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Ich breche mein
Schweigen nicht

Roman von Patricia Vandenberg

Daniela von Rodewald ist völlig verzweifelt. Sie kann sich das veränderte Verhalten ihres Mannes Frederik nicht mehr erklären. Er tyrannisiert sie und ihren kleinen Sohn Sascha ständig. Daniela bittet Dr. Norden um Hilfe, die er ihr natürlich nicht versagt. Auf einer Party bei den Rodewalds beobachtet das Ehepaar Norden den Hausherrn, der plötzlich zusammenbricht. Er wird in die Behnisch-Klinik gebracht, und Dr. Dieter Behnisch muß Daniela eine bittere Wahrheit eröffnen…

Impressum

Inhalt

Inhalt

»Mein Name ist Daniela von Rodewald«, sagte die junge Dame im silbergrauen Wildlederkostüm zu Loni. »Ich hatte mich angemeldet.«

»Ja, gewiß, gnädige Frau«, erwiderte die Sprechstundenhilfe leicht verwirrt, denn die melancholischen dunklen Augen verwirrten sie. Ohnehin war Daniela von Rodewald eine beeindruckende Erscheinung, groß, schlank und so damenhaft, wie Loni es selten erlebte. Dazu hatte sie eine faszinierende, rätselhafte Ausstrahlung.

»Wenn Sie sich bitte noch einen Augenblick gedulden wollen, gnädige Frau«, fuhr Loni stockend fort, weil sie die Luft angehalten hatte. »Dr. Norden mußte noch einen dringenden Krankenbesuch machen.«

»Ich habe Zeit«, sagte Daniela leise. »Es wär mir nur sehr willkommen, wenn ich nicht mit anderen Patienten in Berührung kommen würde.«

»Sie können gleich im Sprechzimmer warten«, beeilte sich Loni mit der Antwort.

Mit einem anmutigen Neigen ihres schönen Kopfes dankte Daniela. Loni betrachtete sie noch einen Moment hingerissen und stellte für sich fest, daß eigentlich nur Fee Norden einen Vergleich mit dieser Frau aushalten würde. Und Fee war immerhin für Loni die bezauberndste Frau, die ihr je begegnet war. Nur war sie nicht von jenem Hauch Unnahbarkeit umgeben, der tatsächlich atemberaubend war.

Auch Dr. Daniel Norden war irritiert, obgleich er von Loni schon vorbereitet war, was ihn erwartete. Er sah diese Frau zum ersten Mal.

Schmal, zart und kühl war die Hand, die Daniela ihm reichte.

»Um es vorweg zu sagen, Herr Doktor, ich komme nicht in eigener Sache. Es handelt sich um meinen Mann. Allerdings ist es eine sehr schwierige Angelegenheit, denn er weigert sich, einen Arzt aufzusuchen, oder einen kommen zu lassen. Claudia Leitner hat mir gesagt, daß ich ganz offen mit Ihnen sprechen könnte.«

»Das können Sie, gnädige Frau«, erwiderte Daniel Norden. Der Name Rodewald war ihm nicht unbekannt, denn Frederik von Rodewald war sozusagen Herrscher über ein Imperium. Er war Bankier, Großgrundbesitzer und Industrieller in einer Person. Und man sprach nicht besonders nett über ihn. Um so ungewöhnlicher erschien es Dr. Norden, daß dieser Rodewald eine so zauberhafte Frau hatte und diese wahrhaftig keinen glücklichen Eindruck machte.

»Ich will ganz offen sein«, begann Daniela. »Schwierig war mein Mann schon immer. Wir sind jetzt knapp sieben Jahre verheiratet. Sie brauchen jedoch nicht zu vermuten, daß das angeblich verflixte siebte Jahr bedeutungsvoll für meine Ehe wäre.«

Ihre Stimme hatte einen bitteren Unterton. Dr. Norden machte sich seine Gedanken.

»Wie schon gesagt, war mein Mann schon immer recht schwierig, aber seit einigen Monaten wird der Zustand fast unerträglich. Ich kann es nicht anders nennen. Er muß sehr krank sein.«

»Würden Sie mir bitte Ihre Beobachtungen schildern, gnädige Frau?« fragte Dr. Norden.

