James Fenimore Cooper


Satanstoe

oder die Familie Littlepage



eine Erzählung aus der Kolonie

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Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-95923-128-2


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Dreißigstes Kapitel



Wie schleicht der Tag so träg hin! Wünschen wir,
Die Zeit möcht' eilen, kriecht sie Austern gleich;
Und wünschen wir, sie stehe still, so säumt
Sie ihre Flügel mit Gedankenfedern.

Albamazar


Es ist nicht nötig, bei der Beschreibung der tiefen Betrübniß zu verweilen, welche wir Alle empfanden über unsern Verlust. Natürlich mußten wir in dieser Nacht wachsam sein; aber nur Wenige hatten auch Lust und Neigung zu schlafen. Der zurückkehrende Tag fand uns jedoch unangefochten; und ein paar Stunden später kam Susquesus in das Haus und berichtete, der Feind habe sich zurückgezogen gegen Tikonderoga. Von dieser Seite her war Nichts mehr zu fürchten, und die Ansiedler begannen jetzt zu ihren Wohnungen, oder was noch davon übrig war, zurückzukehren. Im Verlauf einer Woche erscholl wieder der Schlag der Axt im Wald, und kunstlose, rohe Wohnungen begannen wieder an der Stelle der zerstörten sich zu erheben. Da Bulstrode nicht gut transportirt werden konnte, beschloß Herman Mordaunt, den Rest der guten Jahreszeit in Ravensnest zu bleiben, in der doppelten Absicht, seinen Gast bequem und angenehm zu beherbergen und seinen Ansiedlern Mut zu machen. Man wußte, daß die Gefahr für diesen Sommer wenigstens vorüber war; und vor dem Herannahen des nächsten hoffte man, werde der gedemüthigte Stolz Großbritanniens so erwachen und sich ermannen, daß der Feind aus der Provinz vertrieben werde, wie dies auch mit Nachdruck und Erfolg geschah. Nach einiger Beratung wurde entschieden, daß Guert's Leichnam nach Albany gebracht werden müsse, um unter seinen Verwandten beerdigt zu werden. Dirck und ich begleiteten ihn als Hauptleidtragende, und Alle die von unsrer Gesellschaft noch übrig waren, gingen mit uns. Herman Mordaunt hielt für nötig, in Ravensnest zu bleiben, und Anneke wollte ihren Vater nicht verlassen. Des Hochwürdigen Mr. Worden's Missions-Eifer war in Folge dieser Feuerprobe so ziemlich verflogen, und er benützte eine so günstige Gelegenheit, sich in die sicherern und bevölkerteren Distrikte zurückzuziehen. Ich erinnere mich noch, daß, wie wir hinter der Pferdetragbahre her schritten, welche die sterblichen Reste des armen Guert enthielt, der Geistliche folgende kluge Bemerkungen machte:

"Ihr seht, wie es auf dieser Grenze ist, Corny," sagte er; "es ist noch zu früh, um daran zu denken, das Christenthum einzuführen. Das Christenthum ist wesentlich eine civilisirte Religion und kann nur unter zivilisierten Wesen von Nutzen sein. Es ist wahr, mein junger Freund, daß viele von den ersten Aposteln nicht nach der Mode dieser Welt gelehrt waren, aber sie waren alle durchaus civilisirt. Palästina war ein civilisirtes Land und die Hebräer waren ein großes Volk; und ich halte dafür, daß das von unserm heiligen Herrn gegebene Beispiel ein zu allen Zeiten zu befolgendes Gebot enthält, und daß sein Auftreten in Judäa so viel heißt, als wenn er zu seinen Aposteln gesagt hätte: ""geht hin und predigt das Evangelium allen zivilisierten Völkern.""

Ich wagte die Bemerkung, daß sich in der Bibel doch so Etwas finde, wie ein entschiedenes Gebot, es allen Völkern zu predigen.

"Ja, das ist ganz wahr," antwortete Mr. Worden, "aber es bedeutet offenbar so viel als allen zivilisierten Nationen. Sodann war das vor der Entdeckung von Amerika, und es ist ganz billig, vorauszusetzen, daß sich das Gebot nur auf bekannte Nationen bezog. Dem Text der Schrift soll keine Gewalt angethan, sondern er soll natürlich erklärt werden, Corny, und dies scheint mir der natürliche Sinn der Stelle zu sein. Nein, es war unbesonnen und unvorsichtig von mir, meine Pflicht in solcher Übertreibung zu fassen, und ich werde während des Rests meiner Tage meine Arbeit und Mühe auf die angemessene Sphäre beschränken. Die Civilisation ist ganz ebenso gut ein Mittel der Vorsehung als die Religion selbst; und es ist die klare Absicht des Himmels, daß die eine auf die Grundlage der andern erbaut werde. Ein Kirchenmann entfernt sich vollkommen weit genug von dem Mittelpunkt der feinsten Lebensbildung, wenn er das Mutterland verläßt, und in diese Kolonie geht, um das Evangelium zu predigen, und diese skalpirenden Teufel, die Indianer, laufen läßt, die, ich fürchte sehr, gar nicht dazu bestimmt find, selig zu werden. Es mag schon gut sein, Gesellschaften zu haben, um sie im Auge zu behalten, aber ein Verein in London ist vollkommen nahe genug, um sich mit ihnen in Verbindung zu setzen."

Und dies schien mir in der späterer Zeit immer die Ansicht des Hochwürdigen Mr. Worden zu bleiben, und ich gab mir keine Mühe, ihn auf eine andere zu bringen. Ich hätte jedoch auch von dem Abschied von Anneke erzählen sollen, ehe ich den obigen Auszug aus der Betrachtung des Pfarrers gab. Die Umstände verhinderten mich, vor meiner Abreise von dem Nest viel Verkehr und Zwiesprach unter vier Augen mit meiner Verlobten zu haben; denn Anneke'ns Anteil an der Mary Wallace Kummer war so innig, daß ihr gerade damals nicht möglich war, an etwas Anderes zu denken, als an ihre Freundin und deren Schmerz. Was Mary Wallace selbst betrifft, so ward die Größe und Tiefe ihrer Liebe und ihres Schmerzes nie ganz gewürdigt, als bis die Länge der Zeit deren Umfang und Innigkeit bewährte. Sie gewann bald ihre scheinbare Ruhe wieder; denn nur in einem Sturme von Gefühlen verlor Mary Wallace ihre Selbstbeherrschung; und bei ihrem geordneten Gemüt und ihren hohen Grundsätzen rang sie mit Erfolg darnach, die unabänderliche und nicht zu vergütende Heimsuchung mit christlicher Ergebung zu ertragen. Erst im späteren Leben erkannte ich, wie tief und allgewaltig in Wahrheit ihre Leidenschaft für den muntern, lebenslustigen, schlechterzogenen und ungestümen jungen Albanier gewesen war.

