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Monika Gärtner

Steffi und Micha — Unternehmen Zeltlager

Monika Gärtner

Steffi und Micha — Unternehmen Zeltlager

Zeichnungen und Titelbild von

Ulrike Horner

November 1988

Verlag Neuer Weg

Schwerinstraße 6

4000 Düsseldorf 30

Alle Rechte vorbehalten

Gesamtherstellung:

Neuer Weg Verlag und Druck GmbH

Kaninenberghöhe 2

4300 Essen 1

ISBN 3-88021-175-2

Monika Gärtner

Steffi und Micha — Unternehmen Zeltlager

Verlag Neuer Weg

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Wie dieses Buch entstand:

»Erzähl eine Geschichte!« Wie oft wünschen sich das meine Kinder. »Viele Bücher sind schön, handeln aber meistens nicht von dem, was ganz normale Kinder erleben.«

Ich gab Annegret und Gabi den Vorschlag zurück: »Laßt euch doch selber was einfallen!«

So entstand dieses Buch — als gemeinsam erdachte Gute-Nacht-Geschichte. Jeden Abend entstand ein neues Kapitel. Ich hatte es nur noch aufzuschreiben ...

Deshalb ist es eigentlich ihr Buch. Und das ihrer Freunde von den Rotfüchsen: von Andreas, Gionni, Adamo, Janine und Oliver, Markus, Michael, Daniele, Toni, Kirsten und vielen anderen.

Erstes Kapitel —

in dem Steffi beschließt, sich eine neue Freundin zu suchen

Steffi saß vor den Hausaufgaben. Aber sie kam einfach nicht voran. Dauernd schweiften ihre Gedanken ab. Unlustig stocherte sie mit dem Füllfederhalter im Radiergummi. »Blöde Ziege«, murmelte sie halblaut vor sich hin. Damit war Britta gemeint. Britta, die eigentlich ihre beste Freundin war. Oder besser: gewesen war! Denn Steffi war fest entschlossen, sich eine neue Freundin zu suchen.

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Zum Beispiel heute im Sportunterricht: Sport war Steffis schwacher Punkt. Sie hatten Felgaufschwung am Stufenbarren geübt. Na ja, und Steffi war eben nur mit kräftiger Unterstützung überhaupt hochgekommen. Und da hatte sie deutlich gehört, wie andere gekichert hatten. Und Britta? Anstatt ihr zu helfen, hatte sie abschätzig geflüstert: »Wie ein Mehlsack.« Steffi hatte es genau gehört.

Sie wurde ganz rot vor Ärger, als sie daran dachte. Und neulich, da hatte es Krach gegeben, als sie bei Britta gespielt hatten:

Eigentlich ging Steffi sehr gern zu Britta. Die besaß so schöne Spielsachen. Gute Ideen hatte sie auch immer. Und Brittas Mama war eigentlich ganz nett. Nur musterte sie Steffi immer so prüfend von oben bis unten, daß ihr richtig heiß wurde. »Na Steffi, ist deine Mutter wieder arbeiten? Klar, daß du da nicht alleine daheimsitzen magst.«

Eigentlich war sie freundlich, und dennoch fühlte Steffi sich unwohl. Sie spürte förmlich, wie Brittas Mutter dachte: »Das arme, vernachlässigte Kind, ganz sich selber überlassen!«

Steffi ärgerte sich, wußte aber nicht recht, was sie sagen sollte. So ging sie mit Britta in ihr Zimmer. Als sie gerade anfingen zu spielen, klingelte es. Petra und Sandra!

»Habt ihr Lust, Zirkus zu spielen?« Das war ihr Lieblingsspiel.

Aber an dem Tag hatte Steffi noch eine andere Idee. »Was haltet ihr davon«, fragte sie geheimnisvoll und rollte die Augen, »wenn wir eine Geisterbahn aufbauen?«

Die anderen waren begeistert. Sie steckten die Köpfe zusammen, überlegten und probierten. Nach einer Stunde war Generalprobe!

Der Raum war fast dunkel. Die Schranktür ging auf, und ein Vampir mit riesigen Eckzähnen schaute heraus. Da! Blut tropfte ihm aus dem Mund! Petra hatte eine kräftige Portion Ketchup genommen. Und da! »Huahuah« öffnete sich die Eckbank, und eine schaurige Fratze grinste heraus. Unter der Bettdecke wimmerte es zum Erbarmen, und unter dem Tisch saß ein schwarzes Monstrum mit rot leuchtendem Maul. Sandra hatte sich eine Taschenlampe in den Mund gestopft.

