Theodor Däubler

 

Der unheimliche Graf

Der Werwolf

Die fliegenden Lichter

 

Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung: Gunter Pirntke


2017 andersseitig.de


ISBN

9783961182923 (ePub)

9783961182930 (mobi)


andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


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Inhalt

Impressum

DER UNHEIMLICHE GRAF

DER WERWOLF

DIE FLIEGENDEN LICHTER

 

DER UNHEIMLICHE GRAF

 

Ich saß einmal vor vielen Jahren in Wien beim Nachmittagskonzert in einem Vorstadtgarten. In dieser recht gutbürgerlichen Umgebung hatte ich wahrlich nichts besonders Romanisches erwartet. Doch eine der unerhörlichsten Begebenheiten in meinem ganzen Leben sollte sich dort einfädeln.

Zur Sache: die Militärkapelle hatte soeben ein Potpourri aus Verdiopern zu Ende gespielt, als sich eine Hand, ich merkte gleich, es war eine Frauenhand, auf meine Schultern legte. Als ich mich umsah und zugleich aufgestanden war, erkannte ich sofort die blonde Dame, die sich mir so vertraulich genähert hatte. Ich wusste aber auch im Nu, seit vielen Jahren hatte ich sie nicht gesehn: als sie mich, etwas trüblächelnd-anredend, an unsre Bekanntschaft erinnern wollte, war mir auch schon ihr Name eingefallen. »Frau von Carpegna, wie geht es Ihnen?«, sprach ich sie auf deutsch an; sie war nämlich geborne Wienerin, Gattin eines italienischen Edelmannes. »Ich danke, Herr Däubler; es freut mich, dass Sie sich noch auf mich besinnen können, mir geht es schlecht!« War ihre Antwort. Wir sahen uns einen Augenblick lang, so zwischen scharf und zögernd, an. Frau von Carpegna dürfte damals eine Vierzigerin gewesen sein; ihr Haar glänzte noch hochblond, sie hatte immer zu einer gewissen Korpulenz geneigt; vielleicht war sie damals etwas magrer, als ich ihre Erscheinung in der Erinnerung herumtrug.

 

Schön ist sie niemals gewesen, auch nicht besonders elegant; nun stand sie, eine ehemalige Sängerin und Schwester einer sogar sehr berühmten Sängerin, ziemlich dürftig gekleidet, vor mir. »Mein Mann ist tot: wussten Sie es?« Unterbrach sie das kurze Schweigen. »Nein!« Antwortete ich, wirklich schmerzlich berührt. Unsre Familien waren früher in Triest recht befreundet gewesen. »Bedauern Sie mich nicht aus diesem Grunde!« Setzte sie ihre Rede etwas gewaltsam hart fort: »Er taugte nicht viel. Sie werden sagen, er war begabt, meinetwegen. Aber es reichte bei ihm zu nichts aus. Mich, seine Kinder, hat er ins Elend gebracht. Nun reden Bekannte und Verwandte über uns alle sehr schlecht: meine einzige Sünde ist aber gewesen, dass ich die Frau eines leichtsinnigen Mannes war. Kommen Sie an unsern Tisch, meine älteste Tochter Rita und meine Mutter sitzen dort, in der hintern Allee, auf einer Bank beisammen. Ich habe Sie sofort wiedererkannt. Bedauern Sie erst Niemanden: wir sind nun schon seit drei Jahren Witwe und Waise.« Ich folgte der Dame. Als wir an die andern Frauen herantraten, stand Fräulein Rita auf und machte einen Knix. Ich war darüber sehr verwundert, denn sie mochte wohl über zwanzig Jahre und somit nur ein paar Jahre jünger, als ich gewesen sein. Sie schien mir ganz hübsch, etwas zu aufgeschossen, ähnelte weder ihrer Mutter, noch dem Vater: bald merkte ich, dass sie leicht hysterisch sein musste. Sie zitierte und schnitt beim Sprechen Grimassen. Übrigens kein Wunder: wir sollten im Gespräch auf gar ernste Dinge kommen! Und durfte sie damals die Wahrheit sagen? Erst viel später sollte ich mir die Frage stellen.

Fräulein von Carpegna hatte ein gutes Gedächtnis; sie fing mir sofort von unsern Spielen, vor mehr als zehn Jahren, an zu reden. Gewiss, wir hatten uns zum letzten Mal in Triest auf dem Bahnhof gesehn, als wir eine Tante der Carpegnas, die von Görz ankommen sollte, abholten. Der Zug hatte eine größere Verspätung, und wir veranstalteten damals ein recht lustiges Blindekuhspiel zur Ergötzung der andern Wartenden ebenso wie zum eignen Zeitvertreib. Wir wussten es noch beide ganz genau! Die Mutter der Frau Carpegna hatte uns niemals recht gefallen. Es hieß schon dereinst in Triest, sie sei als Zimmervermieterin nicht einwandfrei, man hätte oft Pärchen bemerkt, die zu ihr geklettert wären. Meine Mutter allerdings war ganz entschieden gegen solche Vermutungen: sie behauptete, man sollte über die verarmte Dame kein so böses Gerede verbreiten! Und dabei blieb es: unsre Familien verkehrten freundschaftlich bis zur Übersiedlung der Carpegnas nach Wien.

 

Dann trat allerdings sehr bald Entfremdung ein. Der Grund war ein peinlicher Vorfall, der sich auf den Straßen des vierten Bezirks abgespielt hatte, und in den man auch meine Großmutter mütterlicherseits, die ebenfalls seit einigen Jahren in Wien lebte, irgendwie hineinzog. Und dieses auffallende Ereignis wurde eigentlich sogleich von uns vieren besprochen, denn ich bin nicht ohne Absicht zu den drei Damen gerufen worden! Man wollte sich nicht nur vor mir rechtfertigen, sondern forderte schließlich, im Namen einer viel jährigen Familienverbundenheit, meine Dienste in einer ganz unglaublichen Geschichte! Frau von Carpegna erzählte folgendes, ohne sich im Beisein von Mutter und Tochter ein Blatt vor den Mund zu nehmen: »Als Folco« – so hieß der verstorbne Herr von Carpegna – »ganz unfähig wurde, seine Familie zu ernähren, entschloss ich mich, zusammen mit meiner Mutter, für uns und die Kinder zu sorgen, sogar für ihn: aber wir konnten das nicht im kleinen Triest Zustandebringen, wo man uns auch als wohlhabende Menschen gekannt hatte, und zogen daher nach Wien. Ich gebe nun hier seit Jahren Gesangsstunden, die Mutter vermietet weiter Zimmer. Mein Mann litt an Rückenmarksdarre, kein Wunder: er hatte einen ausschweifenden Lebenswandel geführt. Ich habe ihn dereinst geliebt, trotz aller Warnungen geheiratet: das ist mein Leichtsinn, mein Vergehn!