Anneke weinte, eine Viertelstunde ehe unser trauriger Zug das Nest verließ, einige Minuten in meinen Armen. Das liebe Mädchen beobachtete keine ungehörige Zurückhaltung gegen mich, doch fand ich sie nicht sehr geneigt, über unsere Liebe zu sprechen, so bald nach den schrecklichen Szenen, die wir so eben durchgemacht hatten. Doch ließ sie mich nicht im Zweifel über den Punkt, daß ich nämlich ihr ganzes und ungetheiltes Herz mit mir nahm. Bulstrode hatte sie nie geliebt, hätte ihn nie lieben können, das versicherte sie mir zu wiederholten Malen. Er unterhielt sie gut, und sie empfand für ihn verwandtschaftliche Teilnahme und Zuneigung, aber nicht im Mindesten ein Interesse anderer Art. Der arme Bulstrode! jetzt da ich meines Triumphs gewiß war, hegte ich sehr großmüthige Gefühle in Betreff seiner, und vermochte ihn wegen verschiedener guter Eigenschaften zu rühmen, welche vorher in meinen Augen ganz verdunkelt gewesen waren. Herman Mordaunt hatte gebeten, es möchte dem Major Nichts von der mir gegebenen Zusage gesagt werden; er selbst aber wolle die nächste Gelegenheit ergreifen, dem Freier zu verstehen zu geben, daß Anneke die Ehre seiner Hand ausschlage. Man glaubte, die Nachricht werde am schicklichsten von Mordaunt ihm mitgeteilt werden.

"Ich will offen gegen Euch sein, Littlepage, und Euch gestehen, daß ich die Verbindung meiner Tochter mit Mr. Bulstrode sehnlich gewünscht habe," sagte mir Herman Mordaunt bei der Unterredung, die wir vor meinem Abgang von dem Nest hatten; "und ich habe das Vertrauen zu Eurer Billigkeit und Einsicht daß Ihr es Euch wohl werdet erklären können. Ich kannte Bulstrode, ehe ich Etwas von Euch wußte, und es bestand schon eine Verwandtschaft zwischen uns, gerade von solcher Art, daß eine noch nähere und engere wünschenswert erschien. Ich will nicht läugnen, daß ich Anneke'n geeignet glaubte, den Rang und die Kreise zu zieren, welchen Bulstrode sie entgegen geführt hätte; und vielleicht ist es eine natürliche, elterliche Schwäche, daß Einer wünscht, sein Kind eine höhere Stufe im Leben ersteigen zu sehen. Wir schwatzen von Demut und Zufriedenheit, Corny, aber am Ende ist dabei doch immer Viel von dem nolo episcopari. Aber Ihr seht, die bevorzugende Wahl des Kindes ist so viel stärker als die des Vaters, daß sie den Sieg davontragen muß. Und ich glaube fast am Ende wollt Ihr doch lieber der Mann von Anneke'ns als der meiner Wahl sein?"

"Ich kann das ohne Bedenken zugeben, Sir," antwortete ich, "und ich empfinde mit dem innigsten Danke die Großmut, womit Ihr Eure eigenen Wünsche unserer Neigung unterordnet. Allerdings habe ich, was Rang und Vermögen betrifft, Wenig anzubieten, Mr. Mordaunt, gegenüber von Mr. Bulstrode's Ansprüchen; aber in der Liebe zu Eurer Tochter, und im inbrünstigen Verlangen und Bestreben, sie glücklich zu machen, werde ich ihm nicht nachstehen, noch sonst irgend einem Manne und wäre er ein König."

"Was das Vermögen betrifft, Littlepage, so kümmert mich das wenig. Da Ihr in diesem Lande wohnen und leben werdet, wird das vereinigte Vermögen beider Familien, welches dereinst ganz Euch und Anneke'n zufallen muß, mehr als genügend sein; und für die Nachkommenschaft werden Ravensnest und Mooseridge reichliche Mittel des Unterhalts liefern. So wie die Kolonie wächst, werden Eure Abkömmlinge zunehmen, und mit Beiden Euer Vermögen. Nein, nein: ich mag in meinen Ansichten etwas durchkreuzt worden sein, das will ich zugeben; aber nie war ich deshalb unzufrieden. So segne Euch denn Gott, mein lieber Junge; schreibt uns von Albany aus und kommt im September zu uns nach Lilaksbush. Ihr werdet dort aufgenommen werden wie ein Sohn."

Es ist überflüssig, bei unserm schwermüthigen Zug durch die Wälder lange zu verweilen. Dirck und ich folgten zu Fuß, ganz nahe dem Leichnam, bis wir die Heerstraße erreichten, wo Fuhrwerke angeschafft wurden, um denselben und uns Alle weiter zu führen. Als wir Albany erreichten, überlieferten wir die sterblichen Überreste Guert's seinen Verwandten und es fand ein angemessenes Leichenbegängniß statt. Der mit Backsteinen gemauerte Schrank hinter dem Kamin ward, wie dies gewöhnlich war, geöffnet, und die sechs Dutzend Madeira, welche dort vor vierundzwanzig Jahren niedergelegt worden waren, an dem Tauftage des armen Burschen, wurden trefflich befunden. Ich erinnere mich, daß es allgemein hieß, man habe beim Begräbniß Guert Ten Eyck's bessern Wein getrunken als seit Menschengedenken bei der Bestattung irgend einer andern Person, die nicht aus den Familien Van Rensselaer, Schuyler oder Ten Broeck gewesen. Ich spreche hier von Leichenbegängnissen in Albany; denn ich glaube, die Bemerkung würde kaum auf viele andere Leichenbegängnisse, weiter abwärts vom Fluß, passen. In der Regel jedoch wurde bei allen unsern Leichenbegängnissen sehr guter Wein gegeben.

Der Hochwürdige Mr. Worden funktionirte als Geistlicher und ward allgemein mit großem Interesse betrachtet als ein frommer Diener des Evangeliums, welcher selbst nur mit Not dem Schicksal dessen entgangen war, den er jetzt als "Staub dem Staub" übergab, während er mit aufopferndem, hingebendem Eifer bestrebt gewesen, die Seelen eben der Wilden, die nach seinem Leben getrachtet, aus der Verdammniß der Heiden zu retten.