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Das schaurige Wimmern-Jammern-Stöhnen-Grunzen wurde immer lauter, und als Höhepunkt flogen noch vier nasse Waschlappen durchs Zimmer.

Klirr! Volltreffer! Das war nicht eingeplant!

Hastig schaltete Britta das Licht an. Im selben Moment kam auch Brittas Mutter herein, die das Klirren gehört hatte. Einer der Waschlappen hatte das große Sparschwein aus Porzellan auf den Boden befördert. Dabei war es kaputtgegangen. Scherben, Münzen und — oh weh! — auch ein paar Ketchup-Flecken zierten den Teppichboden.

Steffi seufzte, wenn sie daran dachte, wie schnell Brittas Mutter alle Kinder verabschiedet hatte. Sie sagte nicht mal mehr: »Besucht uns bald wieder!« Obwohl Mama natürlich mit Steffi geschimpft hatte — von ihrer guten Idee sprach wieder keiner! — und abends noch Brittas Mama angerufen hatte, sprach Britta seit diesem Tag ziemlich wenig mit ihr.

Wieder seufzte Steffi. Da fiel ihr Blick auf die Uhr. Gleich halb fünf! Demnächst kam Papa heim, und der konnte es gar nicht leiden, wenn Steffi noch über den Schulaufgaben saß. Jetzt aber los! Sie vergaß Britta und die Geisterbahn und vertiefte sich endlich in die Matheaufgaben.

Zweites Kapitel —

in dem Steffi sich über die Erwachsenen ärgert und am liebsten Bibi Blocksberg wäre

Kurz darauf ging die Wohnungstür. Papa! Schon bevor sie ihn gesehen hatte, wußte Steffi: keine Hochstimmung heute!

Wenn Papa gut gelaunt war, kam er pfeifend zur Tür rein. Wenn alles normal war, rief er gleich: »Steffi, bist du da?« Und nur, wenn er besonders müde war, war erst mal Funkstille. So wie heute.

Tatsache! Papa sah ganz grau aus. »Hallo Steffi«, sagte er, stellte seine Aktentasche ab und hängte die Jacke auf.

»Is’ was, Papa?« fragte Steffi. Doch bevor sie eine Antwort bekam, sah sie plötzlich einen Zettel auf dem Küchentisch liegen. Den hatte sie vorher gar nicht bemerkt. »Steffi, gehst du bitte noch zum Metzger? Hol 200 g Aufschnitt vom Angebot. Richtest du das Abendessen, bis ich komme? Sei so lieb! Kuß, Mama.«

Weil’s nun mal dazugehört, maulte Steffi ein wenig rum: »Immer ich ...«, bevor sie den Anorak anzog und losstiefelte. Mit Papa war eh’ keine Unterhaltung möglich. Der hatte sich schon mit der Zeitung aufs Sofa verzogen ...

Beim Abendessen fragte Mama gespannt: »Na, wie war’s auf der Betriebsversammlung?«

Papa zuckte die Achseln. »Nicht viel dabei rausgekommen. Die halten dicht. ›Sicherlich notwendige Strukturmaßnahmen‹ ... ›Aber auf jeden Fall sozial abgefedert‹ ... ›Mit Fluktuation auffangen‹ ... Du weißt doch, wie die mit vielen Worten nichts sagen können, und doch ist schon alles klar.«

Steffi verstand nur Bahnhof. »Waas? Was war bei euch los?«

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»Steffi, sei ruhig, das verstehst du noch nicht. Laß Papa und mich bitte mal in Ruhe was besprechen, ohne dauernd dazwischenzuquatschen.«

Steffi fand Mama gemein. Sie wollte auch wissen, was los war! Doch Mama achtete nicht mal auf ihr beleidigtes Gesicht.

»Ja, und der Betriebsrat, was hat der gesagt? Die müßten doch eigentlich dagegen sprechen?«

»Haben sie auch. Aber weißt du, irgendwie so, daß du bei jedem Wort spürst: Theaterdonner, alles Theaterdonner. Wenn da mal nicht schon alles besprochen ist!«

Auf einmal dämmerte Steffi was. »Papa, wirst du jetzt arbeitslos?« fragte sie. Papa blieb förmlich der Bissen im Hals stecken. Abrupt legte er Messer und Gabel weg. Das halb aufgegessene Brot ließ er liegen, stand auf und ging weg ins Wohnzimmer.

