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G.F. Barner
– 148 –

Die Herdenwölfe

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-944-0

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»Steve!«

Colber hört die Angst aus der Stimme seiner Frau. Hastig steckt Colber seine Forke ins Heu und rutscht die Leiter vom Heuboden herab.

Und dann sieht er den Mann.

»Hören Sie auf, ängstlich nach Ihrem Mann zu rufen, Mrs Colber«, sagt der Mann vor dem Haus scharf und grimmig. »Wir wollen nur mit ihm reden, verstanden?«

Slinker, denkt Colber, während der kalte Zorn in ihm hochsteigt. Der verdammte Kerl, was sucht er auf meiner Ranch?

Steve Colber bedauert in diesem Moment, sein Gewehr im Haus gelassen zu haben. Er hastet aus der Scheune.

»Hallo«, sagt der Mann links neben der Tür träge. »Na, mein Freund?«

Colber bleibt mit einem Ruck stehen und weiß nun, dass er einen Fehler gemacht hat. Neben dem Tor steht Joe Franton. Der hagere Mann im dunklen Anzug arbeitet für Sam Dollin, den größten Viehhändler dieser Gegend.

Rechts neben der Scheune erscheint in diesem Augenblick der dritte Mann. Wie immer treten sie nie allein auf. Wenn sie jemanden besuchen, tun sie es gemeinsam.

Der bullig wirkende rothaarige Cord Lorne schiebt sich um die Scheunenecke.

Als Colber diesen großen, schweren Mann sieht, weiß er, was hier gespielt werden soll. Cord Lorne ist der Vieheinkäufer von Sam Dollin. Bereits im vorigen Jahr hat Dollin den Muskelberg Lorne zu den Ranches geschickt und eine Herde nach Norden auf den Trail gebracht, Lorne ist in seinen Methoden, Rancher zum Verkauf ihrer Rinder an Dollin zu zwingen, niemals zimperlich gewesen.

Vor vier Tagen hat Colber Lorne in der Stadt gesehen. Lorne hat ihn angesprochen und ihm geraten, zweihundert Rinder an ihn zu verkaufen. Aber Colber hat abgelehnt.

Die drei Männer hatten sich unbemerkt der kleinen Ranch Colbers genähert. Nun sind sie da, und sie treten auf, als wären sie hier zu Hause.

»Ah, da ist mein Freund ja«, sagt Lorne mit falscher Freundlichkeit. »Hallo, Colber, ich bin gekommen, um mir die Rinder anzusehen, die du mir versprochen hast.«

Colber erwidert scharf: »Moment mal, Lorne. Seit wann habe ich dir Rinder versprochen?«

»Nun, vor vier Tagen«, gibt Lorne zurück. »Buck, du warst doch dabei, hat er uns nicht eingeladen, heute herzukommen und über das Geschäft zu reden?«

Es ist Colber, als erlebe er einen bösen Traum.

»Sicher hat er versprochen, uns Rinder zu verkaufen«, antwortet Slinker grinsend. »Er hat gesagt, wir sollten heute kommen.«

Colber antwortet mit wachsendem Zorn: »Slinker, kein Wort davon ist wahr, Mann. Ich habe deinem Boss gesagt, ich könne kein Rind an ihn verkaufen, weil ich einen Vorvertrag mit Larry Mohagan habe. Lorne, mit diesem Trick erreichst du gar nichts. Ich verkaufe kein Rind!«

Er sieht, wie Joe Franton plötzlich die Hand an den Revolverkolben legt.

»Moment, Colber, willst du etwa behaupten, du hättest Lorne keinen Ton vom heutigen Verkauf gesagt?«, fragt er zornig. »Lorne, was wird hier gespielt, he?«

»Das weiß ich selber nicht«, erwidert Lorne nach einem heftigen Fluch bissig. »Der Kerl stellt mich als Lügengeschichtenerzähler hin, ist das zu fassen? He, Colber, was hat dir der Mohagan geboten, damit du nicht an uns verkaufst?«

Erst in diesem Moment erkennt Colber, was die drei Burschen vorhaben. Verkauft ihnen Colber Rinder, werden es eine Reihe anderer kleiner Rancher auch tun. Immerhin ist Steve Colber erster Sprecher der Ranchervereinigung von Südwesttexas. Sein Einfluss ist größer als der von Sam Dollin, was den Verkauf von Rindern angeht.