Ich erinnere mich noch, es stand ein sehr gut geschriebener Artikel dieses Inhalts in der New-Yorker Gazette und ich habe gehört, erinnere mich aber nicht, es selbst gelesen zu haben, daß in einem Bericht der Gesellschaft für Ausbreitung des Evangeliums in fremden Ländern diese Umstände in sehr rührender und erbaulicher Weise erwähnt wurden. Der arme Guert! Ich brachte einige Minuten an seinem Grabe zu, ehe wir weiter nach Süden zogen. Dies war Alles, was übrig war von seiner stattlichen Person, seinem lebhaften Geist, seinem löwenherzigen Mut, seiner sprudelnden Laune und seiner unauslöschlichen Neigung zu Lustbarkeiten. Einen körperlich schönen Mann, einen der in jeder Hinsicht das Auge mehr angesprochen und erfreut hätte, habe ich nie gesehen. Daß diese edle Gestalt nicht einen geistigern Menschen beherbergte, war rein nur die Folge des Mangels an Erziehung und Bildung. Und doch hätten alle Bücher der Welt nimmer mehr Guert Ten Eyck in einen Jason Newcome, oder Jason Newcome in einen Guert Ten Eyck verwandeln können. Jeder hatte ohne Zweifel viele seiner Eigentümlichkeiten von der Provinz, in welcher er geboren und aufgewachsen war; aber auch die Natur hatte scharfe Unterscheidungslinien zwischen ihnen gezogen. All der Ungestüm in Guert's Temperament und Neigungen konnte ihm nicht ganz die Gefühle, den Ton und den Takt eines Gentleman entziehen; während all die hochfahrenden Bestrebungen und Ansprüche Jason's ihn nie zur Höhe dieses Charakters erheben konnten. Ach, der arme Guert! Ich betrauerte Jahre lang aufrichtig seinen Verlust, und auch noch jetzt hat sein Andenken nicht aufgehört, mir wichtig und teuer zu sein.

Dirck Follock und ich würden bei unsrer Rückkehr nach Albany sehr viele Aufmerksamkeit und Freundlichkeit genossen haben, sowohl wegen der Vorfälle, die wir mit erlebt hatten, als auch wegen unsrer holländischen Verwandtschaften, wären wir in der Stimmung gewesen, uns diese Gesinnungen der Leute gegen uns zu Nutze zu machen. Aber das waren wir nicht. Die traurigen Ereignisse, bei welchen wir so nahe beteiligt gewesen, waren uns noch zu frisch in der Erinnerung, als daß wir an Lustbarkeiten und Gesellschaften hätten Freude finden können; und sobald als möglich nach dem Leichenbegängniß ergriffen wir die Gelegenheit uns an Bord einer nach New-York bestimmten Schaluppe einzuschiffen. Unsere Reise ward im Ganzen als eine glückliche betrachtet, da sie in der Tat nur sechs Tage währte. Zwar fuhren wir dreimal auf dem Grund auf; aber daraus machte man Nichts, da dergleichen Begegnisse häufig vorkamen. Einer dieser Zufälle betraf uns bei Overslaugh und ich brachte daselbst einige Stunden sehr, angenehm zu, weil es so ganz in der Nähe des Schauplatzes unseres Abenteuers auf dem Fluß war. Anneke beschäftigte immer vielfach meine Gedanken, aber angenehme Bilder von ihrer sanften Entschlossenheit, ihrem unbedingten Vertrauen zu mir, ihrer Ergebung, ihrem Mut und ihrem Geist gingen jetzt ohne alle störenden Elemente vor meiner Seele vorüber. Das liebe Mädchen hatte mir gestanden, daß sie mich selbst in jener entsetzlichen Nacht geliebt, denn ihr Interesse für mich reichte in eine viel frühere Zeit zurück. Dies erhöhte noch um ein Großes die Zufriedenheit, womit ich in der Erinnerung jeden Vorfall und jedes Gespräch mir vergegenwärtigte und mir den geringsten Ausdruck und Ton wieder zurückzurufen suchte, um zu sehen, ob ich sie jetzt mit Anzeichen jener Leidenschaft in Verbindung zu bringen vermöchte, die, so durfte ich nunmehr glauben, damals schon vorhanden war. So unterstützt von Anneke'ns zarten, erröthenden Geständnissen, so wie von meinen eigenen Wünschen, fand ich es nicht schwer, mir Bilder zurückzurufen, welche mir unendlich wohl taten, obwohl sie vielleicht nicht bis ins Kleinste hinaus treu waren.

Auf dem Tappaan-See verließ uns Dirck, und begab sich nach Rockland zu seiner Familie. Ich blieb auf der Schaluppe und erreichte am folgenden Tag den Hafen. Mein Oheim und meine Tante Legge waren hocherfreut, mich zu sehen, und ich merkte bald, daß ich ein "Löwe" werden würde, wenn ich Zeit und Muße hätte, in der Hauptstadt zu verweilen, um des Rufes und Ansehens zu genießen, die mir meine Teilnahme an dem Kriegszug nach Norden verschafft hatte. Ich fand, daß tiefe Gekränktheit und Betrübniß in der Hauptstadt herrschte, in Folge unsrer Niederlage, gemischt mit hoher Entschlossenheit, unsere befleckte Ehre wieder herzustellen, Satanstoe jedoch mit allen seinen Teuern Banden rief mich weg; ich reiste zu Pferde von der Stadt, indem ich meine Effekten mir nachschicken ließ durch die erste gute Gelegenheit, am zweiten Tage nach meiner Ankunft am Morgen ab. Ich will nicht versuchen, Eine Schwäche von mir zu verhehlen. Wie gewöhnlich hielt ich zu Kingsbridge an, um zu Mittag zu essen und zu rasten; und wahrend die treffliche Wirtin mein Mahl bereitete, erstieg ich die Anhöhen, um mich von fern an dem Anblick von Lilaksbush zu weiden. Da lag der hübsche ländliche Wohnsitz, unter seinem Berge, mitten in einer Wildnis von Busch- und Strauchwerk; aber seine liebliche junge Gebieterin war fern, und die Freude, womit ich hinschaute, war mit wehmüthiger Sehnsucht gemischt.

"Ihr seid im Norden gewesen, höre ich, Mr. Littlepage," bemerkte meine Wirtin, während ich ihrem Hammelsbraten, Erbsen und Spargeln zusprach, "bitte, Sir, habt Ihr Nichts gehört oder gesehen von unsern geehrten Nachbarn, Herman Mordaunt und seiner reizenden Tochter?"

"Oh, gar Viel von Beiden, Mrs. Light; und das unter sehr gefahrvollen, schwierigen Umständen. Mooseridge, meines Vaters Besitztum in jener Gegend des Landes, ist ganz in der Nähe von Ravensnest, Herman Mordaunt's Gut, und ich habe einige Zeit dort zugebracht. Sind Euch neuestens keine Zeitungen der Familie zugekommen?"

"Keine, ausser einem Gerücht, daß Miß Anneke nicht mehr zu uns zurückkehren werde."

"Anneke nicht mehr zurückkehren! Um aller Wunder willen, wie habt Ihr das gehört?"

"Nicht als Miß Anneke. sondern als Lady Anneke oder so Etwas. Gibt es nicht einen General Bulstrom oder so einen vornehmen Offizier, der sich um ihre Hand bewirbt und dem sie zulächelt, Sir?"

"Jetzt glaube ich Euch zu verstehen. Nun, was hört Ihr von ihm?" "Nur das, daß sie nächsten Monat vermählt werden sollen, Einige sagen, sie seien schon verheiratet und der alte Gentleman gebe Lilaksbush her, und viertausend Pfund Courant, um eine so hohe Ehre für sein Kind zu erkaufen. Ich sage den Nachbarn, es ist zu viel, denn Miß Anneke ist um ihrer selbst willen schon jedes Lords in England würdig."