»Ja, wo soll ich da anfangen«, sagte sie leise. »Beim Essen? Bei den Mahlzeiten, was immer ihm vorgesetzt wird, er hat keinen Appetit, dann, zu ungewöhnlichsten Stunden, äußert er Wünsche, die unmöglich zu erfüllen sind, was ihn aber fast zur Hysterie reizt. Er raucht und trinkt sehr viel, und manchmal bekommt er Zustände, die nur darauf schließen lassen, daß er starke Schmerzen hat. Ich habe ihn gebeten, sich untersuchen zu lassen, aber dann bekomme ich Dinge zu hören, die ich lieber nicht wiedergeben möchte, Herr Doktor. Ich will mich nicht beklagen, aber der Zustand wird unerträglich für mich und mein Kind.«

Dr. Norden horchte auf. Mein Kind, sagte sie. Nicht unser Kind.

»Wie alt ist Ihr Kind?« fragte er.

»Sechs Jahre. Sascha hat am meisten zu leiden unter den Stimmungsschwankungen meines Mannes. Er ist gerade zur Schule gekommen. Es steht zu fürchten, daß er nicht mal in der ersten Klasse zurechtkommt. Er ist völlig verstört, und schon deshalb muß ich etwas unternehmen.«

»Ich kann leider keine Ferndiagnose stellen, gnädige Frau«, sagte der Arzt bedauernd.

»Das verstehe ich, und deshalb habe ich eine ganz große Bitte. Wir geben übermorgen einen Empfang anläßlich des vierzigsten Geburtstag meines Mannes. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, meine Einladung anzunehmen. Selbstverständlich ist Ihre Gattin ebenfalls eingeladen. Ich müßte im Fall Ihrer Zusage allerdings zu der Erklärung Zuflucht nehmen, daß ich Ihre Frau von früher her kenne, denn jeder gutaussehende Mann ist Frederik ein Dorn im Auge. Ich weiß, es ist eine ungewöhnliche Bitte, aber ich weiß mir keinen Rat mehr. Claudia sagte mir, daß Sie Verständnis für meine wahrhaft verzweifelte Situation haben würden. Es hängt nicht nur mein und meines Kindes Schicksal von einer Klärung der Situation ab, sondern auch das Schicksal meiner Eltern. Ersparen Sie mir bitte eine nähere Erklärung, Herr Doktor. Ich bin am Ende meiner Kraft.«

»Ich werde es möglich machen, gnädige Frau«, erwiderte Dr. Norden beklommen, denn er spürte, daß diese Frau wirklich seelisch am Ende war. Ihre Augen schimmerten feucht, aber sie beherrschte sich.

»Ich wäre unendlich dankbar«, sagte sie leise. »Wenn es nur um mich ginge…« Sie unterbrach sich und blickte zu Boden. Dann erhob sie sich schnell. »Bitte, helfen Sie mir und meinem Jungen. Sie haben selbst Kinder. Claudia hat mir viel von Ihnen erzählt.« Sie nahm aus ihrer Handtasche eine Büttenkarte. »Die offizielle Einladung«, sagte sie. »Nur geladene Gäste haben Zutritt auf Schloß Rodewald.« Das klang schon mehr als bitter.

Und warum hat sie ihn geheiratet? fragte er sich, als sie gegangen war. Der Name, das Geld? So sah sie nicht aus. Er hatte sich ein anderes Bild von ihr gemacht. Aber man konnte sich täuschen. Sieben Jahre waren eine lange Zeit. Ein Mensch konnte sich verändern, eine andere Einstellung zum Leben gewinnen.

Dr. Norden war gespannt, ob es wirklich so um Frederik von Rodewald stand, wie Daniela es geschildert hatte.

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Als Daniela vor der prunkvollen, schloßartigen Villa aus ihrem Wagen stieg, stand ihr Mann schon an der Treppe. Sein Gesicht war fahl, doch gelblich gefärbt.

»Wo warst du?« herrschte er sie an.

Sie mußte sich höllisch zusammennehmen. »In der Stadt. Schließlich gibt es einiges für den Empfang zu besorgen.«

»Daß du immer alles selbst machen mußt«, sagte er gereizt.

»Und wenn ich mich nicht darum kümmere, wird es mir vorgeworfen, wenn etwas nicht klappt«, erwiderte sie kühl. »Ich konnte nicht ahnen, daß du schon daheim bist.«

»Clarissa ist gekommen«, sagte er. »Es war niemand da zur Begrüßung.«

Danielas Lippen verzogen sich ungewollt zu einem spöttischen Lächeln, aber die Grenze des Ertragbaren war erreicht. »Ach, das tut mir aber leid«, sagte sie. »Clarissa hätte sich anmelden können.«

»Sie gehört zur Familie«, stieß er hervor.

»Du brauchst nur noch hinzuzufügen, daß sie mehr zur Familie gehört als ich«, erwiderte Daniela aufgebracht.