Großer Gott, schießt es Steve durch den Kopf, ich habe für Larry Mohagan geredet in der letzten Versammlung. Ich bin für ihn gewesen und habe einige der schwankenden Rancher überzeugen können, nur an Mohagan zu verkaufen. Das ist hier eine persönliche Sache. Jemand aus dem Kreis der Rancher muss Dollin hinterbracht haben, dass ich ihn einen Geier, Parasiten und Halsabschneider genannt habe, einen Halunken.

Als er das begreift, wird er blass vor Schreck. Von Colbers Vater, der bis zum Ende des Krieges lebte, ist der Sprecherjob der Ranchervereinigung an ihn übergegangen, obwohl Colber bei der Rückkehr aus dem Krieg kaum noch Rinder auf der Ranch vorfand. Die Rancher in dieser Gegend besitzen zwar Rinder, aber kaum Geld. Viele haben zu Dollins niedrigen Preisen bereits verkauft, um wenigstens etwas Bargeld zu erhalten. Andere vertrauten auf Larry Mohagan und dessen Pläne. Zu ihnen gehören auch Steve Colber.

»Jetzt ist es genug«, fährt Colber Lorne scharf an. »Ihr habt zwei Minuten, um von der Ranch zu verschwinden, verstanden, Lorne? Weder habe ich euch etwas versprochen noch würde ich an euch verkaufen.«

Im gleichen Augenblick stößt Lorne einen wütenden Schrei aus und hebt die Faust. Zu spät erkennt Colber, dass Franton nun genau am Ende des Torflügels steht. Er achtet nur auf den gewaltigen Lorne und schrickt erst zusammen, als er den Schatten des Scheunentores auf sich zurasen sieht. Zur gleichen Zeit brüllt Lorne wütend: »Die Pest, ich lasse mich keinen verdammten Lügner nennen. Du hast uns versprochen …«

Es ist zu spät für Steve Colber. Er kommt nicht mehr weg.

Sie wollen mich zwingen zu verkaufen, denkt Colber entsetzt und duckt sich blitzschnell. Sie müssen mich ausschalten, um die anderen kleinen Rancher unter Druck setzen zu können.

In der nächsten Sekunde prallt ihm der schwere Scheunentorflügel in den Rücken. Der Anprall ist so hart, dass Colber nach vorn geschleudert wird und Lorne nicht mehr ausweichen kann. Über den Hof gellt der entsetzte Schrei von Colbers Frau. Mrs Colber sieht, wie das Tor ihren Mann trifft und ihn Lorne in die Arme schleudert. Dann fegt Lorries gewaltige Faust heraus.

Diesen ersten Hieb nimmt Colber ohne Gegenwehr. Das Tor drückt Steve Colber seitlich weg. Und das ist sein Glück. Zwar fehlt ihm nach Lornes Schlag augenblicklich die Luft. Aber seine Beine haben noch so viel Kraft, dass er sich abstoßen und nach rechts hechten kann.

Mrs Mary Colber läuft los. Sie will über den Hof, schreit vor Schreck und Angst.

Der große, breitschultrige Slinker macht zwei schnelle Schritte. Dann packt er die Frau um die Hüften und hält sie fest.

»Lassen Sie mich los!«, ruft Mary Colber. »Loslassen, Sie Schurke! Hilfe – Hilfe, Steve!«

Es ist der schrille Hilfeschrei seiner Frau, der Steve Colber rasend macht. Colber ist ein kräftiger und harter Mann, der durch die Schule des gnadenlosen Bürgerkrieges gegangen ist. Als seine Frau um Hilfe ruft, sieht er Larnes Linke kommen.

Der bullige Lorne schlägt einen wilden Schwinger nach Colbers Kopf. Aber Steve Colber kann nach rechts hechten.

Und dann fegt der harte Hieb über den zu Boden stürzenden Steve Colber hinweg. Im nächsten Augenblick macht auch noch Joe Franton einen Fehler.

Der Revolvermann hat die Absicht, Colber das Tor nochmals in den Rücken zu stoßen. Als er es nach vorn schleudert, jagt er es Lornes an Colber vorbeischießender Faust genau entgegen.

Dies ist die Chance für Steven Colber, denn Lorne stößt über ihm ein fürchterliches Gebrüll aus. Seine Faust ist mit voller Wucht gegen den Scheunentorflügel geprallt.

Umreißen, denkt Colber voller Grimm, den Halunken bringe ich zu Boden.

Und dann schnappt er zu.

*

Schon reißt Steve Colber den vor Schmerz brüllenden Cord Lorne herum. Im nächsten Augenblick trifft Lornes rechte Faust Colbers Ohr, aber Colber nimmt den Hieb wie einen Mückenstich.