Diese Nachricht beunruhigte mich natürlich nicht, denn es war Wirthshausgeschwätz und Nachbars-Neuigkeiten. Nachbarn! wie sehr wird doch dies heilige Wort entweiht und geschändet! Man findet Leute, welche ihr Ohr begierig dem Geschwätz der Nachbarschaft öffnen, wenn es auch neunzehnmal unter zwanzig weniger glaubwürdig ist, als eine aus weiterer Ferne kommende Nachricht, im Falle, daß die letztere von Personen herrührt, welche der gleichen Klasse im Leben angehören, wie die in Frage Stehenden, oder mit ihnen bekannt sind. Welche Mittel hatte dies Weib z.B., die Geheimnisse der Familie Mordaunt zu erfahren, die nur halb so zuverlässig gewesen wären, als die ihren Freunden in Albany zu Gebote stehenden? Diese Nachbarschafts-Angaben, wie man sie nennt, richten eine Menge Unheil an in der Provinz, und ganz besonders in denjenigen Gegenden, wo unsere Leute in Berührung kommen mit ihren Mituntertanen von den östlicheren Kolonien. In meinen Augen wären Jason Newcomes Ansichten von Herman Mordaunt und seinen Handlungen beinahe werthlos gewesen, obwohl ich den Mann für sehr schlau mußte gelten lassen; denn Beide hatten nicht Eine bezeichnende Meinung, nicht Einen Brauch, und ich hätte fast gesagt, nicht Einen Grundsatz gemein. Richtige Würdigung von Handlungen und Beweggründen kann nur bei Solchen sich finden, welche gleich fühlen und denken; und dies ist moralisch unmöglich, wo die Klassen in gesellschaftlicher Beziehung durch breite Grenzlinien geschieden sind. Gerade aus diesem Grunde legen wir den gewöhnlichen Aussagen und selbst den beschwornen Zeugnissen von Gesinde, von Dienstboten so wenig Gewicht bei. Unser Empfang zu Satanstoe war ganz so, wie sich erwarten ließ. Meine gute Mutter drückte mich zu wiederholten Malen an ihr Herz und schien gar nicht genug ihr Auge an mir weiden und ersättigen zu können. Auch mein Vater war gerührt, mich wieder zu sehen, und ich glaube, sein Auge wurde ganz entschieden feucht. Was den alten Kapitän Hugh Roger betraf, so hatten siebzig Jahre sein Auge so ziemlich trocken gemacht; aber er schüttelte mir herzlich die Hand, und hörte meiner Erzählung von den Bewegungen vor Tikonderoga mit allem Interesse eines Soldaten zu, und auch wohl mit dem Feuer eines solchen, der selbst in glücklicheren Zeiten gedient hatte. Ich mußte natürlich meine Kämpfe noch einmal durchfechten, und die Hergänge von Ravensnest in allen Einzelnheiten erzählen. Wir waren am Nachtessen, als ich meine höchst ausführliche Erzählung schloß, und ich zu hoffen anfing, meine Aufgabe in dieser Hinsicht sei endlich erfüllt. Aber meine gute Mutter hatte noch gewichtigere Dinge auf dem Herzen; und ich mußte mich durchaus noch in ihrem eignen kleinen Zimmer zu einer vertraulichen Besprechung einfinden.

"Corny, mein geliebtes Kind." begann die zärtlichste und besorgteste Mutter, "Du hast mir noch nichts Ausdrückliches und Besonderes von den Mordaunt's erzählt. Es ist jetzt Zeit, von dieser Familie zu sprechen."

"Habe ich Euch nicht gesagt, Mutter, daß wir in Albany uns trafen, und was auf dem Fluß uns begegnete? Ich hatte von diesem Abenteuer in meinen Briefen Nichts geschrieben, weil ich, ungewiß war in Betreff des wirklichen Standes der Gefühle und Gesinnungen Anneke'ns, und keine Erwartungen rege machen mochte, die vielleicht unerfüllt bleiben mußten; und davon, daß wir mit einander nach Ravensnest gingen, und von Allem, was uns in Ravensnest begegnete nach unserer Rückkehr von Ty?"

"Was gilt mir das Alles? Ich wünsche Dich von Anneke sprechen zu hören, mein Kind, ist es wahr, daß sie sich vermählen wird?" "Es ist wahr. Ich kann es bestätigen aus Ihrem eigenen Munde."

Meiner guten Mutter Gesicht verzog sich arg, und ich vermochte kaum, meine zweideutige Sprache noch weiter fortzuführen.

"Und sie hat die Frechheit gehabt, das Dir zu sagen, Corny?"

"Ja, in der Tat; aber die Wahrheit gebietet mir hinzuzusetzen, daß sie heftig errötete, als sie es gestand, und nur halb geneigt schien, so offen zu sein; das heißt, im Anfang; denn am Ende lächelte sie mehr, als daß sie errötete,"

"Nun, das befremdet mich! Es ist aber nur ein Beweis, daß Eitelkeit und weltlicher Rang und weltlicher Reichtum in den Augen und in der Schätzung von Anneke Mordaunt höher stehen, als Trefflichkeit und bescheidenes Verdienst."

"Welchen Reichtum und weltlichen Rang besitze denn ich, Mutter, die ein weibliches Wesen verlocken könnten, die von Euch genannten Vorzüge zu übersehen?"

"Ich dachte in diesem Sinne gar nicht an dich, mein Sohn. Natürlich meinte ich Mr. Bulstrode."

"Was hat Mr. Bulstrode zu tun mit meiner Vermählung mit Anneke Mordaunt, oder was irgend ein andrer Mensch, als sie, die Holde selbst, welche eingewilligt hat, mein Weib zu werden, ihr Vater, der mich als Sohn annimmt, mein Vater, welcher wohl bald seinem Beispiel folgen wird, indem er Anneke als Tochter an sein Herz schließt, und Ihr, meine liebste, teuerste Mutter, die einzige Person, welche irgend Einwendungen dagegen erheben dürfte, wie Ihr es jetzt tut!"

Dies war, wie ich sehr gern anerkenne, eine höchst knabenhafte Art, eine höchst freudige Überraschung zu bereiten; und sobald ich meine Mutter in Tränen ausbrachen sah, fühlte ich Reue und Schaam, mir dies erlaubt zu haben. Aber die Jugend ist die Zeit der Torheit, und glücklich der Mann, der sich sagen kann, er habe nie ein bedenklicheres Spiel mit den elterlichen Gefühlen getrieben! Ich erhielt bald Verzeihung, welchen Frevel hätte nicht diese hingebende Mutter ihrem einzigen Kinde verziehen! worauf ich Alles, so weit es sich erzählen ließ, erzählen mußte, was zwischen Anneke und mir vorgegangen war. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich die Versicherung von der freudigen Zustimmung meiner ganzen Familie zu meinen Wünschen erhielt, von Kapitän Hugh Roger bis herab zu derjenigen, die jetzt so voll entzückter Liebe mit mir sprach. Sie hatten Alle sich in den Kopf gesetzt, ich müsse der Gatte gerade dieser jungen Lady werden; und ich hätte unmöglich eine Mitteilung machen können, welche erwünschter gewesen wäre, wie mir Alle und Jede noch in dieser Nacht zu erkennen gaben.