Er schwieg. »Du bist empfindlich«, sagte er, als sie die Halle betreten hatte.

»Du auch, Frederik«, konterte sie.

Da kam Clarissa von Rodewald, eine unverheiratete Kusine des Hausherrn, schon Mitte dreißig und auch nicht jünger aussehend, aber sehr elegant gekleidet. Sie trug ein raffiniert geschnittenes Kleid, das ihre hagere Figur vorteilhaft umspielte. Aber an dem scharfen, giftigen Blick, der Daniela traf, konnte niemand etwas ändern. Ja, sie war eine Rodewald, und noch nie war Daniela ihre Ähnlichkeit mit Frederik so bewußt geworden wie an diesem Tag.

Ihre Stimme hatte einen penetrant süßlichen Klang, als sie sagte: »Liebste Daniela, nimm es nicht tragisch, wenn Frederik nörgelt. Er ist eben vollkommen.«

Vollkommen? dachte Daniela verbittert. Vollkommen ist nur der Hintergrund.

»Ich muß den Chauffeur zur Schule schicken«, sagte sie, nachdem sie Clarissa zurückhaltend begrüßt hatte.

»Das habe ich schon getan«, bemerkte Frederik betont vorwurfsvoll. »Denkst du eigentlich nie daran, daß man den Jungen entführen könnte?«

»Wer sollte ihn wohl schon entführen?« fragte Daniela.

»Du vergißt, daß er mein Erbe ist, meine Liebe«, sagte er von oben herab.

»Hier sind die Menschen friedlich«, ließ Daniela ihn wissen.

»Ich muß Frederik aber doch beipflichten«, mischte sich Clarissa ein. »Entführungen passieren täglich dort, wo man ein Vermögen erpressen kann.«

»Frau Schneiders paßt auf ihn auf, bis er abgeholt wird«, sagte Daniela beherrscht. »Sie ist verläßlich.« Sie musterte Frederik. »Wenn du so besorgt um ihn bist, warum schreist du ihn dann immer an, wenn er zu Hause ist?«

»Man kann mit Daniela nicht reden, Clarissa«, behauptete Frederik. »Der Junge ist faul. Ich will ja nicht annehmen, daß er ausgesprochen dumm ist. In unserer Familie ist das jedenfalls noch nicht vorgekommen.«

Daniela stieg die Zornesröte ins Gesicht, aber auch jetzt beherrschte sie sich. Sie mußte es. Sie mußte es seit sieben Jahren. Aber es wurde ihr übel, als Frederik sagte: »Clarissa wird sich um Sascha kümmern. Sie wird mit ihm arbeiten.«

»Tatsächlich?« sagte Daniela eisig. »Ich wußte gar nicht, daß du pädagogisches Talent hast, Clarissa. Du hast doch nicht mal die Mittlere Reife geschafft, wie Frederik mir einmal erzählte. Oder war er falsch unterrichtet?«

Die beiden standen wie erstarrt, als sie die Treppe zu ihren Räumen hinaufeilte. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Es wäre zu einem schlimmen Streit gekommen, wäre sie noch länger geblieben.

»Du läßt dir allerhand bieten, Frederik«, sagte Clarissa erbost.

»Ich lasse mir gar nichts bieten«, erwiderte er aufgebracht. »Aber in diesem Fall hat Daniela ja recht. Ich werde doch lieber einen Hauslehrer nehmen.«

Damit war sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. »Bist du eigentlich krank, Frederik?« fragte sie höhnisch. »Du benimmst dich sehr merkwürdig.«

»Ich bin nicht krank. Fang du nicht auch noch damit an. Du kannst gehen, wenn du herumnörgelst. Hier bestimme ich. Merk dir das auch, Clarissa.«

»Du hast mich gebeten zu kommen«, warf sie ein.

»Nicht, damit du Kritik an mir übst«, herrschte er sie an. »Ihr seid krank, ihr alle seid krank. Ihr taugt nichts, ihr Weiber.«

Und da kam Sascha zur Tür herein, klein, schmal, mit den großen dunklen Augen seiner Mutter in dem blassen Gesichtchen.

»Starr mich nicht so an«, fauchte Frederik den Jungen an. »Wasch dich und komm zu Tisch.«

»Darf er mich nicht erst begrüßen?« fragte Clarissa anzüglich.

»Er bringt diesen Proletenschmutz aus der Schule mit«, zischelte Frederik. »Geh auf dein Zimmer, Sascha.«

Der Kleine stolperte die Treppe empor, wie gejagt. Aber oben öffnete Daniela ihre Tür und fing ihn auf.