»Ihr verdammten Wölfe!«, keucht Colber in seinem rasenden Zorn wild.

Franton, denkt Colber bestürzt. Der ist mit einem Satz aufgetaucht. Der Revolvermann hat endlich begriffen, dass Colber kein so leichter Gegner ist. Dieser Rancher hier kann kämpfen.

Franton handelt sofort. Er hebt seinen Revolver und schlägt zu.

Colber fällt ohne einen Laut zu Boden und bleibt regungslos liegen.

»Das war es«, stellt Lorne fauchend fest. »Ich könnte den Kerl erschlagen. Der hat nicht genug, sage ich dir, Franton, der muss erst noch lernen, uns Rinder zu verkaufen. Zum Henker, bekommst du das Weib bald zur Ruhe, Slinker?«

Slinker gelingt es endlich, Mary Colber den Mund zuzuhalten. Ohne sich um die verzweifelten Anstrengungen der Frau zu kümmern, zerrt er sie herum, schleppt sie bis in den Hühnerverschlag neben dem Haus und öffnet die Tür. Dann zwingt er sie hinein und schließt die Tür.

»Halten Sie den Mund, Sie Närrin!«, fährt Slinker sie wütend an. »Das hat Ihr Mann davon. Verhalten Sie sich ruhig, sonst garantiere ich für nichts, klar? Teufel, jetzt plärrt auch noch das Kind.«

Er sieht sich zornig nach der kleinen Emely Colber um. Das Kind sitzt auf der Treppe und ist durch die Schreie seiner Mutter so erschreckt worden, dass es weint.

»Sie werden das alles bezahlen«, sagt Mary Colber wütend. »Slinker, Sie Ungeheuer, eines Tages werden Sie dafür büßen müssen. Lassen Sie mich zu meinem Kind.«

»Nichts da«, erwidert Slinker drohend. »Bleiben Sie nur immer da, dort gehören Sie hin. Ihr werdet eure Rinder an uns verkaufen, sonst passiert euch noch viel mehr. Mit euch Hungerleidern reden wir von nun an auf die harte Tour. He, Cord, was ist mit dem Narren?«

»Der hat für eine Weile genug«, klärt ihn Cord Lorne auf. Er hat einen Wassereimer entdeckt, in dem abgestandenes Wasser ist. Nun schleppt er ihn die wenigen Schritte zu Colber und gießt dem Rancher das Wasser über den Kopf, und wartet kaltblütig, bis sich Colber in der Wasserlache auf dem Boden zu regen beginnt. Er packt ihn und zerrt ihn hoch.

Indem er ihn gegen die Sprossen des Leiterwagens stößt, brüllt er ihn an: »Wach auf, du Schurke, los, aufwachen, ganz munter werden, hörst du?«

Colber brummt der Kopf wie ein Hornissennest. Rasende Schmerzen sind in seinem Hinterkopf. Er sieht nichts als wogende Nebel und in ihnen eine verschwommene Gestalt. Nur die Stimme ist klar und deutlich.

»Merke dir ein paar Dinge«, warnt ihn Lorne finster. »Du kannst erzählen, Mister, was immer du willst: Slinkey wird bezeugen, dass du uns die Rinder versprochen hast. Du hättest dein Versprechen nicht brechen und uns nicht als Lügner hinstellen sollen. Ich lasse mich nicht von dir an der Nase herumführen, verstanden? Übermorgen kommen wir wieder und bringen ein halbes Dutzend Männer mit, die deine Rinder treiben werden. Du bekommst dein Geld, es wird ein faires Geschäft, wenn du nur dein Versprechen hältst. Wenn nicht, Mr Colber, passieren dir einige Unfälle. Dies ist die erste und letzte Warnung, du Drei-Kühe-Rancher!«

Colber stöhnt leise und hört irgendwo noch Franton ein paar Worte sagen. Gleich darauf setzt Hufschlag ein.

Ich verkaufe nie! Das denkt Colber mit dem verzweifelten Grimm eines Mannes, der zu stolz ist, um sich zu beugen.

*

Colber richtet sich langsam von der breiten Herdbank in der Küche auf. Seit dem Wegreiten der drei Halunken Dollins sind kaum zwei Stunden vergangen. Der Hieb mit dem Revolver hat ihn schwer am Kopf erwischt. So hart Colber auch ist, er kann sich kaum aufsetzen, geschweige denn gehen. Augenblicklich dreht sich alles um ihn, und wenn ihm seine Frau auch kühle Umschläge gemacht hat, viel geholfen hat das nicht.