Meine Rückkehr nach Satanstoe erfolgte in der zweiten Hälfte des Monats Juli und die Familie Mordaunt wollte erst bis Mitte Septembers in Lilaksbush eintreffen, und so hatte ich fast noch zwei Monate auf diesen glücklichen Augenblick zu warten. Diese Zeit brachten wir herum so gut es eben geben wollte. Ich suchte mich für den alten Landhals zu interessiren und Pläne zu künftigem Glück daselbst zu entwerfen, welche sich in der Gemeinschaft mit Anneke erfüllen sollten. Es war und ist ein stattlicher Bauernhof; fruchtbar, schön gelegen, mit Wasser auf mehr als drei Seiten, in vortrefflicher Ordnung und tüchtig bestockt mit Äpfel-, Pfirsich-, Aprikosen-, Pflaumen- und andern Obstbäumen, wie man in der ganzen Welt kaum bessere trifft. Es ist wahr, die Provinzen etwas mehr südlich, wie Jersey, Pennsylvania, Maryland und Virginia behaupten, in Pfirsichen es uns zuvor zu tun; aber ich habe nie eine solche Frucht gekostet, die sich nach meinem Geschmack mit denen von Satanstoe vergleichen ließe. Ich liebe alle Bäume, Mauern, Bühle, Anhöhen, Triften und Hügel um das Haus herum. Nur Eines betrübt mich. Ich liebe alte Namen, solche, unter welchen mein Vater die Orte kannte, und ich spreche gerne ein Wort unrichtig aus, wenn Gebrauch, Herkommen und alte Erinnerungen es so eingeführt haben. Ich möchte um Vieles nicht meinen Freund Dirck Follock anders nennen als Follock, außer etwa bei einer förmlichen Veranlassung, oder wenn ich ihn auffordere, ein Glas Wein mit mir zu trinken. So geht es mir auch mit Satanstoe; der Name ist unedel, das will ich zugeben; aber er ist kräftig und enthält eine bestimmte Vorstellung. Er bezieht sich auch auf die Begriffe und Bräuche des Landes; und Namen sollten immer beibehalten werden, außer in den wenigen Fällen, wo triftige Gründe vorliegen, sie zu ändern. Mit Leidwesen muß ich sagen, daß seit dem Erscheinen von Jason Newcome unter uns bei den Unwissenden und Ungebildeten sich die Geneigtheit geäußert hat, den Landhals Dibbleton zu nennen, unter dem früher erwähnten Vorgeben, er habe einst der Familie Dibbles gehört; oder, wie Einige glauben, als ein frommes Diminutivum von Devils-Town. Ich weise diese Voraussetzung mit Entrüstung zurück; obwohl ich glaube, daß Dibbleton nur eine bequeme Art ist, Devilton auszusprechen, wie ich, das gebe ich zu, die alten Leute lachend den Landhals habe nennen hören. Das gehört für die Gaul darn ye-Schule und ist nicht nach meinem Geschmack. Ich sage: bei den Unwissenden und Ungebildeten, denn das ist gerade die Klasse, die in solchen Dingen ekel zu sein pflegt. Man hat mir gesagt, selbst habe ich es allerdings nicht gehört, aber man hat mir gesagt, es seien in den neuesten Zeiten Leute aus den östlichen Gegenden bei uns gewesen, welche gezierter Weise das Gut "Hellgate", "Hurlgate", "Whirlgate" oder mit sonst einem sentimentalen, wirbeligen Namen genannt hätten; und das sind die Herrschaften, welche "Satanstoe" in "Dibbleton" umändern möchten! Seit freilich die Truppen aus dem Osten anfangen zu uns zu kommen, haben sie begonnen, verzweifelte Eingriffe in manche unserer alten, ehrwürdigen, holländischen Namen zu tun; Namen, welche die unmittelbar Vom Mutterland kommenden Engländer in der Regel respektirt haben. In der Tat, Veränderung und Wechsel in allen Dingen scheint die mächtige Leidenschaft dieses Volkes zu sein. Wir New-Yorker begnügen uns, zu tun und zu treiben, was unsere Vorfahren getan und getrieben haben; und darüber spotten sie und erheben deswegen Klagen und Anschuldigungen gegen uns, daß wir den Begriffen unserer Väter treu bleiben. Ich werde mich nie darüber beklagen, daß sie so viele ihrer Gebräuche aufgeben; denn ich betrachte diese Veränderungen als Verbesserungen; aber ich bitte, daß sie uns die unserigen lassen.

Daß es einen Fortschritt gibt, das gebe ich ganz gerne zu, so wie auch, daß er nicht nur zu Änderungen zwingt, sondern sie auch rechtfertigt, aber das müßte ich erst noch lernen, daß es ein Grund zu gerechten Vorwürfen sein soll, wenn Einer in die Fußtapfen derer tritt, die vor ihm gewesen sind. Die Sprüche Davids und die Weisheit Salomo's sind gerade ebenso Sprüche und Weisheit in unserer Zeit, wie sie es waren zu der Zeit wo sie geschrieben wurden, und zwar aus demselben Grunde, wegen ihrer Wahrheit. Wo etwas so Beständiges und Sichbleibendes existirt, wie in der Moral, da müssen auch sich bleibende Grundsätze möglich sein, und gewiß ist Etwas, das verdient gerettet zu werden aus den Trümmern der Vergangenheit. Ich bin im Zweifel, ob nicht all dies Trachten und Haschen nach Veränderung mehr Selbstsucht in sich schließt, als wirklichen Nutzen und Philosophie; und ich muß wenigstens wünschen, daß Satanstoe niemals zu einem so lahmen Ersatzwort, wie Dibbleton, verstümmelt und verkümmert werde.

Das war ein fröhlicher Tag, als ein Diener in Herman Mordaunt's Livree auf unsern Rasenplatz daher geritten kam und mir einen Brief seines Gebieters einhändigte, der mich von der glücklichen Ankunft der Familie in Kenntnis setzte und mich einlud, am folgenden Tage bei guter Zeit hinüber zu reiten, um ein spätes Frühstück in Lilaksbush einzunehmen. Anneke hatte mir früher schon zweimal geschrieben, zwei schöne, gutstylisirte, weibliche, aber doch geistvolle, liebevolle Briefe, in welcher die Zärtlichkeit und tiefe Gemüthlichkeit ihres Wesens sich nur einigermaßen eingeengt zeigte durch ihr eigentümlich zartes Verhältnis zu mir, als Braut, und ihr Geschlecht. Auf den Empfang dieser willkommenen Einladung hin machte ich mich des einzigen romantischen Streiches schuldig, den ich im Verlauf meines Lebens begangen zu haben mich erinnern kann. Herman Mordaunt's Schwarzer wurde gut bewirthet und mit einem zusagenden Billet entlassen. Eine Stunde nachher verließ ich Satanstoe, ich liebe diesen ehrwürdigen Namen, und hoffe, alle Yankee's der Christenheit werden nicht vermögen ihn in Dibbleton zu verketzern, also, eine Stunde nachdem der Neger weg geritten war, folgte ich ihm selbst, mit der Absicht in dem wohlbekannten Gasthaus zu Kingsbridge zu schlafen, und erst zur geeigneten Stunde am andern Morgen in Lilaksbush mich zu präsentieren.