Schluchzend klammerte sich das Kind an sie. »Ich will weg, Mami«, flüsterte er. »Weg von hier. Jetzt ist Tante Clarissa auch noch da. Ich möchte lieber arm sein, ganz arm wie Franzl.«

Daniela unterdrückte ein Schluchzen.

»Es wird bald anders werden, mein Liebling«, sagte sie leise. »Wir werden weggehen. Weine nicht. Wir müssen zusammenhalten. Jetzt wasch dich und laß dir bei Tisch nichts anmerken. Morgen fahren wir zu den Großeltern.«

»Muß ich nicht zu Schule?« fragte er leise.

»Nein, morgen nicht. Ich muß mit Großpapa etwas Wichtiges besprechen.«

»Darf ich ihnen bleiben?«

»Nicht gleich, aber bald«, erwiderte Daniela.

»Warum ist er nur so, Mami?« fragte Sascha.

»Das kann ich dir nicht sagen«, erwiderte sie ausweichend. »Später einmal wirst du es verstehen. Er ist krank, Sascha.«

»Stirbt er vielleicht?«

Ein Schaudern durchlief sie, weil seine Stimme geradezu hoffnungsvoll klang.

»Komm, wasch dich«, lenkte sie rasch ab. »Wir müssen pünktlich bei Tisch sein.«

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Pünktlichkeit wurde in diesem Hause groß geschrieben. Im Hause Norden kannte man sie nicht. Man mußte sich danach richten, wie der vielbeschäftigte Arzt heimkommen konnte. Doch an diesem Tag brauchte die gute Lenni das Essen nicht aufzuwärmen.

Am Tisch saßen auch die beiden kleinen Söhne Danny und Felix. Nur die Jüngste, Annekatrin, Anneka genannt, hielt schon wieder ihren Mittagsschlaf.

Sie bekam ihre Mittagsmahlzeit früher, damit ihr Papi sich nach Tisch mit ihr beschäftigen konnte, wenn sie ausgeschlafen und dementsprechend gut gelaunt war.

»Du kannst übermorgen endlich dein neues Abendkleid ausführen, Fee«, sagte Daniel zu seiner Frau.

»Wenn es gewiß ist«, erwiderte sie gelassen. »Es ist schon fast ein Jahr alt und noch nicht getragen. Wohin soll ich es denn führen?« erkundigte sie sich dann aber neugierig.

»Wir sind zu einem Empfang geladen.«

»Zu einem Empfang?« Fee staunte.

»Zu Herrn und Frau von Rodewald, liebste Fee.«

»Ich kriege mich nicht mehr ein«, rief sie aus. »Du, ein schlichter Allgemeinmediziner? Bei dem fängt das Akzeptieren doch erst beim Professor an.«

»Für Ärzte hat er anscheinend überhaupt nichts übrig«, sagte Daniel.

»So?« Fee hob leicht die Augenbrauen. »Und wieso wurden wir eingeladen?«

»Von seiner Frau, mein Schatz, und du mußt so tun, als würdet ihr euch von früher kennen.«

»Das hat doch einen Pferdefuß«, sagte Fee mißtrauisch. »Wieso gehst du auf solch ein Spielchen ein, Daniel?«

»Weil sie eine sehr verzweifelte Frau ist. Claudia hat sie zu mir geschickt. Ich erzähle dir noch alles. Jedenfalls werden wir hingehen.«

»Na, da mußt du aber sehr interessiert sein«, meinte Fee nachdenklich.

»An dem, was sie mir erzählt hat. Denk ja nicht, daß ich an ihr interessiert bin, weil sie eine sehr aparte Frau ist.«

»Ich will nicht hoffen, daß sie an dir, aus welchen Gründen auch immer, interessiert ist«, sagte Fee neckend.

»Sie möchte einen Arzt konsultieren, aber er geht zu keinem. Muß ein sehr komischer Knabe sein.«

»Man hört ja so allerlei«, sagte Fee.

