute können wir nichts mehr tun. Und noch mal gegen dich bei FIFA zu verlieren, habe ich auch keinen Bock. Am besten wir treffen uns morgen nach der Schule.“

Sie gingen nach unten. Willes Vater Jochen war inzwischen auch nach Hause gekommen und hatte sich zu seiner Frau auf die Terrasse gesetzt. Er war ein freundlicher, ruhiger Mann, der in einer Baufirma im Büro arbeitete, und hob die Hand zu einem High-five. Wille und Andy schlugen ein.

„Na, Jungs? Macht ihr Feierabend? Wer hat denn heute beim Computerfußball gewonnen?“

„Dreimal darfst du raten, Papa“, lachte Wille, „aber irgendwann werde ich es schon noch schaffen, Andy zu besiegen.“

Andy mochte Willes Vater, denn er war das genaue Gegenteil seines eigenen, dem er nicht mal im Dunkeln begegnen wollte. Obwohl, vielleicht wäre das gar nicht schlecht, dann könnte er seinem Alten mal richtig eine reinhauen und ihm ein für alle Mal austreiben, seiner Mutter Angst einzujagen.

„Abwarten“, meinte Andy, „auf jeden Fall musst du noch mehr trainieren. Gute Nacht, Herr Willerink, gute Nacht, Frau Willerink!“

Wille brachte Andy noch zu seinem Fahrrad.

*

In der Schule