Ich war zwei Stunden vor Sonnenuntergang am Hause der redseligen Wirtin angekommen, stellte mein Pferd ein, bestellte mir ein Zimmer, und genoß selbst einen Bissen, als die gute Frau vom Hause eintrat.

"Eure Dienerin, Mr. Littlepage," begann die geschwätzige Person; "wie befindet sich der ehrwürdige Kapitän Hugh Roger und der Major, Euer geehrter Vater? Nun, ich sehe es aus Eurem Lächeln. Ja, es ist gar ein Trost, wenn die Unserigen sich einer guten Gesundheit erfreuen, mein armer Mann hat sich den ganzen vorigen Winter sehr übel befunden und der bevorstehende wird wahrscheinlich nicht viel besser sein. Ich würde fast glauben, Ihr geht zur Hochzeit nach Lilaksbush, Mr. Corny, hättet Ihr nicht vor meiner Türe Halt gemacht, statt geradezu nach Herman Mordaunt's Hause zu reiten."

Ich war verblüfft, vermutete aber, die Kunde von dem was bevorstand, sei ausgekommen, und diese gute Frau, deren Ohr immer offen stand, habe doch auch einmal in ihrem Leben eine Nachbarschafts-Wahrheit gehört.

"Ich bin auf keiner derartigen Reise begriffen, Mrs. Light, hoffe aber über kurz oder lang mich zu verheiraten mit dieser oder jener Person."

"Ich dachte nicht an Eure Verheiratung, Sir, sondern an die der Miß Anneke drüben im Bush, mit dem Lord Bulstrom. Es ist eigentlich doch eine recht vornehme Verbindung für die Mordaunt's, obwohl Herman Mordaunt selbst aus gutem Blut ist, wie man mir sagt. Des Ritters Diener kommt oft hierher, um neuen Cider zu versuchen, der, wie er zugibt so gut ist als englischer Cider, und ich glaube, sonst hat er in den Kolonien Nichts gefunden, was er nur für halb so gut hielte; nun, Thomas sagt mir, Alles sei abgemacht und die Hochzeit müsse recht bald stattfinden. Sie ist nur aufgeschoben worden wegen der Miß Wallace, welche in tiefer Trauer ist um ihren Gatten, den sie in den Honigwochen verloren hat, was der Grund ist, warum sie noch ihren eigenen Namen trägt. Man sagt mir, eine Wittwe, die ihren Gatten im Honigmonat verliere, müsse ihren Familiennamen behalten: sonst würde Miß Mary Mrs. Van Goort oder so ungefähr heißen."

Da hieraus klar erhellte, daß die Nachbarschaft wenig von dem wahren Stand der Dinge in Herman Mordaunt's Familie wußte, nahm ich meinen Hut, und machte mich sofort an die Ausführung des Vorhabens, womit ich von Haus weggeritten war. Es war mir unlieb zu hören, daß Bulstrode in Lilaksbush sei, ich fürchtete aber nicht, er werde je Anneke'n heiraten. Ich schlug den Weg nach den Anhöhen ein und erreichte bald das Feld, wo ich früher einmal den Ladies begegnet war. Hier sah ich Bulstrode, allein unter einem Baume sitzend, wie es schien in tiefe Gedanken versunken. Es gehörte nicht zu meinem Plane gesehen oder meine Anwesenheit bekannt werden zu lassen, und ich wollte mich eben zurückziehen, als ich meinen Namen rufen hörte, sah ich daß ich entdeckt war, und mich ihm nun näherte.

Der erste Blick auf Bulstrode überzeugte mich, daß er die ganze Wahrheit wußte. Er errötete, biß sich in die Lippe, erzwang ein Lächeln, trat mir entgegen, nur gerade so viel hinkend, daß sein Gang dadurch etwas Interessantes bekam, und bot mir die Hand hin mit einer männlichen offenen Treuherzigkeit, die ich ihm sehr hoch anrechnete. Es war keine Kleinigkeit, Anneke Mordaunt zu verlieren, und ich fürchte, ich hätte nicht halb so viel Großmut an den Tag legen können. Aber Bulstrode war ein Mann von Welt, und er wußte wenigstens die Äußerung seiner Gefühle, wo nicht seine Gefühle selbst, zu beherrschen.

"Ich habe Euch einmal gesagt, Corny, wir müßten Freunde bleiben, coute que coute" sagte er, mir die Hand reichend; "Ihr seid glücklich gewesen und ich bin unterlegen. Herman Mordaunt hat mir die traurige Nachricht mitgeteilt, ehe wir Albany verließen; und ich kann Euch sagen, sein Bedauern war nicht so gar schmeichelhaft für Euch. Dennoch gibt er zu, daß Ihr ein kapitaler Kerl seid, und daß, wenn nicht Alexander wäre, er wünschen könnte, daß Diogenes der Mann sei. So habt Ihr Euch also nur mit einer Laterne und einer Tonne zu versehen, Anneke'n zu heiraten und eine Haushaltung anzufangen. Was den ehelichen Mann betrifft, so beabsichtige ich, Euch einige Mühe zu ersparen, indem ich mich erbiete, diese Rolle zu übernehmen, noch ehe Ihr Euern Docht anzündet. Kommt, setzt Euch auf diese Bank und laßt uns plaudern."

Es lag in all diesem etwas ein wenig Erzwungenes, aber doch war es männlich. Ich setzte mich und Bulstrode fuhr fort:

"Es war der Fluß, Corny, der Euer Glück gemacht und mir den Stein gestoßen hat."

Ich lächelte, sagte aber Nichts, obwohl ich es besser wußte.

"Es waltet ein Schicksal in der Liebe wie im Krieg. Nun, ich bin nicht übler daran als Abercrombie; wir Beide hofften auf Sieg, während wir Beide besiegt wurden. In der Tat bin ich noch glücklicher; denn er kann nicht erwarten, je wieder ein Heer zu bekommen, während ich wohl eine andre Frau bekommen kann. Ich wünschte, Ihr wäret offen gegen mich und gestündet mir, welchem Umstand insbesondere Ihr Euern Triumph zuschreibt."

"Es ist natürlich, Mr. Bulstrode, daß ein junges Mädchen es vorzieht, lieber in ihrem Vaterlande zu wohnen, als in einem fremden Land und unter Fremden zu leben."