Durch die Tür tritt ein großer, sehniger Mann.

Iron Larry Mohagan ist sechs Fuß und drei Zoll groß. Sein dunkles Haar ist immer etwas wild und wirr. Seine hellen Augen stehen im seltsamen Gegensatz zu seinem von der Sonne gebräunten Gesicht. Wie immer trägt Mohagan Lederchaps über der ausgebleichten, ehemals schwarzen Hose und ein feuerrotes Hemd. Darüber hat er eine alte, zerkratzte und abgeschabte, vormals schwarze Weste. An ihr gibt es ein paar Schlaufen, in denen Gewehrpatronen stecken. Um Mohagans verbeulten Hut mit einigen Löchern zieht sich eine Klapperschlange statt des Hutbandes.

»Bleib liegen«, ermahnt Mohagan seinen alten Kampfpartner und Kommandoreiter.

»Runter mit dir, Steve. Deine Frau hat mir alles erzählt. Leg dich hin und sei friedlich.«

»Friedlich?«, fragt Steve voll Grimm. »Und das sagst ausgerechnet du mir? Dieser Yankeeteufel Dollin mit seinem Verein. Wenn ich gesund bin, nehme ich mein Gewehr und …«

»Und gehst auf Franton los, damit deine Tochter Halbwaise und deine Frau Witwe wird, was?«, unterbricht ihn Mohagan kühl. »Steve, das ist keine Sache, die du allein durchstehen könntest. Bill ist mit mir gekommen.«

Steve Colber blickt zum Eingang. Der verdunkelt sich. Ein Mann kommt mit seltsam eckigen und langsamen Bewegungen in die Küche. Das ist Bill Miller, er ist ein Klotz auf zwei Säulen. Man traut diesem gewaltigen Koloss keine große Beweglichkeit zu. Außerdem ist Bill jung, gerade 21 Jahre alt geworden. Dennoch ist sein Leben nichts als eine Folge von Härte und Schicksalsschlägen gewesen. Bill hat sehr früh seine Eltern verloren, ist dann herumgestoßen worden und schließlich auf der Mohagan-Ranch gelandet. Als Cowboy war er wegen seines Gewichts kaum tauglich. Er konnte kochen. Darum steckte ihn der alte Lucius D. Mohagan in die Küche. Nebenbei aber hatte er Spaß daran, die ungeheure Kraft des heranwachsenden und immer gewaltiger werdenden Bill Miller zu bewundern.

Nun ist Bill seit Jahren Koch auf der Ranch, macht aber nebenbei die Arbeit des Ranchschmiedes.

»Ho«, meldet sich Bill mit seinem tiefen Bass. Dann setzt er sich vorsichtig auf den einzigen Dreibeinschemel in der Küche und prüft erst, ob das Ding ihn auch trägt.

»Bill hätte dabei sein müssen«, sagt Steve Colber ächzend. »Das wäre endlich die richtige Medizin für diesen Halunken Lorne gewesen. Der verdammte Schottenenkel Lorne, den müsste Bill mal erwischen.«

»Yeah«, knautscht das Ungetüm und nickt heftig.

Danach kichert er leise, wird aber ernst, als er Steve genauer betrachtet. In der Küche ist es dämmrig, Bill und sein Boss sind durch die Sonne geritten. Ihre Augen müssen sich erst an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen.

»Boss, er sieht böse aus«, äußert sich Bill brummig. »Nicht gut, was?«

»Sicher nicht gut«, antwortet Mohagan. »Steve, ich komme von den Talbots. Chester Talbot erzählte mir, dass ihn die Burschen von Dollin besucht hätten. Es war früh am Morgen, und sie erzählten ihm, du würdest an sie verkaufen. Er fragte sie nach einer Verkaufsbescheinigung, weil er ihnen das nicht abnehmen wollte. Sie hatten keine, sagten aber, sie würden zur Stadt reiten und ihm eine bringen. Dann fragten sie, ob er dann Rinder an sie verkaufe, und er meinte, vielleicht.«

»Davon ist kein Wort wahr!«, erwidert Steve erregt. »Sie lügen, die ausgekochten Gauner. Iron, du solltest mich doch wohl kennen. Ich traf Lorne vor vier Tagen in der Stadt, und er sprach mich an. Ich sagte ihm gleich, ich hätte einen Vertrag mit dir. No, Iron, sie wollen mich zwingen, damit die anderen auch an sie verkaufen. Mache ich ein Geschäft mit Dollin, werden die anderen Rancher es auch tun. Hätten sie mich sonst verprügelt?«