»Was denn?«

»Willst du Klatsch hören?«

»In jedem Klatsch ist ein Körnchen Wahrheit«, sagte er. »In diesem Fall interessiert mich alles.«

»Er soll ein Tyrann sein und ein höchst unsozialer Arbeitgeber. Aber die Leute laufen ihm nicht davon, weil er einen ungeheuren Einfluß hat und jeder fürchtet, nie mehr eine andere Stellung zu bekommen. Seinen jüngeren Bruder hat er auch vergrault. Aber ich werde lieber mal Claudia interviewen, was sie weiß, bevor ich möglicherweise gehässigen Klatsch verbreite.«

»Ja, es wäre mir ganz lieb, wenn ich ein klein wenig mehr vorbereitet zu diesem Empfang gehen könnte, denn über sich hat diese sehr reizvolle Frau nichts gesagt. Und je faszinierender eine Frau ist, desto mehr sollte man auch auf der Hut sein.«

»Ein wahres Wort.« Fee lächelte. »Verbrenne dir die Finger nicht, Göttergatte.«

»Ich habe ja ein faszinierende Frau«, erwiderte er zärtlich.

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Am Nachmittag setzte Fee die kleine Anneka in den Sportwagen und rief ihre Söhne herbei.

»Wir gehen zu Tante Claudia«, sagte sie, da sie einen Schmollmund zogen, weil sie beim Spielen gestört worden waren.

Damit waren sie allerdings einverstanden, obgleich sie nicht gern spazierengingen. Sie waren schon richige Buben, aber derartig reizend, daß die Leute stehenblieben. Und es gefiel ihnen gar nicht, wenn sie immer als niedlich oder goldig bezeichnet wurden.

Außerdem war Fee Norden wohlbekannt in diesem Viertel und wurde oft angesprochen, was den beiden Jungs noch weit weniger gefiel.

Doch an diesem Nachmittag kamen sie ohne Aufenthalt zu Claudia Leitner, die sich herzlich freute. Sie hatte gerade im Garten arbeitet, aber Umstände machten die Freundinnen nicht, wenn sie mal Lust auf eine Stipvisite und vor allem Zeit hatten.

»Du hast doch was auf dem Herzen«, sagte Claudia. »Ich sehe es dir an der Nasenspitze an.«

Sie kannten sich schon sehr gut und langweilten sich nicht gegenseitig mit bloßem Klatsch.

»Ach, Daniela«, sagte Claudia nachdenklich, als Fee nur diesen Namen genannt hatte. »Wir lernten uns kennen, als ich noch Krankenschwester war. Sie war bei Daniel?«

Daniel und Daniela, dachte plötzlich Fee mit einer jäh aufflammenden Eifersucht.

»Wie ist sie?« fragte sie wißbegierig.

»Ja, was soll man sagen? Ziemlich verschlossen. Sehr schön, aber schwer durchschaubar, womit ich aber nicht sagen will, daß mich das störte. Ich war auch nicht sehr kontaktfreudig, bevor ich euch kennenlernte. Ihrem Vater ist es geschäftlich mal ziemlich mies gegangen, aber dann hat sie Frederik von Rodewald geheiratet, und der hat ja Geld wie Heu.«

»Hat sie ihn deswegen geheiratet?« fragte Fee.

Claudia zuckte die Schultern. »Wenn, dann nur, um ihrem Vater zu helfen. Aber immerhin ist Rodewald ein interessanter Mann. Er kann schon Eindruck machen auf eine Frau, die jung und unerfahren ist. Sie war knapp zwanzig, als sie ihn geheiratet hat. Ich habe sie betreut, als sie den Jungen zur Welt brachte. Eine schwere Geburt, ein sehr zartes Kind. Soll eine Frühgeburt gewesen sein. Ich hatte damals auch noch nicht viel Erfahrung.

Sie weinte viel, und da habe ich mich um um sie gekümmert. Was man so über Rodewald hört, ist unerfreulich. Daniela besuchte mich neulich mal kurz und fragte, welchen Arzt ich ihr empfehlen könnte. Ihr Mann scheint nicht auf dem Posten zu sein.«

»Wir sind für übermorgen zu einem Empfang geladen, damit Daniel sich diesen Mann mal anschaut«, sagte Fee.

»Dann soll er nur mal schön dienern, sonst redet der kein Wort mit ihm. Er ist gewohnt, daß man vor ihm kriecht. Damals, als der Junge geboren wurde, hat er sich in der Klinik aufgespielt, als gehöre sie ihm. Mit Schorsch hätte er das nicht machen können, obgleich der ja wahrhaftig die Toleranz in Person ist.«

»Wie heißt denn der Arzt, mit dem er es machen konnte?« fragte Fee beiläufig.

»Wöllner, aber der ist längst über alle Berge. Hat irgendwo eine Privatklinik aufgemacht. Er war mächtig auf Geld aus. Vielleicht hat er Unterstützung von Rodewald bekommen aus Dankbarkeit, daß er einen Erben geschenkt bekam.«

»Du mochtest Rodewald nicht, Claudia?«