"Ja, Corny, das ist sowohl patriotisch als bescheiden gesprochen; aber es ist nicht der wahre Grund. Nein, Sir; es war Scrub und die Theatergeschichte, was mir den Stein gestoßen hat. Bei den meisten Leuten in der Provinz, Mr. Littlepage, ist es eine hinlängliche Entschuldigung für Alles, daß es von der Hauptstadt gebilligt werde. So ist es mit Euch Kolonisten im Allgemeinen; sagt England Ja, so wagt Ihr nicht Nein! zu sagen. Eines ist, was Personen, die so fern vom Mutterland wohnen, selten lernen, und das ist: Es gibt zwei Arten von großer Welt; die große gemeine Welt, welche Alle in sich begreift bis auf die wenigen Besten und Ausgezeichnetsten nach Geschmack, Grundsätzen und Benehmen, sei es in einer Hauptstadt oder in einem Lande; und die große respektable Welt, welche, unendlich weniger zahlreich, die Einsichtsvollen, die Unterrichteten, die Intelligenten, und in Betreff gewisser Fragen, die Rechtschaffenen in sich schließt. Die Ersten nun machen die Mode und Fashion, während die Letzteren etwas weit Besseres und Dauernderes hervorbringen als die Mode. Die Mode oder Fashion steht oft beschämt da vor der letzteren Classe, so klein sie auch immer der Zahl nach ist. Sehr hoher Rang, sehr verfeinerter Geschmack, sehr scharfes und kräftiges Urteil und sehr gediegene Grundsätze, das Alles, in höherem oder minderem Maße, vereinigt sich diese Classe zu bilden. Eine oder die andere dieser Eigenschaften mag vielleicht fehlen, aber die Verbindung von allen bildet die Vollkommenheit des Charakters. Wir haben im Mutterland so wie anderswo täglich Beispiele hiervon; obwohl es bei unserm künstlichen Zustand der Gesellschaft entschiedenere Eigenschaften erfordert um dem Einfluß der Fashion zu widerstehen, wenn nicht wirklicher Rang in der Gesellschaft zu Hilfe kommt, als bei einem natürlicheren Zustand der Fall wäre. Was mir, so wie den meisten jungen Männern, zuerst an Anneke'n auffiel, war die Zartheit ihrer Erscheinung und ihre Schönheit. Das will ich nicht läugnen. In dieser Hinsicht haben Eure Amerikanerinnen mich ganz überrascht. In England sind wir so gewohnt, eine gewisse Zartheit der Person und Haltung in Verbindung mit hohem Rang zu denken, daß ich, ich will es gestehen, in New-York nicht mit der Erwartung landete, auch nur eine einzige Frau im ganzen Lande zu finden, welche nicht ihrem äußern Wesen nach verhaltnißmäßig plump, und was wir zu sagen pflegen gemein wäre; aber jetzt muß ich sagen, daß, abgesehen von rein konventioneller Feinheit und Schliff ich ebenso viel aristokratisch aussehende Frauen unter Euch finde, als wenn ihr eine ganze Menge Herzoginnen hättet. Am allerletzten würde ich mir einfallen lassen, die amerikanischen Frauen als plump zu bezeichnen. Es mag ihnen das Benehmen fehlen, in Einem Sinne; es mag ihnen der seine Schliff fehlen in hundert Dingen; es mag ihnen an der Gabe zu sprechen fehlen, in dem Sinne, den man damit verbindet bei hochgebildeten Personen; aber selten sind sie in der Tat plump oder gemein, nach unsrem europäischen Begriffe dieser Ausdrücke."

"Und auf was zielt dies Alles, Mr. Bulstrode?"

"Ha, auf Euren Triumph und meine Niederlage, Corny, natürlich," versetzte der Major lächelnd. "Was ich meine, ist dies: Anneke gehört zu der zweiten Klasse, oder, sie ist etwas Besseres, als wozu Mode und Fashion Einen machen können; und Scrub ist das Mittel gewesen, mich zu ruiniren. Sie kümmert sich nicht um Fashion, um den herrschenden Ton, bei einem Schauspiel, bei einem Roman und selbst bei einem Anzug, sondern sie sieht auf die Schicklichkeit. Ja, Scrub hat mich ruinirt!"

Ich glaubte dies nun nicht eigentlich; aber da ich Bulstrode so geneigt sah, seiner Abweisung diese Wendung zu geben, so lag es mir nicht ob, ihm zu widersprechen. Wir plauderten noch eine halbe Stunde aufs freundschaftlichste mit einander, worauf wir uns trennten; und Bulstrode versprach, das Geheimnis meiner Anwesenheit nicht zu verraten.

Ich verweilte im Angesicht des Hauses bis zum Abend, wo ich mich näher wagte, in der Hoffnung, mit einem Blick Anneke'ns ansichtig zu werden, wenn sie an einem Fenster vorbei gehe, oder bei dem milden Licht des Mondes auf der Piazza erscheine, welche die südliche Fronte des Hauses umschloß. Lilaksbush verdiente seinen Namen, denn es war eine förmliche Wildnis von Busch- und Strauchwerk; und unter dem begünstigenden Schutz von diesem war ich dem Hause ganz nahe gekommen, als ich leichte Schritte auf dem Kies eines nahen Ganges vernahm. Im nächsten Augenblick tönten mir weiche, sanfte, leise Stimmen ins Ohr und ich ward gewissermaßen gezwungener Ohrenzeuge von Folgendem:

"Nein, Anne, mein Schicksal ist für diese Welt besiegelt," sagte Mary Wallace, "und ich werde als Guert's Wittwe so treu und ergeben leben, als wenn das Gelübde wirklich ausgesprochen worden wäre. Das bin ich seinem Andenken schuldig wegen der herzlosen Zweifel, von welchen ich mich einnehmen ließ, und welche ihn in jene schrecklichen Szenen trieben, wo er den Tod fand. Wenn ein Weib wirklich liebt, Anneke, so ist es, fürchte ich, vergeblich gegen irgend etwas Anderes anzukämpfen als gegen entschiedene Unwürdigkeit. Der arme Guert war in keiner Hinsicht unwürdig; er war ungestüm und Verirrungen ausgesetzt, aber nicht unwürdig. Nein, nein ... nicht unwürdig! Ich hätte ihm meine Hand geben sollen, so wäre er uns wohl erhalten worden. So aber kann ich nur als seine Wittwe leben, in verborgener, stiller Liebe seines Andenkens. Du hast gut daran getan, liebste Anneke, so offen gegen Corny Littlepage zu sein, und ihm die Neigung zu gestehen, die du beinahe vom ersten Tag Eurer Bekanntschaft an für ihn gefühlt hast."

Obgleich dies Musik für mein Ohr war, gestattete mir doch die Ehre nicht, Mehr zu hören, und ich eilte rasch fort, machte aber in den Gebüschen ein Geräusch, welches der Sprechenden die Nähe eines Fremden verriet. Es war jetzt eine Notwendigkeit mich zu zeigen, und ich bemühte mich es zu tun, ohne sie zu erschrecken.