Mama sah Steffi eindringlich an. »Steffi, frag das ja nicht noch mal! Du mußt Papa nicht noch mehr Sorgen machen. Du sollst nicht immer da mitreden wollen, wo du nichts verstehst. Geh jetzt und richte deine Schulsachen für morgen!«

Steffi verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte doch nur gefragt, was sowieso in der Luft lag. Die Erwachsenen waren manchmal wirklich komisch.

Beleidigt legte sie sich aufs Bett und erholte sich mit einer Bibi-Blocksberg-Kassette.

Ja, hexen sollte man können! Sie würde Papa schon helfen. Und dann würde er staunen, was sie alles verstanden hatte und wie sie, gerade sie, »die Kleine«, ihm aus der Patsche helfen würde. Dann würde er mal merken, daß Kinder wohl was verstehen. Jawohl!

Aber weil sie nun mal nicht Bibi Blocksberg war und auch nicht hexen konnte, würde sie morgen zu Herrn Weller gehen. Das war Steffis Klassenlehrer. Den mochte sie. Man konnte ihn alles fragen, und er nahm sich Zeit. »Merk dir eins, Steffi«, hatte er neulich gesagt, »es gibt keine dummen Fragen — höchstens dumme Antworten!«

Steffi war richtig erleichtert. Morgen würde sie klarer sehen.

Drittes Kapitel —

in dem Thorsten und Ali sich prügeln, Herr Weller Mathe ausfallen läßt und Steffi einen Apfel geschenkt bekommt

Doch am nächsten Tag kam alles ganz anders. Da war was los in der Klasse! Zuerst kam ein neuer Schüler. Er hieß Micha und gefiel Steffi gleich. Ganz viele kleine Sommersprossen hatte er auf der Nase. Das fand Steffi besonders lustig.

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Als er sich vorstellen sollte, wurde er ein bißchen rot. Aber dann erzählte er, daß sie hierher gezogen seien, weil sein Papa hier Arbeit gefunden habe, daß er noch zwei kleine Geschwister habe und daß Sport sein Lieblingsfach sei.

»Iiih«, dachte Steffi, »wie kann man nur!«

Und dann, in der Pause, ging’s los! Ein Streit zwischen Thorsten und Ali! Ali war eines der türkischen Kinder in der Klasse. Eigentlich kamen alle gut miteinander aus. Mehmet und Thorsten waren sogar ein bißchen befreundet. Nur in letzter Zeit war eine komische Stimmung in der Schule aufgekommen. Von den älteren Schülern hatten ein paar wenige immer die türkischen Kinder angemacht: »Was wollt ihr hier eigentlich?« oder »Übrigens, kennst du schon den Türkenwitz, wo ...« Oder die Kleineren wurden ganz einfach angerempelt: »Mannomann, stinkst du nach Knoblauch!« Und eines Tages hatte morgens groß an der Schulmauer gestanden: »Ausländer raus!«

In der kleinen Pause rempelte Thorsten Ali spaßeshalber an. »He, du Knoblauchfresserchen, wie geht’s?«

Ali sagte: »Nimm das sofort zurück, sonst hau’ ich dir eine runter!«

»Waaas?« konterte Thorsten, »im Gegenteil, die ganze Schule stinkt doch!«

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Da holte Ali aus und haute Thorsten eine auf die Nase. Thorsten bekam Nasenbluten und fing ein großes Geschrei an. Es gab eine Rangelei, bis der Aufsichtslehrer die beiden trennte. »Ali, wie kommst du dazu, Thorsten blutig zu schlagen?«

Unter den Kindern gab es eine heftige Debatte: Wer hat angefangen? Wer hat recht? Was würde wohl mit Ali passieren?

Zum Glück war Herr Weller freundlich wie immer, als er in die Klasse kam. »Was war denn los?«

Schweigen.

»Ali und Thorsten, erzählt mir doch, was vorgefallen ist.«

Keine Antwort.

»Auf geht’s, raus mit der Sprache! Was gab’s? Es geht ja nicht gleich die Welt unter, wenn man sich mal streitet.«

Stille.

»Ich find’s schade, wenn in unserer Klasse jetzt Streit entsteht zwischen deutschen und ausländischen Kindern. Ihr wart doch ganz gute Freunde! Habt ihr nicht manches Interessante schon voneinander gelernt: über Alis Heimat, das Leben dort, und warum türkische Familien hierhergekommen sind?!«

Plötzlich meldete sich Angela: »Also, ich habe alles genau gesehen. Thorsten hat nur Spaß gemacht, das hat gar nichts damit zu tun, daß Ali Ausländer ist. Thorsten hat sogar gelacht, aber Ali hat ihn blutiggeschlagen. Jetzt kann er sich nicht rausreden, finde ich.«