"Es muß Mr. Bulstrode sein," sagte die sanfte Stimme Anneke'ns, "welcher uns wahrscheinlich sucht, sieh, da kommt er und wir begegnen ..."

Der holden Sprecherin versagte plötzlich die Zunge den Dienst; denn mittlerweile war ich nahe genug gekommen, um von ihr erkannt zu werden. Im nächsten Augenblick hielt ich sie in meinen Armen. Mary Wallace verschwand, wie oder wann, vermag ich nicht zu sagen. Ich ziehe einen Schleier über die nun folgende glückliche Stunde, indem ich es den Alten überlasse, das Bild derselben aus ihrer Erfahrung sich zu veranschaulichen und zusammen zu setzen, und den Jungen, der Hoffnung eines ähnlichen Glückes zu leben. Nach Verfluß dieser Zeit trat ich auf Anneke'ns Zureden in das Haus, und hatte von Herman Mordaunt's Geneigtheit, mich zu verspotten, einen kleinen Sturm auszuhalten und abzuschlagen. Ich ward jedoch nicht blos gnädig, sondern auch gastlich behandelt, und Anneke'ns Vater lachte blos über mein kleines Abenteuer und sagte, er sehe es ganz günstig, und als ein Zeichen an, daß ich ein Junge von Geist und Entschlossenheit sei.

Früh im Oktober wurden wir vermählt und der Hochwürdige Mr. Worden verrichtete die Trauung. Unser Wohnsitz sollte Lilaksbush sein, welches mir Herman Mordaunt an demselben Tage abtrat, und es ganz so, wie es eingerichtet war, übergab. Er gab mir auch das mütterliche Vermögen meiner Frau, was uns ein anständiges Auskommen sicherte, und bald darauf vermehrte der Tod von Kapitän Hugh Roger meine Mittel noch um ein Ansehnliches. Wir in Lilaksbush und die in der Stadt und auf Satanstoe bildeten nur Eine Familie, und Anneke und meine Mutter insbesondere faßten eine innige Zuneigung für einander.

Was Bulstrode betrifft, so ging er vor der Hochzeit ins Mutterland ab, unterhält aber bis auf diese Stunde einen Briefwechsel mit uns. Er ist noch immer unverheiratet und ein erklärter alter Junggeselle. Seine Briefe jedoch sind zu leichtmüthig, als daß wir uns darüber große Sorgen machen dürften, aber das sind Sachen, die meinem Sohn Mordaunt zufallen, falls er die Gefälligkeit hat, diese Familienerzählung fortzusetzen.

 

 

Inhalt



Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

 

 

 

Vorwort



Jede Geschichte von Sitten und Lebensgewohnheiten hat einen gewissen Wert. Wenn die Sitten und Gebräuche mit Grundsätzen zusammenhängen, in ihrer Entstehung, in ihrer Entwicklung oder in ihrem Ausgangspunkt, so bekommen solche Schilderungen eine doppelte Wichtigkeit; und weil wir einen solchen Zusammenhang zwischen den Tatsachen und Vorfällen der Handschriften der Familie Littlepage und gewissen wichtigen Theorien unserer Zeit zu entdecken glauben, übergeben wir hiermit erstere der Welt.

Es ist vielleicht ein Fehler unseres hier vorgeführten Geschichtschreibers, daß er zu Viel auf philosophische und zu Wenig auf bescheidenere und niedrigere Kräfte und Mächte zurückführt. Die Keime großer Ereignisse liegen oft fern in sehr launenhaften und unberechenbaren Leidenschaften, Beweggründen oder Impulsen. Der Zufall wirkt gewöhnlich ebenso sehr auf das Geschick von Staaten als auf das von Individuen ein; oder wenn dabei überhaupt Berechnungen und Absichten wirksam sind, so sind es die Berechnungen und Absichten einer Macht, welche höher ist als jede menschliche.

Wir finden uns bewogen, diese Handschriften der Welt mitzuteilen, teils durch die obigen Erwägungen, teils auch in Betracht der Beziehung, in welcher die zwei Werke, die wir Satanstoe und Kettenträger nennen, unmittelbar zu der großen Tagesfrage von New-York, dem Antirentismus, stehen, welche Frage man ziemlich vollständig und gründlich in dem dritten und letzten Werke des Zyklus erörtert finden wird. Diese drei Werke, welche die sämtlichen Handschriften der Familie Littlepage enthalten, bilden keine strenge Fortsetzung von einander als Erzählungen von zusammengehörigen Begebenheiten oder vom Schicksale von Personen, wohl aber in dem Sinne, daß die Grundsätze in einem inneren Verhältnis zu einander stehen. Der Leser wird z. B. finden, daß die frühere Laufbahn, die Neigung, die Heirat von Mr. Cornelius Littlepage in dem vorliegenden Buche vollständig berichtet werden, während die Erlebnisse seines Sohnes, Mr. Mordaunt Littlepage, ebenso vollständig in dem folgenden Werke, dem Kettenträger, gegeben werden sollen. Man hofft, daß der Zusammenhang, welcher allerdings zwischen diesen drei Werken besteht, eher dazu beitragen wird, den Wert jedes einzelnen zu erhöhen, als daß er die gewöhnliche Folge der Fortsetzungen im eigentlichen, strengen Sinn hätte, welche, wie man weiß, darin besteht, das Interesse zu schwächen, welches eine Erzählung sonst wohl dem Leser hätte einflößen mögen. Jedes dieser drei Bücher hat seinen eigenen Helden, seine eigene Heldin, und seine eigentümliche Sittenschilderung vollständig für sich, obgleich letztere durch ihre Seiten- und Gegenstücke mehr oder weniger gehoben werden mag und es wirklich wird. Wir glauben, es bedarf keiner Entschuldigung, wenn die Frage des Antirentismus mit der größten Freimütigkeit behandelt wird. Nach unserer Ansicht von der Sache ist das Bestehen wahrer Freiheit in Amerika, die Fortdauer der Institutionen und die Sicherstellung der öffentlichen Moral ganz davon abhängig, daß gänzlich, gründlich und unbedingt den falschen und unehrlichen Theorien und Behauptungen ein Ende gemacht werde, welche in Beziehung auf diesen Gegenstand so keck vorgetragen worden sind. Nach unserer Ansicht ist New-York in diesem Augenblick der bei weitem am schmählichsten dastehende Staat in der Union, trotzdem daß er nie ermangelt hat, die Zinsen aus seiner Staatsschuld zu bezahlen; und seine Schmach hat ihren Grund in diesem Umstand, daß die Gesetze daselbst mit Füßen getreten werden, ohne daß irgend eine der Wichtigkeit der Sache entsprechende Anstrengung gemacht würde, sie aufrecht und in Kraft zu erhalten. Wenn Worte und Versicherungen den Ruf und Charakter eines Gemeinwesens retten und sichern können, so mag Alles noch gut stehen; aber wenn Staaten, wie Individuen, nach ihren Handlungen zu beurteilen sind, und der Baum aus seinen Früchten erkannt werden muß, so möge uns Gott helfen!